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Hohensteiner Tageblatt : 21.10.1890
- Erscheinungsdatum
- 1890-10-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id184110793X-189010213
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id184110793X-18901021
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-184110793X-18901021
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungHohensteiner Tageblatt
- Jahr1890
- Monat1890-10
- Tag1890-10-21
- Monat1890-10
- Jahr1890
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- Hohensteiner Tageblatt : 21.10.1890
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Meter immer noch um 9 mm zu tief. Wenn die Luftwärme in den ersten Tagen etwas über die gewohnte Höhe hinaus- ging, so liegt sie seit Freitag ziemlich beträchtlich unter der selben. Die Regenfälle waren am Sonnabend und in der Nacht zum Sonntag am ergiebigsten; die in der Zeit vom Donnerstag bis vorgestern Morgen niedergeschlagene Wassermenge beträgt 17,6 I auf 1 gm Bodcnfläche. Auf den höheren Ge birgen Deutschlands wird wohl vorgestern an vielen Stellen Schnee gefallen sein. In den Alpen schneit cS schon seit Donnerstag, auf dem St. Gotthard waren daher am Freitag 22 ein, auf dem Säntis am Sonnabend 44 cm Schneehöhe zu messen. Die Ziehung der 5. Classe der 118. königlich sächsischen LandeSlotteric beginnt am 3. November 1890. Die Erneue rung der Loose ist nach 8 5 der dem Plane zu dieser Lotterie angefügten allgemeinen Bestimmungen vor Ablauf des 25 October 1890 bei dem Collectcur, dessen Name und Wohnort auf dem Loose aufgedruckt und aufgcstempelt ist, zu bewirken. Ein Interessent, welcher diese Erneuerung versäumt oder sein LooS von dem nurgcdachten Collectcur vor Ablauf des 25. October nicht erhalten kann, hat sich nach Maßgabe des ange- zogcncn 8 5 bei Verlust aller Ansprüche an das gespielte LooS an die königl. Lotterie-Dircction noch vor Ablauf des 30. Oc- tobcr 1890 zu wenden. DaS ReichSgesctz, betreffend die Gewerbegcrichte, vom 29. Juli d. I. ist in I. I. Heines Verlag in Berlin in Buch form erschienen, und zwar als erster Band der vom Landrichter vr. Menzen herauSgcgebencn Bibliothek für Arbeiterrecht. Der Kanzleirath im Reichsjustizamt C. Psaffenroth hat die Dxt- ausgabe mit Erläuterungen, mit einer Zusammenstellung aller VersahrungSvorschriften und einem OrtSstatutSentwurf versehen. DaS Buch will ein Hilfsmittel zur leichteren Einführung und Handhabung des nach langjährigen Verhandlungen nunmehr zu Stande gekommenen Gesetzes bieten. Zu diesem Zwecke sind die kurzen, erläuternden Bemerkungen geschaffen worden, welche unter Berücksichtigung aller einschlägigen Gesetzgebungs- Materialien Sinn und Zusammenhang der Vorschriften klar- stellcn sollen. Auch der Statutencntwurf dürste mit Nutzen von den Gemcindcvorständcn und anderen Behörden als sach gemäße Grundlage für die Aufstellung eines OrtSstatutS ver wendet werden können. Wenn auch die durch das Gesetz über die Gewerbegcrichte erlassenen Vorschriften über das Verfahren vor denselben an sich bei einfach verlaufenden Streitsachen, wie die Motive annehmen, für die Handhabung des Verfahrens meist auSreichcn werden, so wird doch unzweifelhaft in sehr häufigen Fällen ein Zurückgehen auf die für anwendbar er klärten Vorschriften der Civilproceßordnung über das Ver fahren vor den Amtsgerichten unvermeidlich sein und es erschien aus diesem Grunde angczcigt, dem Gesetz eine übersichtlich ge ordnete Zusammenstellung aller in Betracht kommenden Vcr- fahrenSvorschriften anzuschließcn. Ein alphabetisches Sachregister sucht die Brauchbarkeit des Buches zu erhöhen, welches nicht nur den Gemeindebehörden