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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.04.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-04-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930401020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893040102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893040102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-04
- Tag1893-04-01
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Nachr." auS Berlin „von be- achten-werther Seite" ein Artikel zu, den wir unverkürzt wiedergeben wollen: „Lo klug wie Diejenigen, die dazu rathen, die Möglichkeit einer Lerständigung mit dem Reichstag zu benutzen, ist Gras Caprivi auch E- macht sich etwas komisch, wenn dem Reichskanzler vor- gklMen wird, daß er seine Sache schlecht verstanden habe und daß li i» dem Augenblick hätte etnienken sollen, wo im Zentrum und ,» der freisinnigen Partei die Stimmung des Entgegenkommens i'ärter wurde. In dem Tadel steckt ein gut Stück Dilettantismus, gras Caprivi brauchte nicht erst darüber belehrt zu werde», daß er da» Ganze seiner Vorlage doch nicht bekommen könne, wenigsten- von diesem Reichstag nicht „ad daß die Neuwahlen ihm keine Aussicht aus den Ein zug von etwa 200 Conservativen bieten können. Da» Alle- weiß er, wie gesagt, ebenso gut wie die bedächtigen Rathgeber. Lärm» trotzdem die Zuspitzung der kritischen Situation? ES ist Thorheit, zu behaupten, der Kanzler wolle „in Schönheit sterben", er wolle, amtsmüde, wie er angeblich ist, jedenfalls seine Pflicht gethan haben und, durch den neuen Reichstag gezwungen, mit Eciat zurück- Ireten. Wie kann man nur glaube», daß der leitende Staats mann «ine so nervös persönliche Politik jemals treiben möchte! Wenn e- sich um ihn allein handelte, dann vielleicht, aber auch nur vielleicht und nicht wahrscheinlicher Weise, thäte er'S. Ader es bandelt sich für ihn um Kaiser und Reich, um die vollste und schwerste Verantwortung, die aus eine- Staatsmannes Schulter» ruhen kann, und darum ist es. nahezu kindisch, die Kanzler- Politik alS Ausfluß eine- subjectiven PessimiSmu« hi rzustellen. Die Beurtheiler de- Grafen Eaprivi sollten sich überhaupt vor Mißgriffen schützen, die ihrer eigenen Einsicht den meisten Abbruch thun. So wird dem Grasen Caprivi auch da- vor- gehalten (als ob er bis dahin nie im Traume an diese Dinge gedacht hätte!), daß ein Versa ssnngSconslict im Reiche nach Art deS preußischen der Sechziger Jahre schon deshatb un- möglich sei, weil in Preußen die Forterhebung der Steuern auch ohne parlamentarische Bewilligung geschehen konnte, während das Reich auf die Matrikulardeträge angewiesen ist, die die Einzelsiaatcn eben nicht zahlen würden, wenn der Reichsetat nicht zu Stande käme. Ganz richtig. Aber warum annehmen, daß die leitenden Männer darüber nicht ebenfalls genügend klar seien? Wird so manche vermeintliche ZukunstSsorge hinfällig, so bleibt zwar des Räthsel- hasten genug übrig, ober inan bereitet sich so immerhin den Boden für eine nüchterne Betrachtung der Zustände. WaS hindert denn den Reichskanzler, sich mit dem cnva kommenden Reichstage zu verständigen? Er verschlechtert seine Chancen nicht, wenn er austüst. Er mag sie nicht verbessern, aber die Hauptsache ist, daß er darauf bauen kann, sie nicht zu verringern. Was kann denn groß sich ändern? Die Nervosität, von der bei Auflösungen die öffentliche Meinung regelmäßig beiallen zu werden pflegt, ist den iuhrenden Männern ebenso regelmäßig ganz fremd. Für sie ist die ganze Sache ein nüchternes politisches Rechenexempel, und ihre Erfahrung, wie die Höhe des Beobachtung-- Posten», aus dem sie stehe», gestatten