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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.03.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-03-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189803066
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18980306
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18980306
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-03
- Tag1898-03-06
- Monat1898-03
- Jahr1898
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.03.1898
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Die Morgcn-AuSgabe »rschtint um '/,? Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um ö Uhr. Nedaction und Lrpe-itio«: Iohauuesgaffe 8. Di» Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uh^ Bez«g-Prel- k» der Hauptexpedttton oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten AuS- aaveslellen abgeholt: vierteljährlich ^!4.öO, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« hau» Ü.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich >tz k.—. Direkt» tägliche Krenzbandirndung in» ?lu»land: monatlich 7.50. Filialen: ktts Nlrm,»'S Sortim. (Alfred Hahn), Universitätsstrabe 3 (Paulinum), LoniS Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und Köuig»pla- 7. WpWcrTaMM Anzeiger. Ämtsölatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Nattjes nnd N-lizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Rnnahmeschlnß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhn Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestelle» je eine halbe Stunde früher. Anreigen find stet» an di« Expedition zu richte». U»z^gE«.VrOt- 6gespaltene Prtitzeile SV Psg. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4aa- spalten) KO/H, vor den Familien,lachrtchten (6 gespalten) 40 H. Gröger» Schristen laut uuserem Prei«- verzrichniß. Tabellarischer und Ztffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilage» (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung SO.—, mit Postbesörderung -4l 70.—. Druck und Verlag von E. Pol» in Leipzig. 117. Sonntag den 6. März 1898. Aus -er Woche. Die Versuche hervorragender Vertreter von Industrie Landwirthschaft und Handel, eine Einigung für dir Wahlen herbeizusühren, werden erst jetzt, nach dem Fürst Bismarck dem Werke seine moralische Unter stützung geliehen, in ihrer Bedeutung allgemein erkannt werden. Diejenigen, welche tendenziöse Mitthrilungen über die Angelegen heit verbreitet haben, werden, insofern sie nicht erklärte Gegner der nationalen Parteien sind, nunmehr von ihrer nichtsnutzigen Arbeit ablassen. In der am Freitag mitgetbeilten Erklärung des nationalliberalen Landtags- abaeordneten Th. Möller liegt die Bestätigung der Nichtigkeit unserer Darstellung, wonach eS böswillige Verleumdung ge wesen ist, den Herren Graf Schwerin-Löwitz und VopeliuS Machenschaften nachzusaaen, die gegen den Frieden gerichtet gewesen wären. Herr Möller hat die Action der beiden Herren für „an sich berechtigt gehalten" und, wie gemeldet, sich lebhaft an ihr betheiligt. Ob Herr Möller gewußt hat, daß vom Grafen Schwerin Alles aufgeboten worden war, auf dem Dresdener Parteitage einen Erfolg seiner Aus gleichspolitik herbeizusühren, ist unS unbekannt, jene Bemühungen sind aber eine Thatsache und auf sie war die in der Presse viel und durchweg aus irriger Voraussetzung heraus commentirte Vertagung des Dresdener Tages zurückzuleiten. Sie führte nicht zum Zwecke — wie erzählt wird, in Folge von formalen Schwierigkeiten. ES soll nicht möglich gewesen sein, in der gegebenen kurzen Zeit einem Beschluß im Sinne des Grafen Schwerin bei den verschiedenen Landes- und Pro- vinzialcomiteS der konservativen Partei die für noth- wendig erachtete vorherige Zustimmung zu erwirken. So kam cS, daß Graf Kanitz in Dresden so