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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 23.08.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-08-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070823022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907082302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907082302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-08
- Tag1907-08-23
- Monat1907-08
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R.) * Der Präsident des preußischen Herrenhauses Fürst zu Inn und Knyphausen ist in Lütetsburg an einem Unterleibs leiden schwer erkrankt. * Die Gefahr eines Ausstandes der kanadischen Telegraphisten ist, wie aus Montreal berichtet wird, vor. über, da alle Beamten der kanadischen Pazifikbahn erklärt haben, auf ihren Posteii bleiben zu wollen. * Wie aus Casablanca gemeldet wird, rücken die Franzosen weiter vor. Die Negierung hat sich bereit erklärt, sofort größere Verstärkungen nach Marokko abzusenden. (S. Leitart.) Der heilige Ttrieg. Die Pariser Presse hat gegenüber dem offiziellen Boraehen Frank- reichs in Marokko bis jetzt fast durchweg eine skeptische Haltung ein- genommen: man will diesmal, trotz des Kanonendonners von Casa blanca, nicht mit Sensationen arbeiten, keine prahlerischen Programme in die politische Welt senden. Selbst in den nationalistischen Redaktionen steigen leise Befürchtungen auf. Georges Clemenceau, der das Udjda- Jntermezzo suns lucon von der Stange brach und soeben mit Eduard VII. zusammen gefrühstückt hat, läßt es an Beruhigungsmitteln nicht fehlen, zumal ihm die Situation über den Kopf zu wachsen droht. Wie der Zauberlehrling der Ballade wird er die Geister wohl so leicht nicht wieder los, die er kecklich beschwor. Eine einzige Niederlage des nach Hilfe spähenden Drude und dem schlauen Publizisten der „Aurore'' wird die Oberregie sanft aus den Händen genommen. (Zuos exo! hat man gerufen, das Echo waren schrille Allahrufe. Tausende von weißen Araberburnussen flattern im afrikanischen Küsten land, selbst aus dem entlegenen Innern eilen die flinken Kabnlenstämme herbei, um ihre Racheglut an den Giaurs zu kühlen. 8000 Mann will man gegen sic aufstcllen, ein ganzes Expeditionskorps, zu dem sich wahr scheinlich später noch das Gros der Legionäre gesellen wird, wenn mau ein Uebergreisen des Brandes auf die eigentlichen Kolonien nicht zu befürchten hat. Dabei hält die französische Regierung nach wie vor die famose Fabel von der Penetration paeiligne, von der „friedlichen Aktion Frankreichs in Marokko" aufrecht. Man will die Fama oon den sxenta provoeateurs, die dort unten ihr Handwerk getriebe" haben sollen, aus der Welt schassen, und doch wird man sic immer wieder deuten müssen. Eine andere Frage: Ist Frankreich vielleicht gesonnen, den Boden den es jetzt mit dem Blute seiner Soldaten düngt, für den es von Tag zu Tag neue Mittel opfert, dereinst, wenn die „Ruhe wiederhergestellt" ist, mir nichts dir nichts wieder zu verlassen?! Will es sich an die Akte von Algeciras halten und es bei dem bloßen Experiment der Polizei truppe, die man sonderbarerweise vergessen hatte, bewenden lasten! Den Spaniern scheint mehr zu schwanen; denn die Truppen des hageren Alfons legen eine recht eigentümliche Haltung an den Tag. Man darf den Politikern, die über Faschoda doch noch den Weg zu Albion fanden, eine solche Bescheidenheit und Jnkonseguenz nicht zutrauen. Legt sick die jetzige Regierung auf die Idee einer absoluten Strafexpedition, die Geld und Blut genug kostet, fest, so