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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 12.01.1906
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1906-01-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19060112014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1906011201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1906011201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1906
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Bezug--Prei- t» der tzanptexpedllton »der deren AuSgabs- stelle» abgehoU: vierteljährlich LM, bei täglich zweimaliger Zustellung tu» Hau vierteljährlich S.—. Durch ansrr« aus ¬ wärtige» Au-gabestelle» uud durch dir Post bezogen für Deutjchlaud und Oesterreich vierteljährlich ^l 4.50^ für dir übrige» Länder laut ZeituugSpreiSltste. Dies» Nummer kostet auf 4 44 alleu Bahnhdsr» und bei II» 71^1 dea Zeitung»«Verkäufer» Repattt»« »n» Grpedtti»»» Joha»ui»gass« 8. Delephoa Nr. 153. Nr. WL, Nr. 117L verliuer Redattt«n»-Vurr«»r Berlin 7, Dorotheeuktratz« 83. Tel. I, Nr. VL75. Dresdner RedaMvnS-yureanr DreSden-Sll, Künurritzstr. 25. Del. I, Nr. 4583. Morgen-Ausgabe. UcipMtr TlMbM Handelszeitung. Amtsblatt des Rates und des Volizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigeu und Extrabeilagen nur in der Morgen-Ausgab« Schloß der Anuahm» »achmittag» 4 Uhr. Anzeigen-PrelS die 8 gespaltene Prtitzeil» für Leipzig uud Umgebung 25 Pf., für an»wärt» 80 Pfg. Familie»- Wohnung»- und Strllra- Anzeigeu 20 Pf. 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Var Wchtigrie vom rage. * Testern mittag fand in Dresden unter dem Vorsitz deS Königs und in Gegenwart des Prinzen Johann Georg ein« Gesamtsitzung deS Ministe riums statt. * Wie verlautet, soll Kaiser Wilhelm in Be gleitung deS deutschen Kronprinzen den im Herbste in Schlesien stattfindenden großen öster reichischen Manövern beiwohnen und bei dieser Gelegenheit eine Begegnung mit dem Kaiser Franz Josef haben. * Der Gouverneur von Ostafrika Graf Götzen hält die Lage im Schutzgebiete nunmehr für so weit gebessert, daß er im Februar seine Urlaubsreif« nach Deutschland antreten zu können hofft. * Der französische Senat hat FallidreS mit 173 von 249 abgegebenen Stimmen zu seinem Präsi denten wiedergewähtt. Dies wäre demnach die Zahl der Senatsstimmen, auf die Fallidres als Präsident schafts-Kandidat für die Republik bestimmt rechnen kann. Sie genügen im Verein mit den Stimmen der Depu tiertenkammer, um seine Wahl als sicher betrachten zu können. * Englische Blätter veröffentlichen heute zwei bedeutsame Dokumente zur Förderung oer englisch-deutschen Annäherung. (S. Letzte Depeschen.) vir rerlmcb-bulgarircbe Lollunisn. Als der Berliner Kongreß den Balkanstaaten eine dauernde Gestatt verlieh, und sie aus der Abhängigkeit von Konstantinopel befreite, tat er das, uni zugleich die neu geschaffenen Staatengebilde am Balkan auf die Paragraphen zu verpflichten, die die Vertreter Europas unter dem Vorsitz des Fürsten Bismarck für flut und angemessen gefunden batten. Seit dem Augenblick, in dem Serbien Königreich und Bulgarien Fürstentum wurde, haben die interessanten Länder an der unteren Donau allerdings mancherlei Wandlungen innen und außen durchgemacht, und zwar haben beide eine Ent wicklung genommen, die den Voraussagen euro päischer Seher gerade entgegengesetzt war. Serbien, dem man trotz der Niederlage gegen Bulgarien unter dein klugen Milan Obrenowitsch eine gedeihliche Entwicklung unter österreichischer Aegide geweissagt, hat Wirren und Krisen zu bestehen gehabt, wie sie weder nach der dynasti schen noch