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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 16.11.1906
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1906-11-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19061116015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1906111601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1906111601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1906
- Monat1906-11
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l7'""" IO D» KeftGs uud tz« d« H«pt- Elpedttt« ed« d«u LuSgabtttell« «b- stcholl »muotttch: RuSgat« (i »al »Sgs«ch) 70 Vß, A-S«b« S sft mtt tägttch) 80 W„ btt Zukttl«- t" Hau« «»-gab« 4 80 W» «»«gab, ö 1 Wärt. Lurch »»Irr« aus- wWig« AuS-adestellea uud durch dte Post dezoge» (1 »al täglich) für Peutlchlaud uud O«ft«mtch «oaattich 1 Mark, für di« übrig«, LLuder la»t ZettuuasprrtStiste. Litte «Nunu« tostet a»1 -äd ed»^ all«, vahuhSfeu uud bat III Hs d« ZtttungS.Askauf«» KV ReSaMu» »»» EllOe-tttor 8ada>uli-ga8« b> Atteph« Kn ILst «n« Kn UTL Leest» »V. 7, Vrt,»-L«ch» S«dt»aNd- Straß« 1. Teleph« I. Sir. -L7L Morge«-A«Sgabe v. MpMrr.TilgMaü Handelözcitung. Ämtsvlatt des Astes rmd des Netizeiamtes der Ltsdt Leipzig. A«zeiae«-VreiO dl« SgrspaUeue Petilzeitr für Geschäft» tusrrotr «» Letvzig u»d llmgebuua LS Pf.. Familie DohnuugS- u. Ktelleu-Nuzrigrn. " fowt« La» und Bertäusr 20 Pf, finanzielle Anzeige» 30 Pf, für Jnjerate von au-wärl- 30 Ps. Reklamen 75 Ps, uuSwärtS t Mark. Beilage» gebüdr4 Mark p. Lausend r»kl. Postgebühr. Gkschäft-anzeigrn aa beoorzugler Stell« im Preise erhöht. Rabatt nach Tarts. Anzeigen-Annabme: AugustuSpla» 8, bet lämtlichen Filialen n. allen Aanoucrn- ikrpeditioarn des In» und Auslandes. ür das Erscheinen an bestimmten Tagen u. stützen wird leine Garantie übernommen. Haupd-Ftltale verltu: CarlDon cke r,H«rzgl.Bayr.HosbuchhandIg., Üützowslraße 10 «Telephon Vl, Nr. 46031 FUial-Sxpedittau Dre-dan-Marieustr 34 Nr. 51t. Freitag 16. November 1906. 10V. Jahrgang. Var Mchtigrte vs» rage. * Der Reichskanzler Fürst Bülow batte beute aachmiltagein« langer« Besprechung mit dem österreichisch ungarisch« Minister Baron von Aehreathal. AbenvS -»/« Uhr reiste der Minister vou Berlin ab. * Dem Reichstag ging gestern eine neue Folge der Denk schrift deS großen Generalstabes über den Aufstand in Dmttsch-Südweftafrika zu. sS. Letzte Dep.j * Der Bizeprästveut der Ersten .Lämmer, Graf Bod - «an» ist in der Nacht auf den 15. November uach längerer Sraalheit iu Sonst auz gestorben. * Der schweizerische Nationalrat bat den schweiterisch-spautschen Handelsvertrag mit 118 gegen 37 Glimmen genehmigt. * Ja Jamaika ist eia heftiger Erdstoß »erspürt Word«. , * Die Pforte beretlet eia euergischeS Einschreiten gegen di« griechische» Konsulate vor, der« Mitschuld an de« griechische» Bandenwesen aa eine« Falle i» Gere« er« Lese» ist. ver erste Lag üer ualisualen Opposition. Wen» am Mittwoch so unendlich viel um daS Thema de» Lage» herumgeredet worden ist, so trug vielleicht die Fassung der Interpellation dazu bei, die nur andeutete, worauf eS eigentlich aukam. Der Interpellant freilich holte in seiner Begründung nach, wa« die Anfrage selbst versäumt hatte. Er sprach von der „offiziellen Leitung und der tatsächlichen Leitung-, kritisierte, „daß unsere Politik, auch die