ist sie wahrscheinlich geliefert. Im andern Falle: Hält Frankreich an Marokko fest, so nimmt das marokkanische Problem endgültig die Form eines gordischen Knotens an, der eines guten Tages doch noch, wohl oder übel, mit dem Schwert gelöst werden muß. Zehn Monarchenbegegnungen wären keine wirksame Pro phylaxis dagegen. Wir wenigstens haben zu viel Tamtam geschlagen, als daß wir unfern bisherigen Rückgang vollends in eine Niederlage ausarten lassen dürften. Haben wir doch schon jetzt mit der Tatsache zu rechnen, daß in Casablanca deutsches Eigentum beschädigt worden ist. Borläufig gilt es ruhig Blut bewahren und die Dinge kühl ins Auge zu fassen. Das scheint auch das Prinzip der deutschen Regierung zu sein, die hoffentlich, wenn es notwendig wird, die richtigen Töne findet. O Bon unterrichteter Seite wird uns geschrieben: Nach einer Londoner Meldung ivll zurzeit zwischen den verschiedenen Kanzleien ein „halbamt licher Meinungsaustausch" über eine Abänderung der Akte von Algeciras stattfinden. Diese Nachricht entbehrt der Begründung. Welche Stellung die Mächte gegenüber Marokko in Wirklichkeit einnehmen, geht aus der Erklärung hervor, die Unterstaatssckretär Nunciman soeben vor dem Unterhause abgegeben hat. Demgemäß bedauern die Mächte ebenso wie England, den schweren, europäischen Bewohnern Casablancas zugefügten Schaden. Gleich England sind ferner die Mächte der Ansicht, daß die französische und die spanische Negierung alles, was in ihren Kräften steht, tun müssen, um in den offenen marokkanischen Häfen die Ordnung aus recht zu erhalten. Dem Pariser „Temps" zufolge verließ der Botschafter Cambon Paris mit dem Eindruck, daß die französische Negierung vollgültige Be- weise der europäischen Solidarität angesichts der immer komplizierter werdenden marokkanischen Angelegenheiten besitzt. Cambon werde Wohl aus Norderney die Zustimmung des Für st en von Bülow zu allen Maßnahmen, die die verworrene Lage erfordert, mitbringcn. Tat sächlich habe man es jetzt schon mit drei organisierten Gewalten in Marokko zu tun, dem Sultan in Fez dem Sultan in Marrakesch und dem im Nordosten des Scherifenreiches als Herrn angesehenen Roghi. Nur strammes Zusammenhalten der europäischen Mächte könne ver hindern, daß die schwer errungene Stellung der Ansiedler ernstlich ge fährdet werde. — Die in dem „Temps"-Art,kel erwähnten, vom Fürsten von Bülow erwarteten zustimmenden Erklärungen sollen sich auf vre jüngst zwischen Paris und Madrid, vorbehältlich der Genehmigung der Mächte, getroffenen Abmachungen beziehen, wonach dem Polizeidicnste in den Küstcnstädten die durch die geänderten Verhältnisse erforderlich scheinende Ausdehnung gegeben werden soll. — An der Beratung Picho 's mit Jules Cambon nahm auch besten Bruder, der aus London cinge- trofsene Botschafter teil. Wie die „Kreuzztg." mitteilt, ist es nicht ausgeschlossen, daß über kurz oder lang ein deutsches Kriegsschiff ans einer regelmäßigen Dienstfahrt Tanger anläuft. Eine Aende- rung der Reserve, in d:r Deutschland ebenso wie die anderen Signatar mächte von Algeciras gegenüber der spanisch-französischen Aktion ver harrt, könnte darin nicht erblickt werden. Ans Paris wird weiter gemeldet: Nach einer Meldung der „Libertä" erwartet die Regierung eine neue Depesche des Admirals Falliürcs mit der Meldung, ob General D r u d e auf w e i t e r e n B er st ä r k u n g e n besteht, in welchem Falle sofort 1600 bis 1800 Mann eln- geschifft werden sollen. — „Eclair" berichtet aus Tanger: Der Tor- pedojäger „Bombard" berichtet aus Casablanca, daß in