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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 18.01.1906
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1906-01-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19060118019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1906011801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1906011801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1906
- Monat1906-01
- Tag1906-01-18
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Für das Erjcheincu an besiimmteu Tagen u. Plätzen wird keine Garantie Übernommen. Anzeigen und Extrabeilagen nur in der Morgrn-AuSgabe Schluß der Annahme nachmittag- 4 Uhr. Nnzrigen-Annahme: AngustuSplatz 8, Ecke Johanni-gasse. Haupt-Filiale Berlin: TarlDllllcker,Hkrzgl.Bayr.tzofbuchhandlg., Lützowstraße 10 (Fernsprecher Amt VI Ne. 4603). Filial-Expedition: TreSden.Mariemlr.34. Nr. 30. Donnerstag 18. Januar 1906. 100. Jahrgang. saMrer — frankmcd; präriaent. Armand FallidreS folgt Emile Loubct ins Elys6e —, die Republik hat wieder einen ehrlichen Re publikaner erwählt. Die offene und maskierte Reaktion sah ihren Kandi daten Paul Doumer in der eigenen Maulwurfs arbeit und trotz seines Empfanges durch König Eduard untergehen. Kein Zweifel kann darüber herrschen, daß die grobe Mehrheit der Franzosen das Verdikt in Ver sailles freudig willkommen heißt. Der Triumph des be scheidenen Demokraten, den seine Ehrlichkeit, seine Gut herzigkeit und sein Wissen ganz von selbst inmitten der Bürgerschaft der Stadt, der Provinz und schließlich des Lande» emporgehobcn bis zu den höchsten Ehrcnstellcn, die Niederlage seines Gegners, dieses „domms- cke kortooo", bereit zu jedem Handel, dank einem wund -- bar elastischen Gewissen, — zu diesem Ergebnis der Wahlkanlpagne muß sich die Republik gratulieren. Auch ün Ausland wird man eS gern sehen, dab ein ruhiger und doch keineLlvegS der Energie entbehrender Mann statt de- Helden der turbulenten Parteien ans Ruder gelangte. Von der gesamten internationalen Presse be kundete nur die konservative englische für Paul Doumer, al» der Delcassöschen Richtung näher stehend, große Sympathien und sie ging so weit, zu be haupten, der Beifall, mit dem man in Deutschland die Kandidatur Fallidrcs ausgenommen, habe den Senats- Präsidenten um alle Chancen gebracht. Das war ein Irrtum. Glücklicherweise ist der „verderbliche Einfluß" Deutschlands in der Republik nicht groß genug, daß sein Beifall im selben Maße genügt, einen braven Mann un möglich zu machen, wie sein Protest einen gefährlichen. Es ist daS friedliebende Deutschland, daS den Amtsantritt eines klugen und besonnenen Franzosen mit Freude begrüßt, gerade in einer Zeit, die einem „zivilen Boulanger" Gelegenheit geboten hätte, sich auS- zuzeichnen. Man hat zu gute Erfahrungen mit dem patriarcha lischen Charakter der Präsidentschaft Emile LoubetS ge macht, um nicht eine Fortsetzung des biederen bürgerlich väterlichen Souveränentums im Elysäc zu wünschen. Falliäres wird diesen patriarchalischen Charakter der Präsidentschaft wenn möglich noch akzentuieren. Loubet wußte seine populäre Bonhomie mit einer ihm sehr gut stehenden lächelnden Eleganz zu verbinden. Sein Nach folger wird im Frack allerdings nie so distinguiert aus- sehen, wenn er zu einem Paris besuchenden König in den vergoldeten Daumont steigen muß. Daran verhindern ihn eine respektable Korpulenz