35 Günter Klieme Abschied von den Jugendträumen Schiller in Körners ° Loschwitzer Weinberg Anfang Juni 1784 hatten vier - Schiller vordem unbekannte - junge Leipziger, begeisterte Leser der »Räuber« und von »Kabale und Liebe«, dem Dichter brieflich ihre enthusiastische Verehrung bekundet. Beigeschlossen waren die Porträts der neuen Freunde, gezeichnet von Dora Stock, der Tochter des Leipziger Kupferstechers Johann Michael Stock, bei dem wei land Goethe dessen Kunst gelernt hatte, ferner eine gestickte Brieftasche von deren Schwe ster Minna (eigentlich Maria) Stock, ein von Minnas Verlobten Körner vertontes Lied aus den »Räubern« sowie begleitende Zeilen von deren gemeinsamen Freund Ludwig Ferdi nand Huber. Auf Schillers zwar um sieben Monate verzögerte, aber dann schwärmerisch vertrauensvolle Antwort darauf, erging im Frühjahr des folgenden Jahres die Einladung an den Dichter, der er Mitte April 1785 nach Leipzig gefolgt war. Hinter ihm lag ein halb und halb erfülltes wie enttäuschendes Intermezzo als Mannheimer Theaterdichter, und wie immer begleiteten ihn große Entwürfe zu neuem Schaffen, aber auch eine beträchtliche Last unbeglichener Schulden. Nicht Dresdens Bedeutung als Kunststadt europäischen Ranges, ebensowenig seine land schaftlich schöne Lage, auch nicht dessen Rolle als kursächsische Residenz und schon gar nicht das gesellschaftliche Leben in der Elbestadt 11 haben Schiller erstmals auf zwei Jahre, vom 11. September 1785 bis zum 20. Juli 1787, hierher geführt. Schiller wechselte den Wohnsitz zusammen mit den Körners und folgte den neugewonnenen Freunden, die zu folge amtlicher Berufung von Leipzig weggezogen waren; aber Schiller verschlug es nicht irgendwohin in die bedeutungslose Provinz. Bis dahin kannte er Dresden nur vom Hörensagen, von Durchreisenden sowie aus der Reiseliteratur als »Baedeker-Berühmtheit«. Er sollte Dresden und dessen wirkliche Verhält nisse erst durch seinen längeren Aufenthalt am Ort gründlich kennen, nicht aber schätzen lernen. Weder vordem noch nachher hat Schiller in seinem Leben jemals wieder in einer Stadt und zugleich Residenzstadt von dieser Größe gelebt; Stuttgart und Mannheim hat ten ihm bisher nur den Eindruck kleinerer Residenzen vermittelt, auch Weimar unter schied sich später für ihn darin nicht. Obwohl Dresden damals annähernd doppelt soviel Einwohner wie Leipzig zählte, wie anders hatte sich Schiller kurz vorher dort vom buntbe wegten 1 reiben der Messestadt emporgetragen gesehen und einen deutlichen Hauch der