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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 29.07.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-07-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190607292
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19060729
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19060729
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1906
- Monat1906-07
- Tag1906-07-29
- Monat1906-07
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R.) * Zum Rektor der Universität Leipzig auf das Jahr l806 07 wurde Geheimer Medizinalrat Professor Dr. Cur schm an» gewählt. * In Warschau ist gestern gegen de» Direktor der dortigen Tochtergesellschaft der Dresdner Gard inen- und Spltzenmanufaktur, Louis Körber, heute ein Revolveralleutqt verübt worvea. Körber wurde schwer verwundet. * Die Truppen de- Sultans von Marokko habe» die Anhänger des Prätendenten am Malujafluß geschlagen. (S. Ausl.) Vas 5plerrbürgen«m üer lleulrcken ZorialOemolrrslie. Gleich von drei Seiten auf einmal ist der deutschen Sozial demokratie in den letzten paar Tagen vorgeworfen worden, sie sei in Dogmatik und Spießbürgertum erstarrt und zur Erfüllung praktischer Aufgaben gänzlich ungeeignet. James Ramsey Macdonald und Schippel attestieren ihr daS in den „Sozialistischen Monatsheften", während Bernard Shaw sich zu dem gleichen Zweck das „Berliner Tageblatt" aus ersehen hat. Das dabei verarbeitete Material ist zu um- . sangreich, um In einem Artikel besprochen werden zu können. Wir müssen uns deshalb daran genügen lassen, hier auf das gemeinsame Moment aufmerksam zu machen, das in den Ausführungen Shaws und Schippels zutage tritt, auf den Vorwurf der Verknöcherung in Dogmatik und Spießbürger, tum, der bei dem immer wilder gewordenen Gebaren der deutschen Zielbewußten zunächst recht seltsam anmutet, von den Angreifern aber schlagend bewiesen wird. Als Voraus- setzung für das Verständnis der ziemlich parallel laufenden Gedankengänge muß freilich stipuliert werden, daß die Hauptaufgabe jeder sozialistischen Partei die möglichst große Besserung der Lage der Arbeiterklasse sein sollte. Und daß die Mittel und Wege zu diesem Ziele viel weniger wichtig sind als das Ziel selbst. Eine Art Umkehrung des Ne- visionistensatzes: die Bewegung ist alles, das Endziel nichts. Der scheinbare Widerspruch zwischen diesem Lehrsatz und dem vorher angeführten ebenfalls revisionistischen löst sich bald, wenn man den Unterschied zwischen dem revisionistischen Ziel, der praktischen Besserung, und dem berühmten „End- ziel", dem Kommunalismus, betrachtet. In dieser Unter- scheidung liegt auch das Wesen der unversöhnlichen Gegner schaft zwischen englischen und deutschen Sozialisten enthüllt. Tatsächlich wollen beide etwas ganz von einander Vcr- schiedenes. Es ist nun charmant, zu lesen, was Shaw von den end- zielwütigen deutschen Genossen schreibt. Der bürgerlichen Kritik sagt er nichts Neues. Aber wie er es sagt, und daß es ein trotz der Spöttereien des „Vorwärts" ernst zu nehmen der Sozialist sagt, gibt ihm Bedeutung. Wie Shaw mit dem Parteipapst Marx und seinem stets infaltibleu Dogma um springt, ist köstlich zu lesen. Und die Kritik des Ausländers wirkt in ihrem Stil um so ergötzlicher, als es ja noch nicht lange her ist, daß der Ruf von Jena erscholl: Wir müssen noch ruppiger werden. Demgegenüber höhnt Shaw: „Die deutsche sozialdemokratische Partei ist die konser- vativste, die respektabelste, die moralischste und die bürger lichste Partei Europas. Ihre Parteivertretung im Reichs- tag ist keine rohe Partei der