02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 02.08.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-08-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070802028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907080202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907080202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-08
- Tag1907-08-02
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R.) * Das mediatisierte Fürstentum Sagan ist unter Zwangs verwaltung gestellt. sS. Dischs. R.s * Tos Kabel zwischen Tanger und Spanien ist unter ¬ brochen, doch ist die spanische Regierung über die ernste Lage unterrichtet. sS. Tgssch.) —— * Der Sekretär des Präsidenten Roosevelt teilte mit, wie aus Osterbay gemeldet wird, daß das Marinedepartement bereits Vorbereitungen für die Entsendung der atlan tisch enFIotte nach dem Stillen Ozean treffe. lS. Ausl.) * Für st Ferdinand von Bulgarien trifft Sonntag früh zum Besuch des Kaisers Franz Josef in Ischl ein und reist abends wieder ab. * Der französische Resident von An am hat die Gefangen setzung des Königs ThanhThay in seinem Palast und die Einsetzung einer Regentschaft veranlaßt. Tagesschau. Jener und Schwert in Marokko. Tie „Jrkf. Ztg." meldet aus Berlin: Aus der Tatsache, daß der hiesige französische Geschäftsträger gestern sofort im Aus wärtigen Amte erschien und Mitteilungen über die Ereignisse in Casablanca, sowie über die von der franzö sischen Regierung beabsichtigte Entsendung von Kriegsschiffen gemacht hat dürfte hervorgehen, daß die französische Negierung dort im Ein verständnis mit Deutschland und anderen Mächten vorzu gehen gedenke. Aus Tanger wird weiter gemeldet: In Casa blanca haben die Rebellen die Regierung an sich ge rissen. Die Stadt ist von Tausenden fanatischer Mauren umringt. Die Europäer sind in großer Gefahr, da die Mauren nicht gestatten, daß sie sich auf die ausländischen Schiffe flüchten. Einige Europäer, welche flohen, als die Lage gefährlich wurde, sind in Tanger eingetroffen. Auch die Hafenstadt Rabat wird von den umliegenden Stämmen belagert. — Die Londoner „Pall Mall Gaz." schreibt über die Ereignisse in Casablanca: „Die Gefahr ist derartig, daß ein unüber legtes Vorgehen Frankreichs entweder in Marokko einen Massen mord der Europäer, deren Zahl sich aus etwa 5000 beläuft, oder einen europäischen Krieg herbeiführen kann. Es ist not wendig, ein Mittel ausfindig zu machen, um der Anarchie in Marokko ein Ende zu machen; mit einem Worte: Die deutsche Regierung har nunmehr Gelegenheit, zu beweisen, daß ihre schönen Worte richtig waren. Frankreich hat das moralische Recht, freie Hand in dieser Angelegen heit zu behalten, und Pflicht Englands ist es, d ar über zu wachen, daß Frankreich dieses Recht be hält." „Daily Graphic" sagt: „Das Ansehen des Sultans ist niemals groß gewesen, und durch die Akte von Algeciras noch vermindert wor den. Wenn «ine prompte Aktion nicht erfolgt, so ist sicher, daß die Anarchie in Marokko steige und die Tinge in kurzer Zeit eine ernste Wendung nehmen werden." — Ein unmittelbares Recht zum sofortigen Eingreifen in das marokkanische Tohuwabohu wird Deutschland in dem Moment haben, in dem Deutsche von den maurischen Horden angegriffen werden, dann wäre es sogar die augenblicklich vornehmste Pflicht der Negierung, eine energische Demonstration vom Stapel zu lassen; aber auch dann dürfen wir nicht mehr absolut passiv im Schatten bleiben, wenn Frankreich uns eine zweite Ndjda-Situation bereiten sollte. Im cintretenden Falle dürfen wir uns unser Recht nicht verkümmern lassen, sondern müssen beweisen, daß wir gerade jetzt die Macht haben, über die allzu gelenkige „freie Hand Frankreichs in Marokko" zu wachen. Eins freilich tut not; daß die marokkanischen Rebellen vor der Hand unschäd lich gemacht werden, und zwar derart, daß auch wir ein kräftiges Wört- lein mitreden, wenn's nun einmal not tut. Der Horizont wird klarer. (Von unserm römischen ^.