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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 02.05.1906
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1906-05-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19060502024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1906050202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1906050202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1906
- Monat1906-05
- Tag1906-05-02
- Monat1906-05
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Bezug-, Prel- tu der tzauptexprdttion oder bereu Ausgabe- stellen abgeholt: oierteljährttch L.M. bei täglich zweimaliger Zustellung in- Hau- vierteljährlich 8.—. Lurch unsere aus wärtigen Ausgabestellen uud durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich vierteljährlich 4.50, für die übrigen Länder laut ZrituagSpreiSliste. Diese Nummer kostet auf /d ML allen Bahnhbfen und bei III den ZestungS«Verkäufern Re-attton und Er-edtttonr JohanniSgasse 8, Telephon Nr. 153, Sir. 222, Nr. 1173. Berliner ReVaktionS-vurrau: Berlin dl^V 7, Dorvtheenstraße 83. Tel. I, Nr. 9275. Dresdner RedattianS-Bnreaur Münchner Str. 6. Abend-Ausgabe. UchMerIasMM Handelszeitung. Ämtsölalt des Nates und des Notizeiamtes der Ltadt Leipzig. Mnzelgen-PreiS di« SgespaUeur Petitzetl« für Leipzig uud Umgebung 2Ü Pf^ für auSwärt» 30 Psg, Familien- WohnungS- und Stellen» Anzeigen 20 Pf. Finanzielle Anzeigen, GeschäftSanzeigen unter Text oder an besonderer Stelle nach Taris. Für das Erscheinen an bestimmten Tagen u. Plätzen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen und Extrabeilagen nur in der Morgen-Ausgabe Schluß der Annahme nachmittags 4 Uhr. Anzeigen-Annahme: AugaftnS-latz 8, Ecke JohauuiSgaffe. Haupt-Filiale Berlin: C a r l D u n ck e r, Herzgl-BahrHofduchhandlg., Lützowslraße 10 (Fernsprecher Amt VI Nr. 4603). Filtal-8rpedttion:DreSüen.Marienslr.34. Nr. 22«. Mittwoch 2. Mai 1906. M. Jahrgang. Vas Wcdtigste vom rage. * König Friedrich August tritt morgen nachmittag die kürzlich wegen ungünstiger Witterung aufgegebene Neise nach Tarvis an. Heute abend begibt sich der König von neuem nach Markersbach (Sachs. Schweiz) zur Auerhahnjagd * Die chinesische Studienkommission wird am 3. und 4. Mai die Stadt Dresden und am 5. Mai Leipzig besuchen. * Bei den gestern in Mannheim abgehaltenen Rennen kam der Herzog Ludwig Wilhelm in Bayern so unglücklich zu Falle, daß er sich eine schwere Gehirn- erschüttern ng zuzog. Er wurde in bewußtlosem Zu stande in das Krankenhaus gebracht. sS. Sport.) * Die R e i ch st ag s e r s atz wa hl für den verstorbenen Abgeordneten Eugen Richter im Wahlkreise Hagen- Schwelm ist auf den 19. Juli festgesetzt worden, * Das preußische Abgeordnetenhaus nimm: heute seine Sitzungen wieder auf. * InWarschau wurde der ö st e r r e i ch i s ch e G e n e- ralkonsul von Ugron zu Abransalva von russischen Sol daten mißhandelt. * Der bei der Dresdner Polizei in Haft befind liche Raubmörder Lederarbeiter Max Dirtrich hat weiter zugestanden, außer den bereits gemeldeten zwei Mord- säten im Jahre 1900 einen Mord an der Ehefrau des Schiffers Grasnick in Gnesen verübt zu haben. Außerdem gesteht er zu, in den Jahren 1899 und 1900 vier Mord- taten in Oesterreich und im Herbst 1905 einen Mord in der Nähe vonBerlin ausgeführt zu haben. (S. Sachsen.) LsMirGe cagrrrcdau. Leipzig, 2. Mai. Die Entscheidung über das VolkSschulunterhaltungSgesetz. „Die Entscheidung Uber das preußische Bolksschulunter- Haltungsgesetz ist in der Kommission gefallen k Mit 13 gegen 7 Stimmen sind die Kommissionsbeschlüsse angenommen worden. Dagegen stimmten die Nationalliberalen und die Freisinnigen, das Zentrum enthielt sich, wahrscheinlich