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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 08.08.1906
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1906-08-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19060808027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1906080802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1906080802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1906
- Monat1906-08
- Tag1906-08-08
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Anzeigeu-Preis Abend-Ausgabe ciMM TageblM Mittwoch 8. August 1906. Nr. 3SS r u^-r Handel mit China nimmt von Jahr, zu J..hr ab, statt k >°n wn.Amtlich-, n ZS^-über See ai-^^unbe-tm Deut,chen Feuilleton s, tzexse. der die 1VV. Jahrgang. Die llelclenschaft ist clle höchste Kraft, clle 6c>tt uns gegeben hat, unck ohne sie ist nichts Lropes, 8e- vvunöerungsivertes, Unsterbliches öurch sterbliche Menschen rustancte gekommen. Berliner NedattionS-vureau: Berlin di IV. 7, Dorotheeastraße 83. Telephon I, Nr. 9275. Redaktion und Expedition: Johannisgasse 8. Telephon Nr. 153, Nr. 222, Nr. 1173. Anzeigen und Extrabeilagen nur in der Morgen-Ausgabe Schluß der Annahme nachmittags 4 Uhr. Handelszeitung. Amtsblatt des Nates und des Nolizeianttes der Ltadt Leipzig Var Wichtigste vom Lage. * Es heißt, daß der General st abschef der Marine, Admiral Büchsei, von seinem Posten zurücktreten wolle. * Der Generalversammlung des Ver eins deutscher Eisenbahnverwaltungen in Berlin wird ein Antrag auf Beseitigung der lästigen Vorschriften und Formalitäten bei Fahrtunterbrechung unterbreitet werden. * Auf einem in Riga liegenden Schulschiffe wurden 66 Mann verhaftet. * Die französische Negierung erklärt, daß sie gegen eine militärische Besetzung der Oase Djanet durch die Türkei, in geeigneter Weise protestieren werde. lS. Ausl.) ' Amtlich wird in Madrid bekannt gegeben, daß vom Dampfer „Sirig" 328 Personen vermißt werden. Unter diesen befinden sich vierzehn Ma trosen. Bezugs-Preis kn der Hauptexpedition oder deren Ausgabe stellen abgehoU: vierteljährlich 2.40, bei täglich zweimaliger Zustellung ins HauS vierteljährlich 3.—. Durch unsere aus wärtigen Ausgabestellen und durch di« Post bezogen für Deutschland und Oesterreich vierteljährlich 4b0, für die übrigen Länder laut Zeitungspreisliste. Anzeigeu-Auuahme: AuguftuSPlatz 8, Ecke Johaauisgasse. Haupt-Filiale Berlin: C a r l D u n ck e r, Herzgl-Bayr-Hosbuch ha ndl g., Lützowftraße 10 «Telephon VI, Nr. 4603). Filial-8xPrdttioa:DreSdeu,Marienstr.3i. veutscves Keich. Leipzig, 8. August. * Dr. Peters über die äthiopische Bewegung. Dr. Carl Peters hielt am 6. August in Hannover einen Vortrag über die „Negerbewegung und die Lage in Südafrika", in welchem er etwa folgendes aussührte: Die Zeichen der Zeil für eine allgemeine Ncgerrevolution von Algoabucht bis zur großen Syrte mehrten sich. Die schwarze Rasse habe erkannt, daß sie sich selbst befreien muffen, wenn sie hoffen wollen, vom weißen Joch wieder los zu kommen. In der Natalrebellion, wie in der südwestafrikanischen Erhebung lägen solche Stre- >ungen zugrunde, tvelche von der äthiopischen Bewegung ge- chürr würden. Zu ihm selbst seien Abgeordnete der Maka- anga gekommen, die gesagt hätten, sie würden sich gegen die Portugiesen erheben, wenn er (Peters) an ihre Spitze treten wolle. Dann würden sie ihn zu ihrem Häuptling machen. Ein großer europäischer Krieg, etwa zwischen Großbri tannien und Deutschland, werde das afrikanische Pulverfaß