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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 15.10.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-10-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19071015012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907101501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907101501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-10
- Tag1907-10-15
- Monat1907-10
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Art.l * Der Kronprinz wird auf Grund kaiserlicher Order von heute an durch den M i n i st e r von Moltke in die Geschäfte der Zivil- verwaltung eingefiihrt. lS. Ttschs. R.) * Professor RobertKoch wird, wie eine Depesche aus Mombassa meldet, heute seine Heimreise nach Deutschland antreten. Seine llntcrsuchungsstationen in Uganda sind von der Negierungs- beyörde in Uganda übernommen worden. * Da aus Armenien eine Volksbewegung angekündigt wird, sind die R e s e r v e n der Klassen 71—73 für die Bezirke Wan, Bitlis und Erz er um einberufen. * Die Dumawahlen in Petersburg fielen kadettisch aus. sS. Ausl.) ZUN1 Veginn -es Landtags. Gin Tag von besonderer politischer Bedeutung ist sür das König reich Sachsen angebrochen. Heute tritt in Dresden der Landtag zu einer Session zusammen, deren Verhandlungen man allenthalben, auch über die Grenzen unseres engeren Vaterlandes hinaus, mit lebhaftem Interesse entgegcnsieht. Wie dieser Landtag zum ersten Male in dem neuen Ständehaus tagen soll, so soll er auch in der Geschichte unseres sächsischen Parlaments etwas Neues, Fruchtbringendes schassen. Nach dem mißlungenen Versuch der Jahre 1903/04, das Wahlrecht zur Zweiten Kammer zu reformieren und nach dem ebenfalls fehlgcschlagenen Versuch der darauffolgenden Session, der Ersten Kammer eine den modernen wirtschaftlichen Verhältnissen Sachsens entsprechende andere Znsamcnsetzung zu geben, steht er vor der großen Aufgabe, an die Stelle des Wahlrechts von 1396 ein Wahlrecht zu setzen, das die Ungerechtig keiten jene: Wahlrechtsänderung beseitigt und die Möglichkeit bietet, den Willen deS ganzen sächsischen Volkes in gerechter Weise zum Ausdruck zu bringen. Damit ist die Eigenart der kommenden Tagung des Landtags von vornherein gekennzeichnet. Sic wird ein vorwiegend politisches Gc. präge tragen. Wirtschaftliche Aufgaben werden erst m zweiter Linie stehen. Politische Gesichtspunkte großer, prinzivieller Art werden die Verhandlungen beherrschen und je stärker sic hervortrcten, je klarer sie hcrausgearbeitet werden, nm so günstiger werden sich die Aussichten ge- stalten, daß es zu einer wirklich großzügigen Wahlrcform kommt. Wenn dabei als notwendige Folge die politischen Gegensätze scharf zum Aus druck kommen, so kann das nicht als ein Schaden angesehen werden. Ja, nichts wäre gefährlicher, als wenn man wie vor einem Jahrzehnt di: prinzipiellen Gegensätze von konservativ und liberal übersehen und wie damals in einer übertriebenen Sozialistenfurcht eine Kartellpolitik als Basis für die Schaffung des neuen Wahlrechts ansehcn wollte. Die un heilvollen Folgen dieser Politik hat der bürgerliche Liberalismus in diesem Jahrzehnt auf das bitterste erfahren müssen. Man hat mit der Wahlrechtsändcrnng vom Jahre 1897 den Sozialismus treffen wollen. Man traf aber auch den bürgerlichen Liberalismus, der unter einer schrankenlosen agrarisch-konservativen Herrschaft zn völliger Be deutungslosigkeit verurteilt wurde. Erst als man auf liberaler Seite er- kannte, daß man nicht ungestraft parteipolitische Gegen sätze grundsätzlicher Art übersehen und absichtlich ver- wischen kann, begann aus den Ruinen der unglückseligen konservativ liberalen Kartellpolitik neues Leben zu blühen für den sächsischen Libe- ralismus. Es gelang vor zwei Jahren, die scheinbar unerschütterliche Zweidrittelmehrheit der konservativen Fraktion in der Zweiten Kammer zu vernichten und dieses Jahr brachte dann den erheblichen Zuwachs liberaler Mandate, durch den der Liberalismus wieder