aus taktischen Gründen, der Abstimmung. Die beiden konservativen Parteien stimmten dafür. Der Grund der Ablehnung war für die Nationalliberalen die Aufrechterhaltung der Bestimmungen des Entwurfes über die Anstellung der Rektoren. Vergeblich waren die Versuche dec Freikonservativen im Verein mit den Nationalliberalen, noch in letzter Stunde eine Verständigung herbeizusühren. Die Konservativen lehnten alle VermittlunzSvorschläae ab. Dabei kam ihnen zustatten, daß sie auch von dem Regie- rungSvertreter in durchaus unkluger und unpolitischer Weise bekämpft wurden. Der Fehler, der darin lag, wurde aber noch übertrumpft durch den Kultusminister, der sich ru der Aeußerung »erstieg, daß die Regierung «in seyr weites Entgegenkommen geübt habe und nun beim tz 40 keine weiteren Zugeständnisse machen könne. Die Unrichtigkeit seiner Behauptung wurde ihm sofort dargetan, indem daran erinnert wurde, daß schon im Vorstadium der Beratung des Entwurfes nicht einmal das Kompromiß ge wahrt war, und daß es lediglich dem energischen Auftreten der Nationalliberalen und dem Entgegenkommen der Kon servativen zu danken ist, wenn schließlich die Simultanschule die dem Kompromiß entsprechende Berücksichtigung ge funden hat. Wie weit der Minister im Namen der StaatS- regierung zu sprechen berechtigt war, wenn er jede Konzession hinsichtlich der Nektorenanstelluna ablehnte, wird sich bald zeigen. Jedenfalls bat er durch seine Erklärung die Aus sichten auf eine Verständigung wesentlich erschwert. Die Nationalliberalen können ihm hingegen nur dankbar sein, daß er endlich, wenigstens auf diesem Gebiete, Klarheit geschaffen bat, und sie werden in ihrem Verhalten gegenüber weiteren Berständigungsversnchen in der Schroffheit seiner Erklärung eine Richtschnur haben. War die gesetzgeberische Materie schon an und für sich schwierig genug, so ist diese Schwierigkeit über alles Maß gesteigert worden durch die Art der Vertretung seitens der Regierung, wie sie noch in der letzten Sitzung der Kommission beliebt worden ist." Wir tönnen diesen Ausführungen der Nationalliberalen Korrespondenz nur zustimmen; aber auS einer anderen Ton art heraus. Denn während bei ihnen das Bedauern über wiegt, daß das VolkSschulunterhaltungSgesetz immer mehr einen anderen Charakter bekommt als das Kompromiß zu verheißen schien, werden wir uns schließlich nur freuen können, wenn die Nationalliberalen an der Annahme eines Werkes nicht beteiligt sind, das von vornherein von liberaler Seite aus hätte abgewiesen werden sollen. Der 1. Mai in Paris. Die übertriebene Furcht vor großen revolutio nären Ausschreitungen, die tausende von Parisern aus der Hauptstadt flüchten ließ, hat sich als wenig begründet erwiesen. Die 50 000 Soldaten und Polizisten, welche der Regierung zu Gebote standen, haben die Herren Sozialdemokraten im Zaume gehalten. An kleineren Krawallen hat es natürlich nicht gefehlt, und das Militär wie die Schutzmannschaft Hal mehrfach eingreisen müssen, um die Massen, die sich stellen weise bis zu 20 000 Menschen zusammenballten, zu zerstreuen. Besonders tumultuös gestaltete sich das Treiben in der Um gebung der Arbeitsbörsc, aber es gelang, die Menge zurück zudrängen, ohne daß Gebrauch von den Waffen gemacht wurde. Nur als, wie schon telegraphisch gemeldet, gegen 8 Uhr abends im Faubourg du Temple einige Trambahnwagen umgestürzt wurden, um zum Aufbau einer Barrikade zu dienen, schritt die Kavallerie energisch ein und trieb die Menge mit Säbelhieben auseinander, wobei zahlreiche Per sonen verwundet wurden. Auch auf Seite der Soldaten und Schutzleute gab es Verletzungen infolge von Flaschen- und Steinwürfen. Am Ouai de Jymappes und am Ouai de Valmy sanden abends