parteipolitischen Richtung schlimmer gedacht werden konnten. Bulgarien, dem man nach der Ent- thronung des Battenbergers eine Periode blutiger Wirren im Innern und Feindseligkeiten von außen ge sungen hatte, hat seinen Koburger bisher auf dem Fürstenthrone behalten, und Ferdinand hat es ver standen, durch zähe Ausdauer sich langsam in die An erkennung der europäischen Mächte einzuschleichen, und als er bei der Vermählung des deutschen Kronprinzen vom Kaiser mit dem hohen Orden vom schwarzen Adler dekoriert wurde, bedeutete das die stillschweigende Aner kennung des Bulgarenfürsten seitens des Monarchen, der heute im Bunde mit dem Könige von England den Frie den der Welt in der Hand hält. Freilich, es gab auch für Ferdinand eine Periode, da er sich an der Riviera sicherer fühlte als im Konak von Sofia, trotzdem feige Mord- gesellen den schlimmsten Gegner, der ihm gefährlich werden konnte, Stambulow, aus dem Wege geräumt hatten. So sorgten gerade Serbien und Bulgarien da- für, daß die europäische Welt mit Sensationen gröbster Art versorgt blieb, und das Ende der Obrenowitsch, die Umtriebe des montenegrinischen Nachbarn, die ganze Kläglichkeit des neuen Königs Peter, dem die Krönungs sorgen und ein wohlgeratener Sohn besondere Freude im Lenze seines jungen Königtums bereiteten, sorgten dafür, daß Serbien den ersten Platz an der Mitternachts seite der europäischen Achtung behielt. Gegenwärtig scheint sich die serbische Regie rung wieder einmal auf die See der hohen Politik hinausgcwagt zu haben. Zwar nicht aus eigener Initiative, sondern auf die Einflüste rung der „älteren Brüder", der Russen, welche, unbe kümmert um die Ereignisse im fernen Osten und zu Hause, nicht einen Augenblick aufgehört haben, ihre Ziele in den Balkanländern zu verfolgen. Während der letzten zwei Jahre haben die wohlbekannten panslavisti- schen Agenten in Serbien und Bulgarien in der Presse dieser slavischen Nachbarländer eine rührige Agitation zu Gunsten eines serbisch-bulgarischen Zollvereins be trieben. Die Zollvereinigung beider Länder, die Bil dung eines einheitlichen ökonomischen Gebietes, die Ver folgung einer und derselben Handelspolitik, wurde als die einzige erfolgreiche Waffe gegen den „berüchtigten deutschen Drang nach Osten" gepriesen und wärmstens empfohlen. Bei den ernsten und erfahrenen serbischen und bulgarischen Politikern haben schon die Namen der Agitatoren Verdacht erregt. Außerdem war ihnen schon seit Jahren bekannt, daß das Programm der Pan slawisten als das sicherste Mittel zur Herstellung der Ver einigung aller slawischen Völkerschaften mit Rußland folgende Prozedur empfiehlt: erstens die geistige Ver einigung mittelst Annahme der russischen Sprache als allgemeine Literatursprache aller Slawen; zweitens ökonomische Vereinigung durch einen Zollverein, und drittens die politische Vereinigung unter dem Szepter des Zaren. Der serbisch-bulgarische Zollverein ist nur die erste Phase einer großartigen Evolution; die zweite wäre: der serbisch-bulgarisch-russische Zollverein. Die Verhandlungen zwischen Serbien und Bulgarien, die I vor drei Monaten in Belgrad stattgefunden haben, haben I zur Feststellung eines Vertrages geführt und die bulga-! rische Negierung machte allem Zweifel ein Ende, als sie offiziell in der Sobranje von einem serbisch-bulgarischen Zollvereinsvertrag sprach. Seit Mürzsteg, seitdem Nikolaus II. nach der bekannten Unterredung von Wiesbaden im Einverständnis mit dem deutschen Kaiser sich reinlich mit Oesterreich in die Inter- essensphäre am Balkan teilte, war man in Wien auf diese Ueberraschung nicht gefaßt. Die