aus wärtige, vielfach der Ruhe und Stetigkeit entbehrt, daß Schwankungen hervorgerufeu werden durch persönliche Sym pathien und Antipathien", und „daß Verstimmungen hervor- «rufen werd« in Deutschland wie im Auslande durch Rede» und, Depeschen, die durch Liebenswürdigkeiten dänu nicht wieder ausgeglichen werde» könne», weder durch Statue», noch durch Lhrensäbel". Aber -»nächst we»igstenS konnte Fürst Bülow doch so tun, als nehme er die Inter- pellation wörtlich. Womit er denn auch schon de» bequemen Ausweg auS der Situation gefunden zu haben meinte: Er redet« über die auswärtige Lag« und ging auf den Kern der Sache, auf die absolutistischen Neigungen in unserer Politik vorerst überhaupt nicht ei». Daß trotzdem sein überaus breit angelegtes, mit allerlei Reminiszenzen durchsetztes und überhaupt feuilletonistisch brillierendes ExposS eine Menge interesfanten Stoff bot, daß er auch daS allgemein Bekannte noch in reizvoller Form zu bieten verstand, das macht dem politischen Kauieur Bülow alle Ehre. Nur darf mau nicht erwarten, irgendwelche Aufschlüsse in der Rede zu finden. Mit Frankreich stehen wir nicht gut, hatte Herr Bassermann gemeint. Ja, das kommt von der Lebhaftigkeit de- französischen Patriotismus, den man je nachdem über trieben« Eigenliebe oder nachahmungswürdigen National- stolz nennen kann, antwortete der Reichskanzler. Folgt eine persönliche Reminiszenz an den „großen Franzosen" L4on Gambetta, der zu dem jungen Botschaftssekretär Bülow „menschlich gut und freundlich" war. Sehr nett, ohne Zweifel. Aber waS soll eS unS? Das paßte doch viel besser in di« unvermeidlichen Memoiren. Darauf wird uns noch eine lange historisch« Betrachtung über die Schäden der Zer rissenheit der früheren Deutschlands und den Vorteil der französischen Einheit expliziert. Auch ein hübscher Vergleich fehlt nicht — der Marmorblock Frankreich und die Mosaik platte» Deutschland und Italien. Aber wo bleibt die Ant wort auf den Borwurf des Absolutismus? Nur Geduld. Der Kanzler kommt jetzt auf die modernen Bündnisse zu sprechen. Er spricht noch immer nach vem berühmten Rezept deS Staatsmannes Caprivi. Die französisch-russische Allianz alS „ein Gewicht, daS auch zum regelmäßigen Gang der Weltuhr beitrug". Und von der englisch-französischen En tente cordiale hofft der Kanzler, dasselbe sagen zu können. Also weiß er «S doch nicht so ganz bestimmt, meint sogar, wenn sie de» Zweck haben sollte, Deutschland einzukreisen, so wäre da- eine für den Frieden sehr bedenkliche Politik. Also doch! Ja, um Himmel-Willen, diese Dülowsche Entdeckung ist ja gerade das wichtigste Moment der Beunruhigung. Allianzen urst> Entente» werden doch nicht nur für die guten Tage, sondern noch mehr für die bösen geschlossen. ES ist ganz allgemein die Auffassung, und zwar in ganz Europa, in der ganzen Welt, daß unS ei« systematisch gezogen« Ring von Koalitionen umschließt, zu dem heimlichen ob« auch ausgesprochenen Zweck, unsere Bewegungsfreiheit im Friede» «ipzuengea und u»S i« Falle kriegerisch« Verwickelungen zu ersticken. Deshalb ist auch mit unS die Welt der Auf- fasst«-,, der alte historische Gegensatz -wische» England und Frankreich, der noch in gar nicht all-uveit zurückliegender Zeit -» einem Faschoda sichre» k»»»te, wäre nie so völlig über brückt Word«, wen» diese beide» alte» Gegner