reden konnte, wie er gethan. Graf Schwerin ließ sich jedoch nicht abschrecken, er machte mit anderen sehr entschieden agrarisch gerichteten Herren dem Grafen Kanitz im deutschen LandwirthschaftSratb und dem Herrn vr. Hahn auf der Hauptversammlung deS Bundes der Landwirthe eine sehr lebhafte Opposition, ohne, wie schon erwähnt, die nachdrückliche Unterstützung der Regierung, deren Geschäfte er besorgte, zu finden. Indessen eine Hauptarbeil ist doch gethan. Üeber eia Programm und den mitgetheilten Aufruf ist Einigung erzielt. Unentbehr liche Unterschriften sind zunächst zurückgebalten worden, weil die außerhalb deS Programms verlangten Cautelen gegen eine Bekämpfung von Handelsverträgen mit längerer Geltungs dauer und gegen die Agitation für den Antrag Kanitz nicht gegeben wurden. Am Freitag ist im preußischen Abgeordneten hause jener Theil nachgeholt worden. Graf Kanitz bat den gänzlich unverbindlichen Charakter seiner Auslassung im Land- wirthschaftSralbe bervorgehoben, er hat Verträge von längerer Dauer als zulässig erachtet, wenn dabei die Getreidezölle nicht in Mitjeideuschaft gezogen würden, und Herr v. Kar- dorff hat sich dafür festgemacht, daß weder die Währungs frage, noch die Frage der Verstaatlichung der Reichsbank von den Conservativen beider Schattirunqen in den Wahlkampf gezogen werden sollen. Letzteres ist nach dem, was bisher beabsichtigt war, nicht wenig, und was die Bindung resp. Nichtbindung von Getreidezöllen für längere Frist anlangt, so war eS gerade Herr Möller gewesen, der Verträge ohne die langfristige Festlegung von Getreidezoll- sätzen für möglich und zulässig erklärt hatte. Dieser national liberale Industrielle hat auch vorgestern mit seinem Partei- und BerufSgenoffen Bueck diesen Standpunkt eingenommen, er bat nur der Landwirthschaft die Möglichkeit zu erwägen ge geben, daß sie nach fünf Jahren, wenn eS mit den Verträgen Ernst wird, vielleicht sehr froh sein werde, Zölle zu erlangen, mit denen sie auf Jahre hinaus rechnen kann. So weit ist die neueste Phase der SammlungS-Politik zufriedenstellend, und Herr Möller hat denn auch seine Unter schrift für den Aufruf gegeben. Es fehlt aber noch die Siche- rung gegen die GeschäftSagitation, die ja allerdings von den Conservativen nicht verbrieft werden kann. Wenn aber den Herren Graf Kanitz und v. Kardorff am Freitag ihre Erklärungen durch den Umstand, daß Fürst Biömarck seinen Namen für daS vereinbarte Programm in Aussicht gestellt batte, vielleicht erleichtert worden sind, so wird die mora lische Betheiligung deS Alt-ReichSkanzlerS die Conservativen in der Zurückdrängung einer grundsatz- und zwecklosen Hetzerei gewiß fordern. Der Antrag Kanitz und die Treibereien der Hahn und Liebermann bedeuten die Negation eines von BiSmarck gutgeheißenen Programms, welches „an Stelle des Kampfe- der Interessen gegen einander den friedlichen Ausgleich erstrebt". Die Conservativen haben jetzt die Autorität deS Fürsten BiSmarck gegen die vom Un frieden Lebenden, die sie zu mächtig werden ließen, für sich. Wenn sie mit dieser mächtigen Waffe sich nicht frei machen können, dann sind sie überhaupt verloren und werden sich mit ihren weiteren Klagen über antisemitische „Einbrüche" nur lächerlich machen. Warum sollen die Führer der selbst ständigen „deutsch-socialen" Partei die Wünsche der konser vativen Parteileitung respectiren, wenn diese letztere sich nicht einmal gegen ihre eigenen Mitglieder und „Hospitanten" zu be haupten weiß? Man darf neugierig sein, ob die sächsischen Conservativen nicht« thun werden, um die preußischen Partei genossen gegen deren innere Feinde zu unterstützen. Sie würden gegebenen Falles auch Stellung zur „Kreuzztg." nehmen müssen, die zu dem — vom Abg. Möller übrigens gar nicht ausdrücklich gestellten—Verlangen, Herrn vr. Hahn von