Ansammlungen statt, die von der Polizei zerstreut wurden. Dabei fielen einige Schüsse, durch die ein Polizeibeamter verwundet wurde. Später griffen an derselben Stelle Dragoner ein, um die von den Demonstranten umringten SicherheitSbeamten zu befreien. Auch hier wurden zahlreiche Perionen verwundet. Um Mitternacht waren die Ruhestörungen beendet. Die Truppen wurden zurückgezogen. Dem Polizei bericht zufolge wurden im Laufe des Tages über 2000 Personen verhaftet. Von diesen wurden 665 in Ge- wahrsam behalten: sie werden morgen vor das Zuchtpolizei gericht gestellt. An den Krawallen nahmen nur wenige Arbeiter teil. Die Ruhestörer bestanden zu- meist aus der Hefe des Vor st adt Pöbels. Sämt- liche verhaftete Ausländer werden bereits morgen aus gewiesen. Es sind etwa 100, die dieses Schicktal trifft. Daß diese Gesellschaft bei der Gelegenheit ohne gerichtliche Prozedur oder sonstige Weiterungen über die Grenze be fördert werden kann, ist vielleicht das einzige Gute am Mai feiertag. An ein bißchen Bombenspielerei hat es übrigens doch nicht gefehlt. Wie die Polizei bekannt gibt, wurde im 14. Wahlbezirk ein« Bombe gefunden, die auf dem Gleis der Straßenbahn explodierte, aber nur Material- schadep anrichtete. Außerdem wurden an verschiedenen an deren'Stellen Bomben gefunden, von denen aber nicht fest steht, ob sie gefährlicher Art waren. Eine hübsche Szene wird vom Pariser Polizei- oräfekten Lspine berichtet. Dem Pariser Korrespon denten deS „Berl. Lok.-Anz." zufolge, geriet der Präfekt nach mittags auf dem Boulevard Magenta in der Nähe des Nord bahnhofs ins Gedränge der von der Arbeiterbörse kommenden Männer und Frauen. Eine Schwadron erhielt den Befehl, die dicht gedrängte Menschenmasse nach den Seitenstraßen abzudrängen. Hierbei erhielt Lspine Hiebe und Püffe. Den Präfekten schien das nicht sonderlich anzufechten: er faßte einen achtjährigen Knaben am Arm und ries ihm scherz haft zu: „An alledem bist du nur schuld!" Darauf übergab er den Jungen einem Wachtmann, der ihn wohlbehalten aus dem Gedränge brachte. . ' . , .... Der Gesamteindruck ist, daß em planmäßiger Aufmarsch nirgends versucht wurde, sondern daß Zusammenstöße der Polizeiwachen und des Militärs mit der Menge allerorten durch zufällige Umstände veranlaßt worden sind. Die Zahl der Taschendiebstähle ist bedeutend. In der Provinz sind fast keinerlei Unruhen vorgekommen. In den größeren Städten wurde vielfach versucht, Umzüge zu veranstalten. doch wurden alle derartigen Kundgebungen rasch unterdrückt, namentlich in Lienin, im nördlichen FrankreichE>n Saint Junten, Charleville, Alger, Avignon, Marseille,»Dijon und Grenoble. In Lyon wurden in einer Straße mehrere Tram- bahnwagen angebalten und die Scheiben zertrümmert, wo bei einige Insassen verletzt wurden. Berittene Schutzleute gingen gegen die Unruhestifter vor und verhafteten einige. In Brest kam es zu einem Exzeß. Als dort die Dockarbelter nach Schluß eines Meetinas einen Umzug veranstalten wollten, verbot dies der Präsekt Ta die Arbeiter trotzdem auf ihrem Vorhaben verharrten, schritt die Polizei ein und es kam zu einem heftigen Handgemenge. Es wurden meistere Verhaftungen vorgenommen, - darunter diejenige des Bei geordneten Vibert, der gegen die behördlichen Maßnahmen Einspruch erhob. Mehrere Personen erlitten leichte Ver letzungen. . . , , Im ganzen ist der Weltfeiertag, wie immer, auch diesmal verhältnismäßig friedlich verlaufen. Man sieht jedoch, wie aus Paris telegraphiert wird, dem heutigen Tage mit einiger Besorgnis entgegen, da mehrere große Arbeitersyndikate., jo das 20000 Mitglieder zählende Syndikat der Wagenbauer, für heute den Ge samtausstand beschlossen haben und Kundgebungen für den