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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 06.03.1906
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1906-03-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19060306029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1906030602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1906030602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1906
- Monat1906-03
- Tag1906-03-06
- Monat1906-03
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Für da- Erscheinen an bestimmten Tagen u. Platzen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen und Extrabeilagen nur in der Morgen-Ausgabe Schluß der Annahme nachmittags 4 Uhr. Anzeigen-Annahme: AugUftUSPlatz 8, Ecke Johaunisgasse. Hanpt-Atltale Berit«: EarlDuuckr r, tzerzgl.Bayr.Hofbuchha ndlg., Lützowstrabe 10 kFernsprecher Amt Vl Nr. 46031 Filial-Expedition: Dresden,Mariensrr 34 10V. Jahrgang. Da; wichtigste vom rage. * Der König von Württemberg ist heute vormittag 10 Uhr 26 Min. zum Besuche des Königs Friedrich August in Dresden e i n g e t r o f f e n. (S. Sachsen.) * Der bayerisch eParteitag der Sozial demokraten hat gestern einstimmig beschlossen, bei der nächsten Landtagswahl einen Kompromiß mit den übrigen Parteien nicht abzu sch ließen, sondern selbständig vorzugehen. Der nächste Parteitag findet in München statt. * Infolge der Fortdauer des Streiks in Geringswalde sind gestern im Bezirk Wald heim 3000 Holzarbeiter ausgesperrt worden. * „Daily Telegraph" meldet aus Tokio: Die Vertreter Japans in China haben ihrer Negierung wegen der drohenden Lage Vor stellungen gemacht und Schutzmaßregeln erbeten. In folgedessen ist beschlossen worden, den Kreuzer „Tarat- fchio" nach China zu entsenden. pslitstcbr rsgerscbau. Leipzig, 6. März. Zur Vertretung des ärztlichen Berufsstandes in der Ersten Kammer. Der Vorsitzende der Sächsischen Aerztekammcr hatte bekanntlich die Stände in einer Eingabe gebeten, bei Erweiterung der Ersten Kammer einem Arzt einen Sitz einzuräumen. Er hatte dies unter anderem damit be- gründet, daß es sich nicht um eine berufsstündische Inter essenvertretung handle, sondern um Berücksichtigung dec Tatsache, daß ein geordnetes Gesundheitswesen mit zu den wichtigsten Faktoren gehöre, durch welche das moderne Staatsleben bestimmt werde. Die Erste Kam mer hat aber b schlossen, die Petition der Acrztet'ammern als undurchführbar aus sich beruhen zu lassen. Das ofsi- zielle Organ der sächsischen Aerzteschaft bemerkt hierzu: „Das Votum der Deputation muß überraschen — zu nächst 'chon deswegen, weil nach diesem Votum der für das gefumre moderne Staatsleben so außerordentlich wichtige Faktor „Gesundheitswissenschaft" als eine bernfsständische Angelegenheit und die Vertretung dieses 'ür Staat und Gemeinden so bedeutungsvollen, im wahrsten Sinne des Wortes volkswirtschaftlichen Faktors in der Ersten Kammer als eine berufsständische Inter essenvertretung, analog der der Hausbesitzer- und Grund- vesitzervereine, der Handwerkerinnungen und ähnlichen, hingestellt erscheinen. Tas Votum der Deputation muß aber weiter auch überraschen, weil letztere nicht nur einem Vertreter der technischen Wissenschaft Sitz und Stimme in der Ersten Kammer eingeräumt hat, sondern weil sie überdies auch die Aufnahme von fünf berufs ständischen Vertretern aus den Kreisen des Handels, der Industrie und des Gewerbestandcs in die Erste Kammer