der Unterschrift des Aufruf« auszuschließen, nicht mehr und nicht weniger bemerkt als Folgendes: „WaS würde Herr Möller wohl sagen, wenn die Confer- vativen Herrn von Bennigsen'« Unterschrift zurückweisen wollten? Wir können nicht einsehen, wie hier rin Unterschied gemacht werden soll." Herr v. Bennigsen ist, von seinem Charakter und seinen Verdiensten ganz abgesehen, der auch von den anderen Parteien als solcher anerkannte erste Führer der Nationalliberalen. AuS der Gegenüberstellung der „Kreuzzeitung" geht hervor, daß sie Herrn vr. Hahn eine ähnliche Stellung in der conservativen Partei zuweist. WaS sagen die Herren vr. Mebnert und Ackermann zu dieser Berliner Aus lassung, die für unS nur eine der Erwiderung nicht würdige Unverschämtheit, aber für die konservative Partei von prak tischer Bedeutung ist? Daß auf die Nationalliberalen, wenn die unerläßlichen Bedingungen eines Zusummengch.nS gegeben sind, zu rechnen ist, bewies schon die Entschiedenheit, mit der Herr Möller die auS Wichtigthuerei von der ganz privaten „Centralstelle für Vorbereitung von Handelsverträgen" bekundete Auf fassung zurückwieS, daß Mitglieder des Wirthschaftlichen Ausschusses nickt gemeinsam an der Herbeiführung eines wirthschaftlichen Friedens arbeiten dürften. Die „Köln. Ztg." stellt sich mit ihrer gegrntheiligen Ansicht wieder einmal auf den Isolirschemel, was aber diesmal besonders zu verwundern ist. Denn eine Spaltung der Industrie, die die unausbleibliche Folge eines principiellen Widerspruchs gegen die Action Schwerin - VopeliuS - Möller sein würde, müßte sich im Rheinland« und in Westfalen auch bei den Landtagswahlen in sehr unerfreulicher Weise fühlbar machen. Landwirthschaft und Industrie können gleichmäßig aus der freisinnigen Presse ersehen, daß sie vor ernsten Ent schlüssen stehen. Die Agrarier insbesondere sollten be denken, daß ein Kampf mit der Parole „Wider den Antrag Kanitz", wenn sie ernsthaft ausgegeben werden kann, die Wahlen leicht dahin beeinflussen könnte, daß der nächste Reichstag eine freihändlerische Mehrheit aufwiesrn. Die nationalliberalr Partei wäre durch ihre bis herige Haltung, durch die jüngst wieder auf dem Parteitag zu Weimar gefaßte Resolution und durch die Bereitwilligkeit, auf die Anregung der Herren Graf Schwerin und VopeliuS ein zugehen, gegen den Borwurf der Mitschuld an einem solchen AuSgang in Aller Augen geschützt. Aber die Conservativen? Der Deckungs-Schwindel ist in der Budgedcommission deS Reichstags gestern (Sonnabend) fortgesetzt worden, ohne zu einem endgiltigen Abschlüsse zu gelangen. Wir haben im neuen Reiche des allgemeinen Wahlrechts schon viel erlebt, aber ein solches Fahren um die Meisterschaft in der Wähler- Fopperei ist noch nicht dagewrsen. Es wird den Reichs tag den Rest der Achtung kosten, den er noch genießt. Die Belastung der stärkeren Schultern mit den etwaigen Mehrbedürfnissen auS dem Flottengesetz ist gerecht und sie kann, wie die Resolution Ham mach er thut, den Einzclstaaten empfohlen werden Aber Landessteuergesetze durch die Reichs gesetzgebung und damit eine tiegreifende Verfassungsänderung Vorschlägen, wie Herr Lieber thut, oder eine dirrcte Reichs besteuerung von beute auf morgen „überS Knie brechen" wollen, wie die Herren Bebel, Richter und Müller-Fulda sich zu erdreisten nicht säumen, daö sind wahrhaft Gipfel der Ungenirtbeik. Puncto gesunden Menschenverstandes steht der Lieber'sche Antrag in letzter Reihe oder fällt unter diesem Ge sichtspunkte überhaupt auS. Die anderen Anträge sind wenigstens formell zulässig, wenn sie auch praktisch undurchführbar sind. Die freisinnige Volkspartei mit ihrem Antrag aus eine ReichS- vermögenösteuer marschirt aber in Bezug aus die Unehrlichkeit an der Spitze. Denn wenn man dem Centrum glauben kann, daß es die Belastung der