-Korrespondenten.) Die italienischen Kommentare zu den Verhandlungen im Haag finden sich allmählich zusammen in dem Ausdruck einer starker Ent täuschung über das Verhalten Englands, das so grandios und verdienst lich zu werden versprach und doch so kläglich und bureaukratisch ge wesen ist. Selbst ein Blatt wie der „Secolo", das aus England schwört und in Deutschland nichts als den unfehlbaren Spielverderber sicht, kann nicht umhin, eine furchtbare Blamage Englands einzuräumen und ein Loblied auf Deutschland anzustimmen. In freudigem Sinne, so sagt der „Secolo" schweren Herzens, sind wir durch das Auftreten der deutschen Delegation überrascht worden. „Man glaubte allge mein s!!), daß Deutschland sich darauf beschränken würde, sich allen heiklen Fragen zu widersetzen, namentlich aber der Frage der Rüstungs beschränkung und des Schiedsspruches. .Hingegen wissen wir heute in berrcsf der letzten Frage, daß sich Deutschland durchaus nicht widersetzt. Ter Baron Marschall hat im Prinzip den von den Vereinigten Staaten von Nordamerika befürworteten Vorschlag angenommen, der nicht nur den obligatorischen Schiedsvertrag betrifft, sondern auch die Einrichtung eines dauernden Gerichtshofes, d. h. die Einrichtung eines wahren und eigentlichen internationalen Parlaments. Man glaubt zu träumen und ist doch in der Wirklichkeit!" Der gute „Secolo"! hoffentlich ist er so gütig, es nicht Deutschland zur Last zu legen, wenn das Schiedsgericht einmal seine hohen Er wartungen wenig befriedigen sollte. Inzwischen ist auch sogar der offi ziöse „Popolo Romano" auf dem Plane erschienen. Er betitelt seinen Anfsatz „Wilhelmshöhe", macht aus der englischen Netirade im Haag eine Tugend, ans der englischen Ratifikation der internationalen radio- telegraphischen Konvention ein Verdienst und „eine rücksichtsvolle Hand lung" und sieht das alles gekrönt von der Zusammenkunft in Wilhelms- Höhe, die das in Italien wahrlich willkommene „Anzeichen eines verän derten Verhältnisses zwischen Deutschland und England" sei. Er bekennt weiter mit immerhin bemerkenswerten Worten: „Im Grunde war die Kühle, die sich in den Beziehungen zwischen den beiden großen Nationen offenbart hatte, vornehmlich verschuldet durch die koloniale Expansions bewegung Deutschlands und durch die Furcht, die man in England vor einer Konkurrenz hatte, die der englischen Handelswelt schwere Sorge bereitete: es handelte sich um die gleiche Rivalität, die sich vorher eine Zeitlang zwischen England und Frankreich gezeigt hatte. In derselben Weise nun, wie sich England und Frankreich zu der neuen Systemati sierung ihrer großen Interessen in der Welt zusammengefunden hoben, überzeugt, daß für alle genug da ist, so ist kein Grund zu zweifeln, daß das gleiche zwischen England und Deutschland sich vollziehe; und di« Begegnung der beiden Herrscher wird ohne Zweifel dazu beitragen, den Beziehungen jede Rauheit zu benehmen und es dahin zu bringen, daß jeder der beiden Teile die berechtigte Empfindlichkeit des anderen achte." Zeitungs?chcni. Der Artikel Friedrich Naumanns über den preußischen Wahlrechts kampf ist natürlich wie eine Bombe in die Kreise aller Reaklionäre und aller mattberrig liberalen Philister hineingesahren. Freilich ideniisfliert sich auch die Redaktion des „Bert. Taget'!.", welches den Artikel gebracht hatte, in einem Punkte mit Naumanns Anschauung nicht: „den Äeamten-Erlaß vom 4. Januar 1882 vermag sie auch heule noch nicht als eine cmpfeblenswene Waffe zu betrachten", lieber das Mißver ständnis. welchem die Erörterungen des freisinnigen Politikers offenbar in oer freisinnigen Redaktion begegne: sind, wird einmal ausführlicher gesprochen werden müssen. Ernster sind die Einwendungen aufzufassen, welche von der „Münch. Allgem. Zeita." gegen Naumanns alternativen Vorschlag einer Uebcr- wälligung Preußens durch die Reichsgesetzgebung erhoben werken: Es gehört schon eine große Zuversicht aus die Begeiiierungslühigkeit der preußischen Regierung sür ein neues Wahlrecht dazu, um zu glauben, daß sie je dazu kommen könnte, einen solchen Weg zu geben. Aber auch abgeseken davon, ob dieser Weg einmal in Betracht