Mtstundentag veranstalten wollen. veulseves Keich. Leipzig, 2. Mai. * Tcm verstorbenen Ltaatsministcr und Minister der öffentlichen Arbeiten Hermann von Budde widmet das Zentralblatt der Bauverwaltung folgenden Nachruf: „Die Staatsbauverwaltung beklagt in dem frühen Hinscheiden ihres allverehrten Chefs einen auss schwerste empfundenen Verlust. Sie wird stets eingedenk bleiben der großen Verdienste, die er sich um alle Zweige der ihm unterstellten'Verwaltungen erworben hat und seiner gewinnenden Persönlichkeit, die durch warme Fürsorge für seine Beamten, durch unermüdliche Schaffensfreude und durch Berufstreue bis in den Tod vorbildlich war, ein dankbares Ge dächtnis bewahren". Zugleich bringt dieselbe Nummer des Zentralblattes, die diesen Nachruf enthält, ein vortreffliches Bild des verstorbenen Ministers. * Die Konferenz über die Funkcntelegraphic. Von unter richteter Seite wird uns geschrieben: Die internationale Konferenz betreffend die Funkentelegraphie wird lediglich technische Fragen zu erledigen haben. Politische Momente kommen für sie nicht in Betracht. Demgemäß ist auch die politische Abteilung des Auswärtigen Amtes mit dieser Konferenz nicht besaßt. * Ter Versicherungsvertrag in der ReichStagSkommisfion. Am Dienstag, den 1. Mai, begann in der Reichstags» kommission die zweite Lesung zur Vorberatung des Versiche rungsvertrags. Die tztz 1 und 2 wurden unverändert an genommen. Im tz 3 (Verpflichtung des Versicherers zur Aushändigung des Versicherungsscheins) wurde die Regie rungsvorlage nach einem Anträge Dr. Porzig und Schmidt- Warburg wiederbergestellt, jedoch mit Hinzufügung folgenden Satzes 2 zum Absatz 3: „Der Versicherer hat ihn (den Ver sicherungsnehmer) bei der Aushändigung de« Versicherungs scheins auf dieses Recht aufmerksam zu machen." tz 10 wurde nach dem Beschluß erster Lesung angenommen, jedoch mit folgender, vom Abg. Dr. Porzig beantragten Fassung deS Absatz 2: „Hat der Versicherungsnehmer die Versicherung in seinem Ge werbebetriebe genommen, so finden bei einer Verlegung der ge werblichen Niederlassung die Vorschriften des Absatz 1 entsprechende Anwendung." tz 14 (Ausschluß deS Erlöschens der Versicherung beim Konkurse des Versicherungsnehmers dem Versicherer gegen über) erhielt »ach dem Anträge deS Abg. Kaemps (frei,. Vp.) den Zusatz: „Das gleiche gilt, wenn die Zwangsverwaltung des versicherten Grundstücks angeordnet wird". § 15 lautet: „Die Forderung aus der Versicherung ist der Pfändung insoweit nicht unterworfen, als sich die Versicherung auf unpfändbare Gegen stände bezieht." Abg. Kämpf beantragte dazu den Zusatz: „Der Ver sicherungsnehmer kann jedoch diese Forderung abtreten oder pfänden." Dieser Antrag wurde abgelehnt, dagegen ein neuer Antrag Dr. Porzig angenommen, den tz 15 wie folgt zu fassen: „Soweit sich die Versicherung auf unpfändbare Gegenstände be zieht, kann die Forderung aus der Versicherung nur an Gläubiger des Versicherungsnehmers übertragen werden, die ihm nach Eintritt des Verslcherungrfalles gleichartige Gegenstände geliefert haben." Die weitere Beratung wurde dann vertagt. * lieber die Zukunft von Deutsch-Lüdwest sprach der Erbprinz von Hohenlohe bei einem Frühstück, daS am 30. April in Hamburg an Bord der „Gertrud Woermann" im kteinen Kreise stallfand. Wie der „Köln. Ztg." berichtet wird, trat der Erbprinz mit bemerkenswerter Entschiedenheit für die gute Zukunft Südwestafrikas ein. Die Kolonie werde das aufgewandle Blut und Gelb-sicher lohnen. Wie die Brandenburger Mark einst als Sandbüchse verrufen gewesen uud doch etwas geworden sei, so werde auch die spöttisch so genannte Sandbüchse Südwest gewiß einmal eine vollwertige Kolonie. werden. Der beste Beweis für den