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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 19.12.1905
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-12-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19051219013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1905121901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1905121901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1905
- Monat1905-12
- Tag1905-12-19
- Monat1905-12
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Anzeigeu-Annahm« Augustu»platz 8, Ecke JohanntSgast«, Dieitzpebition ist Wochentag« ununter rochen geüstoet von irü!) 8 oi« abends 7 Uhr. Filial-Expedition: Berlin, ».ützowstr. 10. » - Dresden, Manenftr.34i. Druck und Verlag von G. Polz in Leipzig Herausgeberr Or. Viktor ätlinkbardt. Sir. «14. Dienstag 19. Dezember 19L>5. 89. Jahrgang. Var Wchligzie vom Lage. * Die Nachricht, daß die sächsische Negierung noch i» dieler Srisio» eine» Gesetzentwurf über die Wahl recht Si eso rm einbringt, wird uns aus bester Ouelle bestätigt. * Nach einer amtlichen Bekanntmachung vom 18. De zember ist der telegraphische Verkehr mit Rußland auf allen Leckungen wieder ausgenommen Worten. * In Altserbien baden Kampfe zwischen türkischen Truppe» und Albanesen staltgesunren, da die Albanesen sich der Erhebung der Floiteusteuer widersetzen. * Schwedische Kriegssckisfe sind sowohl nach Petersburg wie nach Riga abaegangen. Von anderen Ländern hcsinten sich keinerlei Krreg-fahrzeuge zum Schutze der fremden Staatsangehörigen in russischen Häfen. Vie viZlenkrage. Wenn der Artikel 28 der Verfassung deS Deutschen Reiches vom 16. April 1871 noch in voller Gültigkeit wäre, müßte der Reichstag seinen Bankerott erklären. Dieser Artikel lautet in feiner ursprünglichen Fassung: „Der Reichstag beschließt nach absoluter Stimmenmehr heit. Zur Gültigkeit der Beschlußfassung ist die An wesenheit der Mehrheit der gesetzlichen Anzahl der Mit glieder erforderlich." Da die Gesamtzahl der Abgeord neten 307 beträgt, gehören zur Erfüllung der Gültig- kcitsbedingung 100 Abgeordnete. Der gelegentliche Be- fucher des Reichstages aber, dem diese Anzahl dec Aus erwählten des Volkes beisammen zu sehen vergönnt ist, sollte schleunigst in dec Lotterie spielen. Das große Los oder mindestens ein Hauptgewinn ist ihr» bei solchem Glück sicher. Es vergehen im Laufe einer Tagung Wochen und Monate, in denen an keinem einzigen Tage die Bc- schlußsähigkeitszisfer erreicht wird, und auch seit der heurigen Einberufung des deutschen Parlaments hätte der Reichstag kaum an drei Tagen der Zählprobe stand gehalten. Das ist aber kein Uebel von heute oder gestern, sondern schon unmittelbar nach der Einrichtung der In stitution, in den ersten siebziger Jahren, wurde die Un- Möglichkeit erkannt, nut dieser Bestimmung zu wirt- schäften, und die Unmöglichkeit, an den Beschlußtagcn die erforderliche Anzahl Mitglieder zusammenznrufen, machte cs nötig, durch Gesetz vom 24. Februar 1873 die im zweiten Satz des zitierten Artikels 28 der Verfassung enthaltene Bedingung fallen zu lassen, so daß also seit dieser Zeit von jeder beliebigen Anzahl Abgeordneter gültige Beschlüsse gefaßt tverden können. Das ist denn auch in der unendlich überwiegenden Mehrzahl der Fälle so geschehen, und die Gesetze, die in Anwesenheit der Mehrzahl der Abgeordneten gefaßt worden sind, können sehr stolz auf diese Auszeichnung sein. Nun hat aber die Aushebung der Gültigkeitsbedingung des Artikels 28 doch eine Schuhmaßregel gegen Ueberraschungen, Verab redungen, Zufallsmajoritäten, auch gegen illoyales Ge baren unbedingt notwendig erscheinen lassen. Eine Partei brauchte sonst nur an einem der vielen Abstim mungstage