verflossener Nacht die französischen Soldaten fortwährend durch Schüsse in Alarm gehalten wurden. Die Kabylen versuchten wiederholt, in die Stadt und ins Laaer ciuzudringcn. Sic besetzten ein alleinstehendes Haus, steckten cs in Brand und führten einen KriegStanz auf. Nach dem Gefechte vom Dienstag bat General Drude die mehrfach erwähnten, fünf Kilometer von Casablanca entfernten Höhen besetzt. Er bezweckt damit die Verhinderung des Zusammenwirkens der drei gegnerischen Streithausen, eine Aufgabe, für die Drude seine Artillerie vorläufig für ausreichend hält. Gleich-eilig richtete das Kriegsschiff „Gloire" . , „ eine große Anzahl Geschosse gegen die zwölf Kilometer entfernte Küstenstadt Fedala, da von dorr- her der Ausmarich des Zairstammes gegen Casablanca gemeldet worden ist. — InOran werden noch zwei Batterien zum Transport nach Caia- blanca bereitgehalten. Nach Eintreffen dieser Geschütze wird Drude uoer ein aus allen drei Waffen gut zusammengesetztes Korps verfügen, näm- lich drei Bataillone Infanterie, zwei Schwadronen und vier Batterien. Schließlich berichtet ein Telegramm aus Casablanca: In dem Gefecht am 21. August wurden auf französischer Seite ein Hauptmann und elf Mann verwundet. Der Kreuzer „Äueydon" beschoß die kleine Befestigung Fedbada nördlich von Casablanca und verschiedene DuaroS, die der. Aufständischen als Zufluchtsort dienten. Der interimistische Ge schäftsträger des französischen Konsulates wurde beim Pascha nachdrück, lich vorstellig, woraus dieser alle notwendigen Maßregeln ergriff, den Soldaten den Sold auszahlte und Patronen an sie ausgeben ließ. Der „Matin" teilt mit, daß der französische Kriegs- Minister unverzüglich eine Luftschifferabteilung mit sechs Fesselballons nach Casablanca entsenden werde. Zeitungsschau. RoosevcltS Nrdc gegen di; Trusts bzw. den Kapitalismus wird natürlich in Amerika lebhaft ciörlert. Die „Evening Post* schreibt: Tie Rede war wieder zur Unzeit gehakten und erging sich in unglücklichen Wendungen. Sie stellte auch keine Besserung der Kreditfrist- in Aussicht, die wie ein Schatten über dem Weltmaikt schwebt. Roosevelt slürzie mit lautem Geschrei und einem Knüllet bewaffnet in das Zimmer, wo der Kredit an großer Nervosität leidend danicderliegt. Dec „New Jork Hera ld* nimmt auf die Aenderungen ia der Rede Bezug und äußert: Es ist ein Humbug, anzunehmen, daß die Wallstreet-Leute den Inhalt der Rede nicht vorher gekannt haben. Aber die Original-Reöe, die den Zeitungen schon vor einer Woche zugeslellt wurde, enthielt andere Wendungen al» die in Provincetowil gehaltene. Sie ist auch von so vielen Leuten gelesen worden, daß eS jetzt schwerlich sür eine Indiskretion gehalten werden kann, wenn wir ver raten, daß die den Zeitungen überlassene Originalrede einen Hinweis darauf enthielt, daß das Fustizdepartement gegenwärtig nach Mitteln und Wegen suche, um die schuldigen Trustleute unter Aussicht zu bringen. Wenn dieses sich nickt unter den bestehenden Gesetzen erreichen läßt, so mußten besondere Gesetze sür Liefen Zweck geschaffen werden. Dieser Passus in der Rede stieß jedoch auf Widerstand in der Umgebung Roosevelts. Auch Krieg-minister Taft opponierte dagegen, uud io entschloß sich der Präsident, davon abzusteheu. Erst als in Wallstreet bekannt wurde, daß Roosevelt auf seine drakonilckrn Maßregeln ver zichten uud die unschuldigen Makler aus dem Spiele lassen wollen nahm die Börse eine festere Haltung au. Auch in den englischen Zeitungen hat die Denkmalürede e y leb haftes Echo gefunden. So schreiben die »Daily News": Als