kommen könnte, muß doch schon beim bloßen Auswerfen dieser Frage auf die Bedenken bingeivieien werden, die ein derartiges Zwangsverfahren im Hinblick auf das Berkältnis der Bundes staaten zum Reich aufsleigen lassen muß. Es würde sich, selbst wenn man annimmt, daß die Mebrzahl des preußischen Volkes materiell mit der Wirkung einer solchen Maßnabme, einem liberaleren Wahlrecht nämlich, einverstanden wäre, doch der Form nach zweifellos um die Vergewaltigung eines Bundes staates handeln. Diese wird staatspolitisch dadurch nicht einwandfreier, weil es der größte Bundesstaat ist, dem durch die Reichsgesetzgebung gegen den Willen sehr mächtiger politischer Kräfte Zwang angetan werden soll. Es würde so ein Präzedcnzsall geschaffen, der sich als Sünde wider den Geist der bundesstaatlichen Verfassung des Reiches einmal sehr bitter rächen könnte. Und eS würde ja wohl auch nicht immer der größte Bundesstaat sein müssen, aus den er angewendet wird. Darum dürste wohl dieser Vorschlag Naumanns kaum irgendwo Gegenliebe finden. Das preußische Volk muß zujehen, wie es aus eigener Kraft zu einem neuen, freieren Wahlrecht kommt. Die "Deutsche TageSzeitg." und ihre sächsischen Filialen überschlagen sich natürlich in plumpen Verdrehungen der Naumannschen Worte, welche sic als „StaatSstreich-Gelüste" bezeichnen. Das Berliner Agrarier- Organ schreibt so u. a.: „Im „Berliner Tageblatt" veröffentlicht heute der Reichstagsabgeordnete Friedrich Naumann einen Artikel über das preußische Landtagswahlrecht und seine Abänderung, der an verblüffender Offenherzigkeit nichts zu wünschen übrig läßt. Daß Herr Naumann das ReichstagSwahlrecht rund und glatt auf die Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus« übertragen will, ist nicht weiter auffällig, aber immerhin höchst kurzsichtig; denn der Linksliberalismus würde dabei auf die Dauer nichts gewinnen, sondern nur sür eine kurze Ueber- gangszeit der Schrittmacher und Platzhalter für die Sozialdemokratie sein." — „Was Naumann eine Abstreifung der Fesseln nennt, ist weiter nicht- al« ein Staatsstreich, und zwar ein Staatsstreich in krasser, unverhüllter Form!" Sei eS genug mit dieser Probe! Daß der Artikel mit der schmun zelnden Feststellung schließt, der „Vorwärts" habe sich mit Naumanns Iveen vollkommen einverstanden erklärt, ist nicht weiter verwunrerlich. Mit solchem Argument hat diese Couleur ja von jeder politische Kinder zu beeinflussen versucht. Ucbrigens bat der „Vorwärts" auch bloß die Grundidee Naumannö: Energische Verschärfung des Wahl- rechtökampfeö übernommen, wie er ausdrücklich noch einmal feststellt. Die „Kölnische VolkSztg." schreibt über den Zentrums-Standpunkt: Die Zentrumspartei wird auf alle Fälle ein ernstes Wörllein im Wahl kampf mitzureden haben. Nicht als ob ihre Fraktionsstärke durch eine Wahl rechtsreform nach dem Borbilde des Neichstagswahlrechtes gefährdet werden könnte. Wie die Reichstagswahlen erweisen, steht sich das Zentrum bet dem allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrecht nicht schlechter, sondern eher besser als bei dem Dreiklassenwahlrecht. Jedenfalls kann selbst der größte Pessimist im Zentrums lager nicht der Ansicht fein, daß das Zentruin durch das Reichs tagswahlrecht seine Position verschlechtern werde. Wir betauen dies, weil immer wieder sozialdemokratische Blätter mit dieser Bemerkung gegen das Zentrum krebsen, indem sie ihm unehrlicherweise unterstellen, die Wahlrechtsfrage an sich sei ibm „gleichgültig". Daß dies ganz und gar nicht der Fall ist, hat das Zentrum durch seine wiederholten Anträge und Erklärungen zugunsten der Ein- Feuilleton. Die Nation, die die meiste Spannkraft hatte, war auch alle zeit die freieste und glücklichste. Lichtenberg. G Lukas Cranach. Von Bruno Gensch sDresdenf. Zur selben Zeit, zu der der spätere Reformator Martinus Luther den Magisterrock an den Nagel hing, um den Frieden der Seele im Schutze des Augustinerordens zu suchen, wurde Lukas Cranach der Aeltere als Hofmaler Kurfürst Friedrichs des Weisen nach Wittenberg berufen, wo er