ihnen, mit verhättnißmäßigem Gletchmuth zuzusehen. Die Siegeshoffnungen der einzrlnen Parteien haben zumeist die Eigenschaft, sich gegenseitig zu compenstren. Unsere Parteien machen durchweg nicht den Eindruck der Greisen- baitigkeit, obwohl jede von allen anderen behauptet, daß sie greisen haft und werth zu vrrschwinden seien. Es niögen ein paar Aenderungen Vorkommen, aber wir werden die Conservativen und da- Eentrum, die Nationalliberalea und die Freisinnigen, die Socialdemokraten und die kleineren Gruppen etwa in der selben Verfassung wiederkehrcn sehen, in der sie den vielleicht aufzulüsenden Reichstag verlassen werden. Man prüfe doch nur einmal ernstlich, ob in den letzten drei Jahren wirklich eine so un geheuere Verschiebung der Machtverhältnisse des öffentlichen Geistes eingetreten ist, daß jetzt die Wahlen diese im Stillen herange wachsene Veränderung zum wuchtigen dramatischen Ausdruck bringen müßten. Nirgends ist etwas von dieier Verschiebung zu be obachten , höchstens dar Erstarken des Antisemitismus aus genommen. Aber gerade aus die Probe, wie es mit dem Antisemitismus sicht, kann es Graf Caprivi ruhig ankomme» lassen. Insofern er nämlich bei der Unterstützung durch die Freisinnigen ein „unheimliches" Gefühl hat und bei den Angriffen von jener Seüe erst recht zu freundschaftlichen Empfin dungen gegen den entschiedenere» Llberalismus keine Veranlassung hat, wird es ihm den Schlaf mcht rauben, wenn etwa die Antisemiten ein paar freisinnige Wahlsitze erobern. Wichtiger wird ihm die Frage erscheinen, ob die Antijennlen nicht in den conservativen Jagdgründen pirschen gehen werden, aber gerade hier könnte der Schaden seine Heilung durch sich selbst finden. Nach den Erfahrungen von Liegnitz und nach de» Ahlwardt - Debatten des Reichstags ist es nämlich nur noch eine Zcitsrage, wann di« conservativen Führer sich ausrasscn und den Antisemitismus in die Schranken weisen werden, der zu ungeberdig geworden ist, als daß er sich nach Gefallen lenken und als Bortruppe benutzen ließe. Die Selbsterhaltung wird die Rechte dazu »reiben, wieder zu werden, was sie war. Wenn aber nicht, wenn der Anti- temitisinus wirklich der stärkere geworden sein sollte, dann mag das als Niedergang des öffentlichen Geistes beklagt werden; dagegen wird es einer Regierung nicht Schwierigkeiten bereiten können, die nur mit Unrecht der Begünstigung solcher Erscheinungsformen des öffentlichen Lebens bezichtigt werden kann, gegen die der Antisemitismus sich wendet. Gelockerte Pfeile, kein starkes Pseilbündel würden die Antisemiten im neuen Reichs tage darstellen, selbst wenn es ihrer zwanzig werden sollten. An weitere Erfolge de- Centrums ist >cdon wegen der Begrenzung der Partei durch die katholische Bevölkerungszahl absolut nicht zu denken, weit eher an Einbußen nach Art der Wahl von Olpe, und auch hier würde die Re- gierung nicht zu trauern brauchen, falls es so käme. Und daß die Socialdemokraten einen stärkeren Zuwachs be- kommen könnten, glauben sie selber nicht, obwohl sie io thun, als glaubten sie es. Die Partei kann aus größere Gewinne nur rechnen, wenn sie den Feldzug aus das platte Land zur Wahrheit macht und, wa- die Hauptsache ist, dabei auch agttatorijche Erfolg« erzielt. Aber nicht einmal da- Erster» ist, vereinzelte Ansätze ausgenommen, bt-hrr geschehen, und so entfällt das Zweite. Also die Wahrscheinlichkeit ist da, daß aus den Neuwahlen un- gesähr der nämliche Reich-tag wie der jetzige hcrvorgehen wird, und wenn das geschehen sein wird, dann können für manche der heute opponirenden Abgeordneten die Impulse zum Entgegenkommen nur zunehmen. Sich sii seiner Stärke behauptet haben, das macht trotzig