Roosevelt vor einigen Jahren seine Kampagne gegen die Trust- ia einer etwas zurückhaltenden uud vorsichtigen Weise begann, war es schwer, sich von dem Ernst jeiuer Absicht eia klares Bild zu machen. „Provincetomn" aber hat bewiesen, daß es ihm bitter ernst damit ist, und daß er den Kamps mit derselben Ausdauer :strenuouLoo88) durchführen wird, die ihm auf der Bäien- jagd und beim Drauflosreiten (rouxdri<lln§) eigen ist. Die .Tribüne* bemerkt: Roosevelt ist es gelungen, den schlimmen Auswüchsen des amerikanischen KorPorationSwesenS ein Ende zu bereiten. Die Handvoll gewissenloscr F n ,nz- leute, die als die Ursache der Auswüchse zu betrachten sind, haben in Theodo:e Roosevelt einen Gegner gefunden, mit dem nicht gut Kirschen essen ist. Der französische Anlimilitarist Heros hat sich in Stuttgart auch über den Eindruck ausgesprochen, den er von der ventschci» Sozial- Feuilleton. Begeisterung ist alles! Gib einem Menschen alle Gaben der Erde und nimm ihm die Fähigkeit dec Begeisterung, und du verdammst ihn zum ewigen Lod. Adolf Wilbrandt. * Adolf Wilbran-t. Don Rudolf v. Gottschall. Dem Schleswig-Holsteiner Wilhelm Jensen nachfolgend, tritt am 21. August auch der Mecklenburger Adolf Wilbrandt in den Kreis der Siebzigjährigen, immer noch so schaffensfrcudig, wie jener, und weiteren Kreisen zugänglicher durch seine erfolgreiche Tätigkeit für das Theater als Dichter und Bühnenleiter; denn das Theaterpublikum ist bei weitem größer als das Lesepublikum, und ein Theaterzettel ist hierin stets erfolgreicher als eine buchhändlerische Anzeige. Wilbrandt ist ein Kind der Universitätsstadt Rostock, wo er am 24. August 1837 geboren wurde als Sohn eines Politikers, welcher der damaligen, nach Reformen streben den Oppositionspartei angehörte. So herrschte ein reges geistiges Leben im Elternhause, und während noch dumpfe Ueberlieferungen im Lande umher jeden Aufschwung lähmten, konnte Wilbrandt bereits eine freiere Luft atmen. Er studierte nicht nur in seiner Vaterstadt, sondern auch in Berlin und München, und lenkte nach Vollendung seiner Studien in eine Laufbahn ein, die ihm durch die Anregungen des Vaterhauses von Anfang an nahe lag: er wurde Publizist, Zeitungsredakteur, wie es Wilhelm Jensen erst in späterer Heil geworden war. So kam er alsbald in unmittelbare Berührung mit den Interessen der Gegenwart, und seiner Muse ist der verträumte Zug, welcher derjenigen Jensens eigen ist, stets fremd geblieben. Redakteur der „Süddeutschen Zeitung" in München war er von 1859 bis 1861. Dann wechselte er oft seinen Aufenthalt. Er wandte sich der literarischen Tätigkeit zu und veröffent lichte 1864 einen größeren, dreibändigen Roman: „Geister und Menschen", der mit ziemlich grellen Farben ausgeführt war und ge ringen Anklang fand. Erst mit dem Jahre 1870 tauchte das Gestirn WilbrandtS mit hellerem Glanze am Horizont der deutschen Dichtung auf. Sein Schauspiel „Graf von Hammerstein" errang im Berliner Hoftheater einen unbestrittenen Erfolg; sein einaktiges Lustspiel „Un erreichbar" ging über alle Bühnen. Wenn auch der „Graf von Hammer stein" nur ein mittelalterliches Kulturbild bietet, indem in dieser Fassung die Frage der Verwandtenehen für die Gegenwart ohne Bedeutung ist. wenn auch dieHandlung selbst der rechten Steigerung entbehrt,da die stets von neuem eintretenden Verfolgungen etwas Eintöniges haben, so ver riet doch der markige Dialog die dramatische Begabung des Dichters, und die Verwertung der theatralischen Optik und Akustik, wie die Ge witterbeleuchtung der Klosterszene und die Hüftbornklänge