ken umgeben sein, dem Geiste war hier der Quell der christlichen Wahrheit ge öffnet und es war nothwendigc Folge davon, daß sie endlich hell und klar her vorleuchten mußte. Freilich vergingen mehr als anderthalb Jahrhunderte, in der die evangelische Christenheit, dem Triebe der freien Forschung entsagend, an dem Gewinn der Vergangenheit sich genügen ließ, und die Schrift nur ge brauchte, die bestehende Satzung zu bestärken und zu befestigen. Aber jener Trieb bahnte sich allmälich den Weg, und in der letzten Hälfte des vergange nen Jahrhunderts wurde endlich das kühne Wort ausgesprochen: daß die Offenbarung Gottes in der Schrift, die schon im Geiste und Gewissen des Menschen ruhende, wohl weiter ausführen, klarer machen, sie zum vollen Ver ständnisse bringen, niemals aber ihr durchaus widersprechen könne; die Ver- nunftgläubigkeit, der Rationalismus, wurde in ein System gebracht, und von daher stammt ein neues eifriges Streben in der Christenheit, aus dem Worte der Jünger des Herrn den Geist des Herrn zu erkennen, ihn in sich aufzunehmen, nach ihm den christlichen Glauben, das christliche Leben, den christlichen Ge- meindcverband festzustellen und zu regeln. Freilich müssen wir auch bei diesem neuen Erwachen des Geistes manche Verirrung beklagen. Der Geist der Zeit, besonders der, gern das Heilige ver spottendes französischen Philosophie blieb nicht ohne Einfluß auf den Rationa lismus jener Zeit. Er ist von einiger Leichtfertigkeit, von einiger Frivolität auf der einen Seite nicht freizusprechcn, während auf der andern Seite, die, welche ihn anbauten, nur schüchtern auf ihrer Bahn fortgingen, oft scheinbar vor den Ergebnissen ihrer Forschung erschreckend, und daher zaghaft in ihrer Verkündigung. Dadurch, durch die ihm gegenüberstihende starre, alle gesunde Vernunft zurückstoßende Buchstabcngläubigkeit, nicht weniger durch die von Frankreich aus sich über Deutschland einer Seuche gleich erstreckenden Freigei sterei, begleitet von kaum glaublicher Unsittlichkeit, die an den Höfen, wie in den Hütten ihre Tempel baute, schien das religiöse Leben des Volkes fast zu Grabe getragen. Das blinde Eifern für eine angebliche Reinheit des Glau bens, d. h. für sklavische Unterwerfung unter die spätem Satzungen des Jahr hunderts der Reformation, welches sich im Wöllner'schen Religionsedicte am schroffsten und mächtigsten zeigte, war einerseits eine natürliche Reaction jener gerügten Freigeister«, thcils schien es eine Sühne für die offenbare Unreinheit des Lebens sein zu sollen, und die dadurch hervorgerufene vielfache Heuchelei und Scheinheiligkeit trugen auch das Ihrige dazu bei, die Religion überhaupt zu verdächtigen, das religiöse und kirchliche Gemeindcleben zu untergraben. Man betrachtete die Kirche nur noch als eine Polizeianstalt für das niedere Volk, und meinte: je mehr in ihr der Autoritätsglaube herrsche und die freie Prüfung unterdrückt werde, desto leichter würde auch dem Staate seine alte Autorität erhalten und die Regung der Zeit nach einem freieren Staats- und Gemeinde leben unterdrückt werden können.