Wert der Kolonie sei, daß die dort in ibrer wirtschaftlichen Existenz schwer geschädigten Ansiedler wieder hinausgingen. Das rechtfertige gute Hoffnungen auf die Zukunft der Kolonie. tk. Tie kommunalen Eichämter. In der Reichstags kommission für Vorberatung der Maß- und Ge wichtsordnung wurde ß 16 (Verstaatlichung aller kommu nalen Eichämter) heute mit 8 gegen 8 Stimmen abgelehnt; dafür stimmten Raab (wirtsch. Vgg.), Zentrum und Konservative. * Tie Berliner RuffenauSweisungen. Am 1. Mai hatten Vertreter der Berliner jüdischen Gemeinde eine Besprechung mit dem Minister des Innern über die von der Staats regierung angeorvnete Ausweisung von Ruffen. Bethmann- Hollweg erklärte, daß er jede humane Rücksicht bei de« Aus weisungen walten lassen werde. Es handle sich um etwa 5500 Personen jüdischen Glaubens, die sich seit dem Jahre 1904 hier angesammelt hätten. Von der Ausweisung sollten nur mittel- und ausweislose sowie politisch verdächtige Per sonen betroffen werden. Die Zahl dieser Personen betrage etwa 700. Bezüglich der anderen sollte jetzt keine Ausweisung verfügt, sondern eS sollte den Betreffenden von der Behörde mitgeteilt werden, daß sie auf die Erlaubnis dauernder Niederlassung hier nicht rechnen dürften und sich deshalb vorbereiten müßten, das Staatsgebiet wieder zu verlassen. Eine bestimmte Frist werde ihnen nicht gestellt. Wegen der Russen, die vor dem Jahre 1904 hierher gekommen seien, solle es bei der bisherigen Praxis verbleiben, sofern sie sich nicht lästig machen. Den jüdischen Hilfsorganisationen sollen von der Polizei die Namen der Personen genannt werden, denen das Verlassen des Staatsgebietes ohne Ausweisung empfohlen werde, damit die Hilfsorganisationen Unterstützungen mit Rat und Tat gewähren und dazu beitragen, daß die Abwanderung sich ohne Schwierigkeiten und tunlichst ohne Härte im ein zelnen Falle vollziehe. Der Minister behielt sich die Ent scheidung darüber vor, ob und wie weit etwa die seit dem Jahre 1904 hier zugezogenen russischen Arbeiter, die hier ausreichenden Unterhalt gefunden und sich einwandjrei geführt hätten, unter die Kategorie der hier zu belassenden fremdbürtigen Personen aufzunehmen wären. Der Minister sagte ferner zu, daß etwaige Irrtümer, die bei der Hand habung der ministeriellen Vorschriften in einem Berliner Vorort vorgekommen sein möchten, Korrektur finden sollen. * Internationale Eholerakonfercnz. Die Internationale Cholerakonferenz, die am Sonnabend in Thorn beginnen und bis Mitte dieser Woche dauern sollte, ist, wie der „Gesellige" meldet, nicht zustande gekommen. Oberpräsident v. Jagow Feuilleton. Rus is's unck vorbei jz's, cts sein neue l.eut' Ullck ckie kllelt fangt erst an. - knrengeuder. American«. Professor Dr. Karl Lamprecht (Leipzig). *) Bon den lehrittichsten Beobachtungen, di« ein Fremder unmittelbar am amerikanischen Volksleben machen kann, ge hören die. welche sich auf die Frage beziehen, inwiefern die Massen unmittelbar an der Entwicklung der neuen Kul tur Mitarbeiten, und inwiefern in höheren Schichten er arbeitete Erscheinungen dieser Kultur auf die Mosten ein wirken. Das lohnendste Beobachtunasseld in dieser Hinsicht ist meiner Erfahrung nach die Mn^ik. Freilich fällt hier die Einwirkung der höheren Schichten fast noch ganz hin weg. Denn die amerikanische Kunstmusik auch der jüngsten Vergangenheit steht fast noch ganz unter dem Banne der Nachahmung Europas, mögen auch Mac Dowell und andere gelegentlich einmal amerikanisch zu komponieren versucht haben. Aber «s ist hach bezeichnend, daß sie daS können. Ünd sie können eS, wenn sie sich einfachsten musikalischen Formen, insbesondere dem Liebe nähern: Henn in diesen hat da- Volk, haben die Masten schon