vier Jahre später in Anerkennung seiner Kunst den Wappenbrief erhielt. So klar die Jugendentwickelung Martin Luthers von Anbeginn zu verfolgen ist, so wenig vermochte die Geschichts forschung in die deS älteren Cranach einzudringen. — Das frühest be zeichnete Bild des Künstlers datiert aus dem Jahre 1504 und zeigt ihn unS bereits voll entwickelt auf der Höhe seines Könnens; obwohl er da mals erst 32 Jahre zählte. Dieses Bild — die „Ruhe aus der Flucht" — über dessen Erwerbung die Leitung der Königlichen Gemäldegalerie zu Berlin allen Grund hat, erfreut zu sein, ist vollauf dazu angetan, uns Lukas Cranach den Aelteren in seiner ganzen Naivität vor Augen zu führen. Aus dem Jahre 1509 gibt uns dann weiter die mit L. C. und dem Schlänalein bezeichnete große „Venus mit Amor" in der Eremitage zu Petersburg einen wertvollen Beitrag zu des Künstlers Behandlung mythologischer Vorgänge, die jedoch mit denen der antiken Sagenwelt nur insofern Gemeinsames hatten, als sie deren rein äußerliches Moment betonten. So werden Weiber in ganzer Figur mit goldenen Halsketten bei ihm dadurch zur Venus, daß ihnen Eros oder Cupido auf dem Fuße folgt — oder dadurch zur Lukretia, daß sie sich mit Emphase ein breites Schwert in den üppigen Busen bohren. Zur biblischen Judith, mit dem abgeschlagenen Haupte des Holofernes in den Händen, stempelte er nicht selten die vornehme Bürgersfrau im Kostüm seiner Zeit. Vom Jahre 1512 an waren es in der Hauptsache Madonnenbilder, mit denen er sich eingehender befaßte. Bemerkenswert ist der Umstand, daß bei ihrer Darstellung häufig ganz unbewußt das Unbefangene Peruginos, deS Lehrers Raffaels, in die Erscheinung trat. Perugino war zwar ein Zeitgenosse Cranachs, war aber mit seinen Werken damals noch nicht bis Deutschland vorgedrungen. Beide Meister schufen, ohne je von sich gehört zu haben, völlig unabhängig voneinander. Perugino bis zu seinem um 1520 erfolgten Tode im heiteren Süden, Cranach im ernsten Norden. Die Madonnenbilder des letzteren ver körperten auffallend den Typus der damaligen deutschen Frau, deren gedrückte Lebensstellung sich in dem demütig-melancholischen Blick der nicht selten niedergeschlagenen Augen offenbarte Anno 1515 wurde Cranach zugleich mit Dürer und Altdorfer zur Illustration des Gebetbuches Kaiser Maximilians herangezogen. Er ging sich Dürer in seinen zeichnerischen Beiträgen in einer für die da- malige Kunstepoche neuzeitlichen Ornamentik, so verwob Albrecht Alt dorfer (1480—1538) die Baumwclt der deutschen Waldnatur mit ihren Moosen, ihrem Geäst, ihren Zweigen und Farnen zu sinnigen Zier- leisten. Wie hoch man anderenfalls Lukas Cranach den Aelteren als Kenner und Verkörperer der den deutschen Wald belebenden Tiere be wertete, beweist die kaiserliche Aufforderung, sich durch ibre Darstellung an der künstlerischen Ausschmückung des Gebetbuches ebenfalls zu be teiligen. Unserem heutigen Geschmack vermögen die zoologischen Be kenntnisse Cranachs allerdings nur noch ein archaistisches Interesse ab zuringen. Dafür geben sie um so reichere Einblicke in die Jormenwelt des Mittelalters, deren Anschauungen durch jenen Brief bekräftigt wurden, den Christoph Scheurl gelegentlich einer Würdigung Cranachs seiner in der Stiftskirche zu Wittenberg gehaltenen Festrede voraus schickte. Es hieß da unter anderem: „Der Künstler habe Hirsche und Eber gemalt, bei deren Anblick den Hunden das Haar sich sträubte, bis sie die Flucht ergriffen." Im Schlosse des Grafen Schwarzburg zu Torgau hatte er allerlei erlegtes Vogelgetier derart natürlich an die Wand gemalt, daß der Graf den Befehl gegeben haben soll, es hinauszu schaffen, damit es nicht „röche"! Die Urheberschaft der imposanten Hirschjagd auf der Pragerburg, deren Entstehung nach der Chronik ins Jahr 1529 fällt, wird ebenfalls Lukas Cranach dem Aelteren zuge- schrieben. Schilderte Altdorfer daS Leben und Weben des Nadelwaldes mit botanischer Schärfe, so bevölkerte Cranach seine Wälder mit vieltürmigen Burgen und allerlei Menschen absonderlichen Wuchses. Zu ihnen ge sellten sich