Tat, sondern eine Kanzel, von der herab Männer von respektablem Alter und mit alten Ideen einer verworfenen kapitalistischen Welt eindrucks volle Moralpredigten halten. Ihre Anhänglichkeit an ihren unfehlbaren, allwissenden Propheten Karl Marx und ihr Glaube an sein Buch, die „Bibel der arbeitenden Klassen", lassen sie in unserem skeptischen-Zeitalter als ein Beispiel einfältigen Glaubens und einfältiger Pietät er- scheinen. Mit Millionen von Stimmen zu ihrer Ver- sügung, widerstehen sie den Lockungen des Ehrgeizes und den realen Vorteilen, die ein öffentliches Amt mit sich bringt, und bezeichnen diejenigen, die sich von den Freuden tugendhafter Entrüstung zu den Arbeiten praktischer Ver waltung und zu den Verantwortlichkeiten eines Amtes wenden, als Abtrünnige und Verräter." Das muß in den Augen der Ruppigkeitspropheten daS Schlimmste sein, was ihnen gesagt werden kann. Und dabe« ist es, soweit die praktische Seite sozialistischer Betätigung in Frage steht, unzweifelhaft richtig. Ungezählte Male ist den Sozialdemokraten von bürgerlicher Seite die Gelegen- heit zur Mitarbeit in der Praxis geboten worden. In wievielen wichtigen Kommissionen, in wievielen einfluß reichen staatlichen, kommunalen und privaten Aemtern böte sich tüchtigen Sozialisten die Möglichkeit wertvoller Arbeit, und zwar ohne daß ihnen irgendein Opfer ihrer lieber- zeugung zugemutet werden würde! Nur ein wenig Toleranz hätten sie zu lernen und zu üben. Aber so oft sind derartige Angebote mit Spott und Schimpf abgeschlagen worden, daß «S heute in Deutschland selbst Naumann aufgegcben hat, an die Möglichkeit einer solchen Mitarbeit zu glauben. Also insofern ist dem Kritiker Shaw durchaus beizupflichten Und auch dos ist richtig, daß er die Ursache dieser bewußten Absonderung im Dogmenzlauben, in der Einfältigkeit und dem Spießbürgertum der deutschen Genossen sieht. Der deutsche Sozialismus fürchtet sich einfach vor der Berührung mit der übrigen Welt. Er fürchtet für die Reinheit seiner Seele. Und er baßt noch immer di« Kultur, die Schönheit und bssssder» -sfti- dl« Lli-aa». wi« da» di« Vorläufer von 48 taten, die Leute ohne Kragen, mit ungedchuittenem Haar und dem Knotenstock. Das Tragen von Lackstiefeln ist dem Dr. Süvekum ost genug vorgeworfen worden, und wenn Frau Lily Braun weniger elegant wäre, würde sie sicher in der gesinnungstüchtigen Sozialistenpresse auch bessere Noten erhalten: Diese Beobachtung Shaws ist also- richtig. Aber er irrt sich unseres Erachtens sehr, wenn er ein solches offen- sichtliches Spießertum nun auch für völlig harmlos hält. Darin liegt doch wohl eine auf das Sprachgefühl zurückzu führende Verwechselung des Sozialistenspie^ers mit dem bürgerlichen Exemplar des Spießertums. Gemeinsam ist diesen beiden wohl die starke Abneigung gegen alles Fremde und Ungewohnte, gegen geistige Anstrengung, Legen Schön heit und Eleganz. Aber das bürgerliche Spießsrtum ist nicht organisiert und hat außerdem auch noch seine Abneigung gegen Tumult und Radau und Unordnung. D^e Sozialisten aber sind organisiert und fanatisiert. Und wenn diesen „Einfältigen" lange genug von der Kraftprobe vorgefabelt worden ist, so werden sie auch einfältig gewug sein, sie zu machen. Die Proben haben wir ja erlebt. Und daß es mit diesen Zuckungen abgetan ist, darf man wohl wünschen, aber kaum hoffen. Und erst recht, wenn sich die- praktische Un erfüllbarkeit der sozialdemokratischen Theorie Herausstellen sollte, wenn die Probe auf das Exempel mMlingt, wie sie mißlingen muß, gerade dann wird die in Ve-^weiflung um geschlagene weltfremde Gläubigkeit der soziqrdemokratischen Herde gefährlich werden. Deshalb können Ivir leider der Ansicht Shaws über die Harmlosigkeit der deutschen Sozial demokratie nicht zustimmen. Wie Shaw hält auch Schippel der deutschen Genossenschaft einen Spiegel vor, aus dem ihr das Antlitz des beschränkten Spießers entgegensieht. Er bespricht in den .