Nachricht von der geplanten Zollunion wirkte daher an der schönen blauen Donau wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Oester- reichische Kommissare führten nämlich sowohl mit Ser bien als mit Bulgarien getrennte Verhandlungen neuer und gesonderter Handelsverträge. Besonders schwierig und langsam gestalteten sich die Vorbesprechungen mir den bulgarischen Vertretern, die kategorisch die Oeffnung der ungarischen Grenze für die bulgarische Viehausfuhr verlangten. Das liegt nun gar nicht im Interesse der Oesterreicher, die bisher lediglich den Serben ihre Märkte für die Viehausfuhr geöffnet haben. Da aber die Bulgaren mit dem Abbruch der Verhandlungen und der Anwendung des prohibitiven General-Zolltarifs auf die österreich-ungarische Einfuhr drohten, so ließen sich die Wiener Kommissare auf die Einfuhr bulgarischer Schweine und Schafe ein, nicht aber auf die von Rind vieh, und zwar aus Rücksicht auf den neuen Handelsver trag, den Oesterreich mit Deutschland geschlossen hat. Die Lage wurde kompliziert durch die scheinbare Bereit willigkeit Oesterreich - Ungarns gegenüber den Serben. Mit Serbien hat Oesterreich bereits seit 1881 eine Veterinärkonvention. Es zeigte sich bereit, diesen alten Vertrag etwas zu modernisieren und weiter bestehen zu lassen. Diesen Augenblick benutzten die Bulgaren, und uni dieselben Vorteile, wie sie Serbien durch die erneuerte Konvention von 1881 erwuchsen, von Oesterreich zu er langen, versuchten sie durch den Abschluß einer Zollunion mit Serbien die Wiener Regierung zu übertölpeln. Weil Serbien und Bulgarien schnell einen Handelsvertrag im Geheimen geschlossen haben, der in Wirklichkeit die Er richtung eines Zollvereins bedeuten würde, verlangten die bulgarischen Kommissare schlankweg von Oesterreich dieselben Konzessionen, wie sie Serbien wieder angeboten wurden. Die Herren in Sofia taten einfach, als gehe das liebe und brave Europa ein solches kleines Arrange ment mit den Nachbarn nichts an und als ob es nur die verdammte Pflicht und Schuldigkeit Oesterreichs sei, das Fait accomplit deS Zollvereins freundlichst zur Kennt- nis und Beachtung zu nehmen. Im ersten Augenblick waren die Oesterreicher allerdings bestürzt genug, dann aber las Graf Goluchowski den jungen Zollvereinlern ein Privatissimum, das ihnen einige Kopfschmerzen nebst Ohrensausen verursachen dürfte. Sind schon die Serben töricht genug, wenn sie sich für solidarisch mit den Bul garen erklären und so den einzigen Markt für ihre Schweineausfuhr, nämlich Oesterreich, unter Umständen einbüßen — und die Handelsvertragsbesprechungen würden tatsächlich sofort von Wien aus eingestellt — so setzten sich die Bulgaren auf das hohe Pferd und taten, als ob sie jetzt einen besonderen Trumpf gegen Oester reich in den Händen hielten. Mit echt orientalischer Un verfrorenheit erklärten sie den Oesterreichern, daß sie es wohl begriffen, wie unangenehm ein Zollverein in Wien sein würde; dieser häßliche Zollvertrag stehe zwar bisher nur auf dem Papier und müsse von der Sobranje erst ge nehmigt werden, und falls das liebe Oesterreich die Ein fuhr bulgarischen Viehs erlaube, so werde die Sobranje so freundlich sein, den Vertrag abzulehnen. Aber die Herren Bulgaren werden gar bald merken, daß sie ein gar klägliches Schaukelpferd ritten, denn mit einer für Wiener Verhältnisse ganz ungewöhnlichen Grobheit hielt ihnen Graf Goluchowski das fatale Protokoll des Ber- liner Kongresses unter die Nase, dem die beiden inter essanten Länder an der Donau ihr Dasein verdanken und das ausdrücklich jede handelspolitische Sonderabmachung mit einzelnen