doch nur dann, weS» vorher schon eine au-gejvroche» feindselige Stimmulg vorhanden war, während eS versöhnlich machen kann, wenn von der anderen Seite her di« Hand zur Ber- jöhnung gereicht wird, Bon jener srindseligcn Stimmung aber ist nicht das Geringste wahrzunehmen, und nicht oft genug kann man betonen, daß weder die Freisinnigen noch das Centrum alS die Parteien, aus die cS ankommt, den Grasen Caprivi stürzen oder einen Militairconslict herbeisühren möchten Fällt ihnen gar nicht «in. Umgekehrt geht auch Gras Caprivi nicht daraus auS, dir eine oder die andere Partei zu „zerschmettern", und wie die Staaten durch die Mittel erholten werden, durch die sie entstände» sind, so verleugnet daS System Caprivi auch jetzt nicht seinen Ursprung, dem der Charakter wohlwollender Versöhn- lichkeit vom ersten Tage an ausgeprägt war. Schon aus diesen tieferen, politisch psychologischen Gründen wird jede Ver gleichung mit den ConslictSjahren von 1862 bis 1866 hinfällig. Aus Kamps und leidenschaftliches Sichdurchjetzen war das System Bismarck sofort bei seinem Beginn gestellt, und diese Züge hat e» bi» zum letzten Tage der Bis- morck'schen Herrschast behalten, selbst da, wo die Ber- hältnisse es gar nicht erforderten. Beim jetzigen CurS haben wir daS Gegenbild vor uns. Tie Situation ist ja, rein aus di« Begriffsmerkmale de- politischen Tageskampses hin angesehen, kritisch genug; aber man muß auch nicht übertreiben. ESwirdwcdcr zu einem Conflict kommen, noch wird daS Reich in seinen Grundvesten erbeben, noch wird eine socialde in okratiich» antisemitische FluthweUe über unsere Zustände hin wegstürmen, noch sogar wird eine kanzierkrise kommen. Zwar mit derselbe» Sicherheit wie jene anderen Bordersaguugen läßt sich diese letzte wohl kaum mache». Immerhin eiitipricht sie demjenigen Stande der sorgfältigen Prüfung, den die Beobach tung der Stimmungen in den leitenden politischen Kreisen gegen- wärtig gestaltet." Wie die vorstehende ofsiciöse Leistung „beruhigend" wirken soll, vermögen wir nicht abznsehcn. Im Gegenlhcii scheint nnS, daß der widerspruchsvolle Optimismus und die Unklarheit darüher.mit welchen politischenParteic» und mit welchen Mittel» „daS System Caprivi, dem der Charakter wohlwollender Versöhnlichkeit vom ersten Tage an ausgeprägt war", die Militairvorlagc durchbringcn will, nach wie vor geeignet sind, nicht geringe Beunruhigung kervorzuruscn. Die jelditgesäflige Gegenüberstellung dcö «Systems Caprivi und des cyneinS BiSmarck am Schluß dürste niemals so unangebracht gewesen sein wie heute und wie in Sachen der Militairvorlagc. Die Franzosen sorgen dafür, daß die ganze Welt immer von ihnen reden muß. Normale Zustände scheinen bei ihnen gar nicht mehr cinzukebrcn, sondern die Franzosen befinde» sich andauernd in Aufregung. DaS Neuest: ist, daß die französische Republik sich wieder einmal ohne Regierung de- findet und zu den unzähligen C abinetSkrisen der letzten Jahrzehnte eine neue hinzu gekommen ist. Die jetzize Krisis ist auS einem stetig sich verschärfenden Conslict zwischen Sen at und Deputirtenkammer bcrauSgewachsen und nahm sehr rasch eine acute Wendung. Die Kammer, die in den fundamentalsten Fragen eine weitgehende Nachsicht gegen das Cabinct an den Tag gelegt batte, bekundete plötzlich eine überaus feindliche Haltung gegen daS Ministerium und dieses andererseits, das sich bis dabin in recht würdeloser Weise an seine Portefeuilles geklammert batte, zeigte sich plötzlich ganz merkwürdig empfindlich. Die Genesis deS Streites ist bekannt; eS bandelte sich um zwei finanzielle Projccic, die Reform der Gclränkesteucr und der Börsensicuer, welche die Kammer als inlegrirende Tkeile dcS