32 Eine bedeutende Rolle spielte in diesem Prozeß die Kunstakademie, wo sich mit der Be rufung des aus der Münchner Sezession stammenden Gotthardt Kuehl (1895) und des in Stuttgart und Berlin ausgebildeten Otto Gußmann (1897) gegen Ende des 19. Jahrhun derts entscheidende Veränderungen vollzogen hatten. Gußmanns Arbeitsfeld, die Orna mentmalerei und dekorative Gestaltung, war ein Gebiet, das im Zentrum der Erneue rungsbewegung stand. Er und seine Mitarbeiter gehörten später zum Kern der Künstlerge meinschaft „Die Zunft”, in der das Zusammenwirken von Architektur und bildnerischer Ausstattung erklärtes Ziel war. Der Umbruch vollzog sich wie anderenorts auch. Pflanzliche und geometrisch-ornamenta le Motive begannen die historischen Stilformen zu verdrängen. In Dresden geschah das vergleichsweise diszipliniert. Tektonische Grundstrukturen wurden nur ganz vereinzelt an getastet. Wilhelm Kreis - seit 1902 Professor an der Kunstgewerbeschule — experimentierte zu nächst mit dem gleichmäßig über die Wand gezogenen flächigen Ornament, wie es in der englischen Reformbewegung üblich war. Auf diese Weise gestaltete er den an die Lingnersche Stadtvilla angefügten Festsaal. I(l) Bei späteren Innenraumgestaltungen - wie bei der Villa Wollner"’ - kehrt er wieder zu klassisch-traditionellen Formen zurück, die die konstruktive Struktur betonen. Was hier am Beispiel von Wilhelm Kreis erkennbar wird, gilt generell: Jene schwungvoll freien Dekorationen, die unter dem „Stern des Ausstellungswesens und des Plakates gebo ten” waren - wie es Kurt Diestel einmal ausgedrückt hat l2> - fanden in Dresden nur be dingt Verbreitung. Insbesondere bei der Durchbildung des Gesamtbaukörpers zeigte es sich, daß einer völlig neuartigen Form Grenzen gesetzt waren. Dagegen ist bei den als beispielhaft publizierten Bauten, wie bei der Villa Comeniusstra- ße 32, ein ausgesprochener Zug zur Monumentalität erkennbar. Dazu tragen die geglätte te Front, das hohe, oft mehrfach gebrochene Dach, die Runderker und der meist symme trische Aufbau bei. Die besonders einflußreiche Ornamentklasse Gußmanns war es ihrer Einbindung in die Akademie schuldig, ihr Hauptaugenmerk auf die monumentale Malerei mit dekorativem Beiwerk und damit ganz von selbst auf den großen öffentlichen Raum zu richten. Guß mann schuf unter anderem die Ausmalungen im Treppenhaus des Neuen Rathauses und die der Christuskirche. Das hier zutage tretende ausgesprochene Kunstwollen schlug sich auch im Villenbau nieder, wo eine eher kräftige Ornamentik, die sich nicht selten zur bildlichen Gestalt schloß, gepflegt wurde. Wir haben es mit einer Dekorationsweise zu tun, die nicht jene Schlichtheit erreicht, wie sie Morris und seine Schüler im englischen Hauswesen anstrebten. Das Beispiel der Haushalle in der Villa Comeniu'sstraße 32 mag uns das verdeutlichen. Freilich kann sich keiner der um zeitgemäße Gestaltung bemühten Künstler dem Ein druck jener sachbezogenen Form entziehen, wie sie sich im Maschinenmöbel offenbarte. Spätestens nach der spektakulären Schau auf der III. Deutschen Kunstgewerbeausstellung schien eine künstlerische Neubestimmung vonnöten. Die Gründung des Werkbundes und der „Zunft” zeugen davon. Sie fällt aber dennoch nicht so aus, wie man es in Kennt-