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Hohensteiner Tageblatt : 20.07.1892
- Erscheinungsdatum
- 1892-07-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id184110793X-189207206
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id184110793X-18920720
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-184110793X-18920720
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungHohensteiner Tageblatt
- Jahr1892
- Monat1892-07
- Tag1892-07-20
- Monat1892-07
- Jahr1892
- Titel
- Hohensteiner Tageblatt : 20.07.1892
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Vermischtes. Man berichtet aus Berlin, 16. Juli: „Daß die Holz auktion im Grunewald" zur Anknüpfung liebenswürdiger Be ziehungen einer kleinen italienischen Stadt mit dem Magistrat von Berlin führen würde, hat der Dichter des schönen Liedes wohl kaum erwartet. Es bestätigt sich aber wieder einmal daS „das Lied, das Lied hat Flügel". Und so ist denn unsere Holzauction über die Alpen bis nach Corniglio gelangt und der Magistrat muß die Ueberzeugung gewonnen haben, daß unser Holzbcdari sehr groß ist. Deshalb hat er denn unseren Stadtvätern mitgerheilt, daß in Corniglio auch Holzauction sei und hat sie dazu eingeladen. In der gestrigen Magistrats sitzung hat diese Zuschrift ungemesscne Heiterkeit hervorgerufcn. * 4- * Berlin, 18. Juli. Die socialdemokratische Agitatorin Wabnitz muß im Gcfängniß zwangsweise ernährt werden, da sie ihr Gelöbniß, nicht zu essen, durchzuführen versucht. * * * Lehe, 16. Juli. In der Criminalchronik der letzten Tage hat unser Nachbarort Bederkesa eine heroortretende Rolle ge spielt. Zunächst war eS ein dortiger Postgehülfe, welcher, eben vom Urlaub zurückkommend, verhaftet wurde. ES wird ihm zur Last gelegt, eingelaufcne amerikanische Briefe geöffnet und ihres Inhalts an Papiergeld beraubt zu haben. Am Mitt woch wurde der Verhaftete von dem dortigen Gendarm dem hiesigen Amtsgerichte einzeliefert. Mit der nächsten Post trat der Gendarm die Rückfahrt nach Bederkesa an, auf welcher er Gelegenheit zur Ausübung seiner Dienstpflicht erhalten sollte. Beim sogenannten Knüppelholz fiel nämlich plötzlich die Eisen stange, welche den im Hintertheil des Wagens befindlichen Packctraum abschließt, zur Erde, und dadurch aufmerksam ge worden, hielt der Postillon sofort an. Auch der Gendarm stieg sofort aus. Man fand die Thür offen und sah eine Frau eben in den nahen Büschen verschwinden. Dieselbe wurde so fort eingeholt und vorläufig festgehalten. Nicht weit davon stand auf der Chaussee ein Koffer, welcher Werthsachen in Höhe von 380 Mark enthielt und zu den Gepäckstücken des Wagens gehörte. Die Frau hatte, während der Wagen langsam berg auf fuhr, hinter demselben hcrgehend, von dem wohl nicht ganz sicher gemachten Verschluß die Eisenstange gelöst, die Thüren geöffnet und den Koffer auf die Chaussee gestellt. Durch daS plötzliche schnellere Tempo war dann die Eisenstange herab geglitten und hatte so die Entdeckung herbeigeführt. Der Gendarm nahm die Dieben sofort mit nach Bederkesa, von wo sie am Donnerstag Morgen dem hiesigen Amtsgericht zugeführt wurde. 