-Sozialistischen Monatsheften" die Chicagoer Fleischtrustskand«le und zeigt handgreiflich, wie der biedere deutsche Spieße rsozialist von den Führern nach einem ewig feststehenden Schema an der Nase herumgezogen wird. 1903 wurde im ,-Handbuch für sozialdemokratische Wähler" darüber gespottet, daß das ver botene Corned Beef „offenbar nur für den deutschen Reichs angehörizen gesundheitsschädlich" sei. 1906 nrriß die sozial demokratische Presse schweren Herzens zugeben, daß die Zu- stände in Chicago „die Kulturwelt mit Ekel v ad Schauder erfüllen". Und nun kommt der wirklich prächtige Saltomor- tale: Nachdem die Schweinereien nicht mehr zu leugnen sind, erklärt die sozialdsmßkratische Presse sh: für selbst- verständlich und unvermeidbar im Kapitalisteilstaat. Also erst waren sie gar nicht da, und nun sind sie uwwermeidhar Es lebe das gute Gedächtnis und die Leichtgläubigkeit der sozialdemokratischen Wählermasscn. Schippel hat recht, wenn er über diese Philisterseelen spottet. Und Shaw hat auch recht, wenn er diese Wichtigtuer als Dogmatiker nicht ernst nimmt. Das Böse bleibt nur, daß der Staat rmd die Ge sellschaft sie ernst zu nehmen haben. Denn die Erfahrung des täglichen Lebens lehrt es uns nur zu eindringlich, daß Blödigkeit nicht ungefährlich macht. * * * Wir möchten hier noch einige Bemerkungen anschließen, die mit dem oben behandelten Thema nur in simem äußer- lichen Zusammenhang stehen. In dem aus dem Englischen übersetzten Artikel Shaws im „Berliner Tageblatt" findet sich folgende arrogante Stelle: „Ich lasse mich durch das literarische und journalistische Genie Marx' nichsi düpieren, weil ich selbst ein literarisches Genie und ein Jouimalist bin." Es wäre dem Uebersetzer zu raten gewesen, hier den eng lischen Originaltext in Klammern anzuführen. Sollte die Uebersetzung wirklich sinngetreu sein, so würde man, was übrigens bei Shaw nicht wunderwehmen könnte, zu be- dauern haben, daß der englische Schriftsteller sich durch diese Geschmacklosigkeit selbst um einen Teil des gewallten Ein drucks seines Artikels gebracht hat. Schließlich: Der „Vorwärts", der den Artikel Shaws abdruckt, weiß nichts weiter zu sagen als: „In der Tat, Herr Shaw hat bei den geistigen Heroen des „Berliner Tageblattes" endlich seiner ebenbürtige Geister gefunden!" Wir erlauben uns dazu die Frage zu stellen: Sein wann re- giert denn ebenbürtig den Genitiv? Sollte sich die Um- krempelungswut der „geistigen Heroen des Vorwärts" nun auch auf die deutsche Sprache erstrecken? Dreimal wehe! Was würde aus ihr unter den Händen der blutigen Rosa aus Russisch-Polen werden! veukscbes Keicv. Leipzig, 29. Juli. * Die Kaiserretse. Telegramm aus Ovde vom 27. Juli nacht-: Das wunvervolle Welter bat den Ta»g über an- gehalien und Seine Majestät unternahm von: Odde aus einen vierstünvigen Spaziergang, der der Wasserfälle halber höchst lobnenv war. Morg n soll eine Part« nach dem Laatefoß statlfinden. An Bord alles wohl. * Neuer englischer MtlitfterresiSent in MÄncheu. Der bayerische Prinz-Reaent empfing gestern mittag im kleinen Tbionsaal der Residenz in feierlicher Audienz den neu ernannten großbritannischen Ministerresidenten Cartwright, welcher dem Regenten sein Beglaubigungsschreiben überreichte. * Zur Eingeboreuenfraae in Deutsch-Dttweftafrika. Unter