plötzlich mit allen ihren Mannen anzurückcn, schleunigst über alle Vorlagen abstimmcn zu lassen, um die Gesetzgebungsmaschine ganz nach ihrem Willen zu dirigieren. Deshalb ist die Bestimmung getroffen, daß die Abstimmungen in Anwesenheit einer Minderheit der Abgeordneten nur dann gültig sind, wenn die Beschluß- föhigkcit, das heißt die Anwesenheit der Mehrheit, nicht bezweifelt wird. Und dieser Zweifel kann von jeden? einzelnen Abgeordneten rcchtswirksam geltend gemacht werden. Hieraus wird es verständlich, weshalb bei den allermeisten Abstimmungen das Schicksal der Vorlagen in der Hand jedes einzelnen Abgeordneten liegt, und oft genug ist von diesem Rechte Gebrauch gemacht worden. Ost genug aus Notwehr, öfter aber aus irgendwelchen anderen Gründen, die sich im Preise bekanntlich nicht von den Brombeeren unterscheiden. Und dies ist auch der Grund, weshalb die nationalen Parteien des Reichs tages zum täglichen Paktieren mit den Sozialdemokraten gezwungen sind, denn wenn diese Obstruktion treiben wollen, so kann sie nichts daran hindern, da an das ständige Zusammenhalten von 199 Abgeordneten unter den jetzigen Bedingungen nicht zA denken ist. Nun ist es richtig und auch in diesen Tagen öfter gesagt worden, daß die heutigen Abgeordneten mancherlei zur Entschuldigung des Absentismus anführcn können. In den ersten Jahren nach Gründung dcS Reiches dauerten die Sessionen drei bis vier, jetzt dauern sie sechs und sieben Monate. Und man muh zugestehen, daß es eine harte oder sogar unerfüllbare Pflicht für manchen Abgeordneten sein würde, diese ganze Zeit in Berlin zu bleiben. Viele würden es auch beim besten Willen nicht können, weil sie das Geld nicht dazu haben, oder weil dringende wirtschaftliche Angelegenheiten ihre Anwesen heit an anderen Plätzen fordern. Und dieser Zwang wurde auch weiter wirksam bleiben, wenn die Reichstags abgeordneten sämtlich von dem denkbar größten Idealis mus erfüllt wären, sintcmentalen ein ungeschriebene» Gesetz besagt, daß wirtschaftliche Notwendigkeiten immer über Absichten und Ansichten der Individualitäten triumphieren. Daß dieser Zustand aber höchst beklagens wert ist, wird von keiner Seite bestritten. Er vyr allem ist auch an der Vielrcderei, dieser Geißel des deutschen Reichstages, schuld. Denn nur seinetwegen müssen sich die aufs Positive gerichteten Parteien die gräßlichen Daucrredcn, die ewigen Wiederholungen gefallen lassen, und wagen nicht, Schlnhanträge zu stellen, weil die ge kränkten verehrten Kollegen natürlich sofort mit An zweiflung der Beschlußfähigkeit antworten würden. Daß rS außerdem ein absolut unwürdiger Zustand ist, wenn bi« wichtigsten, eingreifenden Gesotz« vor einer Handvoll Abgeordneter verhandelt und erledigt werden, das bedarf keines Beweises. Demi wenn die Verfassung gemeint hätte, 24 Abgeordnete genügten, um über die Interessen des deutschen Volkes zu entscheiden, so hätte sic das ja bestimmen können. Sie besagt aber, daß es 397 sein sollen, was etwa sechszehnmal so viel sind. Hier hebt nun der Streit um die Diäten der Abgeord neten an, die von den weitaus meisten als einziges Mittel angesehen werden, um alle die ausgczähltcn Uebel, wenn nicht gänzlich zu beseitigen, so doch auf ein Mindestmaß zurückzudrängen und häufiger als jetzt oder gar regel mäßig ein beschlußfähiges Haus zusammenznbringen. Deshalb hat das Haus selbst den Antrag angenommen, den Abgeordneten Diäten zu bewilligen. Der Bundesrat hat darauf bis jetzt nicht reagiert. In der vorigen Session hat der Reichskanzler sich für seine Person als Diätcnfreund bekannt, und man hoffte damals allgemein auf eine Zustimmung des Bundesrates. In der dies maligen Etatsberatung ist von verschiedenen Seiten, so vom Abgeordneten