Suche löschen...
Lichtenstein-Callnberger Tageblatt : 17.07.1892
- Erscheinungsdatum
- 1892-07-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1776437853-189207174
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1776437853-18920717
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1776437853-18920717
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Bemerkung
- Vorlagebedingter Textverlust
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLichtenstein-Callnberger Tageblatt
- Jahr1892
- Monat1892-07
- Tag1892-07-17
- Monat1892-07
- Jahr1892
- Titel
- Lichtenstein-Callnberger Tageblatt : 17.07.1892
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
„Na, na, na, so schlimm wird es wohl nicht sein! Sie wird morgen schon herunterkommen I" Die Hoffnung Neumanns erfüllte sich jedoch nicht. Auch am dritten Tage blieb Aennchen auf ihrem Zimmer. Gegen Abend erschien abermals Bienert und drang nun in Neumann, ihm wenigstens die kleine Betty rufen zu lassen, damit er mit dieser einige Worte sprechen könne. „Mein GotAso gehen Sie doch selbst hinauf! Vielleicht gelingt es Ihnen, dem Mädel den Kopf zu recht zu setzen, denn ich weiß es wahrhaftig nicht, was ich von der Geschichte denken soll! Das kann doch nicht so fortgehen! Mir sagt sie nichts und aus dem kleinen Ding, der Betty, ist auch nichts Herauszukriegen! Vielleicht haben Sie mehr Glück wie ich!" erwiderte der Wirt. „Ja, wenn es nur Fräulein Aennchen nicht übel nehmen möchte, wenn ich hinauf komme." „Ach, was ist da übel zu nehmen. Sie kennen sich ja! Gehen Sie nur hinauf, Sie wissen ja das Stübchen vom Weihnachtsabend her." Bienert überlegte noch ein Weilchen. Es war ihm eigentümlich zu Mute und doch wußte er nicht, was es eigentlich war, was ihn in solche Aufregung versetzte. Fast unwillig über seine Unentschlossenheit sprang er Plötzlich von seinem Stuhle auf und sprach zum Wirt: „Ich will es einmal versuchen." Darauf begab er sich nach dem Zimmer der Jungfrau. Als er seine Ankunft durch ein leises Klopfen an der Thür meldete, wurde dieselbe von Betty geöffnet. „Ach, Sie sind es, Herr Bienert! Bringen Sie Nachricht von Herrn Flammbach?" rief ihm die Kleine entgegen. „Ist es erlaubt, einzutreten?" fragte der Stu dent, einen Blick auf Aennchen werfend, welche in dem Sessel saß und in dem Buche blätterte, das sie Betty zum Weihnachtsgeschenk gegeben hatte. Eine brennende Röte überflog das bleiche Ant litz der Jungfrau. Sie erhob sich hastig vom Stuhle und stammelte einige unverständliche Worte. Bienert trat nun in das Gemach ein, begrüßte Aennchen und reichte ihr seine Hand, welche Aennchen in tiefer Verlegenheit nur leise mit den Fingerspitzen berührte. Ich hörte zu meinem tiefen Bedauern, Fräulein Aennchen, daß Sie unwohl sind," begann Bienert, während er sich auf den Stuhl niederließ, welchen Betty herbeigerückt hatte. „O, es ist nicht von Bedeutung," erwiderte Aennchen, ohne die Augen aufzuschlagen. Jetzt erst, nachdem die Röte der Verlegenheit von den Wangen der Jungfrau gewichen, erkannte Bienert, wie bleich und leidend dieselbe war. Die Verlegenheit Aennchens schien sich auch ihm mitteilen zu wollen und er wußte momentan nicht, was er sagen sollte. Da kam ihm Betty zur Hilfe, indem sie fragte: „Haben Sie auch von Herrn Flammbach diese traurige Nachricht erhalten?" „Leider ja, er thut mir sehr leid, denn ich weiß, mit welcher Liebe er an seiner Mutter ge hangen hat!" Aennchen wandte sich weg und versuchte die Thränen zu verbergen, die ihr in die Augen traten. „Wird Herr Flammbach nicht bald wiederkoW men?" fragte