Suche löschen...
Weißeritz-Zeitung : 03.06.1936
- Erscheinungsdatum
- 1936-06-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1761426109-193606031
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1761426109-19360603
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1761426109-19360603
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungWeißeritz-Zeitung
- Jahr1936
- Monat1936-06
- Tag1936-06-03
- Monat1936-06
- Jahr1936
- Titel
- Weißeritz-Zeitung : 03.06.1936
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
VrlivberrLkIitssvlMtr: ^ukivLrts-Verlatz O m. k kl., Kerim 8>v 68 71 Nachdruck verboten. Hans Schenck scheute sich nicht, vom einem Aussteller zum andern zu laufen. Er ließ auch die neugierigen Blicke über sich ergehen, aber überall vernahm er dieselbe Antwort. Keiner muhte recht, wohin Mauritz sich gewendet hatte. Da fragte Hans Schenck an einem Karussell, das dem Platz, den Mauritz innehatte, gegenüberstand, eindringlich: „Können Sie mir wenigstens sagen, wo iekt Jahr markt ist?" Der Aussteller lachte. „Ja, lieber Freund, eigentlich überall. Es ist jetzt Hoch- netrieb. Vielleicht ist Mauritz nach Dresden, vielleicht auch nach Chemnitz, vielleicht zur Leipziger Kleinmesse... "Ler soll das wissen!" - Enttäuscht ging Hans Schenck nach Hause. Er säst wie an jenem Abend, an dem er zum ersten Male Janne ge- lehcn hatte, auf seinem Zimmer und formte sich Jannes Bild. Ecwist, er hatte ihr seine Anschrift gegeben, aber würde sie ihm auch schreiben? Wenn er ihr doch wenigstens noch 'hätte sagen können, welche Worte er mit ihrer Mutter noch in deren letzter Stunde gewechselt hatte. „Ich Halts mich an mein Wort," sagte er laut, ohne daß ihm das bewußt wurde, ganz feierlich. Janne stand, gedankenversunken, am Packwagen und sah in den grauen Apriltag. Der Wind jagte die Wolken über den Budenplatz, die so tief hingen, als berührten sie fast die höchste Spitze der Achterbahn, auf der eine Fahne wild flatterte. Staub' und Papierfetzen jagte der Wind um die Buden. Es war nach ein paar wenigen, sonnigen Tagen wieder un beständiges Aprilwetter, das die Aussteller so sehr haßten, weil cs selbst die vorsichtigste Berechnung über den Hausen warf. Pitt, der schmale schlanke Pitt, dessen Gesicht noch blasser geworden schien, trat neben Janne, und er legte ihr den Arm auf die Schulter. ' „Was ist denn mit dir, Janne? Dauernd stehst du da, als dächtest du über etwas nach, als wäre gar kein Leben mehr in dir... Siehst auch ganz elend aus." Janne lachte verzweifelt, dann sagte sie schwer: „Ich kann das Leben nicht mehr aushalten. Seitdem /iia bei uns wohnt, habe ich überhaupt keine ruhige Mi nute mehr." - „Janne!" flehte Pitt. „Du weist! doch, wir müssen es aushalten, bis du großjährig bist und von zu Hans wegkannst. Manchmal habe ich eine Wut auf diese Nia. Ich möchte ihr ins Gesicht schlagen, weil ich weiß, daß sie -ich schikaniert, als wäre sie schon deine Stiefmutter." „Laß sie nur," sagte Janne. „Das allein ist es ja auch nicht..." Pitt horchte auf. Er ahnte, was kommen würde. Es war ja immer dasselbe, und nur weil Pitt es immer noch nicht fasten konnte, daß Janne noch heute dem blonden Studen ten nachhing, fragte er selbstquälerisch: „Sag mir doch, was es ist, Janne. Wenn ich dir Hel sen kann, werde ich's schon tun. Du weißt es ja." Janne schien Pitts Gegenwart für den Augenblick völlig vergessen zu haben. „Er schreibt nicht. Er denkt nicht mehr an mich. Ich war für ihn vielleicht nur eine — Jahrmarktsfreude!" Pitt biß auf die Zähne. Er stellte sich vor Janne hin und sah ihr fest in die Augen, aber seine Stimme hatte noch immer den flehenden Ton: „Janne, steh mal, es ist doch