Mächten verbietet und deutlich die gleichen Zoll- und Handelsverträge für sämtliche Vertragsmächte fordert. Mit der kurzen Freude auf einen fröhlichen Zollkrieg ist es damit schnell zu Ende gewesen. Bulga rien wird natürlich gar bald zum Rückzug blasen und Fürst Ferdinand, der gern bald König Ferdinand heißen will, braucht die ungetrübte Sympathie der Vertrags mächte, und dazu gehört auch Oesterreich-Ungarn leider. Am schlechtesten kommt Serbien bei der ganzen Affäre fort. Es hat unnütz es mit dem alten Protektor ver dorben, seinen ohnehin schon dürftigen Kredit aufs neue geschädigt und darf gewärtig sein, daß Oesterreich bei dem kommenden Handelsvertrags sich der freundnachbar lichen Gesinnung der Herren Serben mit besonderer Wonne entsinnen wird. Man wird nun die alte öster reichische Liebenswürdigkeit beiseite lassen und hoffent lich mit jener derben Deutlichkeit reden, die den lieben Leuten am Balkan gegenüber am angebrachtesten ist. Freilich in Petersburg wird man sauer genug darein sehen. Inaimrir «na krrle stamm er. Kurz vor der Entscheidung über die Reform der säch sischen Ersten Kammer hat, wie schon erwähnt, noch einma der Verband sächsischer Industrieller das Wort ergriffen und sich unter dem 6. Januar in einer Petition an die Erste Kammer gewandt. Die Petition geht dahin, die Kammer möge dem „Dekret an die Stände den Entwurf einer Gesetzes änderung in der Zusammensetzung der Ersten Stände kammer betreffend" in der Form zustimmen, daß der Industrie ein verfassungsgemäßes Recht auf eine zum größten Teil aus den Wahlen von Angehörigen dieses Berufszweiges hervorgehende Vertretung in der Ersten Ständekammer in derjenigen Stärke zugebilligt wird, in welcher derzeit die Landwirtschaft in der Ersten Stände kammer vertreten ist-, AuS der ausführlichen Begründung dieser Petition sei -eute noch folgendes mitgeteilt. Es wird darauf hingewiesen, wie unliebsam es in dem Verein der sächsischen Industriellen berührt hat und be rühren mußte, daß die Regierung nun wiederholt von ihrer Bereitwilligkeit zu einer „mäßigen" Vertretung von Handel und Industrie in der Ersten Kammer geredet habe. Aus >er Stellungnahme der Regierung spreche ein großes Miß trauen gegen die Industrie, zu dem diese der Regierung seine Veranlassung geboten hat. Dann gehe die Petition i ur Begründung der Ablehnung der Regierungsvorlage über. Der Verband bittet um ihre Ablehnung, erstens von dem Gesichtspunkte aus, daß die Zubilligung von nur 5 Ver tretern von Handel, Industrie und Gewerbe eine auch nur einigermaßen angemessene Vertretung dieser Berufsgruppen nicht genannt werden kann und daß es zudem eine Un mündigkeitserklärung der sächsischen Industrie bedeutet, wenn man ihr nicht das Recht der freien Wahl zubilliaen will, welches dem sächsischen Großgrundbesitz gewährleistet ist. Gewiß sei es richtig, daß die Erste Ständekammer sich anschließend an die geschichtliche Ueberlieferuna auf dem alten ständigen Prinzip des befestigten Grundbesitzes und >er stärkeren Gemeinwesen ausgebaut hat, aber damit ist >och nicht die Auffassung begründet, als wenn durch die Jahrzehnte und Jahrhunderte hindurch dieses im Jahre 1831 noch berechtigte Prinzip seine Berechtigung dauerns seizubehalten habe. Schon äußerlich zeigen die ganz anti quierten Ausdrücke des „befestigten Grundbesitzes und der ^stärkeren Gemeinwesen, daß hier mit Anschauungen und Begriffen operiert wird, welche die Jetztzeit nicht mehr i ennt. Gewiß soll die Erste Ständekammer keine reine Interessen vertretung sein oder werden, aber es ist selbstverständlich, daß sei Beratung wirtschaftlicher Fragen