Ballermann, die Anfrage nach dem Stand der Diätencrörterung gestellt worden, jedoch hat eS bezeichnenderweise der Kanzler dies mal vermieden, sich zu dem Gegenstände zu äußern, während sein Vertreter Graf Posadowsky eine Reihe sehr äußerlicher und sehr leicht wiegender Gründe für die Nichtbewilligung angeführt hat. Es darf hierbei zuge standen werden, daß die ursprüngliche Absicht für die Nichtbewilligung von Diäten wohlerwogen schien, wenigstens vom Standpunkte der verbündeten Negie rungen aus, die kein Interesse an einer noch weiteren Demokratisierung des Neichstagswahlrechtes hatten. Sie glaubten, die Diätenlosigkeit werde den Vertretern der minderbemittelten Klassen das passive Wahlrecht und seine Ausübung, sagen wir euphemistisch, nicht er leichtern und damit ein gewisses Korrektiv gegen das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht bilden, Was aber ist eingctroffen? Die Diätenlosigkeit hat die Sozialdemokratie nicht verhindert, 81 Abgeordnete in den Reichstag zu schicken, überdies der Mehrzahl die^z, Abgeordneten in irgend einer Form Diäten von Partes wegen zu zahlen und die Abgeordneten dadurcy ständig znr Verfügung und in der Hand zu behalten. Die anderen Parteien aber, die nicht über solche Mittel ver fügen, leiden unter der Diätenlosigkeit viel mehr. Diese Zustände sind offenkundig, und sicher verschließen sich auch die verbündeten Regierungen dieser Erkenntnis nicht. Was sie vielmehr bewegt, an ihrem Negieren vorläufig noch festzuhaltcn, ist wahrscheinlich eine andere Er wägung, ein sehr einfaches Nechenexempel. Nimmt man nur 120 Sitzungstagc in der Session an und seht die Diäten auf 20 fest, so würden das 2400 für den ständig anwesenden Abgeordneten sein. Der ganze Reichs- tag würde danach etwa eine Million Diäten in der Session beziehen, wenn er nämlich immer vollzählig wäre. Das ist aber ganz ausgeschlossen, und mit der Hälfte des Geldes würde man wahrscheinlich ausrcichen. Vollzählig anwesend würden aber ständig die Sozial demokraten sein, die also vom Reiche jährlich mit rund 200 000 subventioniert würden, während sie jetzt eine erhebliche Summe, aus der eigenen Tasche, für den gleichen Zweck ausgeben müssen. Die sozialdemokratische Partei stünde sich also finanziell jährlich bei Bewilligung von Diäten besser als jetzt und könnte für ihre agitato rischen Zwecke entsprechend größere Aufwendungen machen. Daß man eine Maßregel mit solchen Folgen weislich überlegt, läßt sich wohl verstehen, ebenso auch, daß man versucht, diese Wirkung auf irgend eine Weise zu verhindern. Deshalb ist schon vor Jahren von Absichten gemunkelt worden, die Diätenfrage zu benutzen, um mit ihr zugleich eine Revision des Reichstagswahl- rechtes cintrcten zu lassen. Das wollen natürlich und mit Recht die Abgeordneten in ihrer großen Majorität nicht konzedieren, und so steht die Frage heute noch auf dem alten Fleck. Man sollte freilich meinen, daß die Negierung auf die Dauer trotz ihrer Bedenken bei ihrer Negation nicht wird verharren können, denn die Not des Reichstages, vor allem aber auch seine Einbuße an Ansehen nach außen und an Selbstachtung ist bei dem jetzigen Stande der Dinge zu groß. Es kann einer Negie rung nicht gleichgültig sein, ob die Institution, mit der zusammen sie dem Volke die Gesetze diktiert, ein ver- ständig und sinngemäß arbeitendes und arbeitsfrohes Parlament, oder ob eS eine übellaunige Karrikatur einer Volksvertretung ist. Deshalb glauben wir trotz aller schlechten Aussichten doch an die schließliche Bewilligung der Diäten. stevoMion uns Negierung in N«;rlans. Seit Monaten herrscht in Rußland ein wilde» Durch einander sich gegenseitig bekämpfender Kräfte. Das Volk zerfleischt sich gegenseitig