diesem Titel hat Pastor Haußleiter, der Inspektor der Rheinischen Mission zu Barmen, in der D. Warneckschen „Allgem. Missions-Zeitschrift" 1906, Heft 1—4, einen lehr- reichen Aufsatz geschrieben, der jetzt auch in einem Separat abdruck erschienen ist sBerlin, Verlag von Martin Warneckj. Der Verfasser geht von den Verhandlungen des »weiten deut- schen Kolonialkongresses im Oktober vorigen JohreS aus. Da hielt in der Sektionssitzung vom 7. Oktober Dr- Georg Hart- mann-Hamburg einen Vortrag über den „Wirtschaftlichen Wiederaufbau Deutsch-Südwestafrikas", der in den Sätzen gipfelte: „Es ist die gemeinsame Erkenntnis aKer Kolonial freunde geworden, daß die eingeborene B«<olkrrunq daS wertvollste Gut unserer Kolonien ist." In seiwer Arbeit setzt sich der Verfasser zunächst mit de» bedeutsar»sten Quellen schriften auseinander, die sich mit der in -tede stehenden Fra« eingehender beschäftigen: die amtliche WeichStagSdenk- ichrift; die Aufzeichnungen von Konrad Ruff „Krieg und Fri«»«» im Hererolaud , und di« Schrift von Kammer gerichtsrat Dr. Felix Mever: „Wirtschaft und Recht der Herero". Die Denkschrift stellt sich unbedingt auf den Boden der Kongo-Akte vom 26. Februar 1885, nach welcher sich die Mächte in Artikel 6 verpflichten, ,chie Erkältung der einge borenen Bevölkerung und die Verbesserung ihrer sittlichen und materiellen Lebenslage zu überwachen". Die Schrift von Rust, die durch ihren Herausgeber Dr. Förster den Mit gliedern des deutschen Reichstags kostenlos zur Verfügung gestellt ist und für viele die ausschließliche Quelle zu werden droht, aus der sie sich ihr Urteil über die Herero und die Herero-Mifsion bilden, atmet nach Haußleiter einen „grim migen Rachedurst", der wohl Lurch eigene schwere Erlebnisse des Verfassers in Südwest zu erklären ist, aber doch tief be klagt werden muß. Dr. Felix Meyer dagegen mahnt, in der Beurteilung des Schuldmaßes der Herero und für ihre weitere Behandlung die eigenen Anschauungen des Volkes über politische Organisation, Erbrecht, Familienrecht, Sachenrecht, Fremdenrecht usw. in Rücksicht zu ziehen. In einem weiteren Abschnitt bespricht Haußleiter die Grundsätze und Ziele, die Pflichten und Maßnahmen der Eingeborenen politik. Der Verfasser fordert rückhaltslos den Grundsatz der Gerechtigkeit für die Lösung der Eingeborenensrage. Un zweifelhaft ist durch die großen Opfer für Südwestasrika das Land nicht mehr Protektorats-, sondern Kolonialbesitz ge worden; und die Unterdrückung des Aufstandes wie die Be strafung der Schuldigsten ist nicht nur eine politische, sondern auch eine sittliche Pflicht. Aber das „Pulver und Älei"-Pro- gramm muß unbedingt ausgegeben werden. — Als wirt- ichastliches Ziel betrachtet Haußleiter die Interessengemein schaft aller Bewohner des Landes; als staatlich-soziales das geordnete, rechtlich bestimmte Nebeneinanderleben der ver schiedenen Stände und Nassen, auch mit besonderer Ver tretung der Eingeborenen bei der Regierung für ihre An gelegenheiten; als sittlich-religiöses Ziel die Brandmarkung aller Lüge und Roheit, Unmäßigkeit und -Unzucht als eine Schande ohne Ansehen der Hautfarbe. Die Pflicht der Obrigkeit ist die Uebung strengster Gerechtigkeit rmd die Fürsorge für die Stvmmesreste, u. a. auch durch Aufhebung der Entscheidung des Kolonialamtes vom 8. Januar 1900, welche die früher geübte standesamtliche Eheschließung zwischen weißen Männern und farbigen Frauen verboten hat. Die demnächstigen Maßnahmen der Regierung behau- delt Haußleiter mit Rücksicht auf die Aufständischen, die flüch tigen Feldbewohner, die Gefangenen und Zugelaufenen