sich nicht in der gemeinschaftlich« Abneigung gegen Deutschland gefunden hätte». Und deshalb ist der Vorwurf begründet. Die dmstsche Politik hat die Leid« versöhnt und eine neue Koalition mkt a»tid«tscher Spitze beschaff«. Mit einer gewiss« Berechtigung hätte der Kanzlet hier frag« S»»«: WaS hab« wir getan, um die Engländer und Franzos« « erzürn«, ntt> wat hätten wir tu» könne», um itetzßdtwnte zu verhinderns Hier ist vielleicht ei»e Passer- macktsche Litte auSznfülla. Soviel ist richtig, daß »»S nir- «td» feindselige Handl«»,« oder auch n»r feste Plä»e zu» Schade» fremder Ratto»« vorWeworf« »erd« könnt». Ob da» vom deutsch« Standpunkte aut ei» so schrecklicher vor- U^Gstre M hier uuervrMrt bleibe«. Aber daß wird auch kN? «3 damit sind wir auch wieder beim Kernpunkt der ganzen An- l gelegenheit angelangt. Richt unser Tun macht unS miß-! liebig, sonder» unser Gebaren. Die ganze Welt hat den Ein- s druck, als ob wir überall Umtriebe anzettelten, Friedens störer spielten und irgendwelche unbekannte, aber grandiose und gefährliche Pläne hegten unk förderten. Denn die Leute, selbst diese impulsiven Romanen, können sich nicht denken, daß wir unsere Politik nur mit dem Munde treiben, ohne daß reale Absichten dahinterstecken. Wenn vir verkünden, daß keine Entscheidung in der Welt fallen soll, ohne daß wir unser Plazet dazugegeben haben, so muß doch das die frem- den Nationen stutzig und störrisch machen. Also weShalb müssen wir immer die Leute verdrießlich machen, wenn wir nicht einmal den kleinsten Vorteil dabei beabsichtigen? Dar auf ist Fürst Bülow die Antwort schuldig geblieben. EL ist merkwürdig — jedeSmal, wenn der Kanzler theo retisiert, kann man ihm uneingeschränkt zustimmen. Und sobald er auf konkrete Dinge zu sprechen kommt, muß man opponiere». Au-gezeichnet war, waS der vierte Kanzler über den ersten sagte. Wie jetzt, »ach alter deutscher Un tugend, Fürst BiSmarck -um System erhoben wird, und wie da- Zitier« BiSmarck» nicht nur zur Manie, sondern schon zur Kalamität geworde» ist. ES klang auch sehr freimütig, alS der Kanzler sagte, vir seien in Deutschland zu nervös geworden, „oben und unten". Aber wie fand er sich den» endlich mit dem diplomatischen Uebel und dem „persönlichen Regiment" ab, da» den Schluß seiner zweiten Rede bildete und da» Mittelstück der ersten hätte bilden sollen? Ueber die wunderschönen Prinzipien Lei der Auswahl unserer diplo matischen Vertreter haben wir schon einiges gesagt. Nur sei noch gefragt, wie es denn bei der dem Fürsten Bülow von ihm selbst attestierten „erschrecklichen Vorurteilslosigkeit" kommt, daß kein einziger Bürgerlicher auf irgend einem her vorragenden diplomatischen Posten sitzt? Theorie und Praxis! Und nun zum Thema vom persönlichen Regiment. Wiederum war alles ganz ausgezeichnet, freimütig unw vor urteilsfrei, was der Fürst als seine Grundsätze stabilierte. „Eia Kleber bin ich nicht." Er kann sich auch denken, „daß ein Minister finden kann, daß ein zu häufige- persönliches Hervortreten des Regenten, daß ein zu weit getriebener monarchischer Subjektivismus, daß ein zu häufiges Erschei nen deS Monarchen ohne ministerielle Bekleidungsstücke in der Oeffentlichkeit dem monarchischen Interesse nicht zuträa- Üch ist." Aber er k«m «H sich unr „deuken". Erfaß- rangen hat er »och »ichit