beantragt hat. Das alles muß umso mehr überraschen, als die begründenden Ausführungen hierzu unseres Er achtens mit noch viel größerer Berechtigung als für die Aufnahme von fünf verfassungsmäßigen merkantilen Vertretern für die Aufnahme wenigstens eines ver fassungsmäßigen Vertreters des wissenschaftlichen Ge sundheitswesens in die Erste Kammer ins Feld geführt werden können. Solcher ablehnenden Haltung der Kammer gegenüber erscheint eine neuerliche Nachricht aus Berlin von um so größerer Bedeutung und auch ihrerseits dazu angetan, das Petitum der Vertreter der sächsischen Aerzteschaft in das rechte Licht zu rücken: Dem Generalstabsärzte der Armee, Chef des preußischen Militärsanitätswesens, Prof. Dr. Schjerning, ist das Neckst verliehen worden, dem Kaiser dreiwöchentlich Jmmediatvortrag zu halten. Man ist also an aller- höchster Stelle von der Notwendigkeit überzeugt, sich dauernd und unmittelbar von berufener fachmännischer Seite über die Angelegenheiten des Militärgesundheits- wesens und damit implizite des Gesundheitswesens über haupt auf dem laufenden erhalten zu lassen. Wenn wir hierzu noch die Tatsache der fast zu gleicher Zeit durch den Kaiser erfolgten Berufung eines hervorragenden Mediziners, Exzellenz v. Bergmann, in das preußische Herrenhaus berücksichtigen, so werden wir in alledem mit Recht ein bedeutsames Zeichen der Zeit zu erblicken haben, das heißt ein Zeichen für die Erkenntnis von der nach Lage der Dinge fernerhin nicht mehr abzuweisenden Notwendigkeit, berufenen Vertretern der Gesundheits wissenschaft eine der Bedeutung dieser Wissenschaft für Las Allgemeinwohl und damit für unsere gesamte natio nale Entwickelung, Macht und Größe entsprechende un mittelbare Einflußnahme bei der Vorbereitung und Be ratung einschlägiger legislatorischen, administrativer usw. Vorlagen und Maßnahmen einzuräumen. Und so haben auch die Aerzte Sachsens die Hoffnung noch nickst ganz ausgegeben, daß man maßgebenden Ortes der beregten Petition der Aerztekammervorsitzenden die erforderliche Berücksichtigung werde zu teil werden lassen. Die Kosten eines europäischen Krieges. DaS bekannte Wort Montecuculis, daß zum Krieg führen Geld, nochmals Geld und wiederum Geld gehöre, findet eine ziffernmäßige Illustration durch einen Auf satz des französischen Abgeordneten Roche, der sich ange sichts der kriegerischen Neigungen chauvinistischer Kreise veranlaßt sieht, in einer vielverbreiteten Pariser Monatsschrift die Kosten eines künftigen Krieges und seine wirtschaftlichen Folgen zu erörtern. Er stellt zu nächst die Finanzfrage in den Vordergrund und be rechnet die Kosten eines Feldzuges wie folgt: Im Kriege von 1870/71 vatte Frankreich zusammen etwa 1,- Millionen Mann aufgcboten. Oie deutschen Streitkräfte beliefen sich auf 11) Millionen Mann. Nach dem Bericht des Finanzministers Maane stellten sich sür Frankreich die un mittelbaren Krieg-Kosten ohne Kriegsentschädigung an Deutschland und ohne den Aufwand sür die Unterhaltung der deutschen Besatz» ngscruppcn in Frankreich auf 3,3 Mil liarden Francs. Also IP Millionen Mann und 3,3 Mil liarden Francs Kriegskosten — ergibt die achtmonatliche Dauer des Kwieges 11 Frcs. täglich auf den Kopf des Sol daten Diesen Einl>eitsbetraa legt Roche seinen Berechnungen zugrunde; er erachtet 11 §rcs. für nicht zu hoch. Im Trans- vaalkricye verausgabten die Engländer täglich für den Kopf allerdings 20 FrcS, ihre Kriegführung war aber sehr