und die Treugebliebenen. In der Kaiserlichen Verordnung über die Entziehung des Vermögens der Eingeborenen vom 26. De zember 1905 erblickt der Verfasser schwere Härten, in bezug auf welche er den dringenden Wunsch ausspricht, daß der Reichstag eine Erklärung des Kolonialamtes herbeiführen möge, wodurch die Besorgnisse über eine allzu drückende Aus- sührung zerstreut würden. Zum Schluß erörtert Haußleiter noch den gegenwärtigen Stand der konfessionellen Frage. Bisher ist die Ordnung für die Missionen die gewesen, daß die evangelische Mission unter den Bastards, Herero, Nama, Bergdamara und Ovambo wirkte, während der katholischen die Betschuanen, die Buschleute des Ostens und die Stämme am Okavango zufielen. Erst seit Niederwerfung des Herero- aufstandes beanspruchte die katholische Mission auch das alte Arbeitsgebiet der rheinischen Mission unter den Herero für sich. Sie forderte die Zuweisung der Hälfte aller Herero- gefangenen, was ihr durch militärischen Machtspruch im No- vember 1905 auch bewilligt ist. Selbst die elternlosen Kin der sind von der Regierung beiden Missionen zu gleichen Teilen zuqesprochen worden, gleichviel, welcher Mission die Angehörigen oder Volksgenossen vor dem Aufstand ange. hörten. * Togo. Der Gesamtbandel des Schutzgebietes Togo im Jahre 1905 betrug 11 716 953 gegen 10 449 681 im Jahre 1904, so daß eine Zunahme gegen das Vorjahr von 1 267 272 zu verzeichnen ist. Davon entfielen auf die Einfuhr 7 760 314 gegen 6 898 323 jg, Jahre 1904 (also -s- 861 991 -41) und auf die Ausfuhr 3 956 639 gegen 3 551 358 im Vorjahre (also -s- 405 281 ^). Die sich aus diesen Zahlen ergebende Steigerung des Gesamthanrels ist einerseits duich die starke Maisproduktion unv -Ausfuhr, andererseits durch die gesteigerte Einfuhr von Materialien für den Bahnbau bewirkt worden. Die Ziffern hätten sich erheblich günstiger gestellt, wenn nicht in- jolae ungünstiger Nikderschlagsverbältmsse im Jahre 1903 die Produktion von Palmenöl und Palmenkernen geringer gewoiden, und dadurch die Kaustraft der Eingeborenen zum Teil verringert worden wäre. Diese ungünstigen Regenvcr- hältnisie im sog. Oclpalmengürtel veranlaßten einen Rückgang der Ausfuhr von Palnienöl gegen das Vorjahr um 2l5 978 -«e unv vonPalmenkernen um 385 749 Wie lehr auch dieEinfuhr hierdurch ungünstig beeinflußt wurde, zeigt sich an dem Rückgang ver Einfuhr einer Reihe von Warengattungen im Jabre 1905 gegen 1904. Dagegen erfuhr durch die besseren Regender- hältnisse im Küstenstrich die Maiserzeugung eine derartige Steigerung, daß bei günstigen Preiskonjunkturen auf dem europäischen Markt 9 366 455 kg im Werte von 566 844 auSgesübrt wurden, gegenüber dem Jahre 1904 mehr 8 706 862 kg im Werte von 527 899 Von der Aus fuhr des Jahres 1905 amgen nach Deutschland allein 8 774 734 kg MaiS im Werte von 537 135 Bon weiteren wichtigen Ausfuhrartikeln seien Rohbaumwolle und Kautichuk erwähnt. Die Ausfuhr der ersteren betrug 1905 133 920 kg im Werte von 89 473 was eine Stei gerung der Menge um 25 751 kg und deS Wertes um 39 079 gegenüber 1904 bedeutet. Hierbei ist zu berück- sichiige«, daß die große Trockenheit der zweiten Hälfte deS Jahre« 1904 die Ernte ungünstig beeinflußte. Die Ausfuhr menge an Kautschuk erfuhr vadnrch eine Steigerung, daß die Eingeborenen am unteren Mono angefangen haben, Kautschuk aus einer früher nicht auSgebeuteten F-cuSart zu gewinnen. Bon dem gesamten Warenverkehr ausschließlich Geld (9 882 989 ^t) entfielen mehr als nämlich 7 882 895 .