sammel» W»»e» in der Be ziehung. ÄuSg-schloss«! «Der Kaiser bleibt immer in den Grenz« der Verfassung. Und übrigen» will auch das Volk keinen Schattenkaiser, sondern einen vo» Fleisch und Blut. Also haben alle Klag« über Absolutismus keine Berechti- gung und sind nur auf Uebertreibuug« -nrück-uführen. Dixit. Der verblüffte Zuhörer faßt sich Lei dem elegant« Salto vom BerfassungSkaiser zum Schattenkaiser an den Kopf, schaut seine Mitmenschen aa, die sich auch alle an den Kopf fassen, und muß dann über sich selbst lächeln. War er nicht ein reiner deutscher Tor, daß er im Innersten seiner Seele etwa» anderes erwartet batte? Konnte dieser Kanz ler de» Dentschea Reich» und Sr.Maj. Wilhelm» H. über haupt ander» rede»? Wa» sollte er denn sagen? Vielleicht: Ja, meine Herren, eS ist richtig, der Gang der Politik wird vielfach plötzlich unterbrochen und geändert durch unbe rechenbare und auch mich meisten» überraschende Willens- kunhgebungen deS Kaiser»? Oder etwa: Natürlich sind diese viel« programmatischen kaiserlichen Rede», diese un- beraten« Telegramme nicht immer heilsam, und ich habe alle Hände voll zu tun, um wieder einigermaß« einzu- reuke», waS durch sie au» dem Leim gegangen ist? Keine oierundzwanzig Stunde» hätte die Kanzlerschaft de» Fürsten Bülow nach solcher Rede noch gedauert. Jeder Zeitungs- leser könnte den Fürst« mit Lundert unleugbaren Tatsachen widerlegen, könnte von dem Krüger-Telegramm anfangen und brauchte mit der Goluchowski-Depescke noch lange nicht aufzuhören. Und der Kanzler könnte nichts darauf sagen al»: Die Verfassung ist nicht verletzt. Stimmt vorläufig, stand aber nicht zur Debatte. * - * De» zweite Lag. Berk«, 15. November. sTelegramm.) Der -weite Lag der Bassermann-Jnterpellatio» fiel gegen de» ersten ungefähr so ab, wie eben Herr v. Tschirschky und Bög«dorff gegen d« Fürsten Bülow abfällt. Seine Rede war ein Pendant zu seinem bekannten parlamenta risch« Debüt, und ist mit den Worten erschöpft: Ich besitze keinen anderen Ehrgeiz, als ein getreuer Mitarbeiter de» Reichskanzlers -u sein. Herr Liebermann v. Sonnenberg brachte einige kleine Bosheiten gegen die Nationalliberalen vor, Herr Gothein tat desgleichen, und auch Herr Zimmer mann ist mit Nennung seines Nam«» erledigt. Es bleibt also vorerst bei dem, WaS über den ersten Tag geschrieben wor den ist. Der Reichskanzler war überhaupt nicht da ftr hatte eine plausible Entschuldigung iu der Anwesenheit Aehren- thalSf, und auch Herr Dernburg zog sich bald zurück, so daß schließlich nur der gute geduldige Freiherr v. Stengel den überaus interessanten Wahlprüfun-Sdebatt« zuhörte. Daß daS Resultat der Debatte erschütternd gewesen wäre, kann nicht behauptet werde». Ob sie Gutes wirken wird, muß »an abvarten. Ater «i»S jedemfalls hat man auS ihr gelernt. Sollte eine Wiederholung har Demonstration nötig sei», so wird »an direkt auf daß Ziel loSgehea und dem Kanzler die AgSwege verleg« nM«. Dan» muß der T«»t der Interpellation wie ihre Begründung so unzwei deutig sei», daß der Kanzler Farbe bekenn« muß. Und schließlich wird eS Mtz sL daß der Interpellant f-ststellt. ob und wieweft er t» da» LuSkunft de» Kanzler» auch eine Antwort «f hi« gttMkw Frage sehen ka»n. Ma» wird vorläufig als» daS ErgehttS der Aktion n»r mit gemischt« Gafühl« brachte» wäme». Uber al» Anfang und erster