sinnlos, daß du noch immer an ihn denkst. Du mußt ihn vergessen. Du weißt doch, was deine liebe Mutter immer gesagt hat, ihr stammt aus zwei verschiedenen Welten. Das konnte niemals gut wer den," und dann setzte er fast beschwörend hinzu. „Tu ich denn nicht alles für dich, Janne, alles? Ach, wenn ich wüßte, daß es bester wäre für dich, ich würde auch alle Hebel in Bewegung setzen, um mit dir hier wegzukommen." Janne traten di^ Tränen in die Augen. Sie fühlte, wie es um Pitt stand, aber sie konnte nicht heucheln, und doch tat Pitt ihr so unendlich leid. „Guter Pitt, red doch nicht sd! Ich weiß es ja, daß du alles für mich tust, aber... ich kann doch nicht dafür, wenn Ich Hans Schenck nicht vergessen kann." Mit einem Male griff Janne in ihre Manteltasche und zog einen Brief heraus. «Ich habe an ihn geschrieben, Pitt. Ich muß einmal ein Lebenszeichen von ihm haben. Dort drüben ist die Post. Geh, Pltt, tu mir die Liebe, wirf den Brief ein. Zch kann doch jetzt nicht weg." Janne sprach so hastig, so eindringlich, dabei brannten Ihre großen dunklen Augen auf Pitts Gesicht, der den Brief nahm nnd etwa» lächelnd antwortete: «Du bist ein Querkopf, Janne. Sieh doch bloß ein, daß da, alle, Unsinn ist. Me kannst du glauben, daß dieser Student es ernst mit dir gemeint hat. Er hat dich schon längst vergrssen." Nicht ganz ohne Gist waren Hirse Motte, so leicht sie auch hingesprochen waren. Doch jetzt wurde Janne plötzlich leidenschaftlich erregt: „Schäm dich, Pitt! Was geht es dich an? Warum quälst du mich immer mit solchen Reden. Gib mir den Brief. Du brauchst ihn nicht zu besorgen. Vielleicht kann ich ihn heute abend nach der Vorstellung selbst besorgen." Da gab Pitt nach. „Komm, laß schon! Sollst deinen Willen haben. Ich bring ihn weg. Hörst du, Ria ruft. Lauf, Janne, sonst gibt's erst wieder Lampen!" Als Pitt den Platz überquerte, drehte und wendete er den Brief. Dabei schüttelte er immer wieder den Kopf. Dann stand er drüben vor dem Postamt und ging hinein. Er stand im Postamt am Fenster und blickte hinüber nach dem Rummelplatz. Eine ganze Zeit kämpfte er mit sich. Doch dann murmelte er vor sich hin: „Du liefst ja in dein Unglück, Janne. Ich meine es so gut mit dir, so gut... Und schließlich hab ich doch ein Recht auf dich, Janne!" Pitt sah sich noch einmal scheu um, dann zerriß er mit hastigen Fingern den Brief in unzählige kleine Stücke und warf sie zur Hälfte in de» einen, zur Hälfte in den anderen Papierkorb. Als er das getan hatte, atmete er auf. Etwas er leichtert ging er mit langsamen Schritten hinüber auf den Rummelplatz und wartete in der leeren Bude, daß. Janne kommen sollte, weil ja die erste Nachmittagsvorstellung bald begann. Aber er mußte lange warten. Ria hatte heute Janne nicht wie üblich zum Kaffee gerufen. Als Janne in den Wohnwagen getreten war, saß Ria aus der breiten Chaise longue, und Franz Mauritz ging mit großen Schritten im Wagen auf und ab, wobei unter seinem Körpergewicht das Geschirr im Schrank zitterte. Mauritz war schon lange wieder der alte. Ein paar Tage hatte die weichliche Stimmung nach dem Tode seiner Frau noch angehalten, doch dann hatte der Einfluß Rias ein übriges getan. Freilich, dieser gegenüber sand Mau ritz immer einen versöhnlichen nachgiebigen Ton. Um so schlechter hatte es Janne. „Setz dich mal da aufs Bett!" befahl er Janne, ohne diese anzusehen. Zögernd ließ Janne sich nieder. Da begegnete ihr Blick dem von Ria, und sie sah, daß Ria verhalten lächelte. Franz Mauritz blieb mitten im Wohnwagen stehen, stemmte die Hände in die Hüften und fragte Janne mit spitzem Unterton: „Sag mal, hast du dir überhaupt schon mal Gedanken über deine Zukunft