kost spielig. Auch die Russen sollen nac Roche im letzten Kriege 10 Frcs. täglich für den Kopf aufgewendet Haven. Dem nach wären 11 Frcs. ein Mindestsatz. Heute würde Frankreich nach Roche mit Einschluß des Territorialheeres rund 2,3 Millionen Mann ins Feld stellen können. Nlmmt man dazu noch die Territorialreserve mit 000000 Mann, so ergibt sich für Frankreich bei 11 Frcs. sür Kopf und Tag im Falle der Mobilisation eine Ausgabe von 38 Millionen Francs täglich und bei achtmonatlicher Kriegs dauer eine Gesamtausgabe von 9,3 Milliarden Francs. Da Deutschland nach den Angaben von Roche 5,4 Millionen, Oesterreich-Ungarn 2 und Italien 3,3 Millionen Mann auf stellen können, was wohl übertrieben ist, so hätten diese Treibundmächte im Falle eines europäischen Krieges bei 10 Frcs. für Kopf und Tag mit einer Ausgabe von 100 Mil lionen Francs täglich zu rechnen. Dabei ist der Seekrieg noch gar nicht in Betracht gezogen. Erscheint auch diese Be rechnung stark übertrieben, so unterliegt es doch keinem Zweifel, daß Frankreich durch einen europäischen Krieg als bald in eine sehr schwierige Lage geraten würde. In Frank reich schuldet der Staat den Sparkassen 414 Milliarden Francs. Bei Beginn des Krieges, wenn die Ausgaben am höchsten sind, wird er zur Zurückzahlung bereit sein müßen. Während des deutsch-französischen Krieges half die Bank von Frankreich. Dazu wird sie m einem künftigen europäischen Kriege bei den erhöhten Anforderungen des Staates außer stände sein. Damals siel die französische Rente bei einer Staatsschuld von 14 Milliarden Francs auf 50! Heute hat Frankreich mehr als 38 Milliarden Francs Schulden. Da neben gibt es an 100 VLilliarden Francs Papierwerte in französischem Besitz. Auf welchen Kurs werden alle die,e Schuldverschreibungen, Aktien, Obligationen u>w. zuruck- gehen, wenn der Krieg erklärt worden ist oder gar Wochen und Monate später, zumal, wenn der Staat runmer neues Geld braucht, die erzeugende Arbeit aber fehlt? Werden die Verluste 30, 40, 50 Milliarden betrauen? fragt Roche. Vor allem fürchtet er eine Münzkrisis mit Papiergeld- und Assignatenwirtschaft. Je mehr Papiergeld, desto ge ringer sein Wert. Von 1790 bis 1794 fielen die Assignaten von 90 auf 2 und das Pfund Brot kostete 60 Frcs. -frei- lich in Papier. Aber welche Schädigungen hatte das gesamte wirtschaftliche Leben dadurch zu erleiden! Und wenn die ganze waffenfähige männliche Bevölkerung zwischen 20 und 45 Jahren im Felde steht — werden nicht alle Betriebe, weil ihnen die besten und führenden Kräfte fehlen, zusperren müssen? Wird nicht auch die übrige Bevölkerung arbeits- und brotlos werden? Wird nicht die ganze Erzeugung in Stillstand kommen? Kann der Staat dann überhaupt noch aus Steuereingänge rechnen? Was er für Frankreich besorgt, rerkündet Roche auch allen jenen Ländern, die in einen europäischen Krieg verwickelt werden sollten, Krisen und Stürme, wie sie die Welt noch niemals erlebt hat. Von Bismarcks ..saip-nsr st blanc;' würden alle kriegführenden Völker ereilt werden. Dem Sieger würde nichts bleiben als der Sieg, und zwar ein teuer erkaufter Sieg mit unheilbaren Katastrophen im Ge folge. Der Sieger werde Ruhm geerntet, der Besiegte die Ehre gerettet haben. Beide aber würden dabei ihr Leben verlieren einzig und allein zum Nutzen neuer Konkurrenten der Zivilisation, die in Gemütsruhe fern vom Sturme ge blieben seien. Roche übertreibt vielfach, was im einzelnen nicht dar