4- * 4- Genf, 18. Juli. Aus St. Gervais wird strömender Regen gemeldet, welcher die Aufräumungsarbeiten hindert. DaS ganze Land ist überschwemmt. Es kommen immer noch Fremde an, welche Verwandte suchen. Zu denselben gehört auch der 17 Jahre alte Schubert aus Berlin, dessen Elrern und Geschwister verschwunden sind. Derselbe wird in seinen Nachforschungen durch einen ihm von Herrn Bachmann, den deutschen Consul in Genf gestellten Dolmetscher Unterstützt, doch sind die Nach forschungen bisher ergebnißlos gewesen. * * * Genf, 15. Juli. In der heutigen Sitzung des Gemeinde raths wurde dem „Bund" zufolge von Stadtrath Turretim eine wichtige Mitteilung in Sachen des Millionenprozesses der Familie Civry gemacht. Die Civry verlangen bekanntlich die Restitution des der Stadt Genf von Herzog Karl von Braunschweig hinterlassenen Vermögens und stützen sich auf eine Urkunde, welche sich iu London im britischen Museum be finden soll. Laut amtlichen und beglaubigten Akten ergebe sich nun: 1. daß die angebliche Gräfin von Civry Charlotte Münden hieß und Tochter eines Gärtners war und nicht die Tochter des Herzogs Karl; 2. daß die angebliche Deklaration, laut welcher Herzog Karl die Gräfin Civry als seine Tochter an erkannt hätte, im britischen Museum gar nicht existire. Frag licher Akt sei einfach einem Notar vorgelegt worden, welcher die Abschrift beglaubigte. Laut amtlicher Erklärung der Direk toren des britischen Museums sei ein solches Aktenstück nie dort vorhanden gewesen. Ferner werde bestätigt, daß Graf von Civry mehrsatls wegen Tragens falscher Namen bestraft worden sei. Vorläufig sind dies wohl nur Behauptungen, welche noch der Bestätigung bedürfen. 4- 4- 4- Aus Florenz wird dem Berner Bund vom 15. d. berichtet: Ein amerikanischer Sonderling, Herr Livingstone, ist hier ge storben. Er war bekannt durch seine Fahrten in sechzchn- spännigem Wagen. Er hinterläßt seinen Nichten zwei Millionen, dem Besitzer eines Spielhauses, wo er seine Abende zuzubringen pflegte, 50.000 Fr., der Gesellschaft der Omnibuskutscher und derjenigen der Fiakerkutschcr je 20,000 Fr. * * * lieber den Ausbruch des Aetna am 9. Juli theilt ein Schweizer in Catania der „Neuen Züricher Ztg." Folgendes mit: Schon seit einigen Wochen war der Berg unruhig und als am 8. Juli Mittags mit einem Fernrohr ein ungewöhn licher Ausbruch rechts vom Monte Gemmcllaro (Krater von 1886) bemerkt wurde, begab sich eine Gesellschaft Schweizer von Catania nach Nikolosi. Um halb 11 Uhr Nachts begann der Marsch. „Der Weg," so erzählt einer der Herren, „führte eine Zeit lang in der Richtung des Monte Gemmcllaro und S l k 8 ir 8 star und Hai heil sei. daß ihn, die wär Z- de ge ke, ha Fi he Ar M so, evi sch O d, ka sic' w,' AI Gl sch du pro li,ß beha Spr 4 W«! ne bei Hochf getro h empfi M V. 8er voltlro bedsit »st 2u: rsrten lied. spross vr bestes Kitze Beule u. B: den, ten, pH»» ohne ' sicher pÄas bei Kr Zu SoUe 1nnx7 L Sch P' ist zu h Sandg Stollb «uck dreien lichtest beiwohuteu, machte diese Scene der Verzweiflung einen unauslöschlichen Eindruck. Am Sonntag Vormittag ist jener ältere Mann in HerrnSkrelschru seinem Leiden erlegen, der den Mord an dem jungen Mädchen und den Selbstmordversuch an sich beging. Nach wie vor ist kein näherer Aufschluß über Person und Stand oder Herkunft der Beiden erzielt worden. Vielleicht ge lingt eS später noch den Nachforschungen der Behörden, Licht in diese Angelegenheit zu bringen. Aus Schandau wird geschrieben: Der vorige Sonntag ist als einer der verkehrsreichsten dieses Sommer» zu bezeichnen. Die Klamm wurde an diesem Tage von beinahe 3000 Per