und ein familiäres Sich- gehenlassen — er trägt seine 64 Jahre nicht ebenso keck wie Loubet die Hand voll Lenze, die er mehr hat. Hinter Falliörcs offensichtlicher Gutmütigkeit ist dabei doch eine absolute Willensstärke zu finden. Zum achten Male hatte ihn der Senat vor einigen Tagen zum Vorsitzenden gewählt; im hohen Seniorenhaus sind gewiß niemals ähnliche Radauorgien zu befürchten wie mitunter in der Deputicrtenkammer; Falliärcs wußte die Debatten stets in so musterhafter Ordnung zu halten, daß die Herren Senatoren nicht anders als auf ihre eigene Wohlerzogen heit stolz sein konnten. Ter leiseste Verstoß gegen die Geschäftsordnung wurde mit einem wundertätig milden: ..Vy^on«. man eliar coUd^nel" bom Präsidcntensitz herab verhütet. Alles ging wie am Schnürchen; man verlor nicht seine Zeit wie die Abgeordneten. Im Elysöe wird ein Mann offenen Auges dem Gang des Regierungsapparats folgen; sein lautes Kommando wird zwar nicht zu hören sein, aber man wird wissen, daß er am Posten ist. So will es auch die Konstitution, die den Präsidenten über die Parteien stellt, ohne ihm das Recht zu geben, legislativ mit Aus schluß der Parlamente Einschneidendes zu unter nehmen. Falliere» kam in Mezin in der GaScogne zur Welt und zwar als Sohn eines braven DatcrS, von dem die Nachwelt sagt, daß er als Gcrichtskanzlist eifrig bei der Arbeit war, daß er ein volles Glas liebte und die Re publik haßte. Sein Stammhalter sollte etwas werden; aber der junge Armand trieb nach GaScogner Weise lieber Var AiMiime vom läge. * König Friedrich August stellte den Prin zen Ludwig von Bayern ä la suite des 3. Jnfanterie-RcgiincntS No. 102 „Prinz Regent Luitpold von Bayern". (S. Dresden.) * EftaatSmtntster Staatssekretär Freiherr v. Rtcht- -afeu ist gestern abend 11'/« Uhr in Berti» verschieden. * Der Po st Kämpfer „Hans Woermann" ist gestern mit den Leutnants Neuerboerg, Schaum berg und Brllggcmann, dem Assistenzarzt Clemm, 2 Oberveterinären, 8 Unteroffizieren und Mannschaften in Hamburg eingetroffcn. * Bei der gestern in Versailles durch den Kongreß vorgenommenen Wahl eines Präsidenten der französischen Republik wurde Fallidrcs gewählt. Er erhielt 449 Stimmen, während Doumer nur 371 Stimmen auf. sich vereinigte. (S. Leitartikel.) * In Nom wurde der Handelsvertrag zwi schen Italien und Bulgarien unterzeichnet, der an die Stelle des provisorischen Handelsabkommens zwischen Italien und Bulgarien vom Jahre 1897 tritt. * Da » österreichische Abgeordnetenhaus tritt cuu 30. Januar wieder zusammen. allerhand Allotria als auf den Gymnasien in Mezin I und Närac Griechisch und Lateinisch. Noch als an-1 gehender Advokat, behaupten die guten Leute von Mezin, I die sich solcher Dinge bis auf den heutigen Lag zu er innern wissen, habe er nächtlicherweile in friedlichen Straßen an den Hausglocken gezogen und mit gleichge sinnten Kneipgefährten häßliche Töpfe in die Laternen auf dem Marktplatz gestellt. Baccalaureus wurde er mit 18 Jahren, ohne viel eignes Zutun, sozusagen, weil er es bei seiner Befähigung nicht anders konnte. Man schickte ihn zum Rechtsstudium nach Bordeaux und 1860 nach Paris; die Sorbonne soll aber weniger Anziehungs kraft auf ihn ausgeübt haben als andere Lokale, wes halb sein Vater ihn ins ungefährlichere Toulouse ver setzte; er arbeitete dort so stramm, daß er zwei Jahre später das Jus an der Seine beenden durfte. Im schönen Heimatstädtchen Mezin