Volkskunde Dichtung, Weisheit und Brauch des Volkes Von Paul Selk Es ist schwer zu sagen, welcher Zweig der Heimatforschung der wich tigste sei; die Volkskunde gehört sicherlich zu den dringlichsten. Der Mensch ist ja Träger derjenigen Überlieferung, die meistens kei nen Niederschlag in schriftlichen Aufzeichnungen fand. Diejenigen Überlieferungen, mit denen es die Volkskunde zu tun hat, werden ja von Mund zu Mund weitererzählt, und es ist mit Recht oft auf die Gefahr hingewiesen worden, daß diese Dinge unter dem Ansturm all des Neuen absterben, ohne daß sie für die Forschung festgehalten wurden. Die neuen Errungenschaften wie Presse, Rundfunk und Film wirken zweifellos zerstörend oder doch mindestens störend und verändernd. Es ist kein Zweifel mehr, daß der Gestaltwandel unse rer Zeit weit in das Volkstum hineinreicht, daß z. B. die mythische Sage und der alte Volksglaube und -aberglaube überhaupt unter dem Ansturm einer rationalistischen Welt absterben und daß sich ein Neues bildet. Es wird eine der vielen Aufgaben der Volkskunde sein müssen, festzustellen, wie tief dieser zivilisatorische Einfluß reicht und unter welchen Bedingungen sich ein Neues bildet. Wer also noch die Reste jener alten Welt erfassen will, für den ist Eile geboten. Dem volkskundlichen Forscher fällt, wenn er erst tiefer in den Stoff eingedrungen ist, sehr bald die Vielgestaltigkeit der Überlieferung auf. ES ist darum die Mithilfe der örtlichen Forscher, deren gründ liche Arbeit für die Wissenschaft nicht hoch genug eingeschätzt wer den kann, nötig, sitzen diese doch an den Quellen, die, wie der auf merksame Beobachter bald merken wird, immer noch fließen. Man unterscheidet nun - die Bezeichnungen sind nicht ganz tref fend - eine sog. „geistige Volkskunde“ von der „sach lichen“. Zur geistigen Volkskunde, die uns hier allein angeht, gehört alles, was gesagt und erzählt wird. Man spricht darum auch von „erzählender Volkskunde“. Es gehören dazu der Volksglaube, die volkstümliche Sitte und die sprachlichen Volksgüter aller Art. Diese drei Gruppen haben uns hier nur zu beschäftigen. Von diesen