gemacht?" Janne, der diese Frage so unerwartet kam wie nur irgend etwas, fand nicht gleich eine Antwort. Das war aber für Mauritz Grund genug, seinen Worten Befehlston zu geben. „Du natürlich nicht. Dafür ich. Ich sage dir, dein Lotterleben hört von nun an aus. Ich sehe nicht ein, warum ich dich weiter ernähren soll. Bloß abends an der Kaste sitzen und ein bißchen auf- und abbauen, oazu kann ich eine alte Frau nehmen. Von jetzt an wirst du dich befleißigen, das zu lernen, wodurch Ria uns jetzt Geld verdient. Das sind weiter keine Kunststückchen. Dazu ge hört nichts weiter als ein bißcken Bewealickksit die ich dir schon deibringen will." .Vater!" Janne sprang auf. Sie hob abwehrend die Hände. „Das kann ich nicht." Jetzt lachte Ria aber so gehästig, daß Janne blutrot wurde vor Beschämung. Nia wollte etwas sagen, aber Franz Mauritz kam ihr zuvor. . „So, das kannst du nicht. Du kannst bloß essen und trinken und mit jungen Kerlen poussieren." „Ich kanns und bin noch mal so alt wie dieses Küken," unterstützte Ria die Worte von Jannes Stiefvater. Janne kamen die Tränen. Sie wußte sich gegen die beiden nicht anders zu wehren, als daß sie weinend ausrief: „Das hätte meine arme Mutter nie von mir verlangt!" Franz Mauritz'Haltung wurde drohend. „Kann ich mir denken. Deine Mutter war selbst eine Drohne, die sich ernähren lieh und nicht danach fragte, wo es herkam." . Janne warf den Kopf in den Racken. Zorn und Scham und Stolz sprühten aus ihren dunklen Augen. Bildschön sah sie aus in ihrer starken Erregung Das sah auch Ria. Eher hatte sich Janne ^etzt schlagen lasten, als daß sie in Gegenwatt von Ria ihre tote Mutter hätte verleumden lasten. „Meine Mutter hat bis zu ihrem Tode gearbeitet und wie. Sie hat das Geld mitgebracht und nicht du. Es ist eine unerhörte Roheit, sie jetzt zu beschimpfen," stieß Janne entrWet hervor. Einen Augenblick schien Mauritz verblüfft zu sein, aber dann packt« er Janne bei -et Schulter und zog sie, als wäre sie eine Pupp« zu sich heran. „Was wagst du mir zu sagen? Auch di« große Klapp« riskierst du noch? Noch ein Wort und ich verschließe dir oder du packst deine Steurnscichem Vir scheint gar nicht klar zu sein, daß Mir VN- i« Grund« überhaupt nicht, an- zehen. Du hist für mich «Marianne: Mattipi. Nicht» ,veit«r." »Laß sie gthön, igttanz. Tü'ihr nichts. Abev chirs diese» rauenzimmer raus: Hast recht, was geht sie uns denn berhaupt an?" pflichtete Ria dem Budenhesttzer bei. Mit einer wilden Handdewegung schleuderte Mauritz Janne auf das Bett, so daß das Mädchen mit dem Hinter- köpf hart an die Wand des Wagensuschlug. ,Zch will dich nicht mehr sehen. Geh mir au» den Augen! Ich werde dir deinen polizeilichen Abmeldeschein schreiben und dann geh hin, wo du hingehörst'..." Janne taumelte aus dem Wagen. Ihr Kopf brummte. Wirr hing ihr das Haar ins Gesicht, Alles war in ihr wie ausgelöscht, nur die letzten Worte von Mauritz brausten ihr ia hen Ohren: " i.Gjh hin, wo du hingehörst!" „Wohin ich gehöre?" Janne schluchzte auf. „Das ist es ja eben, daß ich nirgends hingehöre, nirgends hin..." Ganz aufgelöst kam Janne hinüber zu Pitt. Als dieser das Mädchen sah, kam er ihr bestür-c ent gegen. „Janne, was ist denn? Wie siehst du aus?" Iannx sank schluchzend auf den Stuhl neben der Kaßv und barg ihr Gesicht in den Händen. Stoßweise erfuhr Pitt, was Mauritz von Janne ver langte und daß er sie hinausgeworfsn hatte. „DMer Hund!" knirschte Pitt und zitterte am ganzen Leibe. Eine Weile hatte Pitt überlegt, dann kam ihm ein Lachen an. „Kopf hoch, Janne! Schlimmer kann's nicht kommen. Du hast doch etwas Geld noch von deiner Mutter, und ich hab mir auch ein paar Groschen gespart. Warte, wenn