wie wilde Tiere. Man hat lausende von Juden ermordet. Zehntauscnde von Armeniern, Kaukasiern und Mohammedanern sind erschlagen. Das Militär hat in zahllosen Orten gemeutert und blutige Kämpfe hervorgerufen. Die Streiks haben das ganze Ver- kehrslcben, Handel, Industrie und Gewerbe um viele Millio- nen an Werten geschädigt. Die Bauern revoltieren und senaen, morden und plündern. ES werden die Steuern nicht mehr gezahlt. Die Beamten sind ohne Autorität. Dos niedere Volk terrorisiert die sozial höher Stehenden, und in den Grenzprovinzen herrscht Aufruhr und vollst» Anarchie! Und das alle», nachdem der Zar dem russischen Volke eine Verfassung zugesaat und die Negierung schon ein halbes Dutzend offizielle Erklärungen abgegeben hat, in denen sie ihren und deS Kaisers festen Willen verkündete, die versprochenen Reformen durchzusühren. Die Besorgnis, daß alle Reformen zu spät kommen würden, daß e» dem russischen Volke gehen würde, wie einem durch fortwährende Mißhandlungen gepeinigten Tiger, dem der Bändiger nach langer Qual endlich die Fesseln löst und der nun die Freiheit dazu benutzt, sich auf seinen verhaßten Befreier zu stürzen, das ist schon früher ausgesprochen worden. Aber würde ein solches wütendes Tier nicht einfach niedergeschossen werden? Witte ist ein merkwürdiger Optimist gewesen, als er sich dahin äußerle, daß die russische Regierung, b. i. dieselbe Regierung, die seither nur durch Grausamkeit. Willkür, Furcht, Polizei- und Waffengewalt geherrscht, jetzt mit Ge duld und Sanftmut die Entwickelung der Dinge abwartcn wolle. Witte meinte, das Ausland kenne das russische Volk nicht. Nun, jedenfalls erkennt man im Ausland zweierlei: einmal, daß in dem russischen Volke die Bestie erwacht ist, und zum andern, daß ein Teil dieses Volkes vollbcwutzt aus den Sturz des Zaren und die Errichtung der Republik und die Zerstückelung des Reiches in einzelne selbständige Staats gebilde binarbeitet. Das ist für den unbeteiligten Ztpchauer ein so klares Bild, daß man nicht begreift, weshalb die russi sche Regierung bislang gezögert hat, mit eiserner Jaust in das Wespennest zu greisen und die Revolution und die Anarchie überall da, wo fie unverhohlen ihr Haupt erhebt, niederzutreten. Auf was wartet denn eigentlich die russische Negierung? Etwa auf die Rückkehr der meuternden Truppen vom Kriegsschauplatz? Mit deren Eintreffen wird die Staatsumwälzung erst ihr wahres Gesicht zeige», und aus den jetzigen Hunderten von Erschlagenen werden Zehn- tauseiide werden, und auf dem Lande werden die mordenden, sengenden und plündernden knüttelbewasfneten Bauern kriegskundige tvohlbewchrte Mitkämpfer finden. Oder wartet die Regierung auf die Duma? Da wird sie ebeniowenig Unterstützung und ebenso heftigen Widerstand finden wie einst die Negierung LudwigS XVI. durch die ein- berufenen Stände. Damals war der Adel, wenigstens zu Anfang, auf seilen der Negierung, während heute der Semstwokongrcß in Moskau, also, die Vertreter des zumeist in adligen Händen befindlichen Grundbesitzes, wvhlgcmerkt die gemäßiaste Partei der künftigen gesetz gebenden Versammlung, sich fast einstimmig für die Auto nomie, die Selbstrcgicrung der russischen Grcnzlande, namentlich Polens, erklärt hat. Die Revolution muß fest an der Gurgel gepackt werden, ehe sie alles zerstören kann. Das ist auch die Meinung von Leuten, die Rußland aus eigener Anschauung gründlich kennen. Zu ihnen zählt z. B. Gras P feil, der der Witteschen Negierung und dem Zaren jetzt äußerste Energie zur Wiederherstellung der Ordnung dringend anemi>siehlt. Ist es dock, wie er iw „Tag" berichtet, bereis s, .g.k.'niM'.n, daß sich selbst unter den Damen des Hofes aufrührerische Gesinnung zeige. Er beruft sich