längst selbsttätig geschaffen. Entstanden ist auf diese Weise «in sehr eigenartiger Lied charakter von besonderen Rhythmen und merkwürdiger Phraseologie. Und noch läßt sich deutlich ein dreifacher Ausgangspunkt für seine Schöpfung beobachten: aus den *) Mit gütiger Bewilligung d,s Verfasser- sind diese Ab schnitt« seiuem »ave» Werke „Amerieana" (Freiburg i. B-, H. Hevselder) entnomme«. weich sentimentalen Liedern der Indianer, aus den puri tanischen Psalmgesänaen und aus dem Negerlied. Dabei ist eS charakteristisch, daß der puritanische Bestandteil selbst da, wo er sich vorher schon in ein weltliches Farmerlied ver wandelt hatte, weithin verloren gegangen ist: daß der in dianische Anteil sich auch großenteils verflüchtigt: daß die optimistisch temperierte Negermusik, zumal bei Vem ausge- sprochenen musikalischen Talente der Schwarzen und Far bigen, im ganzen obsiegt. Freilich: neben all den alten Bestandteilen regt sich in dieser Musik doch vor allem auch ein neues, impressionisti sches Element: und dies macht das Ganze des amerikanischen Liedes den modernen Kulturen überhaupt so heimlich und vertraut, daß gerade aus dem Gebiete der populären Musik die werdende amerikanische Kultur di« ersten Erfolge einer Einwirkung auf die alten Kulturen Europas zu verzeich nen hat. : Natürlich ist aber diese musikalische Entwicklung auch nicht ohne poetische Folgen geblieben. Es wäre lehrreich, auf die sen Zusammenhang hin einmal den amerikanischen Gassen hauer iK»e-t.im«l »u prüfen. Ich habe für Melodie und Text diese« Gassenhauers einiges, aber nur beispielSwc.,e und, wie ich nun sehe, nicht zu weiterem Studium ausreichend gesammelt: bin aber bei mehreren amerikanischen Bibliotbcks- Verwaltungen n»it Erfolg für die Sammlung des einschlägi gen Materials eingetreten, das man bisher nicht beachtet hatte. Für die Charakteristik der Dichtung muß ich mich im wesentlichen auf Wendell verlosten: nur Walt Whit- man habe ich eingehender selbst gelesen. Danach scheinen wirklich wichtige Vertreter einer Poesie der modernen Kul tur in srübcn Zeiten der Entwicklung dieser nicht ausgetreten zu sein. Natürlich wird jedem einigermaßen unterrichteten Fremden zunächst der Name von Walt Dbitman (1819—1892) auf die Lippen kommen, lind gewiß sind WhitmanS Ge dichte, die leit 1855 unter dem Titel ,,Ix>avs.« yf Ora.««" in immer stärkeren Auslagen erschienen sind, in ihrer ganzen Art stark impressionistisch, insbesondere iniosern, als der Dichter, bei aller gc-chlossenen Tendenz der Gcinntaus- sassiing, rein in der Wiederau gäbe des Tatsächlichen aus- aeht. Und auch daß Leben WhitmanS verfloß in den ent scheidende» Jahren in kiner Umwelt, die einen primitive» Impressionismus, den Naturalismus der grundsätzlich allei nigen Tatsächlichkeit, erzeugen mußte: in Brooklyn und in den damals noch schrecklichen Ostgegenden New Jorks: mit ten in der eklen Heie eines gärenden, rücksichtslos zerstören den und rücksichtslos ausbauenden kapitalistischen Unter nehmertums. Allein eS muß stutzig machen, daß Whitman Nachfolger nicht gefunden hat, und von mehr als einer amerikanischen Seite her Hube ich gehört, sein Denken fei im Grunde unamerikanisch — freilich, ohne daß ich dabei in jedem Falle unterscheiden konnte, oo nicht vielmehr unyankeemäßig gemeint >ci. Fest scheint zu stehen, daß seine Dichtung unter Fremden fast mehr Beachtung gesunden hat als in seinem Vaterlande, das er so über die Maßen geliebt und auch im Ruß seiner Schornsteine und im Schmutze seiner Gassen schön zu finden verstanden hat. Scheint es schwer zu sein, zu sagen, wo die dichterischen Genies der jüngsten Vergangenheit stecken, bedürfte eS zu einer erichöpsenhen Antwort zugleich nicht bloß