gelegt werden soll, aber er übertreibt offenbar mit Absicht, um jede Kriegslust, die sich etwa in Frankreich regen sollte, zu ersticken. Diese Tendenz ist anzuerkennen. Deutsches Keich. Leipzig, 6. März. tsi. Die Hoffnung, die zweite Etatsberatung im Reichstage noch im Monat März zu beenden, hat man jetzt vollständig ausgegeben. An maßgebender Stelle wollte man zum Aushilfsmittel von Dauersitzungen greifen und schon früh 10 Uhr an manchen Tagen be ginnen, hat aber davon Ab stand genommen, da die Kommissionsderatungen dadurch beeinträchtigt werden. Man wird also Ende März ein Notgesetz erlassen und Etat, Flottennooeüe und Reichsfinanzreform ge mütlich erledigen. Das Notgesetz müßte dann freilich Kraft bis zum 1. Juni erhalten. Der Regierung ist dieser Ausweg allerdings nicht sehr angenehm, da bei einem Notgesetz sich nur bedingt wirtschaften läßt, man hält es aber nach Lage der Dinge am besten, so zu ver fahren. Einen Vorteil hat dieser Ausweg noch, daß keine Nachtragsetats eingebracht zu werden brauchen und sich hierbei nicht noch neue Debatten ent- spinnen. Id. Ter Fall Puttkamer dürfte vorläufig als beendet angesehen werden können. Man wird weitere Schritte erst unternehmen, wenn LaS Gerichtsverfahren gegen die noch in Hast befindlichen Häuptlinge beendet ist und die Untersuchung betreffs verschiedener Punkte, über die das Kolonialamt im Schutzgebiete selbst Erhebungen an stellen läßt, ihr Ende erreicht hat. Es steht aber ganz bestimmt fest, daß Puttkamer den Reichsdienst quittiert, er selbst hat einen entsprechenden Wunsch geäußert, da er sich krank fühlt. * Zur Tiätenvorlage wird uns geschrieben: DaS Staatsministerium hat den vom Grafen Posadowsky ausgearbeiteten Entwurf betreffend Anwesenheitsgelder für die Rcichstagsabgeordneten einer so gründlichen Be ratung unterworfen, daß man nachgerade im Reichstage zweifelhaft wurde, ob die Vorlage überhaupt noch in dieser Session zur parlamentarischen Erledigung kom men würde. Diesen Zweifeln macht nun die Mitteilung der „Nordd. Allg. Ztg." ein Ende. In parlamenta rischen Kreisen nimmt man an, daß die Vorlage sehr bald an den Reichstag kommen wird und daß mit der Tiätenzahlung noch vor Ostern begonnen wird. Es be stätigt sich, daß für die regelmäßigen Sessionen eine Pauschalsumme gezahlt werden soll. Verschiedenen Par lamentariern wurde gestern vertraulich mitgcteilt, daß rund eine Million Mark zu diesem Zweck vom Reichstag emgefordert werden soll und daß auch für diese Session die ganze Pauschalsumme zur Auszahlung kommen soll, nicht etwa nur ein Teilbetrag. Danach würde ein ein faches Nechenexempel ergeben, daß die Pauschsumme auf 3000 Mark festgesetzt worden ist, wovon übrigens von vornherein die Rede war. Es ist freilich auch hohe Zeit, daß endlich ein beschlußfähiges Haus zustande kommt, um Schlußanträge durchzusetzen und dem zwecklosen Redeeifer ein Ende zu machen. * Ter Kampf um Kaiserslautern hat jetzt endlich er freulicherweise zu einer Klärung der parteipolitischen Situation in der von uns gewünschten Richtung geführt. Man ist von nationalliberaler Seite aus von dem Ge danken abgekommen, sich mit dem agrarischen Bündler- tum zu vereinigen. Statt dessen ist eine liberale B l o ck k a n d i d a t u r auf die Person des Bürger meisters Karl Schmidt von Odernheim zustande gekommen, der gegenüber auf der einen Seite die Sozial demokratie, auf der andern das Vündlertum mit seinem Kandidaten Dr. Nösicke