von ibr beschlossenen Budgets dem Senat überwiesen batte. I» dieser Aersammiung nun benutzte man diese Bcranlassung, um einer seit Langem herrschenden Verstimmung einen ver- ncbnilichen und deutlichen Ausdruck zu geben. Die Senatoren empfanden eS übel, daß ibnen das Budget immer erst in zwölsicr Stunde überwiesen, ihre Arbeit an dem Budget als bedcutungs lose Formsache betrachtet wurde. Der stille Gegensatz zwischen Oberbaus und Gemeinen ist ja auch in anderen Ländern eine bekannte Erscheinung, in Frankreich aber erhielt er da durch eine gewisse Verschärfung, baß auch die Senatoren sich als Gewählte, nicht als die durch daö Vertrauen der Krone oder infolge erblicher Gerechtsame zu Gesetzgebern Berufenen fühlten. Der französische Senat, in dem nur noch einige auf dem Aussterbe - Etat befindliche unabsetzbare Senatoren vorhanden sind, bestebt bekanntlich aus drei hundert von den Departements und Colonien auf neun Jahre gewählten Senatoren, die aller drei Jahre zu je einem Drittel erneuert werden. AuS dieser Art der Zusammen setzung deS Senats ergiebt sich naturgemäß, daß er zu einer ganz anderen Rolle berufen ist, als seine College» in Italien, die Herrenhäuser in Preußen und Oesterreich und daS Ober haus in London. Die Gelegenheit, seine Stellung gegenüber der Kammer zur Geltung zu bringen, war in diesem Jahre eine sehr günstige; man konnte eS den Senatoren nicht ver übeln, wenn sie eS adlchnten, zwei Steuerreformen von ein schneidender Bedeutung und nicht leicht zu übersehenden Folgen in demselben rapiden Fluge zu deratbcn, wie sonst daS Budget. Sic zeigten sich störrig und eigensinnig, wiesen kleinere Budgetpostcn ab und bebarrlcn dabei, Getrankestcucr und Börsensteuer einer besonderen Berathung zu unterziehen. Der Conflict verschärfte sich, als Tirard in der Kammer sich offen auf die Seite deS Senats stellte. Die Dudgetcommrssion nabm einen Antrag deS alten Radikalen Lockroy an, der die entschiedenste Stellungnahme gegen den Senat demonstrativ bekundete; durch die Haltung Tirard's, die daS Mini sterium als Partei mit in den Kamps hineinzog, wurde der staatsrechtlich-finanzielle Conflict zwischen «Lcnat und Kammer zu einer ministeriellen Frage. Man hoffte zuerst »och zu einem Compromiß zu gelangen, bei welchen« der Senat die eine, die Kammer die andere der beiden verhäng- nißvvllc» Steuern im Sinne dcS Gegners erledigt hätte. Aber diese Hoffnungen waren trügerisch. Ob die Kammer erwartete, den Minister zu ibrcn Anschauungen zu bekehren, ist »och unaufgeklärt; jedenfalls blieb er fest, und somit blieb nur die Hoffnung aus ein schließlicheS Nachgeben der Kammer übrig. Cs scheint auch, als wenn Tirard rcgierungSmüde gewesen wäre. Wie dem auch sein mag, die Kammer ver harrte in ihrem Entschlüsse, dem Senate das Budget in Bausch und Bogen zurückzusendc», Tirard wie Ribot machten »nt ibrcn Cinwenbuiigen keinen Eindruck und blieben mit fünf Stimmen in der Minderbeit. DaS nnsähigste und traurigste Ministerium (nach dem Ausdruck des „Figaro"), daS Frankreich seit langen Jahren besessen, war damit gesallen. — Die neueste telegraphische Meldung über den Staub der Dinge lautet: * Parts, l. April. Dem Vernehmen nach wird Carnot im Lause des Vormittags ein Mitglied des Parlaments mit ber Bildung des neuen Cabinels betraue». Man glaubt, Laß Dupuy, der frühere Untcrrichtsmiiiislcr, die meiste» Aussichten habe. Neben Dupuy werben auch die Namen Devclle, Burdeaux, Eavaignac und Meline genannt. Es handelt sich hierbei jedoch vorläufig nur um Gerüchte, welche der Bestätigung bedürfen. Tcvelle begab sich gestern Abend »ach dem Departement Tu Nord, um daselbst die Osterferien zu verlebe». Jin Lager