Schritt einer konsequmtt d»rchgefllhrt« Aktion mag «S gelt«. sBgl. Le» Sitzungsbericht in der 2. Beilage.) I« Anschluß « kitte AugfühnuW« sei hinaewirsen a»f Ä^SsiLäasL »« H-rfchiedeK» Richt»»» UvTik VLßOWG WchWVE NUvßL, Die „Kreuzzeitung" schreibt: „Fürst Bülow zeigt in Weise und Haltung ganz die Frische unv Spannkraft von ehedem. Da- ist die nämliche kühle Ruhe uud reife Abgeklärtheit im Vortrag, dieselbe Schlagfertigkeit in der Debatte." Die „Post" erklärt: „Mit Recht hat die Reich-Partei den Reichskanzler ibres Vertrauens ver sichert. Zn seiner Rede hat Fürst Bülow bewiesen, daß er dessen zur Zeit völlig würdig ist; er blieb vollkommen Herr der Situation." Dagegen meint die „Deutsche TageS- ltg.", so recht freudig aus dem Herzen hätten des Kanzler« Ausführungen diesmal mcht geklungen; der Ernst der poli tischen Weltlage Ipiegele sich in dem Ton der Rede. Die „Berl. N. N." sieben nicht an, zu erklären, daß die Debatte ohne erhebliche» Schaden hält« unterbleiben können, sie bade nickt da- herrschende Unbehagen zu mindern vermocht. Die „Tägll Rundschau" dagegen sagt, sicher habe Fürst Bülow mit seinen Darlegungen mehr Schwarzseher gebannt, al» der Kaiser mit seiner Breslauer Tischrede, wenn wir auch nicht alle Schatten gebannt jeden könne». Die liberalen Blätter betone« die Unzulänglichkeit, die di« Bülowsche Antwort auf BassrrmanuS Kritik am allzupersönlichen Re giment de» Kaiser- gegeben habe. Hinsichtlich der Lage der auswärtigen Politik stimmt die „Vos tische Zeitung" Bülow darin zu, daß e» auch zu Bi-marcks Zeiten zeitweise eine ähnliche Jsolieruaa Deutschlands wie m der Gegen wart gegeben habe. Der „Vorwärts" steht die ganze Debatte al- eine „Pose der liberal« Opposition" an und urteilt über sie, daß sie gegen da» „persönliche Regiment" „kläglich verpufft" sei. Interessant »st aber vor allem da- Urteil der AuSlandS- preffe. Die Pariser Blätter publizierten schon gestern früh an leitender Stelle die Rede de- Reichskanzler- Fürsten Bülow, welche im Publikum überaus lebhaft besprochen wird. Der „Figaro" schreibt: Fürst Bülow hat dem Reichstage gezeigt, daß er sein geistvolles Redner talent wirdergesundr« Hal. Ec hat lange über die Be- zieduogen Deutschland- zu Frankreich gesprochen und diesen delikaten Gegenstand mit ebensoviel Takt wie Courtoisie behandelt. Jeder französische Patriot muß mit den vom Fürsten Bülow ausgestellten Grundsätzen übereinstimrncn. Der Reichskanzler hat in seiner Rede den Franzosen auch einige Irische Blumen und selbst einen Jmmortellenkranz dargeboten, ein Lob de» srauzösilchen Rationalgerste» und dessen tiefer Hilfsquelle« und eure Huldigung der Vaterlandsliebe Gam- betta». Nock mehr, als für diese Liebenswürdigkeiten, muß man dem Fürsten für seine sehr aufrichtigen Erklärungen Dank wissen. Er hat ohne verletzende Absicht, aber offen, von 1870 gesprochen, und dadurch, daß er sich erinnerte, ver kündet er da- Recht der Franzosen, nicht zu vergessen. Bolle Zustimmung muß man der Erklärung de» Reichskanzler- geben, daß die beiden Völker, die sich auf industriellem und finan ziellem Gebrete begegnen, sich vielleicht eines Tages über diese oder jene Kolonialsrage verständigen könnten. Der „Matin " schreibt: Vielleicht zum ersten Male seit 35 Jahren hat ein deutscher Staatsmann versucht, vor Deutichen die