zur Explosion bringen. Gegenüber dieser allgemeinen Ge fahr verschwänden die nationalen Gegensätze in Südafrika; Buren und Engländer verschmölzen mehr und mehr in ein gemeinsames Afrikandertum; und, wenn die liberale britische Regierung sortfahre, in die Eingeborenenfrage hiueinzutap- pen, wie bisher, werde dort eine antieuropäische Bewegung gegen London einsetzen. Heute bereits werde dies überall offen ausgesprochen. Doch glaube er nicht an die Möglich keit von Vereinigten Staaten von Südafrika. Das Land sei auf überseeische Zufuhren angewiesen und demnach durch eine Blockade zu bezwingen. Südafrika werde im wesent lichen Minen land sein und bleiben. Der Ackerbau habe keine Zukunft. Was Deutsch-Ostafrika anbetreffe, so bekämen seine Voraussagen leider mehr und mehr recht. Die Buren, die am Kilimandscharo angesiedelt wären, seien zu drei Vier teln bereits wieder fortgezogcn auf britisches Gebiet am Berge Elgon. Ein Bur habe ihm selbst gesagt: „Mit den verdammten Deutschen kann man nicht leben, sie regieren zu viel". Ein ebenso entschiedener Mißgriff sei die Aussendung von Russen aus dem Kaukasus gewesen. Die Leute seien iu keiner Beziehung den Verhältnissen in Mittelofrika ge wachsen; und auch dieses Experiment müsse mit einem Fiasko enden. * Tippelskirch u. Co. Die „Tägl. Rundschau" veröffent licht eine längere Zuschrift eines der Firma v. TivpelÄlrch L Co. nahestehenden Herrn, in welcher erklärt wird, daß in Wirklichkeit nicht mehr als 7000 X an Major Fischer ge zahlt worden sind. Dr Bumiller sei allerdinrB zurzeit bei der Firma Tippelskirch beteiligt, er sei cs aber noch mch* ge- wejcn, als -r die 3000 an Fischer zahlir. Der erste Ver trag zwischen der Firma v. Tippelskirch L Co. und dem Kolonialbirektor Dr. Kayser sei ohne irgendwelche Mit wirkung des damals in einer ganz einflußlosen Stellung stehenden Hauptmanns Fischer im Jahre 1896, also lange vor dem Hilfswerk, abgeschlossen worden. In der Fabrik von Tippelskirch seien durchschnittlich etwa 1000 Arbeiter beschäftigt, welche die gesamten Ansrüstuimsgegenftäudc unter Zuhilfenahme von Heimarbeitern Herstellen. Nur in Aus nahmen, bei ungewöhnlich hohen Anforderungen der Trup- pcnleiter, seien andere Firmen zu Unterlieferanten iu An spruch genommen worden. Das sei aber im Vertrag aus drücklich vorgesehen. Es sei unrichtig, daß die Firma als Zwischenhändler 50 und mehr Prozent verdient habe, sie habe vielmehr mit einem Gewinn von 1ü Prozent geliefert. * Schutzschilde iu Ostasien. Die Ausbeute au Erfah rungen der Feldartillerie ans dem russisch-japanrischeu Kriege ist im allgemeinen nickst allzugroß, weil die beiden sich gegeu- übersteheuden Geschütze nickst als modern angcschen werden können. Sie besaßen nämlich beide keine Schmtzschrlde. Vereinzelt sind aber, wie die „Neue mil.-pol. Korrespondenz" hcrvorhebt, doch Schili»eschütze in den Kampf gestellt worden, und zwar von japanischer, wie von russischer Seite. Gerade diese Improvisationen auf dem Kriegsschauplatz zeigen aber, wie sehr man sich nach Schilden sehnte. Ein japanischer Abteilungskommandcur schreibt, daß 6 Millimeter starke Stahlschilde von 80 Kilogramm Gewicht bei mehreren Regi mentern verwandt worden seien und sich vorzüglich bewährt hätten. Die moralischen Eigenschaften der Truppe würden durch die Schilde bedeutend gehoben, da die Bedienung mit größerer llkuhe und Sicherheit arbeite. In demselben Sinne spricht sich auch ein russischer Batteriekoinmandenr aus, der seine Geschütze mit Schilden