Gladstone'S herrscht seit der letzten Partei- conscrcnz und dein zurückgewicsenon Vorstoß der Opposition wieder eine etwas gehobenere Stimmung. Die Mißvergnügten sind vorläufig zum Schweigen gebracht und selbst die rabiaten Waliser, so wird wenigstens behauptet, verzichten vor der Hanb aus die Erfüllung ibrer Herzenswünsche. DaS weitere SessionS-Progra»»» hat sich, dem „Standarb" zufolge, auS den Beralbungcn deS ParteiineetingS in der Weise herauS- acschäll, daß nur noch vier Vorlagen erledigt werden sollen, die irische, die WahleinschreidungS-Bill, die Vor lage, welche die Haftpflicht der Arbeitgeber seststcllt, und die Gemeinde- und DislrietrathS Bill. Seine irische Vorlage ist Gladstone. wie versichert wird, entschlossen, mit voller Danipskraft durchzusctzen. Nur wenige Tage werden dem Hanse zwischen der »weilen Lesung und der Coinile-Beratbnng vergönnt werden. In Ulster ist inzwischen, wie auS Bet saster Berichten des „Daily Telegraph" hervorgeht, die Er bitterung gegen Gladstone'S gefährliches Experiment im Wachsen begriffen; die dortige' loyale Bevölkerung scheint sich rkatsächlich aus das Schlimmste vorzubercilen; man spricht von geheimen Waffcnübnngen, von einem Zusammen gehen der Polizei mit den Anti-Homc-Rulern, von umsasienden Vorsichtsmaßregeln der Regierung. Unter solchen drohenden Umständen muß, so sehr berechtigt die Entrüstung der Bevölke rung Ulsters auch sein mag, die maßvolle Haltung, welche Arthur Balsour der Belsastcr Deputation gegenüber bewahrt hat, anerkennend verzeichnet werden. Der conservative Führer malmte nämlich zur Mäßigung und Selbstbeherrschung. Eine Regierung, die rücksichtslos de» Frieden eines gedeih lichen Gemeinwesens gesäbrde, lade sich eine sehr schwere Verantwortlichkeit auf, aber hoffentlich würde die unter der loyalen Bevölkerung Ulsters erweckte Entrüstung in gehörigen Schranken gehalten werten, denn der Tag sei noch sehr fern, an dem die ungeheuerliche Homerule-Vorlagc die königliche Sanktion erhalten dürste. England habe sich gegen Home- rulc erklärt und werde Ulster nicht im Stiche lassen. Keine Anstrengungen würden gescheut werden, um die Bande zwischen England und den Loyalisten Irlands fester zu knüpfen. FsuiUetsn. Lrimuln veris. Erzählung von ?l. Brüning. verbolen. Die stattliche Frontseite des in einem der vornehmsten Stadttbeile Berlin» gelegenen alten Bankhauses Friedrich Ebrbardt L Söhne strahlte in blendendem Lichtglanz. Der Geheime Eommerzienrath Balduin Ehrhardt, der jetzige In haber der Firma, gab eines seiner berühmten Ballfeste, welche mehrmals während der Saison eine auserlesene Gesellschaft in den mit ebensoviel Luxus als Geschmack auSgestattctcn oberen Räumen seine» Hause- zu versammeln pflegten. Herr Balduin Ebrbardt, dessen ehrgeizigem Sinn der Verkehr mit der Geldaristokratie allein nicht genügte, batte eS verstanden, auch die vornehmeren Elemente der hauptstädtischen Gesellschaft, die Vertreter de» Geburt-- und GeistcSadelS, sowie de» Mili- tairS in sein Hau» zu ziehen; die letzteren namentlich verlieben seinen Festen ein glänzendes Relief. Er selbst wußte bei solchen Gelegenheiten mit der Gewandtheit de» vollendeten Weltmannes seinen Gasten gegenüber die Honneur» zu machen, worin er von einer liebenswürdigen älteren Dame, Fräulein Feldner mit Namen, welche er nach dem früben Tode seiner Gattin al» Repräsentantin in sein Hau« genommen, aus« Beste unterstützt wurde. E« galt daber für eine ausgemachte Sache, daß man sich bei Ebrhardt stets vortrefflich amüsire. UcbcrdieS besaß das HauS in de« Herrn Balduin Ebrbardt einziger Tochter Gabriele, welche seit Kurzem erwachsen und in dir (^sellschaft eingefübrt war, einen