I 12 — Wer wissen will, wie die Ergebnisse dieser Reformation aussehen sollten, der greife zu Andreaes "Christianopolis" (1619). 26 Dieses Werk, progressiver als Campanollas "Civitas Solis" (Andreae im Manuskript bekannt, erschienen 1623) und Francis Bacons "Nova Atlantis" (verfaßt um 1623, Erstausgabe 1627) weitgehend vorweg nehmend, hat die Beachtung nicht gewonnen, die es verdient. Mit dieser Utopie reiht sich Andreae in das bekannte Dreigestirn der Utopisten - Thomas Morus (1478 - 1535), T. Campanella (1568 - 1639), F. Bacon (1561 - 1626) - würdig mit einem eigenständigen Beitrag ein. Die Grundschrift der Rosenkreuzerbewegung "Fama fraternitatis" erschien 1614 in Kassel. Bei der Rosenkreuzerbewegung geht es um den wohl letzten Versuch aus progressivem Anliegen heraus, Christentum (im Sinne eines pantheistisch verstandenen Neuplatonismus), Ergeb nisse der lutherischen Reformation und Ergebnisse der Naturwissen schaft zu vereinen. Daß der Versuch scheitern mußte - und nicht nur. wie bisweilen dargestellt, an der Ungunst der Verhältnisse, am Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges, ist bekannt. Weniger bekannt ist, daß die Rosenkreuzerdiskus3ionen fast alle deutschen Gelehrten erfaßten, daß die verschlüsselten Schriften urn den sagenhaften Christian Rosenkreuz als Aufruf zur Veränderung der Welt verstanden wurden. Um die Rosenkreuzer scharten sich Intellektuelle in Straß burg, Ulm, Nürnberg, Lüneburg, Darmstadt, Danzig, Hamburg, Ja in Dorpat - um nur einige Orte zu nennen. Ihre Beziehungen reichten bis England. Andreae plante ein Leben lang, Sozietäten von Wissen schaftlern zu begründen. Diese Sozietäten schienen ihm berufen, den Fortschritt zu fördern. Seine "Christianopolis" erschien ihm dabei eis Vorbild; sowohl in der "Societas Christians" (1620) als auch in der Schrift "Amoris dextera porrecta" (1620) möchte er dafür eine Grundlage geben. 1642 sendet Andreae an Herzog Augu9t von Wolfen büttel eine Liste' 17 , die jene verzeichnet, die er 1619 - 20 zur Gründung einer solchen Sozietät einladen wollte. Aufschluß über die weltanschauliche Zielstellung der geplanten Gesellschaft gibt eine Aufzählung der Lehrfächer, die der Schule von "Christianopolis" ent spricht. Bei den potentiellen Sozietät9gründern handelt es sich weitgehend um ironische, reformwillige, jedenfalls der Orthodoxie verhaßte oder mißliebige Persönlichkeiten,