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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 29.04.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-04-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190604293
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19060429
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19060429
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1906
- Monat1906-04
- Tag1906-04-29
- Monat1906-04
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Vez«g-.P«i- b, berHempterpeditim, otxr deren «uSgabv. stellen abgeholt: vierteljährlich LSO, bei täglich zweimaliger Zustellung ins Hau« vierteljährlich S.—. Durch unsere an-, wärtigen Ausgabestellen und durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich vierteljährlich 4-bO, für die übrige« Länder laut Zeitung-preiSlistr. Diese Nummer kostet auf -ü /b ? allen Bahnhöfe« »nd bei III V den Zeitung«.Verkäufern I Redaktion und Ervrdtttour Johanni-gasse 8. Telephon Str. 1b3, Str. 222, Nr. 1178. MMrr.JaMalt Handelszeitung. Berliner Redattionö-Vnreaur Berlin dNV 7, Dorotheenüratze 83. Tel. I, Str. V27ö. Dresdner RedatttonS-Vureanr Münchner Str. 6. Amtsblatt des Nates und -es Notizeiamtes der Ltadt Leipzig. Slnzeigen-PreN dir 6 gespalten« Petitzeile für Leipzig und Umgebung LS Pf., für auüwärt« SO Pfg. Familie«- Wohnung«, und Etelleo- Snzrigen 20 Pf. Finanzielle Anzeigen, GeschäftSanzeigen unie, Tezt oder an besonderer Stelle nach Tarif. Für da« Erscheinen an bestimmten Togen ». Plätten wird keine Garantie übernommen. Anzeige« «ad Extrabeilagen aur in der iviorgeu-AuSgade Schluß der Anuahme nachmittag- - Uhr. Auzrigen-Annahme: Augustu-Platz 8, Ecke Jobanni-gasse. Haupt-Ftlial« Berlin: CarlDuuckrr,brrzgl.UatzrHofbuchhondlg. Lühowslraße 10 (Fernsprecher Amt VI Nr. -603). Filtal-Srdedttiou: Dre«deu,MarienstrLi Nr. 214 Sonntag 29. April 1906. 10V. Jahrgang. va- Mehligste vom rage. * Der Präsident der Vereinigten Staaten, Roosevelt, hat durch den Berliner Botschaftssekretär dem Reichstags- Präsidenten Grasen Bal lest re in oen Dank der Union sür die teilnehmenden Worte anläßlich der Katastrophe von Sa« Francisco aussprrchen lassen. * In Thorn hat gestern eine preußisch-russische Kon- ferenz zur Beiämpsung der Choleragefahr stattgefunden. iS. Deutsches Reich.) * Der Kaiser hat an die Witlve Frau v. Budde ein herzliches Beileidstelegramm gerichtet. * Der .Reichsanzeiger" widmet dem Minister v. Budde einen warm empfundenen Nachruf. (S. Deutsches Reich.) > * Zwischen Deutschland und Norwegen wurde ein Abkommen über die Frage ver drahtlosen Tele graphie getroffen. (S. Ausland.) * DaS Reichsgericht bat die Revision im Mordprozeß des Ehepaares SchellhaaS verworfen. (S. Bericht.) werden. So unangenehm das vereinzelten Quietisten sein mag, so ist doch die Rangordnung Person, Partei und Vaterland auch heute noch gültig. Es ist notwendig, die Fraktionen in Berlin zum getreueren Ausdruck des Parteiwillens zu machen, als dies unter der Diätenlosig- keit der Fall sein konnte. Solch schwere Friktionen, wie sie die Beteiligung der Nanonalliberalen am Volksschul- kompromiß hervorbringcn konnte, sind kein Segen für die Partei. Sie sind zugleich auch sichere Zeichen, daß die Organisation Mängel hat. Verderblicher noch als Zwist in den Fraktionen selbst ist Zwiespalt zwischen den Ansichten der Wähler und ihrer Vertreter. Zwar nicht heute und niorgen treten dessen Folgen auf. Aber sie zeigen sich bei den Wahlen. Aus allen den Gründen ist die ernsthafte Prüfung und sorgfältige Vorbereitung aller der Nutzanwendungen angezeigt, die aus der Bewilligung von Diäten gewonnen werden können. Denn nicht darum