Konrads von Franken in der Entführungsszene beweisen, sprach für die Bühnen- kcnntnis des jungen Verfassers. Dem Einakter „Unerreichbar" folgte ein zweites, ähnliches Lustspiel, „Jugendliebe" (1872), beide mit feinem Humor gewürzt, und „Die Maler" (1872), ein etwas umfangreicheres Lustspiel mit sprudelnder Frische des Dialogs und hinreißender Heiter keit der Situationen. Es folgte eine Zeit, in welcher Wilbrandt vor zugsweise, wie der ihm befreundete Paul Hcyse, die Novellistik pflegte; 1870 und 1875 erschienen mehrere Novellensammlungen von ihm, denen auch noch 1882 und 1885 andere folgten. Den Reichtum an Erfin dungen, der für den Novellisten unerläßlich ist, hatte er mit Paul Heyse gemein; er wußte, wie dieser, für die verschiedensten Zeiten, in denen sich die fein erfundenen Vorgänge abspielten, und für die verschiedensten Situationen die rechte Stimmung und Beleuchtung zu finden. Hatter, fchcn „Die Maler" einen novellistischen Zug, so war dieser auch in seiner anderen, gleichzeitigen dramatischen Produktion vorherrschend, in der „Reise nach Riva" (18771, „Auf den Brettern", „Ein Kampf ums Da sein" (1874), soweit dieselben sich auf dem Gebiete des Konvcrsations- stückes und des bürgerlichen Schauspiels bewegte; doch fallen in das Jahrzehnt von 1870 bis 1880 auch seine drei großen Nömertragödien: „Gracchus, der Volkstribun" (1872), „Arria und Messalina" (1874) und „Nero" (1876). Er hatte öfters seinen Aufenthalt gewechselt, doch seit 1871 in Wien eine dauernde Stätte gefunden. Dingelstedt, der damalige Direktor des Hofburgtheaters, erkannte das bedeutende Talent des Dichters an und förderte dasselbe ungemein, indem er ihm die Pforten der ersten deutschen Schaubühne öffnete. Und mit einem Mitglied dieser Bühne, der lebens- und espritvollen Auguste Baudius, schloß er ein Herzcnsbündnis, «ine noch heutigentags fortbcstehende Ehe. Eine andere Hofschauspielerin, Charlotte Wolter, wurde die Trägerin seines größten Bühnenerfolges, als Messalina — Makarts Pinsel hat diese Messalina der Wolter mit aller Farbenpracht dargestcllt. So viel die Berliner Kritik an der Tragödie „Arria und Messalina" auszusetzcn hatte: sie bleibt ein bedeutendes Werk, höchst wirksam durch den Kon- traft der beiden Hauptpersonen, der in dramatisches Leben umgesctzt ist, und reich an genialen Hüg<n. Den gefeierten Tragödien Hebbels und Grillparzers stellen wir sie als durchaus gleichwertig an die Seite. „Gracchus, der Volkstribun" ist ein Nömerdrama markigen Stils, das an Shakespeares Römertragödien erinnern mag. Eigenartig ist die dra- malische Wendung, daß des Tribunen feurige Bercdtsamkcit eine ganz ungewollte Wirkung hervorruft, und einen Genossen des Redners zur Ermordung Scipios anstachelt, eine Tat, welche für jenen Verhängnis- voll wird. „Nero", das dritte Nömerdrama, hatte bei glänzender In szenierung durch das geniale Spiel Sonnenthals am Burgtheater einen schönen Erfolg, doch ist das Stück zu reich an tragischen Begebenheiten, die sich hastig drängen, und in der Motivierung bisweilen zu wenig durchgreifend, wenn auch reich an Schönheiten, mit denen nur ein echter Dichter seine Werke auszustatten vermag. WilbrandtS „Kriem hild" (1877) erhielt den Berliner Schillerpreis. Das Drama verdiente diese Auszeichnung durch Kraft und Schwung, Zartheit und Innigkeit; einzelne Szenen, besonders dieLiebesszenen zwischen Siegfried und Kriem hild, -wischen Giescla und Dietelind, sind trefflich durcbgesühr^scne mit leidenschaftlichem Schwung, diese mit rührender Zartheit. Wilbrandt Hut di« Kühnheit