und anderen Verwaltungsbehörden, sondern auch allen Denen, die als Vorsitzende oder Beisitzer der Gewerbegerichte oder als Parteien am gcwerbegerichtlichen Verfahren betheiligt werden können, als praktisches Handbuch willkommen sein dürste. Am Mittwoch, 15. dsS. MtS., Nachmittags 3 Uhr wurde im VerhandlungSsaalc der Königl. AmtShauptmannschaft in Glauchau die 6. diesjährige öffentliche Sitzung des Bezirks ausschusses abgehalten. Vor Eintritt in Vie Tagesordnung widmete Herr AmtShauptmann Merz dem in den Bezirksaus schuß neu eingctretcncn Herrn Bürgermeister Fröhlich aus Lichtenstein herzliche Worte der Begrüßung. Nach einigen geschäftlichen Mittheilungcn kamen zunächst vier die BezirkSan- stalt Lichtenstein betreffende Angelegenheiten zur Erledigung. In dankbarer Anerkennung der Verdienste, die dec verstorbene Stadtrichter Werner um die Errichtung und Verwaltung der Bezirksanstalt sich erworben, beschloß man, sein wohlgelungcnes Bildniß in dem Geschäftszimmer der Anstalt anzubringen. Dann wurde über die Stückrechnung für daS 1. Halbjahr 1890, eine Schlenßcnanlage in der Anstalt und das Gesuch des Auf sehers Ficker um eine Beihilfe zu Beschaffung der Dienst kleidung in Berathung getreten. Der Bezirksausschuß beschloß weiter, ein Gesuch Wcisc'S in Oberlungwitz um Erweiterung der Erlaubniß zum Tanzhaltcn nicht zu befürworten. Auf die DiSmembrationsgcsuche Neubert's in Gersdorf, Rabe's in St. Egidicn, Wärler's in Mülsen St. Michcln, Herold's in Bernsdorf, der verw. Feig in Hohenstein — wegen Oberlung witzer Parzellen — und Miiller's in Langenberg wurde die nachgesuchte Dispensation crtheilt, in der gleichen Sache Götze'« in Hermsdorf aber materielle Entschließung abgelehnt und be züglich des DiSpcnsationsgesuches p. Kunze'S in Zwickau — wegen Hohndorser Areal — in andcrwcitcr Bcraihung ab fällige Entschließung gcsaßt. Sodann wurden die Tanz- rc. Abgaben-, Ortsstatute sür Dittrich, NicdcrschindmaaL und WeidcnSdorf bez. bedingungsweise genehmigt, während die gleichen OrtSstatute sür Wernsdorf, Mülsen St. Niklas, Herms dorf und Pfaffenroda zur anderweiten Erwägung zurückzustellcn waren. Ferner wurden die Nachträge zu den Ortsstatuten wegen der Pensionsberechtigung der Gemeindebeamten in Hermsdorf, Wernsdorf, AlbertSthal, Callenberg, Mülsen St. Niklas und Reinholdshain genehmigt. Ebenso fanden die Schlächtcianlage Fanghänel'« in Mülsen St. Niklas, daS Schank- crlaubnißgesuch Gerlach'« in Kleinchurrdori, da« Gesuch Ludwig'« in Altstadt-Waldenburg um Gestattung der Abhaltung von Singspielen pp. und der Nachtrag zum Äbgaben-Regulativ für Ernstthal — letzterer vorbehältlich der Entschließung der Königl. KreiShauptmannschaft, sowie der Königl. Kirchen- und Bczirks- schulinspection — Genehmigung, wogegen die Schankerlauvniß- gcsuche Eckardt'« in Mülsen St. Jacob und Schilling'« in Oberlungwitz abgewiesen wurden. Nachdem sich der Bezirks ausschuß noch wegen der Irrung über die Oeffcutlichkeit de« sogen. Milchstejgcs in Lichtensteincr Flur schlüssig gemacht hatte, wurde die Sitzung Abends 6 Uhr geschlossen. Am 17. d. M., dem hundertjährigen Geburt«tage A. F. Anacker«, begab sich früh der Dvmchor zu Freiberg an dar Grab des auch um den Singcchor hochverdienten Meisters und st mmte zunächst den Choral: „Walle stets, o Christ, auf Erden" nach der alten Freiberger Melodie an. Nach weiteren Gesängen ward das Grab des edlen Tondichters mit einem Kranze geschmückt. Nachmittag« erschien der Musikocrein nm Grabe Änacker'S und sang drei Strophen de« Liedes „Alle Menschen müssen sterben" nach der Anacker'schcn Melodie. Hierauf legte Rechtsanwalt Heistcrbergk im Namen de« Musik vereins