stärkeren Schultern wenigstens wünsche, so weiß man von der Volkspartei genau, daß sie eine Gegnerin der Vermögenssteuer ist. Sie hat sie für Preußen grimmig bekämpft und würde sie jetzt ebenso bekämpft haben, wenn etwa die Regierungen damit gekommen wären. Da sie aber ganz aussichtslos ist, wird sie „gefordert" und noch dazu für die Gesammtheit der Kosten für die Flottenbildung, während die Anträge Lieber und Müller nur für den Fall der Unzulänglichkeit der vor handenen Mittel zur direkten Besteuerung gegriffen sehen möchten. Die „Vossische Zeitung" nimmt den frei sinnigen Antrag ernst, WaS Herrn Richter sehr an genehm sein dürste, sie verwirft ihn aber, und da« wird der volksparteilicke Führer mit Recht als eine ganz zwecklose Bosheit empfinden. Wie schön wäre es doch, wenn der Frei sinn „einmülhig" daS gegen die Erfüllung gesicherte Ver langen gestellt hätte! Uebrigens epistirt der volksparteiliche Antrag noch nicht ossiciell. Herr Richter hält ihn zurück, „um den Antrag Lieber nicht zu kreuzen". Und für diesen Antrag wird er und wird die ganze Linke stimmen, um die CentrumS- partei das Vergnügen, ihren Antrag abgelehnt zu sehen und dann „schön heraus" zu sein, nicht genießen zu lassen. Bei einem Manne wie Richter, der weder durch Ueberzeugung, noch durch irgend welches Verantwortungsgefühl bedrückt wird, ist diese Politik schlau zu nennen. Freilich muß auch mit dem Falle gerechnet werden, daß das Centrum die Annahme deS Antrages Lieber und damit das Scheitern des Gesetzes wünscht. Kür diese Ansicht spricht etwas. Der Antrag ist so absolut unmöglich und thöricht, daß man hinter seiner Einbringung die Absicht, daS Gesetz zu Falle zu bringen, eigentlich vorauSseyen muß. Wir unsererseits glauben nicht an diese Taktik, sondern an den Wunsch, dem „Pöbel etwas zu bieten". Im anderen Falle aber kann die Regierung eine derartige frivole Ab weisung und Kreuzung ihrer auswärtigen Politik nicht ruhig hinnchmen und muß zur Auflösung schreiten, und zwar ohne vorher lange mit sich handeln zu lassen. Die Marincvorlage zieht keine neuen Steuern nach sich und verursacht überhaupt nur Mehrausgaben von etwa 60 »s auf den Kopf der deutschen Bevölkerung. Die Rechtsfrage ist vom Centrum in einem der Vorlage günstigen Sinne beantwortet; die Freisinnigen endlich beantragen zur Deckung eines Gesetzes, daS sie bekämpfen, eine Steuer, die sie zugestandenermaßen nicht haben wollen. Wer Angesichts dieser Tbalsacken mit der Behauptung auf die Wähler einzuwirken gedenkt: „Wir haben jede Schiffsplanke und jeden Groschen bewilligen wollen", der wird eine furcht bare Enttäuschung erleben. Haben wir anfänglich die Flotten frage als Wahlparole im Hinblick auf die damalige Un popularität des herrschenden Regiments nicht gewünscht und auch später, als dies Bedenken sich abschwächte, unS für sie nicht begeistern können, so würden wir nun, falls daS Centrum au« seinem Spiele Ernst machte, die Reichstagsauflösung freudig willkommen heißen. Deutsche- Reich. * Leipzig, ü. März. Der sächsische Landesverein deS evangelische» Bundes hat dem Vorsitzenden im Centralvorstande, Herrn Grafen Winzingerode, seine volle Zustimmung zu den Schritten ausgesprochen, die er gegen daS Verhalten de» preußischen Gesandten in Rom bei der Sonderfeier deutscher Ultramontaner an Kaisers Geburtstag unternommen hat. Die maßvolle Leitung des Bunde« durch den Grafen Winzingerode hat anläßlich der schroffen Antwort des StaatSsecretairs in allen Kreisen des Bundes neue Anerkennung gefunden, daS Ver trauen zu ihr ist mächtig gestärkt worden, sie girbt die Hoffnung, daß man endlich auch in Berlin die Stimme de« protestantiscken Gewissens verstehen lernt und allmählich ein sieht, daß der evangelische Geist der einzige Hort unseres Vaterlandes ist. * Leipzig, 5. März. Herr Rechtsanwalt