steht. Außerdem kommt noch eine Zentrumskandidatur in Betracht. Diese Entwick lung der Verhältnisse im Wahlkreis Kaiserslautern zeigt von neuem, wie gut es ist, wenn man sich nicht, wre pseudoliberale Blätter wünschten, von vornherein durch die Rücksicht auf die Sozialdemo kratie verleiten läßt, liberale Einigungspläne, die auf Schwierigkeiten stoßen, aufzugeben zu Gunsten eines jedem wahren Liberalismus widersprechen den Bündnisses mit dem Agrariertum. Ein fester Wille, dem Liberalismus zu dienen, besitzt Kraft genug, eine Brücke zwischen Nationalliberalismus, Freisinn und Dentokratie zu schlagen und damit zwischen die Extreme von rechts und links die Vertretung des bürgerlichen Liberalismus zu schieben, die auch für einen Teil der bäuerlichen Bevölkerung ja eine viel sachgemäßere Ver tretung ihrer Interessen ist, als das Agrariertum eines D-. Rösicke. Möge es nun auch der liberalen Kandida tur gelingen, im Kampfe gegen rechts und links, so viele Stimmen auf sich zu sammeln, daß es zu einer Stich wahl zwischen ihr und der Sozialdemokratie kommt, Dr. Rösicke aber für diese ausscheidet. * Hinter den politischen Kulissen. Ueber die Reise pläne des Kaisers und die politische Lage glaubt die „Bert. Morgenpost" allerlei aus „zuverlässiger Quelle" berichten zu können. Wir geben es unter dem ausdrück- lichen Vorbehalt wieder, daß es sich hier Wohl nur um Gerüchte und Kombinationen handelt, deren Bestätigung recht fraglich ist. Das Blatt behauptet zum Teil ent gegen der offiziösen Dementi: 1) daß der Kaiser auf Einladung des Königs der Hellenen iVinen Besuch in Athen anläßlich der am 22. April beginnen den olympischen Spiele in Aussicht gestellt hat; 2j daß dem Kaiser aus dem Munde König Georgs von Griechenland bestätigt wurde, was ihm bereits in dem Geburtstagsschrei ben König Eduards zum 27. Januar angedeutet worden war, nämlich, „daß der König von England, wenn es ihm seine sonstigen Verpflichtungen gestatteten, wenigstens dem Wettlaufen um den Marathon-Preis am 1. Mai beizuwoh nen wünsche'^ und 3) daß nach eingezoacnen Erkundigungen sowohl auf königlicher wie auf kaiserlicher Seite begründete Hoffnung auf eine alle Teile befriedigende Lösung der strit tigen Fragen der Marokkokonferenz innerhalb der nächsten Tage herrscht, so daß einer baldigen Begegnung zwischen Onkel und Neffen auch formell nichts mehr rm Wege stehen würde; 4) daß der Fürst von Monaco in Berlin eifrig be strebt sei, diese deutsch-sranzösische Annäherung zu fördern. Feuilleton. Vor (Sott ist alles Linken gleich, dlur Lottes puppen sinck ivir schlicht, dllcht erste gidt's unck letzte nicht. ktobeN örovning („Kipps gebt vorüber"). Moderner Lhristentnn» Von Pfarrer Dr. Albert Kalt hoff sDremen). Kierkegaard, der Däne, hat auch in Deutschland eine immcr größer werdende Gemeinde gefunden, namentlich ieitdem A. Dörner und Christoph Schrempf die wichtigsten seiner Schriften in deutscher Uebersehung gegeben haben «Stuttgart, Frommanns Verlag, 1896s, und durch die vor kurzem erfolgte deutsche Ausgabe seiner Tagebücher siiber- 'etzt von H. Gottsched, Eugen Diederichs, Leipzig und Jena, 1905s. Kierkegaard richtet seinen Angriff aus die Christen beit, weil diese das Christentum seines radikalen Charakters entkleidet und ihren bequemen Halbheiten onaevaßt hat. Im heutigen Christentum wird bas als bas Nichtige und Not wendige hingestellt, waS Christus als unvereinbar mit ein ander. als unmöglich