Magnet, der die jungen Cavaliere unwiderstehlich anzog. Auch beute bewegte sich eine zablreiche Versammlung in den prächtigen Räumen. Ebrhardt, dessen imponircnde Gestalt im tadellosem GesellschastSanzug an« einer Herrengruppe brrvorragte. und der eben mit Lächeln die Lobsprüche de» BaronS von X. über seine gelungenen Arrangement» in Empfang nahm, durfte stolz auf seine Gäste sein, unter denen der Träger manch' alten erlauchten Namen« sich befand. Dennoch lag eS heute wie rin Schatten über feinen stahlgrauen Augen; die scharf geschnittenen intelligenten Züge zeigten nicht ganz die gewohnte strenge Beherrschung. Wie ein Zucken nervöser Aufregung ging eS zuweilen um seine Lippen, die heute da» konventionelle Höflichkeitslächeln nur mir Mllbe sestzuhaltcn schienen. Ein aufmerksamer Beobachter würde vielleicht auch bemerkt haben, daß die Heiterkeit und der sprühende Witz, durch die er seine Gäste zu unterhalten strebte, ein wenig gezwungen und unnatürlich waren. Sein Blick nabm oft mitten in der lebhaftesten Unterhaltung einen zerstreuten, grübelnden Ausdruck an, als ob sein Geist mit ernsten, sernabliegenden Dingen beschäftigt sei. Die plaudernde Gruppe, welche ihn umgab, batte sich aufgelöst. Sofort schwand da« Lächeln auS seinen Zügen, um einem sorgenvollen, beinahe finsteren Ausdruck Platz zu machen. Sein Haupt sank auf die Brust, und die vorhin so straffe und selbst bewußte Haltung schien sich urplötzlich in die eine« müden, gebrochenen Manne« zu verwandeln. Aber schon im nächsten Augenblick raffte er sich kraftvoll empor. Wie in unbeug samem Trotz preßte er die Lippen zusammen, »nd mit der Hand über die Stirn fahrend, al» ob er deren tiefe Sorgen salten wegwischen wollte, warf er energisch da» Haupt zurück. Und jetzt lächelte er sogar wieder — ein Weiche-, zärtliche» Lächeln I Sein suchende« Auge batte die Tochter erblickt, den ver götterten Liebling seine- Herzens, deren strahlender Erscheinung gegenüber allerdings kein trüberGedanke die Herrschaft behaupten durfte. Eine zierliche Gestalt, umwogt von duftigen Wolken von rosa Gaze, stand die junge Dame wie da- verkörperte Bild einer FrühjingSgöttin inmitten eine» Kreise« junger Herren und Damen. DaS kaum siebzehnjährige Mädchen wußte mit der ganzen Gewandtheit und sicheren Anmuth einer vollendeten Weltdame ihre Aufmerksamkeit unter Alle zu tbeilen. Man konnte nicht» Graziösere» sehen, als die Art, wie die kleinen Hände den kostbaren Fächer bewegten — wie sich beim Sprechen da» blumengeschmückre Köpfchen ein wenig auf die Seite bog, und die goldene Aureole, welche diese« zierliche Köpfchen umschwebte, konnte nur dazu dienen, dessen Liebreiz zu erhöhen. Kein Wunder deshalb, daß seine Besitzerin die gesammte junge Herrenwelt in Bewunderung versetzte, während ihre Genossinnen sie mit heimlichem Neid betrachteten. Die junge Dame sprach und lächelte jedoch so unbefangen, als ob sie weder da» Eine, noch da- Anoere bemerke. Ruhig nabm sie die Complimcnte über ihre ebenso kostbare als geschmackvolle Toilette entgegen. Diese zeigte einen entzückenden AuSputz von Spitzen und frischen Primelsträußchcn. Gabriele Ehr hardt trug nie andere als frische Blumen. Mit Agraffen von echten Perlen befestigt, waren sie geschickt in dem duftigen Stoff de» Kleide» vertheilt, während sie den TaillenauSschnitt in dichtem Kranze umgaben. In elfenbcinartigem Weiß tauchte der zarte Hals auS den rosigen Blüthen bervor, um schlungen von einer dreifachen Reihe großer Perlen, deren Hohen Werth manche» Auge abschätztc. Eine gleiche, link- unter einem Primelstrauß endigende Schnur wand sich um den weichen Knoten, zu dem daS volle, kastanienbraune Haar im Nacken verschlungen