handelt es sich hier, daß dreihundcrtsiebenundneunzig Abgeordnete von nun an jährlich einige tausend Mark bewilligt erhalten und in ihren finanziellen Verhältnissen aufgebesscrt werden, sondern um die Fruktifizierung dieser Volksgelder für das Volk. Im Jahre 1908 sind Neuwahlen, vielleicht auch früher. Wir meinen, man kann nicht früh genug anfangen, die Gewissen in der Partei zu schärfen. Düs ist es, was wir unter der Moral der Diäten verstehen. Vie Moral Oer Diäten. Man soll nicht prophezeien, und erst recht nicht als Journalist und in politischen Dingen. Deshalb soll dieser Artikel auch nicht mit der Voraussage eingeleitet werden, daß die Diätenvorlage unter allen Umständen in dieser oder veränderter Gestalt Gesetz werden wird. Aber trotz der wilden Gebärden der äußersten Linken und der Versteifung der Regierung auf dre Aenderung der Ge schäftsordnung des in seinen Mauern doch souveränen Reichstages ist die Annahme des Entwurfes sehr wahr scheinlich. Das Zentrum will eS. Und die meisten übrigen Parteien wollen auch. Nur zeigen sie es nicht so deut lich. Also ist es Zeit zu fragen: Was wird werden, wenn die Diäten gesetzlich geworden find? Welchen Ein fluß wird ihre Bewilligung auf die Arbeiten des Parla mentes, auf die. Parteien, auf die Regierung haben? Welche Nutzanwendungen sind zu ziehen? Es wäre ver fehlt, hier einzuwenden, daß dies ruhig der Gestaltungs kraft der Zeit überlassen bleiben könnte. Vielmehr handelt es sich um sehr wichtige Angelegenheiten, die eine große Umwälzung erfahren müssen. Es handelt sich ferner um das rechtzeitige Propagieren von Ideen, die nicht überall leicht Eingang finden werden, die aber mit aller Energie und, wenn nötig, auch mit einer Portion Rücksichtslosigkeit verfochten und durchgedrückt werden müssen, wenn der Liberalismus nicht wieder einmal eine Politik der verpaßten Gel genheit treiben und schweren Schaden nehmen will. DaS lange Zögern der Regierung bis zur endlichen Ueberweisung der DiätenvorlLge war hauptsächlich in dem Widerstreben begründet, der Sozialdemokratie ihre Mandatskosten zu bezahlen. Damit ist aber nur die rein finanzielle Wirkung bezeichnet, die ihrerseits nun wieder auf die Fraktion selbst, auf ihre Struktur und ihr Ver halten, wirken wird. Auch wenn es nicht schon in mehr internen Zirkeln verkündet worden wäre, so könnte man einige Folgen als Notwendigkeiten bezeichnen: Vermei dung der Doppelmandate uno noch straffere Disziplinie rung der Fraktion. Der Horror gegen die Doppelmandate erklärt sich nicht nur aus der Scheu, dem Reiche oder einem Staate Diäten zu schenken. Man wird aus dem anstürmenden Heer der Parteikostgänger jetzt jedes Mandat gesondert vergeben, um die Fraktionsgenossen noch sicherer als bisher in der Hand zu haben. Die große Zahl der süddeutschen Landtagsabgeordneten sozialdemo kratischer Couleur, die jetzt kaum an parlamentarischen großen Tagen die Reise erster Klasse nach Berlin machen, wird vor die Wahl gestellt werden, sich für Landtag oder Reichstag zu entscheiden. Und die Sozialdemokratie wird über eine stets bereite Fraktion von Berufsparlamen tariern verfügen und regelmäßig in Stärke von fünfzig oder gar sechzig Mann antreten können. Vielleicht wird man Herrn v. Vollmar, Herrn Vock aus Gotha und noch einigen anderen Größen ihre Doppelmandate lassen. Aber sonst wird reine Bahn gemacht werden. Nebenbei: die Berücksichtigung dieser unvermeidlichen Wirkung dürfte der Regierung einigermaßen die Freude an der so dringend geforderten Herabsetzung der Beschlußfähig keitsziffer verderben. Die Aussicht auf eine beschluß fähige sozialdemokratische Majorität scheint uns denn doch nicht sehr verlockend zu