in traulicher Eintracht Eichhörnchen und Wildkatzen, Hiische mit königlichen Geweihen, sowie sanft dreinblickende Rehe. Nicht un erwähnt sollen jene Episoden bleiben, in denen er die vollen Eimer seines SpotteS über das eitle Weibervolk ausgießt, das nicht mit An stand alt werden kann. — Auf der einen Seite solcher Bilder sah man es die Runenschrift des Alters mit ins Wasser nehmen, während es auf öer anderen aphroditengleich mit jugendlicher Frische wieder empor tauchte. .... Bevor sich der Künstler in Wittenberg seßhaft machte, hatte er sich in Gotha mit der Patrizierstochter Barbara Brengbier vermählt. Im Jahre 1513 erwarb er sodann in Wittenberg das an der Ecke des Elb- gäßchens und des Marktplatzes gelegene stattliche Haus mit der dazu gehörigen, vom ersten Rektor der Universität Dr. Martin Pollig be gründeten Apotheke. Späterhin vermehrte er seine Einkünfte sogar noch durch die Einrichtung einer Buch- und Papierhandlung; ja er soll sogar, um den großen Holzschnittauftrügen des Reformationszeitalters gerecht zu werden, eine eigene Druckerei angelegt haben. Die Stadt Wittenberg, die in Cranach infolge seiner Tatkraft, seiner Gesinnungstüchtiakeit und Treue einen ihrer hervorragendsten Mitbürger erblickte, wählte ihn 1519 zum Kämmerer des Rates, 1537 zum ersten und 1540 zum zweiten Male zum Bürgermeister. Vermöge seiner Stellung, vertraut mit allen Ereignissen der Stadt und des reli giösen Kampfes, der durch die Lande tobte, verfolgte er die Ziele Luthers mit flammender Begeisterung. Von dem Tage an, da dieser seine 95 Thesen an die Türe der Schloßkirche zu Wittenberg nagelte, verknüpfte beide Männer ein Band innigster Freundschaft. Cranach hat durch seine Reformationsbildnisse, mit Luther undMelanch- tbon an der Spitze, dem Religionskampse unschätzbare Dienste geleistet. Niemand anders als Cranach war der Schöpfer jenes Luthertypus, der der Künstlerschaft bis auf unsere Zeit vorbildlich gewesen ist. Von seinen Gehilfen, deren er immer sieben beschäftigte, nachgebildet und umgcschaffen, gingen diese Bildnisse bald als Kupferdrucke und Holz- schnitte, bald als Einzelgemälde oder auf größeren lutherisch-konfessio nellen Kirchenbildern durch die ganze Welt. Neben Melanchthon, den er bald im Brustbild, bald in ganzer Figur mit charakteristischer Be tonung seiner verstandesklaren Vermittlernatnr darstellte, sind es die Eltern Luthers, dann wieder Katharina von Bora die Gattin, Luthers Freund, Georg Spaladin, der Kaplan und Geheimschreiber Friedrichs des Weisen, die Prediger Bugenhagen und Jonas, vor allem aber die Fürsten seiner Zeit, in deren Dienste er seine weit über Deutschlands Grenzen berühmte Porträtkunst stellte. Friedrich den Weisen, Johann den Beständigen, Johann Friedrich den Großmütigen mit den Ange hörigen der Familie und die Fürsten der verwandten sächsischen und brandenburgischen Häuser zählte er zu seinen Auftraggebern. Von all seinen Bildnissen ist aber keins so populär geworden, wie das Friedrichs deS Weisen mit dem breiten Kopf auf dem schwerfälligen Nacken, der niedrigen Stirn und den kleinen Augen, die aus dem mit kurzem Backen, und Schnurrbart bedeckten Gesicht gutmütig hervorlugten. Cranachs Beteiligung am Wittenberger Heiligtumsbuche, desgleichen die Anno 1522 im September in zwei Folien erschienene Luthcrbibel, dürfte in ihren Illustrationen mehr auf eine Gehilfenarbeit zurück- zuführen sein. Christoph Wolter, der Korrektor Hans Luflts, des Truckers der Bibel von 1534, erzählt, daß Luther die Figuren zum Teil selbst angegeben: „wie man sie hat sollen reißen und malen". Er hat also auf die Gestaltung der Bilder, die seine Bibelübersetzung zn schmücken berufen waren, sehr stark eingewirkt. Die Beziehungen zu den Führern der Reformation haben die religiösen Bilder Cranachs, in welchen er der dogmatischen Anschauung des bewegten Zeitalter künstlerischen Ausdruck gab, ebenso, beeinflußt, wie seine Holzschnitte, die seine Kupferstiche an Geschicklichkeit wesentlich übertrafen.
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