Betty weiter. „Ich erwarte ihn jede Stunde und wundere mich eigentlich, daß er nicht schon hier ist, denn das Haus seines Vaters dürfte ihm unter den obwalten den Umständen gerade kein angenehmer Aufenthalt sein. Wir werden große Mühe haben, ihn wieder aufzurichten, denn der Schlag, der ihn getroffen, ist zu schnell und unerwartet gekommen! Ich hoffe aber, daß es uns mit Ihrer Hülfe, Fräulein Aennchen, ge lingen wird, ihm den Frieden seines Herzens wieder zugeben !" „Ich? Mein Gott — Was könnte ich dafür thun?" stammelt Aennchen in neuer Verwirrung. „O, sehr viel, Fräulein Aennchen! In Ihrer Gesellschaft muß auch das betriibteste Herz wieder zur Ruhe kommen, und Flammbach ist ein Gemüt das nur durch Freundschaft und Liebe geheilt werden kann! Ich bin fest überzeugt, daß es Ihnen gelingen wird, ihm den Mut und die Kraft wiederzugeben, welche er nötig hat, um den schweren Verlust zu ertragen!" „Herr Bienert, ich glaube wohl, daß es besser sein wird, meine Person außer Acht zu lassen. Sie sind ja sein treuester Freuyd und werden jedenfalls mehr Einfluß auf ihn ausüben können, als ich schwaches, unbedeutendes Mädchen!" flüsterte Aennchen mit beben der Stimme. Der Student wurde stutzig. War ihm doch schon am heiligen Weihnachts abend bei der Entdeckung jenes Briefes ein Gedanke gekommen, der ihn mit einer gewissen Unruhe erfüllt hatte, und dieser Gedanke trat nun wieder lebendig vor seine Seele. Er warf einen langen, forschenden Blick auf die Jungfrau und vermochte augenblicklich nicht zu antworten. „Wissen Sie, Herr Bienert, daß es eigentlich recht garstig von Herrn Flammbach gewesen ist, daß er nicht einmal einen Gruß an Fräulein Aennchen seinem Schreiben beigefügt hat?" „Aber Betty!" fiel Aennchen erschrocken ein, während sich die verräterische Röte ihres Antlitzes bemächtigte. „O, das darf man wohl nicht so scharf auf- fassen in seiner traurigen Stimmung." „O, ich bitte, Herr Bienert, achten Sie nicht auf das Geschwätz des Kindes!" fiel Aennchen er regt ein. Dem Studenten wurde immer unheimlicher zu Mute und immer klarer, immer lebendiger wurde ihm jener Gedanke. Das Gespräch stockte abermals und die Unruhe Aennchens kennzeichnete sich durch abwechselnde Röte und Blässe im Antlitz, sowie durch das stürmische Wogen des jungfräulichen Busens. Bienert wußte sich nicht mehr zu raten; er er hob sich und flüsterte in der größten Verlegenheit: „Ich fürchte, mein Besuch wird Ihnen lästig fallen, Aennchen, Sie scheinen wirklich leidend zu sein. Wollen Sie denn nicht einen Arzt zu Rate ziehen?" „Nein, nein, ich bedarf keines Arztes!" rief Aennchen hastig, „aber wenn Sie mir einen Gefal len thun wollen, Herr Bienert, so — " Hier stockte sie und schlug die Augen nieder. „O, bitte, Fräulein Aennchen, ich bin stets be reit, Ihnen zu dienen." „Das heißt, ich will Sie nur — um etwas fragen," hauchte das Mädchen, und als der Stu diosus sich schweigend verneigte, fuhr Aennchen fort: „Kennen Sie den Advokatenschreiber Herrn Heiden reich ?" „Nein, Fräulein Aennchen, der ist mir nicht bekannt." „Nicht?" erwiderte Aennchen und spielte wieder verlegen mit den Fingern. „Der garstige Mensch hat Fräulein Aennchen beleidigt!" fiel plötzlich Betty ein. Aennchen fuhr zusammen und schaute ganz er schrocken auf Betty. Diese aber ließ sich durch den stechenden Blick der Jungfrau nicht einschüchtern, sondern fuhr fort: „Ja, ja, Herr Bienert, es ist so: Sind Sie nicht böse, Fräulein Aennchen, aber ich habe es gehört, ich weiß, wie Sie die Nacht geweint haben über die sen häßlichen Menschen, der Ihnen durch Friedrich das