aus 2b bis 3 Millimeter die 6gespaltene Petitzeile für Leipzig und Umgebung 25 Pf„ Familien-, Wodnungs- u. Slellen-Anzeigen, sowie Au- u. Verlause 20 Pf. (Händler und Vermittler 25 Pf.I für auswärts 30 Pfg- Finanzielle Anzeigen u. Geschäftsanzeigen an bevorzugter Stelle nach besonderem Tarif. Reklamen 75 Pf^ auswärts 1 Mk. Für das Erscheinen an bestimmten Tagen u. Plätzen wird keine Garantie übernommen. Hermann Vang. Von Peter Hamecher (Köln). Zwei Seelen wohnen in der Brust des melancholischen Dänen, der sich mit seiner klagenden Weise so tief in die Herzen einzuschmeichcln weiß. Das Erbe des aufgebrauchten väterlichen Geschlechtes, das nur noch untätige Phantasten ,u erzeugen vermag, deren leere Hirne künstlich angeseuert werden müssen, streitet sich in ihm mit der, ihm von der Mutter her innewohnenden Sehnsucht nach Ruhe und Frieden. All die Eigentümlichkeiten, tvelche speziell die erste Periode Bangs charakterisieren: das Fremdartige, Gejagte, Fieber- ^ft-Nervöse; der blasierte Spott und der „Hautgoüt von Sinnlichkeit" sind auf das Konto des Dekadenten rn Bang u setzen. Aber diese Seite seines Temperaments, die aus Dichter allenfalls einen rafsinierten Neroenkünstler und Artisten gemacht hätte, der außergewöhnliche Stimmungen zu erlesenen Bijoux zu formen weiß, erfährt ihre Korrektur durch ein tiefes NuhevcrlaMen und ein« träumerische Schwermut, die das von der Mutter überkommene Erbteil ist. Während '.m Anfang die nervöse Hast und die Sucht nach dem Andersgearteten dominieren, kommt in der zagen Schick- lalsmelodie der späteren Werke das zweite Gesicht des Richters .mmcr klarer zur Geltung, bis er in „Tine" und „Michael" Dichtungen von unerschütterlicher Ruhe und Groß- znaigkeit ichuf, durch die er den freien, starken Sieg über sich selbst davontrug. Bangs Schaffen zerlegt sich -tvanglos in drei Stufen. Auf der ersten interessieren ihn fast nur die hoffnungslosen Geschlechter und die exzentrischen Naturen: die Outsiders des Lebens und der Gesellschaft, die am Konflikt zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Wollen und Vollbringungsmög lichkeit zerschellen. Zwar ist die Erfahrung, daß „die Träume und die Sehnsucht Eines sind und das Leben ein Anderes", ein beständig sich wiederholendes Grundmotiv Hermann Bangs: dock, während er in seiner ersten Periode Aus nahmeschicksale gestaltet, wendet er sich späterhin den Menschen des Alltags zu, den Menschen der Enge. Er ent wickelt sich zu dem sensiblen Beobachter, der mit leidumflorten Augen von den schleppenden, allmählich zermürbenden, nur selten katastrophenhasten Geschicken des Alltags kündet. Wie Maeterlinck lauscht er auf den fremden, grauenhaft gedämpften Laut der Angst, der oft so unheimlich wie der Schrei eines Ertrinkenden sich in unsere hellste Lebensfreude stiehlt: des Grausens vor dem Unbekannten; vor den ver borgenen Händen, di« die düsteren Fäden in den Teppich des Lebens wirken. Wer er arbeitet mit rein naturalistischen Mitteln. Geduldig setzt er, als echter Impressionist, Mo mente neben Momente, bis diese sich zu dem Totaleindruck, den er beabsichtigt, zusammenfügen. „Er lacht nicht; er weint nicht: er sieht." Mer gerade durch das Automatenbast« der Vorgänge weiß Bang den Eindruck des Schicksalsmäßigen, des willenlosen „unter das Joch"-Gestelltseins seiner Menschen eindringlich zu suggerieren: „Alltag und Alltags worte mit schicksalsvollem Hintergrund." „Es gibt nichts als den Trieb: der allein ist Herr und Meister"; der