sonen besucht, zumal die Sonderzüge von Berlin und Leipzig, sowie die Sonderschiffe und Lokalzüge eine nach Tausenden zählende Menschenmenge nach hier, Schandau und Schmilka brachten, die alle unsere Umgebung auf ihrer Wanderung berührten. Die Errichtung einer Bergvorschulc in Zittau ist jetzt be- schlossene Sache. Nachdem daselbst kürzlich unter Vorsitz des König!. Bergamttdirector vr. Wahl aus Freiberg eine Ver sammlung der Interessenten stattgesunden hat, ist beschlossen worden, die Anstalt am 1. October d. I. ins Leben zu rufen. Die benölhigten Lehrzimmer rc. werden von der Stadt Zittau unentgeltlich hergegeben. Tagesgeschichte Deutsches Reich. Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt: Mehrere hiesige Zeit ungen haben in den letzten Tagen die Mittheilung gebracht, daß daS ElektricitätSgesetz, dem der Reichstag bereirs seine Zu stimmung ertheilt habe, vom Bundesrathe bis auf Weiteres zurückgestellt sei. Diese Nachricht ist gänzlich unbegründet. Das Telegraphengesetz vom 6. April ist durch die Nummer 21 des diesjährigen „ReichS-GesetzblatteS" verkündet worden; das ElektricitätSgesetz liegt zur Zeit im Entwürfe dem BundeSrathc zur Berathung vor; von einer Zurückstellung desselben ist keine Rede. Berlin, 17. Juli. In der letzten Zeit war es von den Untersuchungen der ohne Zweifel vorhandenen Metallschätze des südwestafrikanischen Schutzgebietes stiller geworden, nachdem die Untersuchungen des GoldsyndikatS, der deutsch-afrikanischen Minengesellschaft und einer Gesellschaft, die die Peters enschen Rechte bei Ansenkjer am Oranjefluß gekauft hatte, die großen Schwierigkeiten der Gewinnung der Erze, besonders des Kupfers, klar gelegt hatten. Das letztere Unternehmen hatte seine Auf merksamkeit besonders dem Vorkommen von Diamanten ge widmet, da der bekannte blaue Thon von Kimberley auch etwas nördlich vom Oranjefluß vorkommen und überhaupt die geologische Formation des dortigen Landes dieselbe wie in den Diamantenfeldern sein sollte. Die Untersuchung ergab aber, daß hier eine Täuschung vorlag; da zudem noch Zwistig keiten über die Verpflichtungen der einen oder anderen Partei vorkameo, so war das Ergebniß nicht befriedigend. Die Deutsch-Afrikanische Minengesellschaft hat neuerdings mit der deutschen Colonialgesellschaft für Südwest-Afrika ein Abkommen getroffen, wodurch sie berechtigt ist, auf einer zusammenhängen den von ihr zu bestimmenden Fläche im Ausmaße von fünf Millionen Quadratmetern auf alle Mineralien Bergbau zu treiben. Berlin, 17. Juli. Die Art und Weise, wie sich die Un abhängigen und die FractionSmitglieder in der Socialdemo kratie bekämpfen, wird immer leidenschaftlicher. Der ehemalige Neichstagscandidat für Berlin 6, Herr Auerbach, hat jetzt an den Abg. W. Liebknecht einen offenen Brief gerichtet, der an Grobheit nichts zu wünschen übrig läßt. Die Unabhängigen hatten für heute, Sonntag, eine Versammlung einberufen, in der über den Vortrag von Liebknecht über Kommunismus, SocialiSmus und Anarchismus verhandelt werden sollte. Dieser Vortrag hat die Wuth der Unabhängigen und Anarchisten gegen die Fraction zur hellsten Flamme angefacht und der Tag dürfte nicht mehr fern sein, an dem die feindlichen Brü der handgemein werden. Herr Liebknecht hat schon gestern erklären lassen, daß er der an ihn ergangenen Einladung der Unabhängigen zu der Versammlung nicht Folge