sein. Was hier von der sozialdemokratischen Fraktion ge sagt worden ist, möchten wir gern, den veränderten Um ständen entsprechend, auch von den bürgerlichen Parteien sagen können. Und von einer, vom Zentrum, wird man cs sogar sagen dürfen. Wenigstens ist die Erkenntnis der Situation in der Zentrumspresse schon erkennbar. Doch macht uns daS Geschick der sehr geschäftskundigen Mittel fraktion wenig Sorge. Vsel wichtiger dünkt uns, die liberalen Parteien und in erster Linie die Nationallibe ralen mit allem Nachdruck auf die Pflicht hinzuweisen, der veränderten Lage beizeiten und gründlich Rechnung zu tragen. Auch für die Nationalliberalen ist endlich die Zeit gekommen, eine Auffrischung ihres Fraktions materials vorzunehmen, den jüngeren Kräften ein Feld zur Betätigung zu eröffnen und sich selbst dadurch die Zu- kunst zu sichern. DaS alle« ist jetzt durch die Diäten und die Beseitigung der Doppelmandate möglich geworden. Jetzt ist cs auch Zeit für die Junglibe ralen, mit konkreten Forderungen an die Partei heran zu treten. Ausreden sollen jetzt nicht gelten und Vertröstungen nicht akzeptiert hat vurslanckr Meaesgeburt begonnen? Die Ruh«, die nn Augenblick unter der eisernen Faust der Reaktion in Rußland herrscht, wird keinen Einsichtigen zu dem Wahn« verketten, daß die Revolution erloschen sei. Was seit sieben Atonalen den Zarenstaat durchwühlt, das war nicht ein äußerer Anstoß, der durch kraftvolle Gegenwehr Mr Ruhe gebracht werden konnte, sondern das ingrimmige Auf bäumen eines lange gequälten Volkes, das an der staatlichen Ordnung rüttelte und diese über alle Erwartung hinaus vermorscht fand. Hätte eS politisch« Führer von Tatkraft und Erfahrung gehabt, io würde sich rasch ein RevolutionStam ree gebildet haben, das durch seine große Autorität die ganze Re gierung regiert hätte. Denn zeitweilig war diese ohne alle Machtmittel. Erst als die Sozialdemokratie anfing, für ihre unausführbaren Pläne, ihre gemeinschädlichen Tendenzen die Gewalt an sich zu reißen nrcht, um den Staat zu refor, Mieren, sondern um die ganze gesellschaftliche Ordnung zu zerstören, konnte die Regierung die Zugel wieder erlangen. Mit der historisch herkömmlichen Verblendung warf sie sich nun in die Arme der Reaktion, um mit ihr die Volks bewegung zu ersticken. Sie hat daraus zwei Antworten bekommen. Die eine be steht in der sofortigen Zunahme der nihilistischen Gewalt- taten, die andere in dem Ausfall der Dumawahl. Diese ist ausschließlich im Sinne der konstitutionellen Demokraten ausgefallen, die von der Regierung bekämpft wurden. Für ihre eigenen Kandidaten war so gut wie gar kein« Stim mung vorhanden, so daß nicht ein einziger durchgekommen ist. Die Wähler haben sich unerwartet lebhaft beteiligt, so daß man deutlich sieht, daß der angeblich die einzig geeignete Re- ai«rungssorm für das russische Volk bildende zarische Abso lutismus schlcchtweg gar keinen Halt mehr im Volke hat. Wenn die russische Regierung geglaubt hat, sie könne sich, sei es durch obrigkeitliche Beeinflussung, sei eS auf Grund der Apathie der so Werna politisch erzogenen bäuerlichen Wähler, nach napoleonischer Manier eine ge horsame „Volksvertretung" schaffen, so muß sie ihren Irr tum erkennen. Die Wähler haben die ihnen verliehenen Rechte mit beiden Händen ergriffen und scheinen den festen Willen zu haben, von ihnen Gebrauch zu machen. Noch einmal ist der Krone die Gelegenheit geboten, sich mit den Erkorenen des Volkes zu verbinden, um gemeinsam das Wohl des Ganzen zu pflegen. Die Zurückweisung der sozialdemokratischen Machtgelüste sollte ihr selber ein wert volles Pfand sür die gute Gesinnung der in der Duma herrschenden Partei sein. Demokratisch