und im nahen Närac, in dem die Spuren Heinrichs IV. und seiner galanten Um gebung noch nicht verloren sind, brach der neugebackene Advokat gar mancher feschen Korkarbeiterin das Herz chen. Gascognerblut will austobcn — und ein starker Most gibt einen guten Wein. Trotz seiner GerichtStätig- keit nahm Armands Vater die lustigen Streiche nicht krumm. Was er aber krumm nahm, war die fortschritt lich-republikanische Gesinnung seines Sprossen. „Aus einem Revolutionär wird nie 'was Rechtes werden!" Für den Anfang schien diese Prophezeiung ins Schwarze zu treffen. Die Rednergabe des neuen NechtsdoktorS imponierte den Mitbürgern augenblicklich. Aber kaum hatte man ihn zum Generalrat und Bürgermeister ge wählt, als es auch schon seinem Amtsvorgänger gelang, daß ihn die Regierung wegen seiner „zu fortgeschrittenen Ideen" absetzte. Die Mitbürger blieben ihm treu und wählten ihn 1876 zum Deputierten. Ein paar Jahre später schon beglückte ihn das Geschick mit ministeriellen Portefeuilles; unter Ferry war er 1880 Unterstaats sekretär deS Innern, unter Duclerc zunächst, dann als sein eigener Ministerpräsident 1883 Minister de» In nern, wieder unter Ferry, 1885 UnterrichtSminister, unter Rouvier 1887 und unter Tirard 1888 Justiz- Minister, 1889 unter demselben Tirard uenerdi UnterrichtSminister und schließlich 1890 bi» 1892 uncer de Freycinet Justizminister. Seit 1890 vertrat er das Departement Lot-ct-Garonne im Senat, der ihn am 3. März 1899, als Loubet zum Präsidenten der Republik erwählt wurde, zu seinem Vorsitzenden machte. Wenn FallidreS Name auch für keine große grund legende Reform in die Geschichte der dritten Republik eingeschrieben ist und wenn seine Beredsamkeit auch nicht denselben epochemachenden Erfolg in den Parlamenten hatte, wie zuvor in Mezin, ein Mann von der Lauterkeit seines Charakter» und von solcher Dienstwilligkeit ohne abstoßenden Ehrgeiz mußte bemerkt werden. Wie Emilie Loubet, so rechnen e» ihm die Parteien der Linken zur Ehre an, durch alle Ereignisse de» Zeitlaufs unentwegt zur republikanischen Fahne gehalten und niemals in seinen politischen Ansichten gewechselt zu haben. Selbst die Gegner haben vor Armand Fallidres Ehre immer respektvoll Halt machen müssen. Ob sich der neue Präsident, der nur nach seinem aus gezeichneten Rufe, nicht persönlich, im Lande bekannt ist, rasch eine ähnliche Popularität wie „pdre Ix>adat" er ringen wird? ES ist wahrscheinlich. Mit dem Privat leben eines Senatspräsidenten, der weltentrückt im Luxembourg tront, befaßt sich Frau Fama nicht. Auch Herr Loubet war nur wenig bekannt, ehe ihn Clömen- ceau „entdeckte". Die Atmosphäre im Elysöe wird nicht ganz dieselbe sein. FallidreS ist ein kleinwenig akademischer veranlagt als Loubet. Er hat im Senat nicht allzuoft große Feste gegeben. Seine Frau, geb. Vresson, Tochter eines avoos in Nörac, wußte auf ihnen jedoch nicht schlechter zu repräsentieren, als Frau Loubet. Sein Sohn, Empathisch und klug, wird ihm zur Seite stehen und ferne Tochter hat keine Klosterschule besucht. DaS erste HauS der Republik wird gut geführt werden, ohne Dünkel, mit Würde. Fallidrcs wird LoubetS Werk fortsetzen; was an ihm liegt wird er tun, um sowohl die freundschaftlichen, als auch die freundlichen Beziehungen zu den fremden Staaten aufrecht zu erhalten. W Neber den Verlauf de» Wahlakte» sind folgende Telegramme eingeganqen: Versailles, 17. Januar. Seit