leisten werde und auch die fraktionellen „Genossen" sind auf daS Dringendste ersucht worden, der Versammlung fern zu bleiben. Mögen die Führer der Fraction noch so sehr die Köpfe in den Sand stecken, sie können die Thatsache doch nicht aus der Welt schaffen, daß die unabhängigen Schaaren mehr und mehr wachsen, nicht nur in Berlin, sondern auch in den Provinzen, und daß die Fraktionellen immer mehr der Gefahr entgegen setzen, in ihren Versammlungen von den Unabhängigen über rumpelt und niedergeschrien zu werden. Wie es heißt, soll der diesjährige socialdemokratische Partei tag in Berlin am 16. October zusammentreten. Für die Vorbereitungen zu dem Empfang des Kaisers hat der Gemeinderath von Metz, wie der „Allg. R.-Corr." von dort geschrieben wird, eine Commission ernannt. Nachdem das von der Stadt angebotcoe Frühstück schon vor einiger Zeil von dem Kaiser abgelehnt worden war, ist nunmehr eine Vor stellung des GemeinderathS in dem großen Sitzungssaale be willigt worden. Zur Neuinstandsetzung des letzteren ist ein Sondercredit einstimmig bewilligt worden. Gleichzeitig werden auch mehrere öffentliche Gebäude mit neuem Ausputz resp. An strich versehen, welcher Beispiel von zahlreichen Besitzern von Privathäusern nachgeahmt wird, so daß die Stadt in wenigen Wochen ein festlicher Ansehen gewinnen wird. Während der Anwesenheit des Kaisers in Metz wird dort gleichzeitig eine auf drei Wochen Dauer berechnete größere Kunst- und Gewerbe- Ausstellung stattfinden, die nicht nur von Elsaß-Lothringcn, sondern auch von Baden und der Pfalz reich beschickt werden wird. Die Ausstellung soll hauptsächlich veranschaulichen, welche Fortschritte das Gewerbe seit 1870 in Elsaß-Lothringen gemacht hat. Der Kaiser hat einen Besuch dieser Ausstellung zugesagt. Ob der Kaiser von Metz auch nach Straßburg kommt, ist noch unbestimmt. Da die Truppen sich dann noch in den Manövergeländen befinden und in Folge dessen Straß burg nur eine kleine Besatzung hat, so sind militärische Ueb- ungen, Paraden rc. ausgeschlossen. Dagegen gilt eS als wahr scheinlich, daß der Kaiser einen ersten Ausflug in daS neuein- gehegte Jagdgebiet in den Vogesen unternimmt. Jedenfalls würde der Kaiser bei einer Wagenfahrt von Station Urmatt durch die freundlichen Dörfer Nieder- und Ober-Haslach und das hochromantische Haselthal, vorbei an der sagenumwobenen Burg Niedcck zum Jagdschloß Gensburg, prachtvolle Wald ungen mit reichem Wildbestand finden, überhaupt eins der schönsten und gesegnetsten Fleckchen elsässischer Erde sehen. OtstsntSirh-NngArtt« Wien, 18. Juli. Der oberste SanitätSrath erörterte vor gestern neuerliche Sicherungsmaßregelu gegen die Cholera. Nach offiziellen Berichten ist es mehr al« zweifelhaft, daß die in Paris und Umgebung ausgetretene Krankheit die asiatische Cholera sei; dagegen steht das Erscheinen der Seuche in Odessa nunmehr fest. Rußland. In einem von der „Nowoj. Wremja" veröffentlichten Briefe des Herrn Moltschanow wird dargelegt, daß alle bisher getroffenen Präventivmaßregeln nur als lächerlich zu bezeichnen seien, da an die Durchführung nicht zu denken sei. Herr Moltschanow, bekanntlich der tonangebende russische Journalist in allen großen Fragen, führt auS, das die Cholera einen un überwindlichen Bundesgenossen in der Unsauberkeit habe, die nun einmal nicht zu beseitigen sei. Das ganze weite Rußland kennt, mit