einen Lorbeerkranz auf das Grab und hielt eine Ge denkrede, in welcher besonders die Vcidicnste A. F. Anackers um die Blüthe des Freiberger Musiklebens hcrvorgebobcn wurden. Unter heftigem Schneegestöber sand am Fichtelberge Schlachtfest statt. Der gesammte langgestreckte Kamm des Erzgebirges war am Sonnabend bis nach Crotten dorf herab mit frisch gefallenem Schnee bedeckt, der auch Mittags noch, sobald der heftige Nordwcststurm auf kurze Zeil die dichten Nebelmassen zerriß, hell erglänzte. In Annaberg hatte cS bislang nur heftig geregnet; am Sonnabend in der elften Vormittagsstunde konnte man jedoch während des Regens auch einzelne größere Schneeflocken bemerken. Donnerstag Abend nach eingetrctener Dunkelheit ist der Postbote Bartzsch in Deuben auf seiner Tour von Niedcrhäslich nach Schweinsdorf von zwei Unbekannten Plötzlich überfallen, in Arm und Brust gestochen, jedoch nicht verletzt und seiner Diensttasche zu berauben versucht worden. Die Riemen seiner Tasche, in welcher sich nur 20 Mk. befunden haben, sind zer schnitten worden. Der Postbote hat sich aber mit seinem Stocke tapfer gewehrt, auch seine ihm bereits entrissene Tasche wieder erobert. Die Räuber, junge Leute mit breiträndrigcn Hüten, sind entwichen. Eine nähere sichere Beschreibung kann der Angefallene nicht geben, da der Anfall bei völliger Dunkel heit geschah. In der Nacht vom 7. zum 8. August d. I. verunglückte bekanntlich am Eisenbahnübergange bei der königl. Billa in Strehlen ein einspänniges Geschirr, wobei der Restaurateur Louis Zfchiyze zu Dresden den sofortigen Tod fand, während dessen 15jährigcr Sohn und der Kutscher Moritz Müller schwer verletzt wurden. Am Sonnabend fand vor der 4. Strafkammer des Dresdener Landgerichts die Hauptverhandlung gegen den Bahnwärter Hermann Seifert wegen fahrlässiger Tödtung und Körperverletzung, sowie fahrlässiger Gefährdung eines Eisen bahntransportes statt. Nach den Ergebnissen einer sehr um sänglichen Beweisaufnahme stand fest, daß der Angeklagte, welcher in den Jahren 1885 bis 1889 zehn Mal wegen nich: bez. zu spät erfolgter Schließung der Barrieren mit Verweisen bestraft und geringen Geldstrafen belegt worden ist, die Barriere noch nicht geschlossen hatte, als die Locomotivc des Abends 10,36 Uhr in Dresden eintrcsfcndcn Zuges die Uebcrgangs- stclle passirte. Der rechte Puffer der Maschine hatte inzwischen da« zum Theil noch auf dem Bahnglcis befindliche Geschirr, welches im Schritt fuhr, erfaßt, auf die Seite geschleudert und neben der theilwciscn Zertrümmerung des Wagens die Tödt ung des Zschcyze sen. verursacht. Zur Entschuldigung seiner groben, instructionSwidrigen Fahrlässigkeit beruft sich Seifert auf das damals herrschende schwere Unwetter, welches das Sehen und Hören kaum noch ermöglicht habe. Aus jeden Fall war der Angeklagte verpflichtet, 10 Uhr 30 Min. die Barrieren zu schließen; er giebt aber selbst zu, daß dies erst bei Ankunft des Zuges geschehen sei. Den angeblichen Zuruf Seifert'« : „Fahren Sie schnell, etwa« wiste!" — links — hat der Kutscher Müller nicht gehört, ja dieser Zeuge versicherte auch eidlich, daß er den Bahnwärter gar nicht gesehen habe. Auf Grund der mehrstündigen Beweisaufnahme wurde der Angeklagte zu 2 Jahren Gefängniß verurtheilt. Bemerkt sei hierzu, daß von den Hinterlassenen des gelödtetcn Zfcheyge eine Civilklage gegen den EisenbahnfiScus auf Zahlung einer Entschädigungssumme von 150,000 Mark anhängig gemacht worden ist. Wegen Vergehens gegen daS NahrungSmittclgcsctz hatten sich am 17. October vor der dritten Strafkammer de« Königl. Landgerichts zu Leipzig die Materialwaaren- und Producten- händlcr K'schen Eheleute aus