heute früh herrscht ein lebhaftes Treiben in der Stadt. Die letzten Vorbereitungen für den Kongreß werden getroffen. Die AbsperrungSmaß- regeln an den Zugängen -um Kongreßsaal sind äußerst streng. Die ersten Parlamentarier trafen um 10 Uhr vor mittags ein, auch FalliöreS und Doumer sind erschienen. Alle Gruppen halten um 1 Uhr nachmittag» gesondert Be ratungen ab. Vertreter der Gruppen der Linken äußern die bestimmte Zuversicht, daß FalliLre» im ersten Wahlgange gewählt wird, und rechnen auf mindesten» 435 oder 440 Stim men für ihn. Versailles, 17. Januar. s1^4 Uhr nachmittag») yal- liereS übernimmt den Vorsitz im Kongreß und wird von der überwiegenden Mehrheit stürmisch begrüßt. Versailles, 17. Januar. Schon von 12^ Uhr an hatte daS Publikum die zugänglichen Tribünen deS Songreßsaale» dicht besetzt. Viele Damen in großer Toilette waren «n- treiend und beobachteten mit Interesse, wie sich der Saal all mählich mit den Mitgliedern deS Kongresse» füllte. Die stürmische Begrüßung, mit der Falli-reS bei der Ueber- nahme de» Vorsitze» empfangen wurde, wiederholte sich mehrere Male. Von der Linken und dem Zentrum hörte man Bravorufe: auf der Rechten Lärm. Falliire» verla» da» Dekret, durch welche» die Nationalversammlung zusammen- berufen wird, unter allgemeiner Spannung. Danach do» I gönn di« Abstimmung für die Präsidentenwahl. Versailles, 17. Januar. Beim Besteigen der Tribüne ^ur I Abgabe de» Wahl-eitel» sind die bekannte» Persönlichkeiten der Gegenstand mannigfacher Kundgebungen. Brisson, Combe» und RanL werden nit lebhaftem Beifall begrübt; einige Protestrufe werden im Zentrum laut. Ribot wird mit Beifall empfangen: Delcasss, LeSchanel, Ministerpräsident Nouvier und die Minister geben ihre Wahlzettel ohne Zwischenfall ab. Doumer wird bei der Abgabe feiner Stimme von der Rechten und einem Teil des Zentrums mit Beifall empfangen, während ein großer Teil der Linken lärmende Rufe ausstößt. Beim Erscheinen Fallisres bricht die Linke in lebhafte Beifallsrufe ouS. Versailles, 17. Januar, 2 Uhr nachmittag. In dem Maße, als sich die Abstimmung dem Ende nähert, wird die Unterhaltung in den Wandelgängen lebhafter. Die Anhänger der beiden Kandidaten zeigen die gleiche Zuversicht In der Diplomatenloge wohnt auch der deutsche Botschaftsrat von Flotow der Abstimmung bei. Noch läßt sich über den Ausfall der Wahl kein bestimmtes Urteil fällen. Versailles, 17. Januar. Die Abstimmung war 3*4 Uhr beendet. Es wurden 848 Stimmen abgegeben; die absolute Mehrheit betrug also 42b. Fallitrcs erhielt 24 Stimmen mehr. Außer dem deutschen Botschaftsrat v. Flotow waren in der Diplomatenloge noch anwesend der englische und der österreichisch-ungarische Botschafter und der japanische und portugiesische Gesandte. Weitere Telegramme befinden sich unter den letzten Depesche» d. Bl. Lu: Lage in veutrcdlanil. (AuS unserem Berliner Bureau.) ir. Ich hatte in diesen Tagen wieder daS Vergnügen, mit verschiedenen distinguierten, ich meine natürlich geistig distinguierten Köpfen, unserer Industrie zu sprechen. Die Herren gehören verschiedenen Branchen an. Aber ich war direkt frappiert, daß sie über einzelne Fragen von höchster Bedeutung derselben Meinung waren; ich war des halb frappiert, weil diese Fragen für unsre ganze wirtschaft liche Entwicklung so wichtig sind. Selbstverständlich kann man nicht alles, waS so rn vertrauter Unterredung ge sprochen wird, an die