zu einer Macht im Landtag geworden ist. Es würde einen Verrat am Liberalismus bedeuten, wollte man diese Macht bei den kommenden Verhandlungen nicht ausnutzen. Gewiß sind dieser Machtentfaltung immer noch enge Grenzen gezogen. Die konser- vative Fraktion besitzt die Mehrheit in der Zweiten Kammer. Aber der Liberalismus ist doch schon stark genug, um sein Gewicht in entscheiden dem Maße gerade dort in die Wagschale zu werfen, wo es sich um die Gc- staltung des Wahlrechts handelt. Das aber wird ihm nur möglich sein, wenn er sich auf seine Grundsätze besinnt und von ihnen aus nur einer Wahlreform -«stimmt, die nicht eine Verleugnung solcher Grund sätze bedeutet. Erleichtert wird ihm dies durch die Haltung der Regierung, die, wie ihr ganzer Wablgesekentwurs zeigt, trotz ihrer vorwiegend konservativen Richtung doch einen Weg beschritten hat, der nicht mehr zu einer agrarisch- konservativen Nebermacht in der Zweiten Kammer zu führen braucht, wie cs bei dem Wahlgesetz von 1897 der Fall war, sondern der es den ver- 'chiedcnen politischen und wirtschaftlichen Gruppen ermöglicht, sich eine weit gleichmäßigere Vertretung in der Zweiten Kammer zu verschaffen. Daß wir damit keineswegs sagen wollen, der Wahlgesetzentwurf der Re- gierung sei in der vorliegenden Form für die Liberalen annehmbar, haben wir oft genug betont, nm eS jetzt nicht noch einmal wiederholen zu müssen. Wohl aber halten wir daran fest, daß diese Wahlrechtsvorlage die Grundlage bilden kann für eine fruchtbare Arbeit. Die Aufgabe des Liberalismus kann eS darum nicht sein, die Regierungsvorlage von vorn herein abzulehnen und einen anderen Entwurf vorzulegen. Vielmehr wird die parlamentarische Arbeit im Plenum, wie dann vor allem in der Kommission, dahiu gehen müssen, die unannehmbaren Vorschläge auszu- schalten und die verbesserungsbedürftigen einer Reform zu unterziehen. In dem Maße wie die- mit Erfolg von liberaler Seite auS nach deu Grundsätzen des Liberalismus geschieht, werden die Abgeordneten der liberalen Fraktionen das Vertrauen bewähren, das ihre Wähler ihnen geschenkt haben. Mögen sie sich das vor Augen halten, wenn sie an die schwierige Arbeit der Wahlrechtsreform herantreten. In ihre Hand ist cs gelegt, zu zeigen, daß der Liberalismus positive Arbeit zu leisten vermag, nicht im Schlepptau der Konser- vativen, sondern als selbständiger Faktor in unserem sächsischen Parla ment. Was aber vom Liberalismus und seinen Vertretern in diesem Landtag versehen wird, das ist unwiederbringlich verloren und wird sich bitteran ihnen rächen. Deshalb trägt diese Tagung des Landtags auch ein Stück Zukunft des sächsischen Liberalismus in sich. Sie entscheidet darüber, ob das neue Leben, das in dem Wiedererwachen des Liberalismus aus den Ruinen der zerfallenen Kartellpolitik sich ge- zeigt hat, zu voller Blüte kommen oder wieder verwelken wird. Für diese ernste Entscheidungsstunden wünschen wir den liberalen Ab- geordneten einen weiten Blick, eine nimmer ermattende Arbeitsfreudigkeit und jene patriotische Energie, die allein befähigt, ohne alle anderen Rück sichten das Wohl des Volkes im Auge zu haben, für dieses Wohl aber zu sorgen nach Maßgabe der eigenen politischen Grundsätze. Das persische Parlament. lVon unserem Londoner ^.-Korrespondenten.> InLeiPzig lebte im Jahre 1890 der Scheich D s ch e m a l e d d i n. Schon damals der größte Polyhistor, der erste Schriftsteller, der be deutendste Journalist und allem Amchein nach der erste und einzige Kosmopolit der orientalischen Welt, war er nach Leipzig gekommen, um seine wissenschaftliche Ausbildung zu beendigen. Leipzig wurde dadurch ziemlich unbewußt das Zentrum eines Wirbelsturmes, der den Thron der Kadjaren und das persische Reick in ihren Grundfesten erschütterte. Mit englischer Hilfe hatte der Schah Nassreddin das Tabakmonopol eingeführt. Der Sckeich überschwemmte von seiner Leipziger Studenten bude aus Zentralasien mit Flugschriften, und das Monopol mußte aus gegeben werden. Denn Dschemaleddins Gebot