allmächtige, alles vernichtende Trieb, der Len Menschen in die Höhe der Verzückung und in die Tiefen der Raserei und des Ver brechens schleudert. Aber wie mit den Individuen, verfolol die Natur auch mit den Geschlechtern nur den einen Zweck: dafür zu sorgen, daß die Maschinerie des Lebens nicht stille steht. Und wie die Einzedvesen haben auch die Geschlechter ihre zu gemessen« Zeit, und wenn sie ihrer Bestimmung genügt halben, welken sie langsam ab: „hoffnungslose Geschlechter". Ähre letzten Glieder werden müde, unfähige Träumer wie William Högh: absterbende Zellen ftn Organismus der Gattung, die dem Blut, das in derselben pulsiert, nicht mebr offen stehen: politische Lsgesrchau. Leipzig, 8. August. Ein Zentrums-Angriff gegen die auswärtige Politik? Man schreibt uns: Eine ausfallend scharfe Verurteilung der Neichspolitik enthält das neueste Heft der in Bayern seit langen Jahren einflußreichen „Historisch-politischen Blät ter". Namentlich ist es die auswärtige Politik Deutschlands, an der das genannte Organ kein gutes Haar läßt. Deutsch land für isolierter als je erklärend, schreiben die „Historisch- politi'chen Blätter" den Leitern unserer äußeren Politik u. a. folgendes ins Stammbuch: üJn den letzten zehn Jahren erzielte keine Diplomatie mehr Mißerfolge als die deutsche. Wir können nur noch den Spaniern halbverlorenc Inseln um ein Heidengeld ab kaufen und mit Chinesen Pachtverträge schließen, kraft deren wir für die Japaner arbeiten dürfen; bis dato hat nämlich Japan allein den Vorteil aus den 100 Millionen Mark, die wir an Kiautsck>au verbraucht haben. Der Han del Deutschlands in diesem Platz an der Sonne ist ver schwindend; er beträgt mcht einmal eine Million Mark, und UTvser Hanörk int: öv» Juhl J->h^ ub, sp«l, - zu . . . „Es gelingt nichts mehr!" Dieses Wort Windt- borsts in der Periode des Fürsten Bismarck trifft auch für die Auslandspolitik des vierten Reichskanzlers zu, und was in der Jnlandspolitik zustande kommt, das leisten die Arbeitspferde Posadswsky, Stengel, Einem, Studt und wie sie all« heißen." Die vorstehende Auffassung weicht gänzlich von der jenigen ab, die sonst im Zentrum über die Leitung unserer äußeren Politik laut wird. So weit die „Historisch-politi schen Blätter" für ihr vernichtendes, auch die Hanoelsver- träge ignorierendes Urteil die Statistik hcranziehcn, er weisen sie sich freilich als durchaus nicht berufene Kritiker. Denn abgesehen davon, daß die Ausgaben für Ksiautschau in den Jahren 1900—1906 rund 86 Millionen Mark betragen, ist der Handel Deutschlands mit Kiautschau keineswegs „ver- schwindend": betrug doch die Ausfuhr dorthin im Jahre 1904 7,7 Millionen Mark, im Jahre 1905 7,9 Millionen Mark. Auch unsere Ausfuhr nach China ist weit davon entfernt, abzunehmen; sic betrug nämlich in den Jahren 1901—1905: 37b, 37^9, 44,7, 52,9 und 75L Millionen Mark. Tarin ist die Ausfuhr nach Kiautschau und nach Hong kong nicht inbegriffen. Wenn die ,L>istorisch-politischen Blätter" wieder einen Pfeil auf die Regierung abschießen wollen, tun sie besser, ihr Material vorher ordentlich zu prüfen. Ueberhaupt könnte ein solcher überscharfer und saktiöser, im Grunde ungerechter Angriff gegen die Reichspolitik, wie oben gc- sagt, bei den herrschenden wohlwollenden Beziehungen des Zentrums zur Regierung auffällig erscheinen, wenn die „Historisch-politischen Blätter" nicht von jeher als Eigen- brödler bekannt wären. Freilich wurden sie ehemals besser redigiert. Reform uud Revolution in Rußland Zu dem