Gründe klarzulegeo, welche die Kühle und Uner>chünerlichkeit Frank reichs rechtfertigen» und er hat diese Gründe beinahe an erkannt. Da- Geschick Hal bestimmt, daß Deutschland und Frankreich in diesem alten wurmstichigen Europa nebeneinander leben müssen. Jeder Franzose wünscht aufrichtig, baß diese- Nebeneinanderleben korrekt uud böslich sei. Der „Petit Parisieu" meint, wen» man die Rede des Reichskanzlers mit de» jüngsten Ansprachen der englischen Minister unv der Er klärung de- Ministerium- Clsmenceau zusammenhalte, so müsse man daran» schließen, daß der euroväische Friede wesentlich befestigt sei. Ja ähnlicher Werse hebt der „GauloiS" die FriedenSversicherungeu in der Rede des Reichskanzler- hervor. In London wurde gestern Bülows Rede als Stadt ereignis betrachtet und dementsprechend behandelt. Sämt liche großen Morgendlätter veröffentlichen eingehende Berichte der Rede, die außerdem rn den Leitartikeln besprochen wird. Im allgemeinen scheint der Eindruck der Rede ein mäßig aüustiger z« sein. Man stimmt der Behauptung zu, daß Deutschland im Besitz seiner Armee unmöglich isoliert werden löaue. Der „Standard"schreibt, wenn Deutschland ganz allein und einsam stände, würde seine Sicherheit nicht im geringsten bedroht sein, denn keine Macht hätte je daS Bedürfnis, einen Angriff mit der deutschen Armee aufzunchmen. Die „Morgenpost" bespricht die Rebe mehr im kritischen Sinne. Fürst Bülow habe sich in der Vergangenheit als Englands Gegner enthüllt und sei deshalb vielfach für die Verstimmung zwischen Deutschland uud Euglanv verantwortlich. Bülows Ausführung« über die deurich-englischen Beziehungen seien in mancher Hinsicht irresührenv. „Daily Telegraph" urteilt für Bulow sreuadlich dahin, daß die Rede nicht wie der Schwaoengesaug eines Minister» erscheine. Habe er wirklich sttue Meinung offen gesagt, dann drohe Europa keine Friedensstörung. Die österreichische Presse ist von des Reichskanzlers Ausführungen hoch erfreut, namentlich wegen der Anerkennung der Haltung Oesterreich» in Algeciras und de- Versprechen«, «an werde Treue mit Treue belohnen. Nur ein böser Wicht könne der Red« Glauben versagen. Die Stelle in der Rede des Reichskanzler- Fürsten Bülow, die sich auf Ungar» bezieht, erregt iu Pest besondere Auf- merktamkit und wird lebhaft besprochen. Der „Pest er LloKK" fchrmbt: Sehr wertvoll i>t da- von kompeteutestet Stell« errate Desaveu jener Unterstellungen, die sich bei uns i» vorkrueguchster Weise zur Geltung gebracht und dazu geführt Hatz«, daß nicht nur Stimmung gegen da» Bündnis mit Dentfchktnd gemacht, sondern auch der regierenden Hariri t» Ungar», der Koalition, ja selbst den eiazelnr» Münster» de» gegenwärtigen Kahmett« zu- armutet wrrrd«, man müsse schon an- Gründen nationaler .Selbslachtnuu und, um die Interessen de- ungarischen Staate« kräftiger watzren zu können, von diesem Bündnisse sich je eher abwend«. Nun, gegen unsere nationale Selbstachtung wird v« Deutschland her nicht da» mindest« gesündigt. Wenn wir da» Jnterttse Ungarn«, am beste» auf der Grundlage »er pragmatische» Sanktion, als» im Eiaveruebmeu mtt Oesterreich, wahr«, dann kann e» am sicherst« und wirk samst« a»ch nur mit einem vündui» mit Deutjwland attchche». — Der „Budapest» Hirlap" schreibt: Fürst Bülow sprach u»S a»S der Seel«, iodem er »« Wunsch