folgend, stand das Land gegcn^dcn Schah in Waffen Von Leipzig war auch folgendes Brieschen des Scheichs an den Schah datiert: „Ich habe den Staub Deiner Stadt Von meinen Füßen geschüttelt, und so werde ich einst Tein Blut ver schütten. Ter A"f-.ug es je»- von Toi -*«- E A:!" Der Schal) ist in Teheran dann am Eingang der Moschee er schossen worden, wo der Scheich Dschemalcddin zu wohnen pflegte. Der Mörder war ein Babu, den der Scheick in Konstantinopel vom Hungertode gerettet und sechs Monate persönlich gepflegt batte; überdies war er ein Opfer der grausamen Verfolgung der persischen Liberalen durch Nassreddin. Mehrere Jahre hindurch war Dschemalcddin der allmächtige Vertreter erst des Bildung?-, später des politischen Liberalismus am Hofe Nassreddins gewesen. Dieser hatte ihn aus Indien kommen lassen, wo der ehe malige Mollah den Mohammedanismus nach Gordons Tod derartig oufwiegeltc. daß die Engländer den ägyptischen Feldzug abbrechen mußten. Das zweite Mal holte Nassreddin ihn aus München. Nack Dschemaleddins Verbannung war sein Einfluß ständig gewachsen. Von Leipzig ries den im ganzen Orient als Prophet eines modernen Mohammedanismus verehrten Priestergelehrten eine Einladung der englischen Regierung nach London. Der Todfeind Nassreddins und der beste europäisch gebildete Kenner der „persischen Seele" wußte den Eng ländern gute Ratschläge zu geben. Sic haben deu Briten den Weg nach Kcweit gewiesen. In Afghanistan, dem Lande seiner Geburt, in dem er gegen die Engländer unter Earl Roberts gekochten hatte, haben die Briten ihre neueren Erfolge ganz und gar den Lehren des Scheichs zu ver danken gehabt. Von London ging er auf Einladung des Sultans Abdul Hamid nach Konstantinopel, vorübergehend nach Aegypten, wo die moderne nationalistische Presse und Partei sich durchweg aus den Reihen seiner Schüler die führenden Männer geholt hat; dann kam er wieder nach dem Bosporus als allmächtiger Günstling des Sultans Abdul Hamid, der durch ihn die Versöhnung der Schiiten und Sunniten anstrcbtc und auch durch seinen Einfluß auf die Muschtehids den Besuch Schah Murzaffereddins in Konstantinopel erreichte. Dieser Pricsterdiplomat und bildungsreiche Ränkeschmied ist der Vater des persischen Parlamentarismus. Seine Ge danken und Vorurteile sind die kleine Münze, womit sich Persien jetzt die „Freiheit" zu erkaufen sucht. Sie sind auch die kleine Münze der eng lischen Radikalen und Orientpolitiker, die an einen persischen Parlamen tarismus glauben, seit anfangs der 90er Jahre beim Reverend Hofeiz und im National Liberal Club Dschemalcddin ihnen seine Vorträge ge halten hat. Selbst die Auffassungen der persischen Diplomatie von ihrer Ausgabe in Persien sind von den Schriften und den Moskauer und Petersburger Konferenzen des Scheichs angesteckt. Wie steht es nun um den Parlamentarismus, der von einem so merk würdigen Vater abstammt? Die persische Verfassung vom 5. August 1900 ist nicht fertig aus dem Haupte der Minerva gesprungen. Sie ist das Ergebnis langer Verhandlungen mit den in die englische Ge sandtschaft geflüchteten Führern des Liberalismus, hauptsächlich Geistlichen und Adeligen. Die „Volksvertretung" trägt in vielen Dingen den Stempel englischer Kopie, nur in einer Hinsicht nicht: Sie ist nicht repräsentativ. Drei Gesetze oder persisch Nizam Nameh regeln die Verhältnisse der Mejliß, wie das Parlament heißt. Das zweite ordnet die 6 Wahlklassen. In die erste Klasse gehören die Prinzen der regierenden Dynastie. Als zweite Klasse rangieren noch vor der dritten der Edclleute die Priester und Studenten der Religion. Die vierte Klasse umfaßt die Kaufleute, die fünfte die Landbesitzer und Pächter, die sechste die Gewerbetreibenden. Ein Wert von tausend Toman s4000 Marks ist die Besitzqualifilation, welcher die Wahlberechtigten der fünften Klasse unterworfen sind. Bei Kauf leuten und Handwerkern wird ein etabliertes Geschäft verlangt. Das wahlfähige Alter sind 25 Jahre. Weitaus die Mehrzahl, vielleicht 85 Prozent der