Gedicht zugesteckt hatte!" . ? „Betty!" stammelte Aennchen und wurde leichenblaß. „Ein Gedicht?" flüsterte Bienert, von Neuem erstaunt. „Ja, ja, das Gedicht! Sie wissen ja, Herr- Bienert, vom heiligen Abend her!" versetzte Betty. „Betty! — Ich bitte Dich, schweig!" stöhnte Aennchen. „O, verzeihen Sie, Fräulein Aennchen, Betty meint es jedenfalls gut mit Ihnen! Ich bitte Sie, über mich zu verfügen, wenn etwa dieser Mensch in irgend einer Weise —" „Nein, nein, vergessen Sie das, Herr Bienert! Ich bitte Sie, schweigen Sie von der ganzen Sache! Sagen Sie auch — Herrn Flammbach nichts davon!" „Aber warum denn, Fräulein Aennchen? Herr Flammbach und Herr Bienert werden den bösen Menschen schon zur Rechenschaft ziehen! Was nützt denn das, wenn Sie sich über ihn ärgern und zu letzt doch noch krank werden! Ja, ja, Herr Bienert, ich weiß es, ich habe es gehört, wie böse Fräulein Aennchen auf den Mann ist! Nicht wahr, es ist eine Lüge, was die Leute reden?" „Um's Himmels willen, Betty, so schweige doch still." / „Fräulein Aennchen, ich kann und darf mich nicht zudringlich erweisen, aber ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, wenn Sie sich von jenem Manne belei digt fühlen, so lassen Sie mich für Ihre Ehre ein treten, oder wenn Sie zu mir kein Vertrauen haben, so dürfte es Ihnen vielleicht leichter werden, meinem Freunde Paul —" „Nein, nein, um Gotteswillen! Herr Flammbach darf schon gar nichts wissen. Lassen Sie nur die Sache sein, Herr Bienert. Betty hat jedenfalls nicht richtig gehört. Ich fühle mich gar nicht beleidigt von jenem Manne, verzeihen Sie mir, aber ich bitte Sie flehendlich, sagen Sie Herrn Flammbach nichts von dem, was heute zwischen uns gesprochen ist!" „Das ist aber gar nicht recht von Ihnen, Fräulein Aennchen!" fiel Bienert ein. „Sie wissen doch ebenso gut, wie wir Alle, daß Herr Flammbach Sie lieb hat und nicht dulden wird, daß Sie von einem anderen Manne beleidigt werden." Aennchen zitterte in allen Gliedern. Wohl wollte sie dem Kinde abermals Schweigen gebieten, aber dasWort kam nicht über ihre Lippen und Betty fuhr in treuherzigem, kindlichem Tone fort: „Aber wenn Sie nichts sagen wollen, so sage ich's Herrn Flammbach, wenn er wiederkommen wird!" „Jetzt ist's genug, Betty, wenn Du nicht willst, daß ich mich entferne, so schweig!" stammelte Aennchen, und ihrer Aufregung nicht mehr mächtig, bedeckte sie mit beiden Händen ihr Antlitz und brach in Thränen aus. In welcher Verlegenheit sich Bienert befand, ist wohl leicht zu erraten. Verlegen drehte er seinen Hut in der Hand und schaute bald auf Betty, bald auf die weinende Jungfrau. Plötzlich eilte das Kind auf Aennchen zu, schlang ihre Hände um deren Nacken und bat mit flehender, weinerlicher Stimme: „Liebes, gute« Aennchen, Sie sind mir doch nicht böse? Sagen Sie doch Herrn Bienert alles und Sie werden sehen, daß er Ihnen beistehen wird!" Keine Antwort erfolgte auf die Bitte des Kindes. Der Student aber erkannte, daß es jedenfalls geraten war, die Szene abzubrechen. „Ich entferne mich, Fräulein Aennchen, vielleicht erlauben Sie, daß ich mich morgen nach Ihrem Be finden erkundigen darf?" „Nein, nein, Herr Bienert, kommen Sie nicht! — Ich bitte, nehmen Sie mir das nicht übel, aber es ist besser für Sie und mich, wenn Sie beide nicht mehr so oft zu uns kommen!" rief jetzt Aennchen, mit Gewalt ihr Schluchzen unterdrückend. Die Bestürzung des Studenten vermehrte sich, seine Augen schämen fragend nach der erregten Jungfrau und seine Stimme zitterte als er erwiderte: „Ihr Wunsch ist mir Befehl, Fräulein Aennchen, ich hoffe