am Nachmittag die Vorstellung beginnt, geh rüber, packe deine Sachen in meinen Koffer und leg meine dazu. Dann geh nach dem Bahnhof. Wir treffen uns im Wartesaal. Wo du hingehst, da gehe ich mit. Mag Mauritz zusehen, wie er mit seiner Ria fertig wird." Jetzt, wo die Entscheidung gefallen war, die so unver hofft kam, befiel Janne doch Angst vor der Zukunft, die so ganz grau und undurchsichtig war. Aber Pitt zerstreute alle ihre Bedenken. Als Hütte er ihre Gedanken erraten, sagte er ermunternd: „Unzählige Male ist es mir so ergangen, Janne. Du weißt, ich habe keinen Menschen auf der Welt. Aber immer hab ich mich durchgeschlagen und bin ehrlich und anständig geblieben. Sei nur tapfer und warte auf mich!" Janne faßte etwas Mut. Sie stand auf und sah Pitt aus verweinten Augen an, der ihr brüderlich die Wange streichelte. „Wir gehen nicht unter, Janne. Nur 'n bißchen Selbst vertrauen. Pitt macht's schon. Ich kann ja arbeiten." An diesem Nachmittag spielte Pitt seine Rolle in der Mauritz-Schau so gut, daß die Menge dem Clown, der heute wie toll wirbelte, Beifall jubelte. Währenddessen zählte dieser schon die Minuten. Inöes packte Janne drüben im Wohnwagen mit fieber hafter Eile Pitts Koffer. Sie wunderte sich nicht, daß der polizeiliche Abmeldeschein schon fix und fertig gestem pelt war. Ria schien alle Vorbereitungen für Jannes Rauswurs getroffen zu haben. Da lagen Jannes wenige Kleider auf dem Bett, daneben ein paar armselige Er innerungen an die Mutter. Ein Bild von ihr und ein Bild ihres toten Vaters, wie er im vollen Dreß mit dem schwarzen Panther abgebildet war. Zärtlich nahm Janne die wenigen Andenken, die sie an die geliebten Toten hatte und packle sie in Pitts Koffer zu allem übrigen. Dann stand sie in dem halbdunklen Wohnwagen. Ein enger Käfig war es nur, und doch hatte Janne, so lange sie zurückdenken konnte, darin gelebt. Hier war das Bett, in dem die Mutter gestorben war, daneben das kleine Sofa, auf dem Janne immer schlief. Wie oft hatte Janne nachts, wenn sie aufwachte oder wenn sie mit der Mutter bangen Herzens auf die Heimkehr des Stiefvaters gewartet hatte, hinübergesehen in das liebe Muttergestcht. Janne senkte den Kopf. Streichelnd glitten ihre Hände über die Kuppen des Bettes. „Mutter... armes Mutterle... Hättest du das noch erlebt! Jetzt jagen sie deine Janne hinaus, hinaus in die Welt, die mir doch so fremd ist!" Janne preßte das Gesicht in ein kleines Sofaktssen, das die Mutter selbst gehäkelt hatte und weinte bitterlich. Dann nahm sie das Kissen und stopfte es noch in den Koffer hinein, obgleich er schon übervoll war. Es war als wolle sie alles zusammenraffen,, was sie noch an die Mutter erinnern konnte. An der Tür des Wohnwagens blieb Janne noch einmal stehen und sah zurück. Schmerzlich war der Ausdruck ihres schönen kindlichen Gesichts, so schmerzlich, daß er das här teste Herz hätte erweichen müssen. „Abschied," murmelte Janne, aber dann riß sie sich mit aller Gewalt los. Sie nahm den schweren Koffer und ging auf die andere Seite der Budenstraße. Von dort warf sie zwischen den. Köpfen der vorbeiziehenden Menschen hindurch noch einen^ letzten Blick nach der Mauritz-Schau. Sie sah den Stiefvater in feiner kraftstrotzenden Pose, sie sah Ria mit dem wellen hageren Gesicht und dem ge langweilten Lächeln. Und dann sah sie Pitt, der da oben zum letztenmal-stand und von dem keiner ahnte, daß er hinter der Maske des Narren tiefes Herzleid trug. „Auf Wiedersehen, alles" sagte Jann« gequält und hastste dann so schnell, als verfolg« man st« durch dir Menschenmenge. lFortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Nächste Seite
10 Seiten weiter
Letzte Seite