Bevölkerung, besteht aber aus Bauern, Handarbeitern und den Angehörigen der wie in keinem anderen Lande ausgedehnten dienenden Klasse. Alle diese Personen sind nicht wahl berechtigt. Ter zweite Nizam Nameh bestimmt auch die Wahlkreise und die Zahl ihrer Vertreter. Aber bei den ersten Wahlen ist cs ziem lich anarchisch hergegangen. In einzelnen Provinzen, namentlich des Südens, ist bis heute das Wahlgesetz nicht verkündet. Andere Distrikte haben noch nicht die Hälfte der ihnen zustehendcn Deputierten entsandt. Hingegen hak das von Anfang an unverhältnismäßig bedachte Teheran fast dieHälfte aller Sitze an sich gerissen. Tic Kammer zählt gesetzlich 137 Mitglieder, die „im Notfälle auf 2«>o ergänzt werden dürfen"; gewählt sind 111, von diesen 52 aus Teheran, das eigentlich nur 37 zu stellen hat. Drei Fünftel der Ge wählten gehören dem gei st lichen Stande an. sehr viele sind offenbar Vabisten, stark sozialistisch angehauchte und durch euro päische Lektüre erregte Radikale. Gerade di« geistlichen Mitglieder haben die Gleichheit der Religionen und die Erweite- rung des Wahlrechts auf alle Klassen und vor allen Dingen — Sekten am energischsten vertreten. Mit den anfänglichen Deklamationen in denen diese Grundrechte der persischen Menschheit auSgcdroschcn wurden, hat sich die Fähigkeit des Parlaments zur politischen Formengebung erschöpft. Parteien gibt es nicht, Diskussionen in europäischem Sinne kommen nicht vor; jedermann hält literarisch durchgearbeitcte, aber ganz allgemein und unpraktisch ge- 'aßtc Vorträge, ohne sich viel darum zu kümmern, was weiter aus seinen Anregungen wird. Das literarische Talent der Perser ist der Verderb der höheren Klassen; der politische Ernst kommt ihnen über dem deklamatorischen Jener abhanden. Dabei besitzt dieses merkwürdige Parlament größere R e ch t e als die Volksvertretung in den reifsten Demokratien. Außer den allen Parlamenten gemeinsamen Funktionen kann es Konzessionen genehmigen oder verbieten; das gleiche gilt von Gesellschaften öffentlichen Rechts. Die Macht des Parlaments in beiden Richtungen hat das deutscheBankunternehmen in Persien zu spüren bekommen. Aeußere und innere Anleihen bedürfen der parla mentarischen Sanktion, ebenso Straßen- und Eisenbahnbauten. Tas Merkwürdigste bleibt aber das R e ch t, unfähige oder unehr liche Mini st er zu vermahnen und ihre Entlassung vom Schah zn verlangen, der sich in der Verfassung verpflichtet, diese Entlassung sofort zu vollziehen, sobald die Kammer den Schuld nachweis führt. Man erinnert sich, daß das gegenwärtige Persische Kabinett auf Probe regiert. Dies hat der Kammerpräsident also aus ganz verfassungsgemäßem Wege durchgesetzt. Ten von den Türken be stochenen Gouverneur von Khorasan hat der Schah auch schon absctzen müssen. Von den Kronrcchten bleibt also überhaupt nicht viel übrig. Tie militärischen Hoheitsattribute haben die persischen Herrscher in den drei letzten Generationen kaum mehr ausgeübt. Ihre Hauptbeschäftigung ist der Harem. Der Dienste der Armee, wenn man von einer solchen st rechen kann, dürste das Parlament aber doch wohl nur im Falle e.nes religiösen Krieges oder Aufstandes sicher sein; wenn auch die Treueide eines Viertelhnnderts Edelleute ihm eine ganz hübsche militärische Ge- solgichaft sichern, werden diese Trabanten im Falle des dynastischen Konflikts nicht ausreichen Wer bezahlt, kommandiert. Der Schah kann aber eher bezahlen. Eine nationale Aufraffung zu kom mandieren, würde das Parlament vielleicht später einmal auch ohne die Entfachung des Glaubenskrieges vermögen, wenn nämlich die im Mai 1907 dekretierte und der englischen Grafschaftsverfassung nachgebildcte Organisation der Kreisräte und Stadträte sich cingelebt hat. In diesen Räten ist das Wahlrecht praktisch unbeschränkt. Sogar die Nomaden genießen es. Und alle diese Körperschaften stehen mit dem Parlament i.r unmittelbarer Geschäftsverbindung. „Hui trop emdrasga mal ötreint,." Der Versuch des Parlaments, alle Gewalten in sich zn