Ausnahme einiger Städte, die Einrichtung der Cloaken oder Abtritte nicht. Aller Unrath liegt vor den oder in den Häusern und kann nicht auf die Felder geführt werden, da der Volksglaube das Düngen für eine sündliche Verun reinigung der Felder hält. DaS Detail, daS Herr Moltschanow anführt, ist so haarsträubend, daß es sich aus Gründen des Anstandes nicht wiedergeben läßt. Dazu kommt noch der Haß aller russischen Bauern gegen die Aerzte, in welchen sie eine Art privilegirter Mörder sehen. WaS sich jüngst in Astrachan ereignete, ist wie eine buchstäbliche Wiederholung der Ereignisse, die vor 300 Jahren und mehr während der großen Pest epidemien sich abspielten. Das Volk ist eben dasselbe geblieben. Es kommt aber noch zweilei hinzu: die Volksnahrung in den Sommermonaten besteht fast ausschließlich auS sa?treichen Früchten, besonders aus Gurken und Arbusen, dazu kommt als Getränk der KwaS und als Seelenwärmer der Schnaps. Der parallel gehende Brodconsum aber findet nur nach bekanntem Falstaff'schen Recept statt. Zweitens aber sind die Russen in der ungeheuren Mehrzahl darmleidend. Die überwiegend vegetabilische Nahrung hat, wie alle Aerzte in Rußland wissen, dahin geführt, daß eine Verlängerung des Darms und völlige Widerstandsunfähigkeit gegen Äagenlcidcn aller Art bei dem gemeinen Mann in Rußland allgemein ist. Zieht man nun in Betracht, daß die Cholera vorzüglich die durch die HungerS- noth des letzten Jahres betroffenen Gebiete angreift und von dort her bei dem nomadischen Treiben dieser unstäten, im Sommer durch ganz Rußland nach Arbeit schweifenden Be völkerung weitergetragen werden muß, so ergiebt sich von selbst daß ein Localisiren des Uebels kaum denkbar ist. Endlich ist noch darauf aufmerksam zu machen, daß die Judenausweisuugcn ein unglückliches Proletariat in die sogenannten Judengouvcr- ncmentS zusammengedränzt haben unter hygienischen Beding ungen, die jeder Beschreibung spotten. Das sind aber gerade diejenigen Gebiete, in welchen die russische Armee heute ihre Aufstellung genommen hat. Das Weitere ergiebt sich von selbst — jedenfalls aber wird Europa gut thun, sich gegen diesen furchtbaren Jnfectionsherd hermetisch abzuschließcn — wenn daS möglich sein sollte. Petersburg, 16. Juli. Der Director des Departements für Medicinalwescn, Wirklicher Staatsrath Ragosin, begiebt sich auf Beseht des Kaisers nach Südrußland, um Erhebungen über die Einschleppung der Cholera vom Norden des Kaukasus anzustellen und um gegen Einschleppung und Umsichgreifen der Seuche Maßregeln zu treffen. DaS Ministerium der Com- municationen entsendet nach dem Seuchcngebiete und den an grenzenden Landstrichen eine besondere Commission. Dieselbe besteht aus dem Gehcimrath Salow (auf der Wolga von Rybinsk bis Wolga), Gcheimrath Golowatschew für Vas Dnjepr-Gebict, Collegienrath Lochtin für daS Dnjester-Gebiet. — Zum Gcneralgouverneur von Astrachan wird voraussichtlich Generallieutenant OrchcwSky ernannt werden. Petersburg, 16. Juli. In Saratow war die Erregung des Volkes bereits am Sonnabend (9. Juli) derartig, daß aus dem nahen Lager Truppen geholt werden mußten, welche mit Musik die Stadt durchzogen, abends aber ins Lager zurück kehrten. Am Sonntag früh begann der Pöpcl Ausschreitungen. Ein Revalenser, den man für einen Arzt hielt, wurde von dem Pöbel getödtct; desgleichen ein Realschüler, der