nennt sie sich, zu gleich aber auch konstitutionell, d. h. sie will die Verfassung Aren. Ein volkstümliches Regiment ist chr Ziel, das die Wohlfahrt des Staates und seiner Bürger und Bauern durch die Reformen herbei führen will. Aber sie will weder die Unordnung der Nihilisten, noch den Kommunismus der Sozialdemokraten. Ein so glanzendes Anerbieten sollte die Regierung nicht auS- schlagen, um dem verrotteten BureaukratismuS noch eine Galgenfrist zu sichern. Vielmehr sollte sie sich selber eifrig bemühen, in der Duma eine Ordnung zu schaffen, di« dem Volks- willen die rechte Betätigung sichert. Hier liegt nämlich der schwache Punkt des russischen Konstitutionalis- mus. Das slawische Naturell ist groß im Erdulden, groß in plötzlicher Aufwallung, groß in endlosen Reden. Und das russische ist es mehr alp da» aller anderen Stämme. Da gegen ist es schwach in kurz entschlossenem Handeln und in zähem Verfechten seines Rechtes. Nun fehlt den Russen alle und jede parlamentarische Schulung. Es ist ebensogut mög- lich, daß die Volksvertretung in ein wüsteS Durcheinander von Reden und Bestrebungen verfällt, wie daß sie alsbald wieder zu völliger Untätigkeit und Teilnahmlosigkeit herabsinkt. Mit beidem kann weder der Regierung noch dem Gemein wohl gedient fein. Es kommt vielmehr alles darauf an, der Russia in den Sattel zu helfen, damit sie allmählich das Reiten lerne; denn mit dieser Kunst sieht eS noch recht frag würdig aus. Das alte Regime ist tot, di« Not der Zeit erheischt gebieterisch ein neue», und dieses kann nur daS konstitutionelle sein. Wünschen wir Rußland, baß die Duma in ihrer Mitte die Männer finde, die genug StaatSmannschaft besitzen, um di« Geschäfte erfolgreich zu führen, und daß diese die Masse der Abgeordneten m be herrschen wissen. DaS allein verbürgt die Wiederkehr der Ordnung. Der weitaus schwerste Teil der Arbeit bleibt noch zu leisten. Das ist die Herbeiführung der materiellen Wohlfahrt, deren Mangel einen der wesentlichsten Ur sachen der Revolution ist. Die Not, der Hunger, das Elend der Massen haben selbst diese geduldige Nation -um Aufruhr gebracht. Rußland ist kein reiche» Land. Behauptungen dieser Art sind vielmehr unwahre Reden-arten, meist wohl, um unerfahrene Kapitalisten zu verlocken, auf russische An- leiben zu zeichnen. Die ganz« groß« Ebene zwischen dem Lck»>varzen und dem Weißen Meer ist — mit Au-nabm« der Kohlen im Donezbecken — so gut wie entblößt von allen Mineralschätzen. Da» zieht der Industrie ! «utz, Grenzen. Der Bergbau d«t Ural, de» Altai »ab Transbaikaliens kann für ein Volk von 130 Millionen Seelen nichts verschlagen. 85 v. H. der ganzen Einwohner schaft sind auf di, Landwirtschaft angewiesen. In feinen Forsten besaß Rußland ein großes Kapital: sie sind ver- silbert, abgeholzt und nicht wieder forstmäßig angepflanzt, so daß eine Fortdauer der bisherigen Ertrage aus- geschlossen ist. In der Landwirtschaft steckt , wenig Kapital, viel zu wenig. Die berühmte Schwarzerde im lud- lichen Mitielrußland ist zwar außerordentlich fruchtbar, aber in ihrem südlichen Teil ist sie Steppe, die alle paar Jahr« wegen gänzlichen Regenmangels eine Fehlernte gibt. Wo der Regenreichtum einigermaßen gesichert ist, da ist der Landwirt am besten dran; doch auch hier fehlen ihm die Mittel zu einer intensiveren Bewirtschaftung. Er hat viel zu wenig Vieh, und obendrein reißen ihm gelegentliche Hungersnöte furchtbare Lücken in das Arbeitsvieh, sowie in das Zuchtvieh, so daß noch mehrere Jahre nachher die Land bestellung darunter leidet. Tie Viehställe, die Kornscheuern sind in erbärmlichem Zustande, das Ackergerät ist veraltet und wenig wert, die Kunde von höherer