Stötteritz zu verantworten. Am 26. August d. I. hatten dieselben einem Mädchen, welche« für 10 Pf. Fett hotte, dergestalt verdorbenes und ungenießbare« Fett verabfolgt, daß die kleinen Geschwister des Mädchens kurz nach dem Genüsse des Fette« (mit Kartoffeln) unwohl wurden und sich Erbrechen einstellte. Daraufhin übergab der betreffende Vater das sehr übelriechende Fett der Behörde, die dasselbe und eine am folgenden Tage in dem K.'schen Geschäft beschlagnahmte Quantität Fett von etwa 3 Pfund dem Apo theker in Stötteritz zur Untersuchung einhändigte. Dieser stellte fest, daß das Fett schmierig und mit graublauen Streifen durchsetzt war und widerlich roch, so daß er dasselbe für un genießbar und gesundheitsschädlich erklären mußte. Die gleiche Erklärung gab der gerichtliche medicinische Sachverständige ab und bezeichnete derselbe den Genuß des Fettes als geeignet, Störungen in den UntcrleibSorganen hcrvorzuruicn. Demge mäß wurden die K.'schen Eheleute und zwar der Ehemann wegen Fcihaltcns von verdorbenen Genußmitteln zu einer Woche Gefängniß, die Ehefrau ober wegen F-ilhaltcns und Verkaufs von verdorbenen Gcnußmitteln zu zwei Wochen Ge- sängniß verurtheilt. Congretz der Socialdemokraten. Halle, 18. Octobcr. In der heutigen sechrten und letzten Sitzung machte der Vorsitzende, Abgeordneter Singer, einige Mittheilungcn, alsdann wurde in der Berathung der Anträge sortgeiahren. Nach kurzer Debatte gelangte folgender, von dem Abg. von Vollmar und Gen. gestellter Antrag zur An nahme. Der Parteitag beschließt: Tie Verbündeten Regierungen aufzu- sordern, nm die durch das verurtheiltc Ausnahmegesetz augerichteten Schäden cinigermaßen gut zu machen, das aus Grund der willkürlichen Bcstimmnngcü dieses Gesetzes wcggcnommene Eigenlhnm von Körper schaften und Personen wieder herailszngebcn. Ein weiterer Antrag von Fell (Leipzig.) Ter Parteitag wolle beschließen, die Fractiou zu beauslragcu, ein VcrciuS- und VersanmUungsgcseU ausznarbeitcu und im Reichstage eiu- znbringen, welches unter vollständiger Wahrung der Vereins und Ver sammlungsfreiheit dem unhaltbaren Zustande der betreffenden La»dcs- gcfctzc ein Ende macht, wurde durch Uebergang zur Tagesordnung erledigt. Dagegen gelangte folgender, von Watermann (Bremerhafen) gestellter Antrag zur Annahme. Ter Parteitag beschließt, die Fractiou der socialdemokratischcn Arbeiterpartei im Reichstage zn ersuche», nach Kräften bei der Gesetz gebung dahin zn wirket:, daß die Mißstände beim Auswander,mgSwescn möglichst beseitigt werden, so insbesondere die Regierungen zu ersuche», den Transport der Auswanderer, wie auch die Unterbringung derselben in den Hafenstädten, so scharf wie möglich zu überwachen und zu con- lrolireu, da die bisherigen Einrichtungen, sowohl was Transport wie Unterbringung der Reisenden anbelangt, den einfachsten Forderungen der Hygiene Hohn spricht. Ferner gelangte folgender Antrag von Schwarz (Hamburg) und Genossin zur Annahme: „In Anbetracht der elenden Lage, in der sich die große Mehrzahl der seefahrenden Bevölkerung Deutschlands befindet, "beauftragt der Parteitag die socialdcmolratijchc Fractiou im Reichstage, die Forderung ans Revision der deutschen Sccmauusordnung zu stelle«." Eine sehr lange Debatte veranlaßte folgender von einer Anzahl Berliner Dclcgirtcn gestellter Antrag: „Ter Parteitag cinpsichtt den Parteigenossen", überall da, wo Er folge in Aussicht stchcu, in die Wahlagitation cinzntretcn, sei es für de» Reichstag, die Landtage oder Gcmcindcvertrctnng." Dieser Antrag gelangte mit ver Modifikation zur An- daß hinter den Worten: „in Aussicht stehen", einge schaltet werde, „und wenn dieselben auch nur propagandistischer