Oessentlichkeit bringen, aber es bleibt auch ohnedies noch gar manches, waS weitere Kreis« inter essieren dürfte. Zu de» Frage», in denen ich eine auffallende Neberein- stimmung bei meinen großen Freunden fand, gehören die öffentlichen Finanzen. Die Leitung unserer öffent lichen Finanzen gibt zu den ernstesten Befürchtungen Ber- anlassung; selbstverständlich nicht etwa deshalb, weil dabei unlauter gearbeitet würde. So etwas ist natürlich ausge schlossen. Aber man treibt Finanzwirtschaft, unbewußter maßen, nach dem Satz«: ^prss non» la ckslus«! Man treibt nicht Finauzwirtschast mit dem Blick« auf die Zukunft. Unsre Negierenden besitzen wenig oder gar nicht daS Gefühl, regiert zu werden, wie sich Fürst BiSmarck einmal so treffend auSdrückte. Man dekretiert und regiert munter daraufloS, ohne »ach den Wirkungen zu fragen. Man trampelt bei nahe auf de» Leuten herum, die von früh bis spät arbeiten, ohne daran zu denken, wie eS werden würde, wenn diese Lent« auch ihrerseits mal streikten. Man vermehrt die Schul den deS Reiche» in» Nngemeffene. Wir haben niemals seit Gründung de» Reiche» einen wirklichen Krieg geführt, und doch liegen unsre Finanzverhältnisse miserabel. Uud man weiß keinen andern Weg, als immer neue Ver- mehrungder Steuerlast. ES gibt kaum eine öffent liche Gewalt, vom Reiche bis zur Kirchengemeinschaft, die nicht immer mehr Steuern verlangt. Jede Steigerung der Steuern über ein gewisses Maß hinaus schädigt aber de» Ertrag der Steuern, wie sich durch verschiedene Beispiele leicht beweisen ließe. Wenn die Steuerlast unerträglich wird, wie sie jetzt -u werden beginnt, dann werden die Steuerzahler direkt zur Defraudation verleitet. Die Aktien gesellschaften und die Leute mit festem Einkommen können sich der Steuer freilich nicht entziehen; wohl aber besteht die Gefahr, daß andre Kreise in die Versuchung geführt werden, der Steuerbehörde unwahre Angaben zu machen. Die Herren, welche die Steuern beschließen, haben gar keine Ahnung davon, wie schwer heute die Steuerlast auf der Ge schäftswelt uud den Privaten lastet. Wie hort unsre Steuer last ist, geht schon darau» hervor, daß bei unS die Steuer schraube Einkommen packt, die in England unbedingt frei sind. Die Leute, die bei unS die Steuern beschließen, stehen dem praktischen Leben zu fern. Man hat anscheinend gar keine Vorstellung davon, wie schwer Geld verdient wird und hat verlernt, den Pfennig zu ehren. Die Steuerpolitik muß auch den Pfennig ehren, den Pfennig d«S andern, der ihn verdienen muß. Die Sorglosigkeit unsrer öffentlichen Finanzwirtschaft zeigt sich mit besonderer Deutlichkeit bei Gemeinden. Die Gemeinden al» Ganze« haben wie die einzelnen nur den Gedanken, immer großartiger zu werden,, ihr ganzes Auftreten immer glänzender zu gestalten, den ganzen »tan- clarck ok U/s immer höher -u schrauben. Der Gedanke, der diesen Bestrebungen zugrunde liegt, ist natürlich ganz gut, aber er bars nur unter Berücksichtigung der Mittel ausge- sührt werden. DaS ist aber ganz rnd gar nicht der Fall. Die Gemeinden wetteifern untereinander, die schönsten Ein richtungen, die orächtigsten Bauten zu haben. Sie dehnen den Kreis ihrer Wirksamkeit immer weiter auS und mischen sich, -um Nachteil der Privatbetriebe, in Dinge, die sie gar nicht oder nur mit mehr Kosten, al» die private Unter nehmung, betreiben können. Mit der Erweiterung der Auf- gaben wächst auch bi« Zahl der