Nichteintritt Liberaler in das Kabinett wird der Wiener „Alldem. Korresp." aus Petersburg berichtet: „In den Kreisen der ehemaligen Mitglieder der Rcichsduma wird erklärt, daß die politischen Persönlichkeiten, mit welchen der Ministerpräsident Stolvpin wegen Eintritts in das Ka binett verhandelte, nur deshalb dieses Anerbieten ablehntcn, weil sie der Ueberzeugiing waren, daß sie unter den obwalten den Umständen als Minister nicht jene Tätigkeit entwickeln könnten, welche sic zur Wiederherstellung normaler Zustände Diese Nummer kostet aus Z allen Bahnhöfen und bei III kl^T den ZeitungS» Verkäufern in Rußland für notwendig hielten. Demgematz besürchteten die ehemaligen Dumaabgeordneten, als Mitglieder der Regierung keine Erfolge erzielen zu können, und um nicht ihre politische Repu- tation aufs Spiel zu setzen, sahen sie sich veran laßt, den Eintritt in das Kabinett abzulehnen, so sehr sich auch der Ministerpräsident Stolypin bemühte, die be treffenden Minlstertandidaten von der Grundlosigkeit ihrer Anschauungen zu überzeugen." Diese Darstellung stimmt im Grunde mit der ofsizioier- seitS gegebenen Ausklärung überein, wonach die gemäßigt liberalen Führer, welche in das Kabinett eintreten sollten, erklärt hätten, zur Durchführung von Reformen sei . ihre Tätigkeit in dem ihnen gewohnten Wirkungskreise nützlicher, da sie jo eher alle besonnenen Elemente zur Mitwirkung heranziehen könnten. Wahrscheinlich ist es aber, daß die in Frage kommenden Periönlichkeiten, die nur eine kleine Anhängerschaft in der ausgelösten Duma hinter sich hatten, diese als Minister durch weit ¬ gehende Reformen zu vergrößern hofften, um sich in der neuen Duma dann auf sic stützen zu können, daß diese Reformen ihnen aber nicht bestimmt genug zugestanden wur den. Sie zogen aber deshalb begreifücherweiie vor, sich als Minister nicht vergeblich abzunutzen. Sie wollen, wie das aus der oben wiedergegebenen Korrespondenz hervorzugehcn scheint, den Versuch unternehmen, nunmehr eine größere Partei zu gründen, welche sich einer verstäitdigen Reform arbeit widmen will. Kommt ihr die russische Regierung hierin ehrlich entgegen, so kann in die neue Duma vielleicht eine Partei einziehen, durch welche die Regierung endlich Unterstützung findet und eine praktische reformerische Gesetz gebung ermöglicht wird, vorausgesetzt, daß die Revolutionäre nicht einen Strich durch die Rechnung machen. Diesen lieg» gar nichts an einer Resormarbeit, wie sie die russische Re gierung und die Führer der Liberalen, die Heyden, Lwow, Gutschkow, trotz aller Differenzen im einzelnen im Sinne haben. Es ist Wohl möglich, daß die Gründe, welche den Nichteintritt der Liberalen in die Regierung veranlaßten, noch verstärkt wurden durch die Befürchtung, daß jede Arbeit der Regierung gegenüber der drohenden Katastrophe eine Sisyphusarbeit bleiben muß. Die Revolutio näre wollen reinen Tisch machen und ihr Ziel ist nur durch Beseitigung des Zaren zu erreichen. Ihnen kann es nur willkommen sein, daß die libcraken Füh rer nicht in das Kabinett eingetreten sind, da dieser Miß erfolg der Regierung gegen sie auSgebeutet werden kann und eine Beruhigung des aufgeregten Volkes nunmehr auss neue erschwert ist. Der Zündstoff, der Lag für Tag durch die wilden Reden in der Duma ins Land getragen wurde, wird nun ersetzt durch eine umfassende revolutionäre Agi- -lltion, s>e sich in -rster Linie auf die Armee geworfen hat uno bereits zu den blutigen Aufständen in Svcadorg, Kron- stadt. Reval. Brest und