a»s- drückte, daß sowohl Oesterreich wie Ungarn sich jeveS uack> seinem spezifischen Charakter und seinen Bedürfnissen ent wickeln möae. Ueber die Auffassung in Italien erhalten wir daS nachfolaende Privattelegramm: vk. Rom, 15. November. (Privattelegramm.s Politische maßgebende Kreise und die gesamte Presse betonen die fried fertige Intention der Rede Bülows, durch welche die inter nationale Spannung gemäßigt werde. Die Italiener könnten mit ihr zufrieden sein, nicht allein wegen der Anerkennung der ausgemachten Grobmachtstellung Italiens, sondern auch der Loyalität der italienischen Politik, die die Konse quenz sei von Italiens Stärke und zugleich seiner Absicht, den Frieden und das europäische Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Vie vriickre r«r vemänäigung. Bei der alljährlichen Etatberatung kehrte in die fran zösische Deputiertenkammer mit der peinlichen Regelmäßig keit des Mädchens aus der Fremde ei» Antrag ein, das KultuSbudget durch einen Federstrich aufzuheben. Das ebenso regelmäßige Ergebnis war das von den Antragstellern erwartete: der Antrag wurde mit großer Mehrheit abge- lehnt. Es dachte eigentlich niemand im Ernste daran, daß jemals eine andere Zeit kommen werde. Die andere Zeit kam. Freilich erfolgte die Beseitigung der Stoatsbeitrage für kirchliche Zwecke auch jetzt nicht durch eine gelegentliche Abstimmung über ein Budgetkapitel oder über einen Initiativantrag, sondern durch eine planmäßige Gesetzgebung einer überaus kirchenfeindlichen Regierung. Es war ein ehemaliger Geistlicher, der das gewaltige Re formwerk mit der persönlichen Leidenschaft des Abtrünnigen betrieb: der alte Combes. Hätte er ganz allein vorgehen dürfen, so wäre wahrscheinlich sehr kurzer Prozeß gemacht, der Kirche nicht bloß ihre Subsidien ohne Abfindung, ohne Uebergangs-eit hinweodekretiert, sondern auch ihre Güter entzogen, wie in der fröhlichen, seligen Konventszeit. Aber dem brutalen Jakobinertum fiel ein Mann in die Zügel, von dessen Parteicharakter man sich einer ge mäßigten Haltung nicht versehen hatte: der Sozialist Briand. Mögen staatsmännische Erwägungen, mag ein leb- Haftes Gefühl für Ansprüche der Billigkeit ihn bestimmt haben: Briand mäßigte als Ausschutzoerichterstatter den Fanatiker vom Ministertisch. Das TrennunaSgesetz kam in einer Form zustande, die der Kirche ihren Fortbestand er möglichte. Freilich wollte das die Kirche nicht eingestehen. War auch ihre materielle Lage gesichert, so hatte man doch dieses Zugeständnis an eine Förmlichkeit geknüpft, die von ihr als eine Demütigung betrachtet wurde. Sie sollte ihre Ge- meindeverfassung in einer Weise ändern, die nicht nur als Reverenz vor einem ministeriellen Geßlerhut aufgefaßt wurde, sondern auch tatsächlich eine Verlegung des Schwer- gewichtes der Machtlage in die Laienschaft zu enthalten schien. Die „Kultusgenossenschaften" wurden vom Papste ver worfen. Man durfte für den 11. Dezember dem Schauspiele entgegensetzen, daß alle kirchlichen Anstalten, Pfarrhäuser und Kirchengebäude in den Besitz der politischen Gemeinde tzinübergeführt wurden. Die würden sie dann zum Teil für ihre Zwecke verwandt, zu einem andern Teil wohl auch an Private verhandelt haben. Wo jahrhundertelang nur die heiligsten Namen vernommen wurden, da hörte man dann vielleicht den Jargon der Trinksitten: auch in Deutschland kommt so etwas vor, als Erbstück der napoleonischen Um wälzung. Dem französischen Episkopat war die Entscheidung des Vatikans nicht ganz recht. Man hatte freilich die gottes bauslose Zeit nach 1792 ausgezeichnet überstanden: die Kirch« war durch das Konkordat des großen Kaisers fast zu ihrer alten Herrlichkeit zurückgeketzrt. Schlimmeres konnte schein bar auch jetzt nicht kommen; nicht einmal von der Guillotine war diesmal die Rede. Aber daß es nicht s o schlimm wer den würde, das war gerade das Schlimme! Auf die propa gandistische Kraft des blutigen Martyriums mußte ver zichtet werden: für das Martyrium des Küchenmeisters Schmalhans hat die Welt nun einmal geringeres Interesse. Außerdem aber wußte das Episkopat besser als Rom, daß der Zusammenhang mit dem kirchlichen Leben inzwischen intensiv und extensiv abgenommen hatte. Das Ministerium stand vor der Aufgabe, sämtliche Kul tusgebäude am 11. Dezember 1906 oder 1907 einziehen zu müssen, um dem Gesetze Genüge zu leisten. Sämtliche Kultusgebäude, denn auch die schon gegründeten ..KultuS- genossenschaften" konnten als sektiererische, zum Teil als ausgesprochene Freidenkervcreine, nicht mit dem Raube auS- gestattet werden: das batte der zur Vorsicht gutachtlich be nagte höchste Gerichtshof entschieden verneint. Ter ehrliche Briand schreckte zurück vor der ungeheuren Gewalttat. Auch Clemenceau begann zu zögern, in dem der Staatsmann immer mehr über den Parteimann mächtig wurde. Aber der alte Combes mit seinen Jakobinern drängte und hetzte. Da geschah das „Wunderbare". Der Erzbischof Lecot meldete einen „Diözesan-Berein" auf Grund des Ver- einsqesetzes an. Keine „Kultusgenossenfchaft" nach dem Trennungsgesetze. ES ist eine Priestervereini- gung zur Beschaffung der Mittel zur Fortführung des Kul tus: keine Laicnvereinigung, welche zur Ärottzerrin der Geistlichkeit herausgewachsen wäre. Es ist eine Neuorgani sation durch den KleruS, nicht nach dem Regulativ der hohen republikanischen Obrigkeit. ES geschah das zweite „Wunderbare": die Diözeianver- einigung wurde vom Ministerium anerkannt als Recht-- Nachfolgerin der abgeschabten privilegierten kirchlichen Or ganisation. Man begnügt sich damit, daß sie auf einem gesetzlichen Boden siebt, und sieht nicht hin, wenn dem Hui nicht Reverenz erwiesen wird. Die Eombisten zetern; aber die große Mehrheit der Kammer hat bereits dem Kabinett ihr Vertrauen votiert. Der ouxkus vivencki zwischen Staat uud Kirche scheint gesichert. csmptvr ttdruteuer. sVon unserem Londoner Korrespondenten.) ' Die Londoner Klatschbasen in Weiber- und Männer röcken sind um die eine Sensation ärmer, die sie seit eine, Woche >n Atem gehalten hat: Der Tampty-Prozcß ist wie das Hornberger Schießen auSgegangen. Ein Prozeß, der sie in die Hohen, oder wenn man will, die Tiefen der neuesten deutschen Plutokratie führte, und zwar in die Tie fen deS „Amüsement-", da- sie im Londoner Westend suchen und finden kann. Der Tumpty-Prozeß?! WaS ist ein „Tumptv"? Tumpty ist ern Kosename. Tumpty heißt , „Dickerchen" — oder „Kleinerchen", wa- für ein Dickerchen I und waS für ein Kleinerchen — da» nicht -u verstehen, da» I kann »an d«en verlass«, die auch «ar keine Ahnung I haben, waS ei» „kleine» Mäuschen" ist. G«»g, daß t«
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