Beamten. All da» geschieht unter Kem Eindrücke der guten Zeiten. Da kann man die Industrie so gehörig In Kontribution ziehen oder man ver mehrt einfach die Schuldenlast. Man vergißt dabei völlig, daß auch schlechte Zeiten kommen können. Man hat dann den städtischen Bourat und muß ihn doch beschäftigen, also muß weiter gebaut werden. In den schlechte« Zeiten soll aber ber ganze teure Apparat auch weiter unterhalten wer den. Dann ist jedoch die Steuerleistungssähigkeit geringer geworden. Am schwerste» leide» unter diesen Verhältnissen die kleineren Orte. Mit de« Aufblühen der größeren Städte zieht natürlich, wer kann, dorthin. Die kleineren Orte ver- lierev einen großen Teil ihrer steuerkräftigen Einwohner De» Ausfall nwß di« Jadostri« ausbriugeu. Ja schlechten Zeiten kann diese aber auch nichts leisten. Was sollen da die Gemeinden machen? Es ist ausfällig, daß sich die Negierung so wenig gerade um die Entwickelung der Gemeindefinanzen kümmert. In Preußen hat sie zwar vor Jahren, als Miquels Geist in ihr noch nachwirkte, einmal zu der wachsenden Verschuldung der Gemeinden Stellung genommen und insbesondere die Be dingungen für die Tilgung verschärft; aber weiter auch nichts. Statt so auf anderen Gebieten die Selbstverwaltung der Gemeinden einzuschränken, sollte sie lieber ein scharfes Auge auf die Finanzen haben. Diese Art öffentlicher Finanzwirtschaft ist freilich eine Erscheinung, die in den ganzen Nahmen unserer wirtschaft lichen Verhältnisse paßt. DaS an sich unzweifelhaft gesunde Bestreben nach höherer Kultur betätigt sich zu rasch im Ver hältnisse zu der Leistungsfähigkeit. Die Steigerung des ge samten st»n<Iar<l v/ U/s geht zu schnell vor sich. Hierdurch, sowie durch die Hochschutzzollpolitik mit ihrer Verteuerung der Lebensmittel wird unsere Industrie mit zu hohen Produktionskosten belastet. Da in anderen Ländern diese Entwickelung nicht so rapid vor sich geht, besteht die Gefahr, daß Deutschland in dem Konkurrenzkämpfe zu schwer belastet und von fremden Industrien überholt wird. Denn der glänzende Aufschwung unserer Industrie beruhte zum Teil auf unseren niedrigeren Produktionskosten. Daß meine Freunde in unserer Handelspolitik ein Hemm nis unserer weiteren Entwickelung sehen, ist begreiflich. Diese Stimmung teilen sie Mit einem großen Teile der Industrie. Aber sehr wunderte ich mich, bei ihnen eine aus gesprochene Abneigung gegen di« Syndikate zu finden. Verstehen kann man diese Abneigung in gewissem Sinne ja schon. Syndikate bringen für ihre Teilnehmer immer eine mehr oder weniger große Bindung der Freiheit mit sich. Starken Naturen ist aber jeder Zwang un angenehm. Die Herren, mit denen ich sprach, wandten sich speziell gegen die Preispolitik verschiedener Verbände, die durch ihre geringe Elastizität zu Zeiten verzerrte Verhält nisse schaffe; die Verbände gehen zwar gern mit den Preisen in die Höhe, aber sie zögern, beim Wechsel der Konjunktur, nun auch ebenso rasch herunter zu gehen. Freilich ist das «ine Schwäche, di« allen Geschäftsleuten eigen ist. Beachtens wert bleibt aber die ungünstige Beurteilung de» Verbands- wesenS au» dem Munde führender Industrieller jedenfalls. DaS um so mehr, als sie in eine Zeit fällt, wo daß Verband»- wesen mit fast elementarer Gewalt auf all« mögliche» Ge biete sich auSdehut. veutrOes Keick. Leipzig 18. Jamrar. * 8nm prentzischen vrdenSfest. Der Kaiser als Souverän und Oberhaupt