gehabt, das Sagenhafte der Neberliefernng ganz auS- zuschaltcn, ja, Brunhild, die bisherige Hauplhcldin der Nibelungen tragik, hinter die Kulissen zu verweisen; wir vermissen sie nicht, denn Kriemhild verwandelt sich ja im Verlauf der Handlung in eine ähnliche Furie; doch leidet durch ihr Fortbleibcn die Motivierung der Hand lung eine Abschwächung, und wenn durch die Beseitigung des Sagen haften unserem modernen Empfinden Befriedigung gewährt wird, so wird dasselbe doch wieder befremdet durch die Einführung des Shake speare-Gespenstes, das an die Stelle der Nibelungenwundcr tritt; Sieg- srieds Haupt ermutigt, langsam nickend, Kriemhild zum Werk der Nach«. Ter preisgekrönte Dichter, der so viele schöne Erfolge aufzuwcisen hatte, wurde 1881 Direktor des Wiener Burgtheaters, an dem er die- selben errungen, und nahm diese Stellung bis 1888 ein, wo er von derselben zurücktrat. Er batte ihr von Hause aus ein in sein Familien glück eingreifendes Dpfcr bringen müssen, indem seine Gattin, Auguste Baudius, aus dem Verband der Hofschauspiclerinnen ausscheidcn mußte, da die Frau eines Direktors des Wiener Burgtheaters nicht engagiertes Mitglied desselben sein darf. Als Direktor hatte er das Repertoire wesentlich durch Aufnahme der Meisterwerke anderer Völler erweitert; besonders griechischer Trauerspiele, die er einrichtete, ohne ihnen, wie das in neuer Zeit geschah, ein anderes Gepräge aufdrückcn zu wollen; bemerkenswert war auch seine Einrichtung deS „Faust" für drei Theaterabende. Noch vor der Uebernahme der Direktion hatte Wilbrandt iein Schauspiel „Die Tochter des Herrn Fabricius" (1879) veröffentlicht, ein Drama, dessen Held ein entlassener Zuchthaussträfling ist, ein für seine Tochter verhängnisvoller Vater. Das Stück hatte Erfolg auf den Bühnen, cs batte einen stark sensationellen Beigeschmack und eine ergreifende Hauptszcnc zwischen Vater und Tochter. Weniger Er- folg hatte das spätere Stück „Johannes Erdmann" (1881), ein Pendant, der au zahlreiche französische Vorbilder erinnerte, indem der üble Ruf der Mutter zum tragischen Schicksal der Tochter wird. Auch „Robert Kern" (1880), ein Drama der englischen Hosgeschichte, dessen Held der Günstling des Königs Jakob ist, blieb ein Vuchdrama, trotz einzelner wirkungsvoller Szenen und der sinnlichen Glut, die in der ganzen Dich tung pulsiert. Ein Künstlerdrama ist „Assunta Leoni" (1882), das sich am Burgtheater längere Zeit behauptet hat; es ist ein geistvolles Stück, glänzend stilisiert, aber die seine psychologische Entwickelung setzt sich nicht ganz in dramatische Handlung um; es bandelt sich um eine Kunstlerehe und ihre Bedeutung für das künstlerische Schassen. So festen Boden auch Wilbrandt in Wien gefaßt haben mochte, er zog es doch vor, nach seinem Rücktritt von der Leitung der Hofbühne sich an die baltischen Gestade zurückzuziehen, wo er, soviel wir wissen, in seinem Vaterhausc sich einem, durch keine Theaterpslichten und Theaterintrigcn gestörten, dichterischen Schaffen hingibt. Ein glücklicher Wurf war sein „Meister von Palmyra" (1890), eine Traumdicsitung. in welche die indische Lehre von der Seelcnwanderung hcreinspielt, und in deren Mittelpunkt rin Ahasver steht, den lange Zeit der Tod ver- schont, und eine Frauengcstalt, die ihre Existenz in verschiedenen Mensch werdungen erneuert — eine Art von höherer Schubladenrolle für be- gabt«» Darstellerinnen. Die Beleuchtung verschiedener Jahrhunderte, con dem Dichter geistreich verwertet, gibt den Szenen des Stückes eine
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