4 Heinrich Magirius Das zweite Dresdner Hoftheater Gottfried Sempers und die Theatralisierung von Architektur und Bildenden Künsten des späten Historismus in Dresden o Der Begriff des Theatralischen wird von der Kunstgeschichte im landläufigen Sinne dem Barock zugeordnet. Man meint damit Übersteigerung der ursprünglich klassischen Stilfor men der Renaissance, Kulissenhaftigkeit in der Komposition von Bildern, in der Anord nung von Baukörpern und Zusammenspiel der Kunstgattungen in der Illusion einer künstlerischen Ganzheit. Wie auch immer diese Ganzheit ausgedeutet wird, soziologisch als Verherrlichung des Absolutismus, ideologiekritisch als Triumph der Gegenreformation, geistesgeschichthch als Sinnbild einer Weltordnung, je nachdem also, ob man mehr die re aktiven oder mehr die aufklärerischen Grundzüge betont, dieser europäischen Kunstepo che eignen die optimistischen Züge der letztlichen Harmonie eines Welttheaters, dessen mythologischer Schutzgott Apollon heißt. 0 Nach der Französischen Revolution war den Künstlern in Europa der Zugang zu dieser Welt des Theatralischen endgültig verbaut, die Suggestivkraft, ja Faszination des Theaters als Drama jedoch steigerte sich bekanntermaßen im Zeitalter der deutschen literarischen Klassik und der Romantik. Sie erreichte keineswegs nur die Dichter, Schriftsteller und Musiker, sondern ebenso die Maler, Bildhauer und besonders die Architekten. Der Thea terbau wurde erst seit dem späteren 18. Jahrhundert zu einer eigenständigen und sich auch in ihrem Äußeren selbstdarstellenden Bauaufgabe. Beschränken wir uns hier auf zwei herausragende deutsche Architekten, deren Leistungen paradigmatisch für die Auseinander setzungen mit dieser Bauaufgabe stehen: Karl Friedrich Schinkel und Gottfried Semper. Inspiriert von Friedrich Gilly und insbesondere von dessen Entwurf für das Berliner Schauspielhaus sucht Schinkel im Sinne des griechischen Verbs Oetic 0 |i 0 tt beides, Schauen- e und Geschautes im architektonischen Gebilde zu vereinen und in einer baulichen Ge stalt dazustellen. Nicht erst in dem Jahrfünft seiner Gipfelleistungen als Bühnenbildner und Theaterarchitekt zwischen 1815 und 1820, schon von frühester Jugend an und insbe sondere seit seinen Reisen durch Frankreich und Italien im Jahre 1804 ist seine „fortwäh rende Beschäftigung mit dem Theater seiner Zeit und tiefes Begreifen der ganz anderen Grundgestalt des antiken Theaters” zu konstatieren. 2 » Schinkels Studien antiker Theater, aber vor allem seine sinnliche Sensibilität für Schauspiel und Oper seiner Zeit finden ih ren Niederschlag in seinen Reformvorstellungen des Theaters als eines am antiken Arena theater orientierten bürgerlichen Nationaltheaters mit „einem bespielbaren Handlungsvor-