Der Querschnitt

jBit fintamtntr tirs Cielauffportn. <KPt V Hans Schließmann MARGINALIEN Ein alte Dame ist gestorben . . . Sie war achtzig Jahre alt geworden, sie selber und ihre Art also längst aus der Mode. Ihre Zeit war zu einer Zeit, wo man sich in Gesellschaft noch unter hielt, also lang vor dem Grammophon und dem Lautsprecher. Sie hatte noch „das junge Mädchen“ gekannt, denken Sie! Und war schon eine Matrone, als es aufkam, daß sich Mütter von Kin dern den Typus ihres Aussehens von siebzehnjährigen Mädchen diktieren ließen. Sie war weise genug, das alles nur etwas erstaunlich zu finden. Wie auch die Art der Unterhaltung dieser neuen Generation, die mit ihren himm lisch, fabelhaft, irrsinnig oder zum Tot lachen und mit ähnlichen Elativen eine gar nicht vorhandene Erregtheit, Be geisterung oder Enttäuschung Vor täuschen wollte. Wenn man diese Achtzigjährige reden hörte, sie war eine Wienerin aus guter, alter Familie, hatte man das Ge fühl, sie müßte dem Fürsten von Ligne zur Kongreßzeit aufgefallen sein. Sie war seit langem von ihrem Mann ge schieden, warum sagte sie nicht, aber dazu einmal: „Im nächsten Monat können wir die goldene Hochzeit unse rer wolkenlosen Trennung feiern.“ Wor aus man sdtließen konnte, daß es ganz ohne Krach abgegangen war, wenn einem überhaupt vor dieser alten Dame so ein Gedanke gekommen wäre. Als man sie einmal bei einem Souper zwischen zwei sehr gescheite Leute gesetzt hatte, um ihr wahrschein lich damit die würdige Fassung zu geben, fragte sie der rechte Tischnach bar um ihre Meinung über den Ehe bruch. Einem Thema abgeneigt, das zu Indiskretionen verleitet, bemerkte die alte Dame: „Entschuldigen Sie, aber idi habe mich auf den Inzest vorbereitet.“ Sie fühlte sehr stark, aber es war ihr peinlich, das in Worten zu äußern. So kam sie durch manche Aussprüche in den Ruf der Herzlosigkeit. Kurz nach dem Tode ihrer Mutter — und sie hatte sie sehr liebgehabt — sagte sie einmal: „Ja, sie tut mir leid, aber nicht sehr viel auf einmal.“ Als sich ein 4 199