Natur sind." Endlich gelangte noch folgender, von dem Abg. Liebknecht und G-nossen gestellter Antrag zur Annahme: Der Cviigrcß beschließt: „Der 1. Mai ist dauernd ein Feiertag der Arbeiter, der, cnt- sprcchcnd dem Beschluß des internationalen Pariser Arbcitcrcongrcsscs den Einrichtungen »nd Verhältnissen des Landes gemäß zu begehen ist. Wenn sich der Arbeitsuche an diesem Tag Hindernisse in den Weg stellen, so habe» die Umzüge, Feste im Freien rc. am ersten Somitag im Mai stattznsindcn." Der Antrag der Marburger Genossen: „In Anbetracht dcS Vordringens der antisemitischen Bewegung aus immer weitere Kreise nud der verwerflichen KampseSwcise, welcher sich die Antisemiten spccicll gegen die Socialdemokrate» bedienen, be schließt der Congreß, daß die Partei die Parteigenosse» Marburgs öl irgend einer Weise unterstützt, damit am Herde der antisemitischen Agi tation eine kräftige Gegenagitation entwickelt werden kann." sowie der Antrag aus Einsetzung eines ständigen Schiedsgerichts zur Schlichtung von Streitigkeiten, und eine Reihe anderer Anträge wurden der Parteileitung überwiesen. Ein Antrag des Redacteurs Herbert (Stettin) und Ge nossen: „Bci Stichwahlen zwischen den bürgerlichen Parteien habe» sich die Genossen der Abstimmung zn enthalten," wurde nach längerer Debatte abgelehnt. Schneidermeister Kühn (Langenbielau) machte alsdann folgende Mittheilunq: Der Genosse Luchs in Langenbielau, dessen Zuverlässigkeit über jedem Zweifel steht, theilt mir soeben mit, daß sich ihm gestern ein Mann vvrgcstcllt habe, der sich als der Kaiserdcputirtc Bergman» Schröder ans Dortmund bezeichnete. Ter Mann gab vor, daß er von den Bergleuten ans dem rhei»isch-westsälischcu Kohlenrevier entsandt sei, um die Bergleute Schlesiens zn organisircn, da in Rheinland-West falen ein großer Bergarbeiterstreik in Anssicht stehe. Es stehen den Bergleute» 1,800,000 Mk. zur Verfügung, wovon Ö000 Mk. sür die Agitation in Schlesien bestimmt seien. Ans die Aufforderung von Luchs, sich zn legitimircn, hat der angebliche Schröder erklärt, daß er sich nicht dazu veraulaßt fühle, er habe sich bereits der Polizei legitimirt. (Heiter keit.) Da mir der hier als Delegirter auwescudc Bergman» Schröder erklärte, daß er »och niemals in Schlesien war, so bi» ich der Meinung, daß, da jetzt beabsichtigt werde, die schlesischen Bergleute zu orgauisire», mau bezweckt, diese Bewegung von vornherein zu hintertreiben. (Rufe: Sehr richtig.) Auf Antrag Bcbels wurde hierauf beschlossen: einem aus Gent eingclausinen Anträge, den nächsten im Jahre 1891 statlfindenven Internationalen Arbeitcr-Csngreß in Brüssel abzuhalten, zuzustimmen. Abg. Liebknecht theilte mit, daß ein BegrüßungStclegramm von den Genossen aus Ravenna (Italien) mit der Mittheilung cingegangen sei, daß in nächster Woche der Congreß der italie nischen Socialdemokrate» in Ravenna stattfindcn werde. Auf Antrag Liebknechts wurde beschlossen, an diesen Conzreß ein Begrüßungstelcgramm zu entsenden. Singer theilte hierauf mit, daß an den Congreß 251 Be grüßungstelegramme und 55 Begrüßungszuschriften cingegangen seien. Es wurde nun zur Berichterstattung der Commission be hufs Schlichtung der Berliner Streitigkeiten geschritten. Abg. Singer bemerkte: Ec stelle den Antrag, daß wie auch das Unheil der Commission ausfallen werde, für den Parteitag dasselbe bindend sein müsse. (Ruse Abschlachtung!) Abg. Schippel (Berlin) und mehrere Berliner Dclegirte wandten sich gegen den Antrag Singer, der, ehe man das Urthcil der Com mission kenne, unannehmbar sei. Singer erklärte, daß er den Antrag vorläufig zurückziehe. Hierauf erstattete Geck (Offen bach) im Namen der Commission Bericht. Tie Commission habe folgendes Urtheil abgegeben: l) Ist Grillenbcrgcr als GcschäftSsocialist z» bezeichnen? Rei». 