der Beruf und die daraus bervorgehende Anschauung ihre gesetzgeberische Tätig keit unbedingt beeinflußt. Wenn man seinerzeit den „be- estigten Grundbesitz" und die „stärkeren Gemeinwesen" als allein vertremngsberechtigl für die Erste Ständekammer ansah, so ist dies au» dem Grunde geschehen, weil sie damals die hauptsächlichsten unentbehrlichen Steuerträger des Lan des waren. Was wir heute mit dem Ausdruck Industrie und Handel bezeichnen, nämlich die Erzeugung von Waren in kleineren oder größeren Fabrikbetrieben, ihre Verteilung un ter die Bevölkerung durch den Handel, das war eben damals noch nicht in größerem Maße vorhanden, so daß Handel und Industrie gegenüber dem „befestigten Grundbesitz" zu klein waren und zu sehr in den Hintergrund traten, um eine Ver tretung in der Ersten Kammer zu rechtfertigen. Daß man aber schon lange vor der Gegenwart ihre Bedeutung erkannte und sich genötigt glaubte, ihr neben dem „befestigten Grund besitz" eine Vertretung einräumen zu müssen, bewiesen die Verhandlungen des Jahres 1868. Durch die Entwicklung von Handel, Industrie und Gewerbe zu einem nicht nur neben der Landwirtschaft in gleicher Starke existierenden, sondern zu einem die Landwirtschaft weit überflügelnden Berufs zweig. muß die Anschauung längst als veraltet gelten, als wenn die „starken Gemeinwesen", also die großen Städte des Landes, als Vertreter der Industrie genügten. Erstens beschränkt sich heute die Industrie durchaus nicht mehr auf die großen Städte, sondern sie umfaßt das ganze Land, und sie kann deshalb rn der Tatsache, daß 8 Bürger meister der Ersten Ständekammer angehören, ebensowenig eine Vertretung ihrer Interessen erblicken, wie die sächsische Landwirtschaft sich durch einige Gemeindevorstände genügend vertreten glauben würde. Unabhängig von den wichtigen Erwerbsgruppen ist die besondere Vertretung von 8 Städten in der Ersten Ständekammer insofern durchaus gerechtfer tigt, als die Städte einen großen VerwaltungSkorper re präsentieren und infolgedessen bei vielen Beratungen von diesbezüglichen Fraaen ihre Erfahrungen für die Erste Kam- mer unentbehrlich sein dürften. Soweit bei den genannten Bürgermeistern überhaupt von einer Vertretung gewisser Interessen gesprochen werden kann, werden darin in erster Linie diejenigen des städtischen Grundbesitzes zu erblicken sein, der in den meisten Städten von ausschlaggebender Be deutung ist. Die Vertreter der acht großen Städte scheiden daher als Vertreter der Industrie in der Ersten Stände kammer auS. Unter diesen Gesichtspunkten muß es jedoch als eine geringe Bewertung der in der Industrie liegenden wirtschaftlichen und politischen Kräfte erachtet werden, wenn den 27 agrarischen Mitgliedern der Ersten Ständekammer, welche durch die Rittergutsbesitzer, die Besitzer von Standesherrschaften oder von größerep ländlichen Gütern gewählt werden, nur fünf Vertreter von Sachsens Handel, Industrie und Gewerbe gegenübersteben. Insbesondere aber ist nicht einzuschen, weshalb diesen Erwerbszweigen nicht das Recht der freien Wahl zugebilligt werden soll, welches den Großgrundbesitzern zusteht. Die Regierung führt nur zwei Gründe für diese Ab- lehnung des Wahlrechtes an. Sie schreibt in ihrer Begrün dung, die neuen Mitglieder sollten nicht Jnteressenvertreter sein, sondern sachkundige Berater an den Arbeiten der Ersten Kammer, deshalb sei die Ernennung durch den König ins Auge gefaßt. Diese Motivierung muß als eine Geringachtung dersächsischen Industrie aufgefaßt werden. Die sächsische Industrie muh nach diesen Worten deS Reqierungsdekretes annehmen, daß nur die Großgrundbesitzer so