zentralisieren, dürfte zu seinem eigenen Ende führen. Verhandlungen des Deürt-cbcir Vereins sür das höhere Mädchenschulwesen. Am 2., 3. und 4. Oktober d. I. fand in U l m eine Versammlung deS Deutschen Vereins für das höhere Mädchenschulwesen statt, die ungemein stark besucht war und an der zahlreiche Vertreter der deutschen Regie rungen und der Stadtverwaltungen teilnahmen. Die Beratungen waren höchst interessant und zeigten, mit welchem Eifer und welcher Ausdauer die Verfechter einer gesunden Entwicklung des höheren Mädchenschul- wcscns für ihre Ideen eintrcten; sie zeigten aber auch, daß die Staats regierungen, vor allem die süddeutschen, und die Großstädte bereit sind, die Forderungen unserer Zeit zu erfüllen und unseren Töchtern die Möglichkeit zu geben, daß sic sich eine ihrer Begabung und ihrem Streben angemessene gründliche Bildung aneignen. Seitdem den Frauen der Zutritt zur Universität freisteht, darf eine Schulbehörde, die die Zügel in der Hand behalten und der Erziehung den richtigen, auch ocm Ge meinwohl dienenden Kurs geben will, die Entwicklung nicht der Privat spekulation überlassen, sondern muß selbst vorbildliche Anstalten grün den, die unseren strebsamen, begabten und gesunden Töchtern unicr völli ger Wahrung ihrer ;>rauennatur den Zugang zu höheren Berufsarten ermöglichen. Daß viele Mädchen im stände lind, sich die Reife sür die Universität zu erwerben, darüber ist kein Wort mehr zu verlieren; sie haben das vor zahlreichen Prüfungskommissionen schon seil Jahren be wiesen, und damit haben sie auch dargetan, daß die grundlegende Bil dung, die sie aus der höheren Mädchenschule erhalten haben, nicht zu unterschätzen ist, und daß diese mit einigen Acnoerungcn auch für die geplante Studienanstalt bcibebalten werden kann. Die Beratungen auf der Ulmer Versammlung bezogen sich fast alle aus diese Frage. Es wurde beschlossen, den zehnjährigen Kursus der höheren Mädchenschule beizubehalten und auf diele Schule eine Studieranstalt mit vierjähriger Dauer zu setzen, und zwar ent weder unter Anlehnung an das Realgymnasium mit obligatorischer Aui- nahmc des Lateins oder mit Anlehnung an die Ober realschule mit besonderer Betonung der Mathematik und der Natur wissenschaften. Am meisten Stimmung war, namentlich unter den Frauen, für den Ausbau einer realgymnasialen Studienanstalt mit obligatorischem Latein. Tic Kommission legte einen ausführlichen Lehr plan vor, der im großen und ganzen von der Versammlung angenommen wurde. Für die jungen Mädchen, die nach Absolvierung der zebnklassigen höheren Mädchenschule, die Studienanstalt oder das Seminar nickt de- iucken wollen, aber ihre Bildung in einem geordneten Lehrgänge noch vertiefen und erweitern möchten, soll eine zweiklassige Fraucnschule eingerichtet werden. Die Gründung solcher Frauenschulen sur die Töchter unseres gebildeten Niirgcrstandes wurde als eine kür die Ge sundheit des Familienlebens und der sozialen Verhältnisse unbedingt notwendige Forderung bezeichnet. Ans die Ausbildung zur Hausfrau soll in dieser Schule besonderer Wert gelegt werden. Denn, wie eine Rednerin sagte, „die Krone alles Frauenlebens bleibt doch die Ehe". Die dritte ans der Ulmer Versammlung behandelte Frage war die durch die Uebcrbürdung zur Notwendigkeit gewordene Trennung des Seminars für Volksschullehrerinnen von dem Seminar für höhere Lehrerinnen. Da aber in den oberen Klasten der höheren Mädchenschulen und vollends in den Klassen der Studienanstalten nur studierte Lehrerinnen beschäftigt werden sollen, von denen natürlich die bevorzugt werden, die selbst die Studicnanstal» durchgemacht haben, kann es nicht ausbleiben, daß sich die Lehrcrinnen- seminare allmählich darauf beschränken müssen, tüchtige Volks schullehrerinnen auszubilden, was ihrer Arbeit und ihrer Stellung ja auch nur nützen könnte. Denn die Klage über den durch Ucberbürdung hervorgerufencn mangelhaften Gesundheitszustand vieler auf den Seminaren gebildeter Lehre-
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