des Hoben Ordens vom Schwarzen Adler hat beschlossen, am 18. Januar mit den auweseudea kapitel- sähigen Ritteru im Schlosse zu Berlin feierlich di« Investitur de» Prinzen August Wilhelm von Preußen, de» Herzog» von Sachsen-Kobnrg, de» OberstkämmererS Fürsten zu SolmS- Baruth, AdnnralS v. Hollmann, Grasen Emil Friedrich Schlitz, genannt v. Goertz, StaatSminister» Grasen v. Posa- dowSly, StaatSminister» v. Budde, Oberstmarschall» Fürsten zn Fürstender» and de» Botschafter» a. D. Grafe» v. AlvenS- lebe» vorzunehmen und Kapitel abzubalte». * Afrikanische Verlustliste. Ein Telegramm an» Dar-eS- Salaam (Leutsch-Ostasrika) meldet: SauitätSsergeant Karl Müller, geb. zu Ratibor, früher Infanterie-Regiment Nr. 156, ist am 14. Januar in Dar-eS-Salaam au Herzschwäche ge storben. Unteroffizier Friedrich PiontkowSky, geb. zu BreSla«, srüber Schutztiuppe für Südwestafrika, ist am IS. Januar iu Labore au Dysenterie gestorben. * Deutsche Seetntereffeu. Der ReichSkarnler Fürst Bülow hat dem Reichstage noch nachträglich zwei Tabellen zur Denkschrift über die Entwickelung der deutsche» Seeinteressen im letzten Jahrzehnt zukommen lassen. Die Tabellen befassen sich mit der Ueberstcht über die Be teiligung der deutschen evangelischen Kirchen- und Missionsgesellschaften und der deutschen katho lischen Ordens- und Missionsgesellschaften in überseeischen Gebieten. Die Zahl der deutschen evangelischen Pfarrslcllen in der Diasporo des Auslandes einschließlich der SecmannS- missionen ist für Europa und die Levante 78 Kirchenorte mit lOV Geistlichen, für Afrika 37 Kirchenorte mit 40 Geist lichen, in Ostasieu 6 Orte mit 6 Geistlichen, in Australien 78 Orte mit 100 Geistlichen, in Amerika 103 Orte mit 108 Geistlichen, in den deutschen Kolonien 5 Kirchenorte mit L Geistlichen, abgesehen von Missionen. Die näheren Zahlen für Europa sind folgende: Schweiz 13 Kirchenorte (13 Geistliche), England lO i,2l), Italien 10 (13), Rumänien 10 (11), Frankreich 8 (13t, asiatische Türkei 6 (S), Schottland 5 (5), Belgien 4 (7), Portugal 4 (4), Holland 3 (4), Spanien 3 (4), Schweden 2 (3), Dänemark l (5^, Luxemburg 2 (2), Monaco 1 (t), Finnland 1 (1), Serbien l (1), Griechenland 1 (1). — Die deutschen evan gelischen Miisionen hatten 1904 59S Hauptstationen mit 9S7 europäischen Missionaren, 117 Schwestern, 158 ordinier te», 2782 nichtvrdinierten eingeborenen Gehülfen, 438 779 Heidencknsten und 186 770 AbenkmablSfähigen. Die evan gelischen Missionsschulen beliefen sich auf 2923 mit 112 887 Schüler». Evangelische Diakonissen-Mutterhäuser außerhalb DeullchkandS gab es 1904 29 mit 3280 Schwestern und 1023 Arbeitsfeldern. * Teutschland und Japan. Fürst v. Bülow sandte, wie dem „Daily Telegraph" aus Tokio gemeldet wird, dem neuen japanischen Premierminister Marquis Saionji folgende» Tele gramm: „Ich sage Ihnen meine herzlichsten Glückwünsche zu Ihrer Ernennung als Premierminister von Japan. Ick freue mich in der Tat, daß ein Staatsmann wie Sie, dec mit deutschen Angelegenheiten gründlich vertraut ist, zum Ersten Minister der japanischen Regierung ernannt wurde. Ihr alter Freund Fürst v. Bülow." Der Marquis Sawnii sandte dem Reichskanzler eine herzliche Erwiderung. * Eine deutsche Notschnle in Riga für die Kinder ber baltischen Deutschen soll geschaffen werden. Eine dringende Bitt« au» Riga hat die Anregung gegeben, die r»
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