^k, aus den Ver kehr mit Deutschland, der dem Vorjahre gegenüber um 1 878 539 -et gewachsen ist. Außerdem bat nur noch der Verkehr mit England eine beträchtliche Steigerung ersahren, während der Verkehr mit den anderen Ländern teilweise er heblich zurückgegangen ist. Die Aufhebung der Zollvereinigung mit dem Quittavistrikt der englischen Goidküsteakolouie, die Auf richtung einer Zollgrenze am Volta hat eine bedeutende Ein schränkung des Verkehrs nut diesen afrikanischen Nachbar- grbieien bewirkt. Die von dort bisher eingesührten dezw. dorthin au-gesührten Waren nehm « nunmehr ihren Weg über Lome. Demgemäß bat auch der Verkehr über die westliche Binnengrenze um 784 872 abgenommen, dagegen der Verkehr über die Küstengrenze um 1 236 334 zu genommen. — Die deutsche Togo-Gesellschaft hat di« beschlossene Kapitalscrböhunz von 750 000 auf 1 000 000 durchgeführt. * Ein Sozialdemokrat für das Kolonialamt. Der der so- zialdemokratiichen Partei angehörende frühere Reichstags- abgcordnete N. Calwer erörtert im Julihest der „Sozia listischen Monatshefte" die Ablehnung des selbständigen Kolonialamtes durch das Zentrum und bemerkt dazu: „Selbst Kvlonialaegner müssen zugeben, daß, nachdem einmal Kolo nien vorhanden sind, ihre Verwaltung so eingerichtet werden muß, daß sie gut funktioniert. Bis letzt hat aber die Wirk lichkeit gezeigt, daß der Kolonialdirektor viel zu wenig Ein fluß besitzt, um den Mißständen in den Kolonien mit Er folg entgegenzutrete.r. Daß durch eine größer- Selbständig keit des an der Spitze der Kolonia-lverwaltuna stehenden Beamten wenigstens die Möglichkeit geschaffen worden wäre, die Verwaltung gründlich zu reformieren, das schein: der ZeatrumKpartei ganz entgangen zu fein. Es handelt sich im Grunde eben gar nicht um eine koloniale, sondern einfach um eine administrative Frage." * Alcisch-tlutcrsuchuug. Ein Privattelegramm auS Berlin teilt uns mit: Der BanveSrat ordnete an, das Pökelfleijch fortan nur mit zugehöiigen Lymphvrüjen einzusühren, um die Untersuchung sicherzustellen. * Unsere Lttafprozetz - Ordnung. Eine Lücke in der Strafprozeß Ordnung hat in einem in Heidelberg verhandelten BeleidigungSprozcß bei ter Kostensrage zu einer Entscheidung ae-ükrt, die mit dem öffentlichen Rccklsbewußtsein nicht im Einklang steht. Ein den besseren Gesellschaftskreisen an gehöriger Mann war zu einer 14 tägigen Haltstrafe ver urteilt worben, weil er ein Fräulein in zwei Briefen, die an einen Dritten gerichtet waren, schwer beleidigt batte. Seine Berufung wurde verworfen und er mußte die Strafe verbüßen. Nachträglich behauptete er, zurzeit der Begebung der Tat geistesgestört gewesen zu sein, unv da Vie Guk- achten zweier Irrenärzte zu seinen Gunsten lauteten, wurde er im Wiederaufnabmeoersahren freige'prochen und erhält aus der StaatSkajs« eine Entschädigung. DieBe- leidizteaber wurde zurTragung sämtlicher Kosten verurteilt. Sie hat also nicht bloß die ihr widerfahrene Verunglimpfung zu verschmerzen, sondern muß auch noch an Gerichts- und AnwaltSkosten, an Zeugen-und Sachverständigen- Gebühren ein kleines Vermögen opfern! Unv doch hat daS Gericht genau nach Vorschrift deS Z 503 der Strafprozeß ordnung entschieden! An einen Fall, wie den voiliegeuden, bat eben der Gesetzgeber nicht gedacht! Im §829 des büraerlichen Gesetzbuchs ist der Grundsatz ausgestellt, daß unter Umständen auch der geistesgestört Gewesene den vo, ihm angerichteten Schaden „iusoweit zu ersetzen bat, als die Billigkeit nach den Umständen, insbesondere nach den Ver hältnissen der Beteiligten, eine Schadloshaltung erfoidert". Die verurteilte Klägerin wird hoffentlich nicht versäumen, ihren zivilrechtlichen Anspruch auf Grund deS B G.