weitsichtige und den Staatsinter essen dienende Staatsbürger sind, baß sie bei der Wahl nur sachkundige Berater und Teilnehmer an den Arbeiten der Ersten Kammer in diese entsenden, während dies bei den In- dustriellen nicht zu erwarten wäre, und deshalb, wie es in der Begründung heißt, die Ernennung durch den König ins Auge gefaßt sei. Der zweite Grund, den die Negierung an führt, besteht darin, daß die Handels- und Gewerbekammern sich gegen die Uebertraaung politischer Wahlen an diese Kammern ausgesprochen hätten. Demgegenüber haben schon die Handelskammern Dre-sden und Chemnitz darauf hingewiesen, daß dieS durchaus nicht der Fall sei, sondern daß die Handelskammer sich lediglich gegen das Berufswahlrecht für die Zweite Kammer aus- gesprochen hätte, bei welchem volitische Parteigegensätze sich aegenüberständen, während in der sächsischen Ersten Stände kammer politische Fraktionen bisher nicht vorhanden waren und voraussichtlich auch in Zukunft nicht vorhanden sein werden. Es ist unverständlich, wie die Negierung in einem Dekret an die Stände eine derartige Behauptung aussprechen kann, welche durch die Tatsachen in keiner Weise gestützt wird, sondern sich anscheinend auf mißverstanden«, unver ¬ bindliche mündliche Aeußerunge» «inz«l««r Persönlichkeiten bezieht. In der Vorlage der Negieruna ist äußert,«« »icht gesagt, wie viel von den rünf zu ernennende» Vertreter» aus die In dustrie selbst fallen werden und wie viel de« Gewerbe -p- gesprochen werden sollen. Es kann ab«r vielleicht an genommen werden, daß drei Angehörige von Industrie und Handel zwei Mitgliedern des Gewerbes aegenüberstehen sollen. Da nun bisher Se. Majestät der König von dem ihm nach 8 63' Absatz 17 zustehenden ErnennungSrecht regel- mäßig in der Form Gebrauch gemacht hat, daß einige Ver treter der Industrie mit berücksichtigt werden, in der Regie rungsvorlage aber schon angekündiat ist, daß daneben die geistigen Berufe auf Grund dieses VerfassungSvaragravben künftig berücksichtigt werden sollen, so wurde bi« sächsische Industrie nach Annahme dieser Regierungsvorlage tatsäch lich in keiner Weise besser gestellt sein, als bisher, während voraussichtlich für viele Jahre ober Jahrzehnte hindurch die Möglichkeit einer weitergehendeu Aenderung auS- geschlossen sein würde. AuS dey angeführten Gründen kann der verband säch sischer Industrieller in der Vorlage der Regierung nicht nur keine Erfüllung seiner berechtigten Wünsche, sondern auch keine Verbesserung gegenüber dem bisherigen Zustande er blicken. Er richtet daher an die Erste Ständekammer daS Ersuchen, bei Beratung der betreffenden Vorlage den all seitigen Wünschen der sächsischen Industriellen Folge zu geben und der Industrie eine der landwirtschaftlichen mindestens gleichwertige und zum größten Teil auS freier Wahl der Industriellen selbst hervorgehend« Vertretung z» zubilligen. veutscbes sleittr. Leipzig, 12. Januar. * Bei dem Kaiserpaar war zur Abendtafrl am Mittwoch Prof. Schiemann geladen. * Erfindungen der „Times". Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" schreibt: Der Pariser Korre- spondenr der „Times" will Kenntnis von Aeußerunge» deS einstigen Reichskanzlers Für st en v. Hohenlohe haben, nach denen ein Gegensatz zwischen dem Kaiser und seinem damaligen ersten Berater bei der Besetzung von Kiautschau bestanden habe. Die „Times" unterschieben dabei dem verstorbenen Fürsten Mit teilungen über Eroberungspläne de» Kaisers, die ohne weiteres sich als Erfindungen bezeichnen lassen. Wie sich aus den Akten ergibt und auch sonst in maßgebendster Weise bezeugt ist, bestand gerade in der