dabei auf das Zeugnis eines in Berlin weilenden, dem höchsten Adel angchörendcn Russen, der ihm sagte, daß dies der Grund gewesen sei, weshalb seine Frau ihren Besuch in Petersburg abgebrochen habe. Aber obgleich der Strom der Vvlksleidenschastcn bereits alle Dämme zu zerreißen droht, ist Gras Pfeil der Ucberzeugung, daß auch heute noch die Möglichkeit für die Regierung vorhanden ist, den Ausstand nieder;uzw:nc-.cn. DaS stehe aller dings nicht mehr in der Macht des Grafen Wüte, das könne nur der Zar allein. Wenn er in den beiden Hauptstädten persönlich das Veisviel geben, sich an die Spitze der Truppen stellen und zu ihnen reden würde, wie er neulich zum Ssemenowschen Leibgarderegiment sprach, so würde er in diesen eine Begeisterung erwecken, wie er selbst nicht ahnt, und dieses Beispiel würde zündend über fanz Rußland wirken, auch die Entschlossenheit der Generale tärken. Wenn überall der Kriegszustand verkündet würde, eder auch nur versuchte Aufruhr dem kriegsgerichtlichen lrteil anheimsiele, welches nur zwei sofort zu vollstreckende Entscheidungen kennt: Freisprechung oder Tod, dann würde bald Ruhe im Innern vorhanden sein, und man könnte sich mit den Grenzlandern beschäftigen. Man möge dies, sagt Gräf Pfeil, grausam nennen, soviel man will. Kommen aber erst die Führer der Anarchie zur Regierung, so werden ie mit den Köpfen der Besitzenden noch ganz anders um- pringen. Nein! Solche Entschlossenheit wäre nicht Grau- amkeit, sondern gebotene Menschlichkeit, mit dem Opfer von einigen hundert Menschen Hunderttousende zu retten und dem Staat seine Ruhe wiederzugeben. Es ist allerdings die höchste Zeit! Finnland hat sich ganz selbständig gemacht und ist nur noch dem Namen nach durch die Person des Zaren- Großsürsten mit Rußland verbunden, wie der Empfang des neuen Generolgouverneurs Gerard in Helsingsors lehrt. Beim Empfang der verschiedenen Behörden wurde kein Wort Russisch gesvrochen, nur Französisch, Schwedisch oder Finnisch, auch die Zusammengehörigkeit mit Rußland gar nicht erwähnt. Eine der ersten Unterschriften des neuen Generalgouvcrneurs war die Entlassung sämtlicher bei den sinnländischen Bahnen angestellten russischen Beamten und die Abschaffung der russischen Uniform jür die finnländische Polizei. Bald wird ein m seinen Stammen bereits vor handenes sinnländisches Heer geschaffen werden, für welches bereits über 100 000 russisch ausgebildete finnländische Re serven vorhanden sind. Reißt Finnland sich jetzt endgültig von Rußland los. was vielleicht nur noch eine Frage dec Zeit und Gelegenheit ist, so ist dieses kaum zur Wiedererobe rung fähig. Dann aber liegt Petersburg nur noch etwa 20 Kilometer von einer fremden Grenze entfernt. Die wenigen Nachrichten, welche aus dem Kaukasus in die russische Presse gelangen, lassen erkennen, daß dieses weite Gebiet nur noch zum kleinsten Teil und in den große- ren, mit Truppen besetzten Städten in unbestritten russischem Bentz ist. Hätte Rußland dort in der Türkei einen an- grifsentschlossenen Nachbar, ko wären längst alle Eroberun gen des letzten Krieges verloren. In Polen bereitet man sich derart auf die zweifellos bevorstehende Selbstreaierung vor, daß bereits mit Vertrei bung der niederen russischen Beamten begonnen wird. Wie man mit Sicherheit annimmt, sind bereit» sämtliche polnische Anwärter für alle irgendwie wichtigen Stellungen voraus- gesehen. Dort wird es wohl, hat erst die Duma ihren sicher lich polensreundlichen Willen ausgesprochen, zu schweren Kämpfen kommen. . Am traurigsten sieht eS ober in den b g l t i s ch en V r o - vinzen, namentlich in Kurland und Livland, au». Dort ist bie „Baltische Republik" bereits verkündet und in man chen Gegenden schon in Wirksamkeit