behandelt, zween Herren zu dienen, Gott und dem Mammon. EhrntnS bat -vn Lebensideal sein wollen, das zur bedingungslosen Nachfolge aufruft. Seine Lehre verlangt daS leidenSvolle Martyrinm, die Vereinigung aller der Mächte, welche in der Welt am höchsten im Kurse stehen. Der heutige Christ begreift nicht, daß er nicht Christ «ein kann, ohne für seine Lehre zu lewen- er macht aus ieinem Christentum die Anwart'chaft ans bequemes Leben und einträgliche Pfründe. *) AuS einem Heft der „Modernen Zeitfraaen" sHeraus- grber Dr. Han» LandSbergj, Pan-Verlag Berlin. Während NEm" ursprünglich ein Wagnis war, der entscheidende Schritt in einer entscheidenden Situation, werden die Menschen heute als Cyristen „geboren", und weil per Christ sich nicht mehr die Situation.schafft, worin sich entscheidet, ob man Christ sein will oder nicht, so macht man, um doch etwas zu tun, das Christentum als Ersatz dafür zum Gegenstand des Denkens. Der Professor, von oem im ganzen neuen Testament nicht die Rede ist, und der nichts tut, als das Christentum aus der Welt hinauszupraktizieren, ist das Ideal, der Professor gilt als der wahre Christ, der Retter des Christentums. Und er ist doch nur der Kastrat, der sich nicht um deS Himmelreichs willen Verschnitten hat, sondern umgekehrt, um recht in diese charakterlose Welt bineinzupassen. Den ganzen modernen Begriff Geistlichkeit könnte man unter dem Titel „intellektuelle Wollust" behan deln, denn „all dieses zu Tränen rühren, all diese hinreißende Darstellung und Schilderung davon, wie die Wahrheit ge litten hat: vas ist, wenn man selbst so weltlich ist, Wollust." Und der so spricht, hat selbst mit seinen Worten Ernst ge macht. Er bekennt von sich selbst: „Ich hätte mich um ern geistliches Amt bewerben können, wäre Pfarrer geworden, jetzt vielleicht schon Probst, hätte vielleicht etwas Administra tives erfunden, so daß ich gar Ritter vom Danebrog gewor den wäre. Es ist mir nun anders gegangen. Auf eine be sondere Weise ist diese meine natürliche Entwickelung durch die Frage, welche ich mir selbst gestellt, anfgehalten: „Bist du ein Christ?^ Als Christ entmgt Kierkegaard der Che, denn er sieht in dem Weibe die Macht, die den Mann per- cndlicht ihn seinem Ideale untreu macht, ihn demütigt und zur Unbedeutenheit verurteilt. Als Christ hat Kierkegaard auch die Bande der Blutsverwandtschaft zerrissen und den schwersten Kampf seines Lebens gegen seinen Bruder ge führt. So steht er da als der schroffe Gegensatz gegen alles, was der moderne Theologe Christentum nennt, die lebendige Verkörperung einer Möglichkeit, daS alt« Christentum in seiner Person aufzurichtcn. Aehnlich ist das Christentum Tolstois. Auch er be kämpft auf daS entschiedenste die Theologen, welche ihr« Hauptkunst darin üben, den einfachen, klaren Sinn der Worte Christi durch ihre Auslegungen ^u entstellen, etwas Nebelhaftes, Unbestimmtes oder gar Entgegengesetzte» an die Stelle dieses Sinnes zu setzen. Auch Tolstois Christen- tum ist durch und durch asketisch. Er verwirft das Streben nach Reichtum und Genuß, nennt die Leidenschaftlichkeit der Bevorzugung des einen Menschen vor den andern, die man fälschlich Liebe nenne, einen Wildling, an dem bloß die Energie der tierischen Persönlichkeit offenbar werde. Vor allem aber verwirft er den Staat, weil dieser aus die Ge walt sich stütze und deshalb direkt dem Gebote Christi ent gegen sei, daß man nicht widerstreben solle dein Uebel. So