Landwirtschaft fehlt, Meliorationen, Ent- und Bewässerung können wegen Mangel an Kapital nicht durchgeführt werden. Nördlich von dem Schwarzerde-Gouvernement herrscht armer Boden, dort sind alle diese Verhältnisse noch viel schlimmer. Unglücklicherweise ist daran wenig zu ändern. Fleiß und Sparsamkeit führen schließlich zum Ziele, sind aber eine lange, harte Schule. Das ausländische Privatkapital kommt nicht leicht. Es kommt nur, wenn bohr Gewinne es locken. Ber jetziger Unsicherheit scheut es sich doppelt. Der Staat kann wenig machen, denn er ist zu ganz anderen Zwecken auf den ausländischen Geldmarkt angewiesen, wenigstens so lange er seiner Großmachtspolitik zu Liebe starke Heere und starke Flotten unterhalten will. Woher soll die Hilfe, ein« baldig« Hilfe kommen? Der Notschrei deS Bauern geht nach mehr Land, damrt er bei seiner rückständigen Dreifelderwirtschaft zu leben habe. Die dörfliche Bevölkerung wächst, die Dvrfslur bleibt dre gleiche und kann höchstens durch Adelsland oder Krongüter vergrößert werden. Diese können auch nur einmal aufgoteilt werden, und nur auf Kosten der bisherigen Eigentümer. Weiter werden Steuerermäßigungen verlangt, wo doch die Einnahmen schon bisher den Ausgaben nicht gewachsen sind. Möchten doch die auswärtigen Gläubiger nicht verkennen, daß sich bei einer solchen Lage leicht ein Abgrund auftut: der Staatsbankerott, damit die Zinsen anS Ausland — jährlich etwa eine halbe Milliarde Mark, nicht länger gezahlt werden. Alles ruft nach Reformen, nach bürgerlicher und poli tischer Freiheit. Diese Forderung ist so unerschütterlich begründet, daß sie erreicht werden muß, wenn in der Duma nur einigermaßen die Kräfte vorhanden sind, wie sie für eine Volksvertretung stets normal sein sollten. Deutsches Reich. Leipzig, 28. April. * Die Reisepläne des Kaiserpaares. Entgegen einigen Zeitungsnachrichten stellt das Wolffsche Tele- graphcn-Bureau ans zuverlässiger Quelle fest, daß die Re i sedisposit i o nen des Kaiserpaares für die nächste Zeit nicht geändert worden sind. Der Kaiser gedenkt, wie ursprünglich festgesetzt war, am 2. Mai in Berlin zu fein, um auf dem Döberitzer Ucbungsplatz die Bataillone des 1. Garde-Regiments zu besichtigen. Ebenso gedenkt der Kaiser, am 3. Mai Bataillonsbesichtigungen vorzunehmen und am 3. Mai abends nach Donaueschingen abzureisen. Die Kaise rin verbleibt vorläufig in Homburg. * Der „Reichs-Anzeiger" über Budde. Der „Reichs anzeiger" widmet dem Minister v. Budde einen warm empfundenen Nachruf: Sein Wirken war ausgezeichnet durch große Erfolge auf allen Gebieten seiner ausge dehnten Verwaltung. Aus seinen früheren militärischen Stellungen mit dem Eisenbahnbetriebe wohl vertraut und mit offenem Blick für die Bedürfnisse des Verkehrs, arbeitete er rastlos an der Ausgestaltung der Verkehr«- cinrichtungen und der Erweiterung des Eisenbahnnetzes und schuf zahlreiche Verbesserungen. Unermüdlich be sorgt für die Wohlfahrt der Beamten und Arbeiter, ver langte er von ihnen Treue um Treue. Von den deutschen Eifenbahnverwaltungen, deren Zusammen wirken zum Nutzen des Gesamtverkehrs im Reiche, er eifrig zu fördern bestrebt war, wird sein Heimgang schmerzlich betrauert werden. Der Nachruf gedenkt der unter Budde als dem Chef der Bauverwaltung geschaf fenen stattlichen Anzahl von Monumentalbauten, feines entscheidenden Einflusses auf daS großstädtische Ver kehrswesen, seiner Fürsorge für eine gefunde Entwick lung der Wohnungsfrage und fährt dann fort: Un trennbar verbunden bleibt Buddes Name mit der Ent wicklung der preußischen Wasserwirtschaft. Hauptsäch lich seiner Mitwirkung ist der glückliche Abschluß der großen wasserwirtschaftlichen Vorlagen