Be handlung der chinesischen Frage zwischen dem Kaiser und dem Fürsten Hohenlohe rückhaltlose Einmütigkeit. * Zur Reform dcr Ersten Sächsischen Kammer. In Mylau i. B. fand vor kurzem eine Besprechung der dortigen Industriellen statt, um zu dec Vorlage der Regierung über die Vertretung der Industrie in der I. Ständekammer Stellung zu nehmen. Die Versammlung beschloß einstimmig, an den Abgeordneten deS Kreises die Bitte zu richten, die Regierungsvorlage abzulehnen, da sie als völlig un genügend angesehen werden muß. Ebenso hat der Industrie verein sür Lengenfeld und Umgebung sich in seiner letzten Sitzung mit der Regierungsvorlage belchästigt und einstimmig beschlossen, der Resolution des Verbände- sächsischer In dustrieller, welche sich ebenfalls gegen die Vorlage ausspricht, zuzustimmen. Auch dieser Beschluß ist dem Abgeordneten deS Kreises übermittelt worden. * Tas höhere Schulwesen Sachsens. Wie man nn» von gut unterrichteter Seite schreibt, haben i» neuester Zeit wiederum drei junge Lehrkräfte höherer Uuterricht-anftaUen Leipzig» An stellung außerhalb Sachsens gefunden, ei» Mathematiker und zwei Neuphilologen, unter Gehaltsbedtngungen, die für sächsische Ver hältnisse als außerordentlich günstig bezeichnet werde» müssen- Weitere Wegberufungeu stehen gutem Vernehmen nach noch in Aussicht. Ob die „Sachsen flucht", wie man dies» seit eisigen Jahren nur zu häufig in unserem höheren Schulwesen anftretende Erscheinung nennt, noch weiter andauern wird, dürfte wesentlich davon abhängen, wie dcr jetzt tagende Landtag sich zu der Frage stellt. Auf der Landesuniversität fehlt eS ja keineswegs au Nachwuchs, gerade was Mathematik und neuere Sprachen anlangt, uur fragt sich sehr, ob gerade der tüchtige Teil diese» Nachwuchses geneigt sein wird, AehaltSverhältnisse anzunehmen, deren Unzuläng lichkeit von Jahr zn Jahr bitterer empfunden wird und die sich zu einer Quelle chronischer Unzufriedenheit anszuwachsen droht. Der Abgeordnete Tr. Rnblmann hat in seiner Rebe vom 15. No vember v. I. die zur Zeit bei unS obwaltenden Zustände mit un bestrittener Sachkenntnis dargrlegt und alle Kenner brr Verhältnisse haben ihm darin beigepflichtet. Im Interesse einer gesunden Weiter entwickelung unseres höheren Schulwesens, und diese geht zum mindesten alle die Eltern an, die ihren Söhnen eine höhere Bildung geben lassen, ist unbedingt zu wünschen, daß Dr. Rühlmauu» Worte zu der Tat führen, die allein helfen kann. * Rückgang hrr «rburtrn nn» Eheschließungen in Sachsen. Em ausfallender Rückgang in der Zahl der Ge burten ist laut amtlicher Statistik innerhalb der letzten Jahr zehnte nn Königreich Sachsen zu verzeichne» gewesen. Innerhalb des JahrjünslS von 1876 bis 1880 kamen noch auf je 1000 Einwohner durchschnittlich 43,6 Lebendgeborene. Diese VerhältniSzabl ist aber in den folgenden Jahre» fortgesetzt gesunken und in dem Jahrfünft von 1896 bis 1900 betrug sie nur noch 39. Au diesem Rückgänge sind besonders die größeren Gemeinden mit mebr als 15 000 Ein wohnern, jedoch mit Ausnahme der Großstädte, stark betei ligt. In diesen Mittelstädten betrug ber Rückgang der Geburtenziffer von 1876 di- 1900 nicht weniger als 9,5 auf 1000 Einwobner. In der Zelt von 1899 bis 1903 ist überdies auch die Zahl der Eheschließungen stetig, von 38 980 aus 34 240, gesunken und während dieses Zeit raums erfuhr auch die Zabl der Gebuiken, nicht allein im Verhältnis zur Zahl der Einwohner, sondern auch absolut genommen, einen erheblichen Rückgang; sie sank nämlich voo 184 184 im Jahre 1899 auf 146 841 im Jahre 1S0S.
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