ihnen den Jrr- thum klar machen wollte, dann griff man die Polizei an. Die Wohnuung des Polizeimeistcrs wurde zerstört, selbst Wäsche und Kleidungsstücke wurden dort in Fetzen zerrissen, desgleichen wurden Wohnungen von Aerzten und eine Apotheke zerstört, ein ihnen begegnender Cholerawagcn zertrümmert. Ein Pöbel haufe überfiel dann das Krankenhaus nebst den Cholera- barackcn und verfuhr genau so wie der Pöbel in Astrachan. Ein flüchtender Feldscher lief in die Wladimirkirche und ver steckte sich in den Glockenthurm, die Mörderbandc folgte ihm und ließ erst von demselben ab, als ihnen ein Geistlicher mit dem Kreuz in der Hand entgegentrat. Auf dem Mitrophan- platz erschien ein Mann in mit Chlorkalk begossener Wäsche und erklärte, er sei aus dem Krankenhause fortgelaufen, das reizte die Menge noch mehr. Erst um 12 Uhr erschien das Militär, das nach vergeblicher Aufforderung an den Pöbel an geblich mit nur zehn Schüssen denselben verjagte und dann alle Straßen und Plätze besetzte. Die Mörderbande suchte nun außerhalb der Stadt auf den Landhäusern nach Aerzten, wurde aber durch Slreiftruppen vertrieben. Am Montag früh ließ der Truppenco.mmandcur auf dem Platze vor der Kathedrale zwei Geschütze auffahren, doch blieb cs den Tag über ruhig, dagegen sollen abends in dem Flecken Prokowskaja Cholera- Krawalle stattgesunden haben, bei welchem das Krankenhaus zerstört und ein Arzt getödtct wurde. Petersburg, 17. Juli. Auch in Wolsk und ChwalinSk, beide Städte des Gouvernements Saratow mit 36,000 bezw. 22,000 Einwohnern, haben Cholera-Aufstände stattgesunden, wobei in Chwalinsk vr. Molschanow vom Pöbel aus dem Wagen gerissen und mit Steinen und Knüppeln todtgeschlagen wurde. Die Vermuthungen, daß all diese Ausschreitungen von noch unbekannten Wühlern einheitlich vorbereitet und geleitet werden, bestätigt eine aus Nischnei-Nowgorod kommende Meld ung, nach der dort nachts Aufrufe angeschlagen wurden mit der Aufforderung, dem Beispiel der Brüder in andern Wolga städten zu folgen und Aerzte, Polizei und Beamte todtzuschlagcn. Der Verdacht, daß revolutionäre Wühler dahinter sitzen, erregte hier und da der Umstand, daß mau vor dem Mordbrand in Astrachan die Särge, in denen die Kranken hinausgetragen wurden, geschlossen hatte, um der Menge vorzuspiegcln, daß die Aerzte Lebendige begraben wollten. Ebenso verdächtig ist daS Erscheinen des im Saratower Krawallbcricht erwähnten angeblichen Cholerakrankcn, der mit seiner in Chlorkalk ge tränkten Lazarethwäsche mitten im Volkshaufen auftauchte und die Gemüthcr aufs höchste erregte. Wahrscheinlich stecken hinter diesen Greueln nihilistische Umtriebe, welche die Lage geschickt auSvutzen. Petersburg, 17. Juli. Um eine Einschleppung der Cholera über Rostow in das Donezgebict zu verhindern, sind in dieser Stadt BeobachtungSpostcn mit einer besondern Abtheilung für DeSinficirung der Wagen und des PassagiergutS sowie ein Lazarcth errichtet worden. Nach Kasan sollen bis zum 14. Juli auf Dampfern sechs Kranke zugeführt worden und fünf davon gestorben sein. Auf der Rostow-Woronesch-Bahn seien bis zum 13. Juli 13 Cholera-Erkrankungen festgestellt, und zwar bei Reisenden, die aus den Cholcragegenden kamen. Im ganzen seien in Rostow 48 Personen erkrankt und 13 gestorben, in Asow 60 Personen erkrankt und 18 gestorben.
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