zu verdanken. In die übrigen Zweige der Wasserbauverwaltung griff er ebenfalls fördernd ein und verband hierbei die Inter essen der übrigen Bundesstaaten mit den Bedürfnissen Preußens. So kam er bereitwillig den Wünschen der Hansastüdte nach Ausbildung ihrer Schiffahrtsanlagen nach, indem er gleichzeitig die Entwickelung der preußi schen Seehäfen erfolgreich förderte. Auch der Main- kanalifationsvertrag ist ein Beweis seiner unparteiischen Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsbedürfnisse. Mit einer Tatkraft und Hingebung ohnegleichen nahm der Verewigte ungeachtet seiner schweren Leiden, so lange es seine Kräfte erlaubten, die Leitung der Geschäfte, wie ihre Vertretung im Parlamente, wahr. Sein Andenken wird im Vaterlands für immer in hohen Ehren bleiben. * Cholera-Konferenz. Aus Thorn wird gemeldet: Nachdem zur Verhütung der Choleragesahr im Weichsel gebiet die gesundheitliche Uebcrwachung deS Schiffahrts- und Flössereiverkehrs in der Grenzstation Schillno wie der ausgenommen ist, fand gestern in Thorn unter dem Vorsitz de» Oberpräsidenten von Jagow eine Konferenz von Vertretern der preußischen und russischen Behörden in der Angelegenheit der Bekämpfung der Choleragesahr statt, an der auch Regierungsvertreter aus Ostpreußen, Posen, Pommern trilnahmen. Insbesondere wurden Vereinbarungen mit den russischen Behörden über die einheitliche Uebcrwachung des Stromverkehrs und über den Meldedienst getroffen. * Eine Ordensdebatte in der Kammer der bayerischen Reichsrätc. Die Kammer der Reichsräte beriet gestern den Kultusetat. Dabei führte Reichsrat Frhr. v. Kramer- Klett aus: In den letzten Jahren beschäftigte sich die öffentliche Meinung mehrfach mit den klösterlichen Niederlassungen. In den Fällen, die das bayerische Ministerium angingen, hat das Kultusministerium sehr gerecht geurteilt. Die Orden der abendländischen Kirche sind die Elite des Christentums: das ist mein Ur teil als Protestant. Auch in der protestantischen Kirche hat sich die Idee, für ideale Zwecke zusammenzu leben, Durchbruch verschafft in den Diakonissenanstalten. Die Bestrebungen, die sich gegen die Kirche breit machen, wenden sich in erster Linie gegen die Orden, weil die Orden der lebendige Gegenbeweis gegen die Doktrin derjenigen sind, welche die Welt angeblich befreien wollen. Erzbischof Stein dankte dem Vorredner für die wohlwollende Besprechung der OrdenSfrage. Oberkon- sistorialpräsident Schneider erkennt an, daß die Orden sich im Mittelalter große Verdienste erworben haben. Jetzt aber sei die Stellung der Protestanten zu den Orden eine andere geworden. Die schönen Tugenden der Nächstenliebe können auch ohne Orden geübt werden. Frhr. v. Kramer spricht nochmals seine Ueberzeugung aus, daß es in der protestantischen Kirche anders stände, wenn sie Orden hätte. Frhr. v. Thüngen erklärt, der gläubige P r o t e st a n t könne nicht ohne wei teres in den abendländischen Orden die Elite des Christentums anerkennen; solche prononzierten Aeußerungen seien dem Frieden unter den Kon essionen nicht dienlich. Damit schließt die Gcneraldiskussion. * Neue Schwierigkeiten für die Tarifreform. Wie der „Schwäbische Merkur" erfährt, stehen der Personen tarifreform, auch abgesehen von den noch schwebenden Dctailfragen, Schwierigkeiten erheblicher Art entgegen. Die oldenburgische Regierung hat sich bis jetzt nicht dazu entschließen können, die in Oldenburg nach dem Vor bilde von Württemberg eingeführten Landeskarten mit der Einführung der Tarifreform aufzuheben. Falls die oldenburgische Regierung nicht zu diesem Entschlüsse ge langen sollte, so würde voraussichtlich auch in Württem berg die Beseitigung der Landeskarten