getreten. Rußland hat jetzt im baltischen Gebiet zu wenia Truppen, um den Kampf erfolgreich ausnehmen zu können: doch ist eS undenkbar, daß es.diese Provinzen auf die Dauer sich selbst überläßt. Man hört ja auch, daß Truppenmassen znsammenaezoaen werden, um die lettischen Aufrührer, Plünderer und Mordbrenner zu Paaren zu treiben. Die Regierung scheint jetzt zu erkennen, daß daS Maß voll ist. Alle Meldungen beuten daraus bin, daß sie mit der bisherigen zu wartenden Haltung abbrechen und, wenn Rübe und Ordnung auf gesetzlichem Wege sich nickst wieder Herstellen lassen, selbst vor der Diktatur nicht zurück- schrecken wirb. Zunächst hat sie die Zeitungen, welche zu revolutionären Schritten ausjorderten, unterdrückt, undHrn« Anzahl Agitatoren hiuter Schloß uud Riegel gesetzt. Leider dürste sie der schlimmsten Hetzer und Aufwiegler schwerlich habhaft werden, denn die, weiche offen ihre Beratungen ad- gehalten haben, wie die jetzt Verhafteten, darf man wohl noch zu den Gemäßigteren zahlen. Aus jeden Fall scheint die Regierung entschloyen, die Ruhestörer und Aufrührer endlich unschädlich zu machen und bei diesem Vorgehen kann man ihr nur Erfolg wünschen, vorausgesetzt, daß dadurch die ver heißenen Reformen nicht geschmälert werden. Deutsches Deich. Leipzig, lS Dezember. * Fürst Bülow und der Sozialist Hyndmau. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" schreibt: Wir lesen im „Vorwärts": „Die „Times" veröffentlichen Tele gramme des englischen Sozialistcnführcrs Hyndman, in denen dieser entgegen der Behauptung des Fürsten v. Bülow in der Reichstagsverhaudlung vom vorigen Donnerstag entschieden in Abrede stellt, daß er irgend etwas gegen die Freundschaft zwischen England und Deutschland geschrieben habe. Hyndman teilt noch mit, daß er dasselbe Dementi dem Abgeordneten Bebel über mittelt habe." Der Reichskanzler stützt sich bei seiner Behauptung auf folgend? Stelle eines Artikel», der im Abendblatt der „Krcuzzeitung" vom 22. September d. I. erschienen ist: „Anders als die Redakteure deS „Vor- rvärts" denken die englischen Sozialdemokraten. So schrieb Mitte März d. I. ihr Führer Hyndman in seiner „Justice": England müsse sich mit Frankreich verbinden, damit eS der deutschen Flotte unmöglich gemacht werde, ihre Flagge auch nur für eine Woche auf dem Meere auf- rcchtzuerhaltcn." * Graf Hohenthal. Gegenüber einer Meldung der „Deutschen Wacht", nach der der sächsische Gesandte in Berlin, Graf Hohenthal, zum Nachfolger dcS Ministers v. Mctzsch designiert sei, bleiben wir bei unserer früheren Behauptung stehen, daß der Gesandte für diesen Posten nicht mehr in Betracht kommt. * Die Tresancr Ltraßen-Temonstralirnen. Die „Säch- fische Arbeiterzeitung* schreibt zu dcn Straßen-Demon strationen: „Die Sozialdemokratie bat diese Demonstrationen nickt »»wollt; die „Sächsische Arbeiterzeitung" und die Redner in den Versamm lungen da en davon abgemabnt. In 5 von den 7 gewaltig über- süllien Versammlungen ist die Parole stritte desolat worden, ta Zweien war die Erbitterung jedoch stärker als dir Disziplin: Der Groll schäumte und die Maßen ballten sich zusammen zur Demon- stratwn. ES wäre bester, e« wäre nicht geschehen, aber daß »« g«- scheben konnte, da- ist nur ein Zeugnis von der ungeheure« Er bitterung, die da- Wablunrecht entfacht hat." An anderer Stelle beißt e» in dem Blatte: „?lm letzten Sonnabend hat sich gezeigt» daß e» 1« solche» stitnchen Zeilen wie jetzt nickt genügt, in Zeitungsnotizen und Ver sammlungen darauf hinzuwrisen, daß niemand aus die Straße gehen soll. Wenn einmal die Parole ausgegeben wird: Niemand auf die Straße, dann muß auch alle« getan werden, um Straßenkund- gebungen zu verhindern. Hält« z. B. ein bekannter