Sebastopol geführt hat. Sie waren, wie jetzt feststeht, nicht etwa lokale Ausbrüche des Unwillens gegen irgendwelche unbeliebte Vorgesetzte oder gegen ge wisse ökonomische Mißstände, sondern zielbewußtc Versuche der revolutionären Soldaten und Matrosen. Schon sei» der Meuterei auf dem „Potemkin" in Sebastopol weiß man ja, wie gewaltig der revolutionäre Geist in der russischen Armee gewachsen ist, der sich dann weiterhin noch in zahl- losen Meutereien Luft gemacht hat und sogar bis in die Garde gedrungen ist. Wenn man bedenkt, daß die offen« revolutionäre Bewegung schon seit mehr als zwei Jahren im Flusse ist, und daß in diesen Jahren Tausende und Aber tausende jüngere Leute, die an der Revolution direkt teil genommen haben, in die Armee eintreten mußten und dort ihre Ideen unter ihren Kameraden verbreiteten, so wird man sich leicht eine Vorstellung davon machen können, wie groß die Gärung in der russischen Armee sein muh. Es ist eine jetzt unbestreitbare Tatsache, daß die Armee nichts we niger als eine unbezwingbare Stütze des russischen Thrones ist. Wenn die Ausständigen bisher nicht gesiegt haben, so ist das nur auf die mangelhafte Organisation unter ihnen zurückzuführen. Von dieser Seite droht der Wiederherstel lung der Ordnung und der Reformarbeit jetzt die größte Ge- iahr. Noch ist es immer und immer wieder gelungen, die Meutereien zu unterdrücken, aber sie sind fortgesetzt blutiger und, hartnäckiger geworden, und darin zeigen sich die Fort schritte, welche die revolutionäre Agitation in der Armee macht. Geht das so weiter, so wird selbst die Errichtung der Militärdiktatur nichts mehr helfen, und es bleibt viel leicht tatsächlich nur das übrig, wovon in den letzten Tagen schon die Rede war: die Abdankung des Zaren! Deutsche Auswanderung im Jahre 1905. Die Zahl der deutschen Reichsangehörigen, die der Heimat den Rücken kehren, um in der Ferne, weit über See, ihr Glück zu suchen, ist, seitdem sie im Jahre 1882 den unverhältnis mäßig hoben Stand von 203 585 Personen erreicht hatte, bedeutend zurückgegangen. Während noch im Jahre 1882 auf je 100000 Deutsche 455 Auswanderer gezählt wurden, kamen von den insgesamt 28075 deutschen Heimatsmüden im Jahre 1905 auf jedes Hunderttausend der deutschen Gesamt bevölkerung nur 47 Auswanderer, also kaum mehr als der zehnte Teil. Das absolut größte Kontingent an Auswanderern stellte von allen deutschen Bundesstaaten naturgemäß Preußen, bei dem auf je 100000 Einwohner 44 Auswanderer entfielen, also weniger als der Durchschnitt. Am wenigsten wohl scheint sich in Preußen die Bevölkerung der Provinz Posen zu fühlen; dort entfallen auf je IM 000 Einwohner nicht weniger als 154 Auswanderer. Weit bester sind offenbar die Schlesier daran, von denen insgesamt nur 680 über See eine neue Heimat gesucht haben, was einem Durchschnitt von nur 14 Auswanderern auf jedes Hunderttausend der Bevölkerung entspricht. Auch die königlich preußischen Sachsen verspüren anscheinend nur geringe Neigung auszuwandern; nur 20 von je IM MO haben im Jahre 1905 ihr Lebensschifschen über See gelenkt. Die höchste Zahl von überseeischen Auswanderern haben von den preußischen Provinzen nächst Posen die Pro vinzen Hannover und Westpreußen mit 82 und 81 Auswan derern auf je IM 000 Einwohner zu verzeichnen. Rheinland mit 25 und Ostpreußen mit 27 Auswanderern auf 100 MO Einwohner sind diejenigen preußischen Provinzen, die nächst Schlesien und Sachsen die wenigsten Landeskinder durch überseeische Auswanderung