aber zuversichtlich, daß sich der leidende Zustand recht bald bessern möge! Es dürste für meinen Freund Flammbach eine sehr betrübende Nachricht sein, wenn ich genötigt wäre, ihm bei seiner Ankunst gleich mitzuteilen " „Nein, nein, ich bitte Sie nochmals, thun Sie das nicht — und jetzt — haben Sie Mitleid mit mir! Ich weiß nicht, was ich sage, ich bin in einer solchen Unruhe, daß ich gern allein sein möchte. Ein — andermal — Herr Bienert —" Doch weiter kam Aennchen nicht. Abermals brach sie in ein leises Schluchzen aus. Der Student verneigte sich, flüsterte einige un zusammenhängende Worte des Abschieds und verließ das Gemach. Es war nicht möglich, die Gaststube noch ein mal zu betreten. In hastigem Lauf eilte er von dannen und als er in seiner Wohnung angekommen, warf er sich auf das gebrechliche Sopha, stieß einen tiefen Seufzer aus und verfiel längere Zeit in dumpfes Hinbrüten. Endlich erhob er sich. Sein Antlitz war sehr bleich geworden und zeigte den Ausdruck schmerzlicher Niedergeschlagenheit. „Es ist wirklich so, wie ich mir gedacht habe! Aennchen liebt Flammbach ! Liebt ihn mit der ganzen Glut einer ernsten jungfräulichen Liebe. — Mein Gott, das arme Kind! Ich glaube nicht, daß Flamm bach diese Neigung erwidert! — Jetzt, jetzt, kann ich mir alles erklären! Diese Aufregung am heiligen Abende, sie glaubte gewiß, die Verse wären von Flammbach. O, dieser nichtswürdige Kerl, dieser Schreiber ist gerade schuld an der Verwirrung!" Mit heftigen Schritten durchmaß er sein Gemach. „Aber wie", begann er von Neuem, indem er plötzlich stehen blieb, „wenn nun Flammbach wirklich das Mädchen liebte! Himmel, wie ist smir! Mir wird ganz heiß bei dem Gedanken! Paul und Aenn chen! Und ich — ich? — Bienert, Bienert, nimm Dich zusammen I Es gilt zu zeigen, daß Du ein ehrlicher Kerl bist, der die Freundschaft nicht nur im Munde führt, sondern auch im Herzen fühlt und durch die That beweisen kann!" Langsam schwankte er wieder nach dem Sopha und ließ sich dort nieder. Wohl eine Viertelstunde saß er, ohne sich zu rühren. Seine Augen waren geschlossen und nur das schwere Atmen zeugte von der Bewegung, welche seine Seele erregte. Da plötzlich ertönten scharfe Tritte. Bienert schreckte empor. „Er kommt!" rief er und starrte angstvoll nach der Thür. Richtig, im nächsten Augenblicke wurde dieselbe aufgerissen und Paul Flammbach trat in das Zimmer. „Bienert, Freund meiner Seele, da bin ^ich!" rief Flammbach und lag in der nächsten Sekunde an der Brust seines Freundes. „Armer Paul!" flüsterte Bienert. „Still, still, Freund, mach mir das Herz nicht schwer, Du weißt noch gar nicht was Du für einen Menschen in Deine Arme geschlossen hast. Es ist vorbei, Freund, Heimat, Mutter, Vater, Schwester, alles, alles verloren!" Mit den Worten warf sich Flammbach auf den Stuhl. „Um Gotteswillen, Freund, was sprichst Du? Was werde ich hören? Rede, Paul, zögere nicht länger! Ich fürchte, Du hast auch mit dem Vater gebrochen! Wie, ist's so?" „Ich bin ein verstoßener Sohn, ein ungeratenes Kind, enterbt, schmachvoll aus dem väterlichen Hause gejagt! Aber bei Gott, es waren zwar harte Tage, doch niedergedrückt haben sie mich nicht! Im Gegen teil, Freund und Bruder, ich bin in den Stunden zum Manne gereift!" „Recht so, mein Freund! Wenn Dich alle ver lassen, verlaß Du Dich selbst nicht, denn dann — dann erst wärst Du verloren!" flüsterte Bienert. (Fortsetzung folgt). Redaktion. Druck und Verlag von Carl Matthes in Lichtenstein (Markt 17S),
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Nächste Seite
10 Seiten weiter
Letzte Seite