Genosse die aus den Versammlungen kommenden Leute nochmal- mit lauter Stimme ausgesordert, ruhig nach Hause zu gehen, und ihnen nahe gelegt, daß jeker der Sacke schabe, der diese Auiiorberung nicht be folge dann batten leicht der Umzug und dadurch die Vorgänge auf rer Wiener Straße veidüt.t werden können. — Jedenfalls dürfe» wir es nickt dein Zufall überlasten, ob einige hunkerte auf eigene Hand Temvnttraiionen macken. — Wir mästen vielmehr damit rechnen, daß sich ten hundert höchst zweifelhafte Elemente anschlirßen, für Irren Taten wir veraniwortiich gemacht werden. Ta- muß man aber mit allen Mitteln zu verhüten suchen, die unS zu Vedole stehen. Jedenfalls muß den Massen klar gemacht werden, daß Disziplin in solchen Zeiten nöliger ist al- zu anderen Zeiten." Derartige Lamentationen nach den Ereignissen viefer Dresdner Dezembernacbt werden mit Recht jeden Eindruck verfehlen. Die Sozialdemokratie hat sich so ost ihrer auS- ge:eichneten Disziplin gerühmt, daß sie sich selbst in da» G sicht schlägt, wenn sie jetzt zugeben muß, daß diese verjagt hat. Dazu aber kommt ba» Aneere, die völlige Verkennung ver eigenen Schuld bei den Führern der Bewegung. Sie ernten jetzt nur was sie mit ihren Reden und Artikeln unmittelbar vor dem 16. Dezember gesät haben. Ueber so viel Mastenpsychotvgie müssen die in der Demagogie so wohl erfahrenen Herren doch verfügen, daß sie diese Früchte chrer „voltSgufkliirenden* Arbeit vorausjebm konnten. Zu dem wiederholt sich ja hier nur die Erfahrung aller revo lutionären Bewegungen, daß den Führe, n in der entscheiden den Stunde die von ibnen geschürte Erregung der Masten über den Kops wächst. Ist eS aber der sozraleemokratitchen Presse Ernst damit, daß sie keine Vorgänge wie Vie io dieser Dezemberwoche wünschen, dann haben sie eS jetzt noch in der Hand, durch ibr fernere- Verhalten dafür den Beweis zu erbiiogen, indem sie diese ganze Art und Weise jür v>e sächsische Wahlrechtsreform zu kämpfen, ausgeben. Sich jetzt aber von ver moralrfchen Schale an dcn Dresdner Siraßcnkämpfcn sreisprcchcn zu woll n, ist und bleibt eine vergebliche Mohrenwäsche. Für da- Elenv, in da» sich die Tumuttant n in Dresden gestürzt haben, die jetzt der gericht lichen Aburteilung entgeg,«geben, bleiben die Herren verant- wv'tlich, die mit ihren Reden unv Artiletn da« Feuer geschürt haben. Mözen ste auch nach dem Vorbild jo vieler anderer lei-o.ut onärer Führer selb l nick beiter Haut davonlommen, während andere jür sie büßen müssen. * vrrhemtz Sächsischer Jubuftrteler. In der in Plauen adaebaltenen Hauptversammlung der Ortsgruppe Plauen vom Verbände Sacksilchcr Industrieller wurde nach einem mit vielem Bestall ausgenommen»« Vorträge deS Ver- dandSiyndikus Dr. Stresemann über „Industrielle Streit fragen" folgende Reiolution angenommen: ,.Dir unterzrick rieten Mitglieder de» Gesomtnornande- und der Vorstände der Oitegruppen ke» Verbandes sächsischer Industrieller können in der angetünvigten ReaierungSuorlage hetr. die Vertretung der Industrie in ver Ersten Liändekainiiirr rineEisüllung der dies bezüglichen berechtigten Wünsch« der iächsi'chen Industriellen nicht erblicken. In einer Zubilligung von fünf Vertretern von Handel, Industrie und Genrrde wird eine auch nur r n geimaßen ang>m>stene Vrtretnng Vieler für da« jäcksiiche Erueibeiebeu wichtigen BrrusS- gruppen nickt erblickt werden lünnen, augrsichi- der Taljach«, daß eie sächsischen RilieigutSdeiitzer 2-' Vertreter und mit den Besitzer» der Ctandesherrichatien L7 Bertr.ter in der Ersten Ständekammer desitzen. E- muß zudem al« eia krönkente« Mißtraue» gegenüber der sächsische» Judustri« angesehen werd«,, daß de» ViUergnh»-
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