eingebüßl haben. Äon den nichtpreußischen deutschen Bundesstaaten hat Bremen die höchste Ziffer aufzuweisen, stellt sich doch dort der Durchschnitt mit 243 auf mehr als das Fünffache des Durch schnittes für ganz Deutschland. Auch Hamburg schneidet nicht sehr günstig ab, wenn es auch mit seinem Durchschnitt von 93 weil hinter Bremen zurückbleibt. Von den größeren deutschen Bundesstaaten weist Bayern mit 46 ungefähr den Durchschnitt des deutschen Reiches auf, Württemberg mit 52 überschreitet ihn, Oldenburg mit 89 am bedeutendsten. Unter dem Durchschnitt von 47 Auswanderern auf 100 000 Ein wohner blieben das Königreich Sachsen mit 36, Baden mit 37, Hessen mit 30, Elsaß-Lothrinaen mit 32. Die wenigsten Einwohner hat das Herzogtum Anhalt an das überseeische Ausland abgeben müssen. Dort kamen auf je IM MO Ein wohner nur 17 Auswanderer. Unter den Zielen, die sich die deutschen Hcimatsmüden gewählt haben, war das häufigste wie in allen früheren Jah ren auch 1905^ das ^Land^ der^ unbegrenzten Mög^schkezten. haben nicht weniger als 26 005 im Lande der Bankers ihre neue Heimat gesucht. Nur 333 hatten sich Brasilien, 924 andere Länder Amerikas, 84 Australien und 57 Afrika als Wanderziel gewählt. 672 Deutsche endlich sind nach Eng land ausgewandert. Ob die Abnahme der Auswanderung für das Heimatland der Auswanderer erfreulich ist oder nicht, darüber gelten die Meinungen auseinander. NeuerdineB neigt man vielfach der Ansicht zu, daß die Heimatflucht ein so aroßes Uebel nicht ist, wie man früher glaubte. Wohl gehen dem Nationalvermögen und dem Nationaleinkommen erhebliche Summen verloren, aber es ist sehr wahrscheinlich, daß dieser Nachteil durch man cherlei Vorteile weit überwogen wird. So verdankt der deutsche Export nach vielen überseeischen Gebieten seinen Aufschwung den Bemühungen und Bedürfnissen der deutschen Einwanderer, die sich dort niedergelassen haben, und ebenso trägt die Auswanderung eines Landes zweifellos erheblich zur Hebung seines politischen Einflusses im Auslande bei und verschafft ihm Möglichkeiten, seine Beziehungen immer weiter auszudehnen. Immerhin läßt die Abnahme Auswanderung auch einen günstigen Rückschluß auf wirtschaftliche Lage eines Landes zu. „Gräfin Urne" vollzieht ihn. Sie liebt den Komfort um seiner selbst willen, und die leblosen Dinge spielen eine große Rolle in ihrem Leben. Sie erscheint kalt, fast geschlechtslos in ihrer egoistischen Selbstbewunderung, in welcher sie sich selber fast wie ein Kunstwerk, geboren aus dem Geist einer alten Raffekultur, betrachtet. Die anderen Mensck»en sind ihr nur eine Stimmung, und von all ihren Verehrern l»eiratctc sie schließlich den Liesten und vornehmsten. Aber es kommt die Zeit, wo ihr Leben leer und wie ein schleichender Mord, wie ein Rundtanz um das Glcichgiltige erscheint. Dann kommt ihr Stiefsohn ins Haus, ein unberührter, unerfahrener Junge. Sic möchte diese Unberührtheit bewahren. „Wer unbemerkt ivar aus dem ursprünglich reinen Gefühl durch die ewige Räbe die unnatürliche Leidensckxffl geboren, in der die Gräfin sich selbst verliert." Aber sie genießt das Phädra- olück nur in der Phantasie, während der Hgmpf gegen die Leidenschaft ihre Kräfte aufrcibt und die Träume des Mor phiums ihren Geist immer dichter umhüllen. In dieser Periode seines Schassens, der auch die „Er- zentrisclpm Novellen" angehören, ist die Liebe für Bang die große Zerstörerin und das Geschlechtsleben ein stummer Kamvf Zwischen dem Bewußtsein des Bcrstricktsein und dem Trieo, sich