2) Ist es wahr, daß sich zwischen die Fractiou und die Berliner Ge nossen Mittelpcrsoncn gedrängt haben? Rein. U) Ist die Behattptnng Werners über seine NichtanstcUnng beim „Berliner Volksblatt" wahr? Rei». 4) Ist das Vorgehen der Fractiou gegen den Genossen Schippel als ein zu schroffes und »ngcrechlsertigtes zn bezeichnen? Nein, ö) Ist die Anwendung des Wortes „Spitzel" zur Eharakterisirnng der Berliner Zustände als eine Beleidigung der Berliner Genossen anznsehcn? Rein. In den sehr ausführlichen Urtheilsgründc» heißt cs: Tic Com mission yabc das Unheil sehr genau geprüft nud das verlesen? Unheil eiustimmig gcsaßt. ES sei u. A. vorgcschlagcu wordcu: dcn Genossen Werner aus der Partei auszujchließcu. Dieser Antrag sei jedoch ab gelehnt worden, da die Commission der Meinung war, daß Werner weder das Tactgefühl noch die Fähigkeit besitze, sich die Tragweite seiner Handlungsweise klar zn machen. Was die Bezeichnung Spitzel anlaiige, so habe Grittcnbcrgcr nur erklärt: Es habe eine Zeit gegeben, iu der man, wenn man mit drei Genossen in Berlin znsammeukam, nicht wissen konnte, ob unter diesen Dreien sich ei» Spitzel befand. Der Bericht der Commission rief eine äußerst erregte, leb hafte Debatte hervor, wobei Werner (Berlin eine ganze Reihe von Beschuldigungen gegen die Rcichstazs-Fraction, die Re- daciion und den Verlag de« „Berliner VolksblattcS", die fast ausschließlich persönlicher Natur waren, erhob. Au« den Aus führungen Werners ging hervor, daß die zur Zeit von dem Abg. Schippel redigirte „Berlinec Volkstribüne" als im Dienste der Polizei stehend verdächtigt worden sei. Die Abgg. Bebel und Grillcnbergcr und der Redacleur des „Berliner Volks blattes", Kurt Baake (Berlin), wiesen die Angriffe Werners zurück, während Abg. Schippel für Werner eintrat. Nach längeren, zum Theil sehr heftigen persönlichen Bemerkungen wurde der Bericht der Commission mit allen gegen 24 Stim men angenommen. Die Tagesordnung des Congrcsses war demnach erledigt. Tölcke-Jserlohn hielt noch als Senior der Partei eine längere Ansprache und dankte der Geschästsleitung. — Der Vorsitzende, Abg. Singer-Berlin, schloß hieraus mit den üblichen DankeS- wortcn den Congreß mit einem dreifachen Hoch auf die inter nationale Socialdemokratic. Die Delegirten stimmten dreimal begeistert iu dieses Hoch ein und verließen unter dem Gesang der Marseillaise den Saal. Halle a. d. Saale, 18. October. Der Socialistcncongreß wählte dcn Parteivorstand nach dcn Beschlüssen der Commission. Als Controlcure wurden in die Parteileitung Behrend, Dubbert, Ewald, Herbert, Jacoby, Kaden und Schulz (Berlin) entsendet. Liebknecht wurde als Chcfredactcur des Centralorgans bestätigt. Die Delegirten von Berlin und Umgegend erklärten schriftlich, auf dem Boden der Partei zu stehen, sich jedoch da« Recht der Kritik zu wahren. Der Socialisten-Congrcß beschloß nach der Begründung Liebknechts mit allen gegen 3 Stimmen, den 1. Mai als dauernden Feiertag festzusetzen. Derselbe solle dcn Verhältnissen der einzelnen LandeSthcile entsprechend und nach dcn vom Pariser Congreß ausgestellten Grundsätzen begangen werden. An Orten, wo die Arbeitseinstellung an ditsem Lage gehindert würde, sollten Umzüge und Feste im Freien am ersten Sonntag des Monats Mai stattfindcn. Der Congreß lehnte ferner dcn Antrag auf Stimmenthaltung bei Stichwahlen zwischen den übrigen Parteien ab. Hierauf wurde die Ein ladung zum nächstjährigen internationalen Arbeitelcongreß m Brüssel angenommen.
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