-B. geltend zu machen. Die gesetzgeberische Ungeheuerlichkeit, daß der Ankläger eines geisteskranken Beleidigers zu einer schweren Geldstrafe verurteilt wird, muß natürlich so schnell als möglich aus ver Welt geschafft Werden. Selbstverständ lich soll in einem solchen Falle der FiskuS die Kosten tragen! Aber St. Fiskus wird diese Reformen, wie jede andere, die nickt eine Reform zu seinen Gunsten ist, zu verschleppen verstehen. * Der schwarze Adler. Die „Kreuzzeitung" hatte die Behauptung ausgestellt, Reichskanzler Fürst Bülow selbst habe die Verleihung deS Schwarzen AdlerordenS an Herrn von Siudt bei dem Monarchen beantragt. Jetz^ schreiben die häufig offiziös bedienten „Grenzboten" u. a.: „Der Gedanke der Ordensverleihung beruht ausschließlich aus der persönlichen Initiative des Monarchen, nicht aus amt licher Anregung. War der Kaiser aber einmal dazu ent- schlossen, so wäre es für den Ministerpräsidenten eine schwierige Ausgabe gewesen, der Auszeichnung eines Kollegen zu widerraten. Für dreien hatte ein solcher Einspruch des Ministerpräsidenten als eoosilium rrbeunäi gelten müssen, das zu der An erkennung des Monarchen in schwerem Gegensatz gestapden hätie Es ist für den Ministerpräsidenten in Preußen von jeher eine heikle Lache gewesen, der Krone auf dieser ihrer eigensten Domäne ent gegen «utieten, zumal wenn es sich um einen Kollegen handelt. Die Geschichte der Bismarckichen Zeit lehrt, daß auch ein in Ordens verleihungen im allgemeinen sehr zurückhaltender Monarch wie Kaiser Wilhelm der Erste darüber zu Differenzen mit seinem ersten Bei ater gelangen konnte." Die „Kreuzztg." hatte mit ihrer Erfindung den Zweck verfolgt, die allgemeine Ansicht zu widerlegen, daß der König von Preußen über das Verdienst des Kultusministers un zureichend unterrichtet gewesen sei. * Polizeiliche Uebcrwachung der Schnellzüge. Der „Hannoversche Courier" meldet: Der neue preußische Ver» kehrSminister Brertenbach hat durch ministerielle Verfügung die schärfere Ueberwackung der Schnellzüge angeordnei, wo^u in Zukunft außer dem Bahnhofspcrsoiial auch Geheim- Polizisten verwendet werden sollen. * Ein Jentrumöfieg in Vaden. Die badische Zweite Kammer nahm gestern mit 28 gegen 27 Stimmen den Ge setzentwurf des Zentrums an über die Aufhebung der Para graphen 16b und 16<: des GeseveS von 1874 über de» Mißbrauch der Amtsgewalt der Geistlichen. * Absage an die Mittelstands-Vereinigung. Die Stein- setzerinnung der Kreishauptmannschast Zwickau hat sich dahin entichieven, daß der früher inS Äuge gefaßte korporative Beitritt zur Mittelstands Vereinigung nicht zu empfehlen sei. Auch verurteilte die Innung die Art, mit welcher dre Mittel stands-Vereinigung durch die von ihr erlassenen gleichlauten den g-beimen Rundschreiben und Resolutionen die Innungen beeinflussen will. Di- Innung bat die Ueberieugung ge wonnen, daß die tächsi'che Mittelstands-Vereinigung cm Zweig der konservativen Partei kei und daß sie damit aller dings politische Tendenzen verfolge, wovon die Innungen sich fernzuhalten hätten. * Gäbrung t« Ruhrgebiet. Au- Bochum meldet ein Privattelegramm: DaS sozialdemokratische „BolkSblatt* berichtet über eine angebliche Gärung im Ruhrbergwerks gebiet, die sich baupt'ächlich aus die Kohlenträger unv Schlepper erstreckt. Aus der Zeche „Hannibal", wo die Schlepper mit Streik gedroht habe», ist ihnen eine Lohn erhöhung bcw lliat woiden. Aus der Zeche „Hannover" habe man den Führer der um eine Ausbesserung de» Schicht- lohnrs ringekommenrn Schlepper gemaßregelt und sodann AusdefleruogSzugrstLadoiffe -«macht.
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