selbst zu behaupten. ..Moloch oder Venus vietrix: ich möchte wissen, wem von beiden die meisten Menschen neopscrt worden sind." Und daS Leben selber ist nichts als Ruin und Zerstörung. Ein furchtbarer Ekel vor der Wirk lichkeit und eine Sehnsucht nach einer großen Schönheit zieht zielsi sich als Unterstrom vor allem durch die Blätter der „Exzentrischen Novellen"; eine Furcht vor der Wirklichkeit, wie sie die „sehncnstarken und geschmeidigen" Artisten, di« Bang mit hervorragender Kunst zu schildern weih, vor den Frauen empfinden, als vor mystischen Feinden, die auf der Lauer liegen und nur geboren sind, ihren Kräften nachzu stellen: Feinden, denen sie Mießlich dennoch, grollend, unterliegen. In den „Exzentrischen Novellen" sind drei Geschichten von solchen, die am Leben und seinen Trieben scheitern, zwei andere entgegengestellt, die von Mensclnn bandeln, die daS Leben, nach dem sie sich sehnen, n-r von fern« vor übertreiben sehen. Es ist schmerzlich, zu sehen, wie sie sich mühselig durch di.- Oed« ihrer Taz« ;chl«pV«a; wie auch d:e eitle, dekadente Lebensdeserteure, deren Phantosieleben noch mächtig ist und sich ins Maßlose steigert; denen aber das Schreckgespenst des Unvermögens den letzten kargen Rest von Energie lahm legt. So ist William Högh in den „Hoffnungs losen Geschlechtern". Ein Hang zum Exzentrischen, der dem ganzen Geschlechte eigen war, artete bei dem Vater schon in Wahnsinn aus. William aber ist nur ein Träumer- aber ein Träumer, der in den Ausgeburten seiner Einbildungs kraft nicht Maß noch Ziel kennt, und dem alle Vorkommnisse der Wirklichkeit sich gleich ins Uebergroße ausweiten. Er sieht ein Ziel, mit dessen Erstrebung er dem Rühmesbuch« seines edlen Geschlechtes, bevor es geschlossen wird, noch ein neues Blatt hinzufügen will; und für diesen Lebensplan ctzt er sein« ganze oervöse Spannkraft ein, die bei ihm die ge- unde Energie anderer Jünglinge vertrat. Er kämpfte mit einer eigenen Natur,bis aufs Blut. Aber wie er sein Ziel in übertriebenen Maßstäben sieht, vergrößert er sich ander seits auch die Gefahr, die seinem Vorhaben aus seiner ner vösen Beanlagung erwachsen könnte. Und als er den ersten Schritt zur tatsächlichen Ergreifung seines Ideals tut, ver sagt er. „Während er seinem Unvermögen ins Antlitz starrte legt sich die Lähmung, dieses fürchterliche Müdigkeitsgefühl wie ein Tuch über ihn." Und wie sein Ehrgeiz groß war, Tv unermeßlich ist jetzt s«inc Verzweiflung. Die ganze Sttm- mung seines Daseins konzentriert sich ihm zu einem Gedicht, in dem seine Freunde em Zeichen der Hoffnung erblicken Er aber weiß klar, daß es nur das End« ist. Für den Dekadenttyvus, den Högh darstellt, ist sein Ver hältnis zur Gräfin Hatzfeld, bei der er nach seiner Nieder lage den Rausch des Vergessens sucht, beleuchtend. „Er sah, daß er nie ein Mann in dieser Liede war, daß er schwach und machtlos, ein Sklave war." Das ist bereits der Punkt, bei dem die Umkehrung der Geschlechter beginnt: wo die Rollen ausgewechsclt erscheinen: der Mann immer passiver werdend, sklavischer, in fruchtloser Auflehnung; das Werd herrisch und begehrend und voll Zerstörungsgier. Dem Träumer, den seine gesteigerte Sensibilität zur Wirk. IichkeitSslucht treibt, ist gewöhnlich auch ein besonders starke« PersönlichkeitSbewußtsein, ein übertrieben aristokratisches Tistonzgesüdl eigen, und von hi«r bis zum Kult d«S Ich, der den Lgo:SmuS zur Religion macht, ist nur cm Schritt. Tie
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