in Frage gestellt werden, und dann würden wohl auch andere Eisenbahn- Verwaltungen zur Aufrechterhaltung ihrer Sonderein- richtungen veranlaßt werden. Dies würde aber eine weitere Durchbrechung der bereits durch das Vorgehen von Bayern und Baden beeinträchtigten Einheitlichkeit der Reform bedeuten. LozialScurokralischc Jugenderziehung. Dem sosialeemo- kratischen Reichstagsabgeordneten Fischer, der auf dem sozial demokratischen Parteitag in Zwickau gegen das Hinein tragen parteipolitischer Tendenzen in die Jugend erziehung anstrat, damit aber auf heftige Opposition traf, sekundiert jetzt die „Leipziger Lehrerzeitung". Sie schreibt u. A.: „Mit Annahme der Forderung einer besonderen sozial demokratischen Juaendagitation, die auch aus Volks- unv Fortbildungsschulen ausgedehnt werden soll, stellt sich die Partei sofort in Gegensatz, zur Forderung der allgemeinen Volksschule (die sie aufstcllt. D. Red.), denn die allgemeine Volksschule verträgt keinerlei parteipolitische Tendenzen. Wenn alle unsere politischen Parteien ähnliche Pläne verfolgen würden, so würde das unter unseren Schülernein nettes Tohu wabohu geben. Wir müßten dann Einrichtung von Schulen nach dem Parteistandpunkt der Eltern fordern . . . Die Stellung zu dieser Frage bildet einen Prüfstein, ob eS der sozialdemo kratischen Partei mit dem Verlangen nach der allgemeinen Volksschule ernst ist, oder ob sie sich auch auf dem Gebiete der Erziehung auf die Bahn der krassesten Interessen wirtschaft begeben will." * Ter internationale vcrgarbctterkongreß. Dem inter nationalen Bergarbeiterkongreß, welcher am 5. Juni in London abgehalten werden soll, legt man diesmal große Bedeutung bei: er bringt vielleicht die Entscheidung über große und gewaltige Lohnkämpfe. Deutschland wird auf dem Kongreß durch 12 Delegierte vertreten sein, 6 entsendet daS Ruhrgebiet, 1 Bayern, 1 die Braunkohlenreoiere Mittel deutschlands, 1 Oberschlesien, 1 Niekerschlesien, l das Wurm- und Saarrevier. In London wird man sich in erster Linie darüber schlüssig Wersen, wie eine engere Ver bindung durch das internationale Bergarbeiter»Komitee erzielt werden kann, sodann wird man die Ziele der Bergarbeiter - Organisationen sestzulegen versuchen (Minimallohn und Ächtstundenschicht inklusive Ein- und Ausfahrt). Im deutschen Lager möchte man vorher gar zu einem großen Schlage auSholen; vielleicht fällt am Sonntag schon die Entscheidung >n Elsen, wo sämtliche KnappschaftSältesten deS BerbqndeS aus dem Ruhrgebiet zusammenkommen. Die Heißsporne wollen, daß die Ge samtheit der Knappen am 1. Mai nicht zur Arbeit kommt. „DaS Unternehmertum, welches einzelne wegen der Feier deS Tages möglicherweise maßregeln würde, wird sofort umsckwenlen, wenn die Mehrzahl der Arbeiter diesen Tag festlich begeht und zeigt, daß sie wirklich ein Volk von Brüdern sind" — so wird den Knappen nn BerbandS- organ gepredigt. Nun, die Zechenbrsitzer sind, wie wir erfahren, nicht gewillt, sich den 1. Mai abtrotzen zu lassen, sie werden Gegenmaßregeln treffen; eS kann daber leicht zu neuen und schwerwiegenden Konflikten im Ruhr gebiet kommen. ReichStagSabg. Hus-Effen, der sich nach Bayern (Penzberg) behus» Agitation begeben bat, soll ja auf das dringenvste von solche« Schritten al-geraten haben, aber vielfach zeigt sich, daß der Einfluß der gemäßigten Element« im Schwinde« ist. * Maifeier «atz Ardettsrvhe. Da« Internationale Sozialistisch« Bureau bat in Sachen der Maiseier einen Aufruf an die Arbeiter aller Länder gerichtet. Darin wird an erster Stelle die Arbeit«ruhe am 1. Mai al« „deotlichstr, tatkrästiaste" Form d«r Demonstratio« bezeichnet
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