bekämpft Tolstoi das heutige Christentum als die völlige Umkehrung des wahren und ursprünglichen Christentums, weil es alle die Staatseinrichtunaen, das Militär und den Bölkerkrreg, den Henker und das ZuchtlxwS als göttliche In stitutionen dem Volke dcrrstellt, dem Leidensgchorsam, den Christus gepredigt, entgegen. So stehen sich in der Frage des Christentums Zunächst zwei Richtungen schroff einander gegenüber. Die eine will im Grunde das moderne Leben retten und gibt dafür die Grundideen des ursprünglichen Christentums, dessen Name doch beibehalten werden soll, preis: die andere dringt auf Verwirklichung des urchristlicheu Lebens in ver Gegenwart und wirft sich damit der Entwickelung entgegen, die das moderne Kulturleben einaeschlogen hat. Uno wer die Si tuation im Großen und Ganzen überschaut, dem steht feden- kalls das Eine fest, daß sich die Brücke zwischen dem mo dernen Leben und dem alten Christentum auf theologischem Wege nicht schlagen läßt. Wo die Wege der Theologie versagen, bleiben nur die Religion übrig, also die Frage, wie der Heutige Mensch in seinem religiösen Empfinden der alten Ehristeu stehe. Wenn Religion eine aus den Tiefen des Menschengemüts bervorbrechendc Lebenskraft bedeutet, dann läßt sich von nornherem annehmen, daß ihr etwas Zeitloses eignet, eine oem Menschen innewohnende Ursprünglichkeit, die wie daö Vermögen der sinnlichen Wahrnehmung, wie die Jnstinkre und WillenStriebe zum Gattungswestn deS Menschen ge hört und ihre Funktion bei allen Gradunterschieden und Wandlungen der Objekte auSübt. So suhlen in der Tat alle religiösen Menschen innerlich etwas Verwandte- unter- i einander, und der modern« Mensch steht den großen reli giösen Erlebnissen, die auf dem Grunde des Urchristentums einst vor sich begangen sind, viel näher, als e8 nach den tiefgehenden Wandlungen der Weltanschauung und der äußeren Lebensverhältnisse auf den ersten Blick mögliäi erscheint. Die Momente der Verehrung und Ahnung, des Lebensdranges und der Lebenssurcht, alle die elementaren Reibungen, oie aus Leben und Tod in der Seele entstehen, schlingen ein Band der Gemeinschaft um das religiöse Leben der höchsten wie der niedrigsten Kulturen. Die historischen Formen, die das Christentum in seinem Ursprünge wie in feiner weiteren Entwicklung angenommen hat, sind ja selbst erst Niederschläge und Verdichtungen e:nc<- elementaren, im Innern verborgen arbeitenden religiösen Lebens. Wo, wie in der Gegenwart, diese Formen zer schlagen wcrdm, sucht sich dann die Kraft, die einst diese Formen geschaffen, neue Ausdrucksmittel und Betätigungs- weisen. Das Neue.überrascht und befremdet zunächst, weil eS an seiner Oberfläche nur den Gegensatz erkennen läßt, in dem es zu dem Alten steht. Sobald aber icmand tiefer blickt, sieht er auch dieselben Kräfte, die einst die primitiveren, kompakteren Formen des Alten gebildet, am neuen, größeren, verwickelteren Werke wieder schöpferisch tätig. Es geht dem heutigen Menschen dem Christentum gegen über wie dem Faust, über den der Geisterchor singt: „Weh! Weh! du hast sic zerstört, die schöne Welt mit mächtiger Faust: sie stürzt, sie zerfällt! Ein Halbgott hat sie zerschlagen! Wir tragen die Trümmer ins Nichts hinüber und klc^en über die verlorne Schöne." Aber dann gilt ihm auch zugleich daS Weitere: „Mächtiger der Erdensöhne, prächtiger baue sie wieder, in deinem Buse« base sie auf!"
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