der Ueber- sicht der angloamerikanischen, sondern der Uebersicht min destens auch der deutschen und skandinavischen, kurz der teutoamerikanischen Literaturen der Gegenwart überhaupt, so läßt sich der Eindruck, daß das Ganze in Fluß ist, ja daß man marichiert. für den Fremden wobt am «besten aus der Formengeschichtc der Dichtung gewinnen. Auf diesem Gebiete stehl zunächst eine eigentümliche Blüte mindestens des populären LiedeS fest. Man sollte nicht verfehlen, eS aufzusuchcn:, auf der Gaste, in der Ein samkeit der Prärie, im Varietstheatcr namentlich des Westens, in Gegenden, da ein kleine- Variet«'- die einzige Form aller Kunstbetätigung ist: c- lohnt reichlich der Mühe, denn waS man findet, ist echt amerikanisch. Und wenn >n ihm von Farmerliebe und vom Leben der Jagd, wenn von wilden Abenteuern der Prospektoren und Lumbcrmen ge sungen wird, wenn auf dunkler Bühne zugleich die Szenerien der einzelnen LIedvers« in schlichten Nebelbildern erscheinen, in denen die echt amerikanische Landschaft ihre erste der Ab- sicht nach absolute künstlerische Auferstehung feiert: wenn Beifall ungeschlachter .Kunstenthusiasten durch schmucklose Räume dröhnt: dann vergißt der, der zu hören vermag, wohl gern die europäischen Kunstgenüsse New Jorks und feiert den. der da kommen soll, den kunstgewandten Dichter amerikanischer Lieder der Zukunft. Mit dem Lied aber scheinen mir die einheimischen Formen der gebundenen Dichtung einstweilen erschöpft. Denn das Drama stehl noch aus. Es fehlt die nationale Form, es fehlt der sichere Boden gemeinsamer sittlicher Weltanschauung: Amerika hat noch nicht ein einziges Schau spiel oder auch nur eine Operette oder Posse von literari scher Bedeutung hcrvorgebracht. lind das bei einem Lebens inhalt, der das Drama geradezu herausfordert. Vorhanden ist einstweilen nur die äußere Form des Schauspiels: un zählige stnss Companies durchziehen das Land; kaum eine größere Stadt ist ohne Theater; und wer feiner hören will, oer mag sich bei Aufführung europäischer Stücke, oder noch bequemer bei Ausführung amerikanischer Analogiestücke zu europäischen, die Anfänge eines künftigen amerikanischen Theaters aushorchen. Klarer als die poetischen sind die prosaischen Formen enlwickelt. Unter ihnen vor allem die khort «koi^. Sie ist ein alteS Jnventarstück der amerikanischen Dichtung; sie blühte schon von Jrvina bis Hawthorne; in jedem Hefte jeder literarischen Monthlyiast kann man sie heute finden: aber ihre älteren großen Meister waren bisher doch wohl Nichtamerikaner: Maupastant und Rudyard Kipling. Daneben steht als zweite amerikanische Form die kurze satirisckx, anekdotische, gelegentlich auch wobt lyrische Mit teilung. Sie ist ungemein verbreitet; jedes ZeirungSblart fast enthält davon; man darf sagen, daß gerade sic die ameri kanische Journalistik als solche kennzeichnet. Summiert man nun, so sieht man: in der Prosa zwei, in der Poesie eine rudimentäre Form wirklich einheimischer Dichtung. Tas ist der Bestand. Aber er ist urwüchsig, kräftig. Wann werden sich aus ihm große Kunstwerke zu- sammcnballen? Oder find in Romanen schon wenigstens die prosaischen Formen genügend fortgebildet und ausge- nützt? — In der bildenden Kunst erscheint mir der Bestand reicher entwickelt. Vor allem in der Ar ch i t e k t u r. Denn hier kann keine Frage sein: cs gibt schon einen amerikanischen Stil. Freilich einen Stil, oer im Grunde nur aus zwei mehr äußerliche Momente architektonischer Entwicklung aus- gebaut ist: auf neues Material und auf neue Bedürfnisse. Dementsprechend bleibt er der Hauptsache nac^in der Ent wicklung einer neue» Tektonik stecken; die OrnaWotik nimmt.
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