war. Mit Innigkeit hingen die Augen de« Bankier» an seiner Tochter. Gabriele hatte „solch ein reizende» Lächeln", sagten ihre Freundinnen, bei dem die kleinen weißen Zähne in feuchtem Perlenglanz zwischen den blühenden Lippen bcrvortraten. ES war sehr begreiflich, daß die sie umringenden jungen Herren all ihren Witz aufboten, um recht oft diese» Anblickes thcil- baftig zu werden, und in der Tbat körte der Bankier mehr al» einmal Gabrielen» melodische« Lachen zu sich hcrübcr- klingen. Vom Orchester herab schwebten jetzt die Klänge eine» bekannten Walzer«, für die Herren da« Signal, sich ihrer Damen zu versichern. Alsbald näherte sich ein bochgewachsener Gardeofficier schnellen Schritte« der Gruppe, welche die Tochter de» Hause» umgab. „Darf ich bitten, meine Herren, der Tanz gehört mir!" Damit brach er sich Bahn durch den sich lichtenden Kreis, au» dem ihm von mancher Lippe ein leise- „Sie Glücklicher!" zugeraunt wurde. Gleich darauf stand er vor der jungen Dame, welche befangen die Augen niederschlug. „Gert v. Waldau" — murmelte der Bankier unwillkürlich, während er gespannt da» junge Paar beobachtete. Mit einem frohen Blick seiner dunklen, strahlenden Augen überflog vcr junge Ossicier die Gestalt seiner schönen Tänzerin, „k'rimula vc-ris!" klang e» mit einem halblauten AuSrns de» Entzücken» von seinen Lippen. „Sie . . . Sie sagten neulich, daß die Primel Ihre LieblingSblume sei", stammelte da» i»nge Mädchen, von dem all' ihre unbefangene Sicherheit urplötzlich gewichen schien, „und da habe ich . . ." sic stockte verwirre, da« zarte Gcsichtchen glühte wie eine RosenknoSpe; sie konntl ihm doch nicht sagen, daß sie ihre heutige Toilette einzig seinetwegen gewählt. Nein, daS ging nicht — wie unvorsichtig hatte sie sich verstrickt! In ratkloser Verlegenheit senkte sic da« Köpfchen, nicht wissend, wie sie den angefangcncn Satz beenden sollte. Aber ach! eS war zu spät; er batte den Schluß schon erratben und rief in stürmischer Freude ihren Namen: „Gabriele!" Welch ein Ausdruck lag in dem einen Wort! Um Gotte» willen, wenn da« Jemand gehört hätte! Erschrocken sah sie sich um. Nein, der Tanz beherrschte Alle». Warum begann denn nur ihr Herz so stürmisch zu schlagen? I» ihrer Verwirrung vergaß sic sogar, ibm seine Keckheit zu verweisen, wie cS doch wob! ihre Pflicht gewesen wäre. „Lassen Sie un» tanzen, Herr v. Waldau", flüsterte sie statt dessen hastig, froh, der beklemmenden Situation ein Ende zu machen. „Sehen Sie, die anderen Paare wirbeln schon alle dabin." Sie sah ilm nickt an, während sie sprach. Mit gesenkten Litern und heißen Wangen stand sie vor ihm, unbeschreiblich anziehend in ihrer scheuen Verlegenheit, die ibm mehr vcr- rietb, als sic ahnen mochte. DaS Herz des jungen Ossicier» wallte aus in übcrmütbigcr GlückeSzuversicht. Unverzüglich folgte er der erhaltenen Aufforderung und umschlang die bebende Sylpbidengestalt. „Warum seben Sie mich denn gar nickt an? Sind Sic mir böse, Fräulein Gabriele?" klang eS dabei leise und bittend von den stolzzeschwcisten Lippen, während seine Augen mit einem Ausdruck inniger Zärtlichkeit auf dem gegen seine Schulter geneigten Köpfchen ruhten. „Nein — >a — nein", tönte die Antwort, aber einen Blick erhielt er doch nicht: beharrlich blieben die langen, dunklen Wimpern auf dir Wangen gesenkt. Im nächsten Augenblick wirbelte er mit ibr davon. Die Augen de» CommerzicnratbS folgten deni jungen Paar mit einem bald stolzen, halb wekmütbigkn Ausdruck. Er hatte zwar die Worte dcS kurzen Zwie gespräches nickt vernommen, aber anS dem Miencn- spiel der Beiden unschwer ihren Sinn erratben. Auch hatte
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