Anton Kar- pinski-Gnesen veröffentlichte im „Oredownik" ein Schreiben, dem wir folgende Stelle entnehmen: „Ich wende mich an Euch, Wähler des Großherzogthums Posen und Westvreuhen», und unterbreite folgenden Vorschlag zur Dis- cussion: Wir wollen möglichst viele polnische Abgeordnete wählen, damit der Feind unser Land nicht repräseutire; wir wollen aber die Abgeordneten von der Pflicht, nach Berlin zu fahren, entbinden und die Diäten der polnischen Landtags abgeordneten, die jährlich ungefähr 30 000 ausmachen, nationalen Zwecken zuweisen. Mögen unsere Abgeordneten sich ihren Berufsgeschäften und den socialen Arbeiten daheim im Lande hingeben. Dir sociale Thätigkeit von ca. 20 verständigen Leuten wird für unsere Sache von größerem Nutzen sein, al- das zwecklose und unproductive Verweilen derselben in Berlin." Der „Dziennik PoznanSki" bekämpft diese Empfehlung der Abstinenzpolitik al« „größten Fehler", indem er u. A. ausführt: „ES scheint eine Ironie deS Schicksals zu sein, daß KarpinSkt gegen unsere Abgeordneten gerade in einem Augenblick zu Felde zieht, in welchem dieselben bei ihren, der Anzahl nach, schwachen Kräften, wahrscheinlich einen nicht unwesentlichen Triumph durch ihren letzirn Beschluß in Betreff der Marinevorlage feiern werden. Es ist dies zwar noch nicht ganz erwiesen, doch ist eS sehr wahrscheinlich, daß der FractionSbeschlug auf da« Schicksal der Marillevorlage von grundsätzlichem Mnfluß sein werde und daß, wenn von der Auslösung deS Reichstag« immer lauter gesprochen wird, die- nicht ohne Zusammenhang mit d« Stellunguahm« der polnischen Fractirn und der i» Folge dessen im Lentrum wachsen den Opposition is!. (?) Zu Caprivi'» Zeiten verstand die kleine polnische Fraktion »inen entscheidenden Ein fluß auf die wichtigsten Angelegenheiten anSzuüben." Es bedurfte nicht dieses Bekenntnisse«, um da» deutsche Volk darüber zu belehren, wie viel die — polnische Fraction an dem Grasen von Caprivi verloren hat. Die Bresche, die sein Rücktritt in den Wall der nationalpolnischen Pro paganda riß, kann der freisinnige LandtagSabgrordnete Jäckel beim besten Willen nicht au-fUUen. U Berlin, 5. März. Auf Veranlassung deS StaatS secretairs de« Innern, Grafen PosadowSky, war im Reichs gesundheitsamt eine Versammlung von hervorragenden Fach männern zusammengetreten, um über die Errichtung einer biologischen Reichsanstalt zu berathen. Nachdem sich diese Versammlung einstimmig für die Errichtung einer solchen Anstalt im Interesse der Landwirthschaft aus gesprochen hat, dürfte dem Reichstage alsbald ein Ergänzungs etat zugehen, in welchem zunächst die Mittel gefordert werden, um eine biologische Abtheilung bei dem ReichS- gesunvheitsamt zu errichten. Wie Graf PosadowSky im Plenum de« ReichStaaeS hervorgehoben hat, muß die Er richtung einer eigenen Reichsanstalt der späteren Entwickelung Vorbehalten bleiben, da sich Vie von der Landwirthschaft gewünschten Zwecke zunächst Praktischer im Anschluß an da« ReichSgesundheitSamt erreichen lassen. Ist die Organi sation dort beendet und haben sich die berufenen Kräfte in ihre Aufgaben eingearbeitet, so dürste allerdings der Frage näher zu treten sein, ob nicht in der Umgebung von Berlin eine besondere Reichsanstalt zu errichten wäre, welcher auch die nöthigen Versuchsfelder zur Verfügung stehen würben. Aufgabe der biologischen Abtheilung wird eS nicht nur sein. Feuilleton. Anten und oben. Skizze von L. Gerhard (Tilsit). «aSdnick »ertöten. Der Regierungsrath von Haller saß an seinem Schreib tisch über ein dickes Acienhrft gebeugt. Da« Licht der niedrigen Studirlampe siel hell auf seine hohe, bon spärlichen grauen Haaren umtränzie Stirn«, auf sein von unzähligen Fältchen durchfurchte» Ässicht, da» einen müden Au-druck trug. Sein« Feder glitt rasch über das Papier. Da öffnete sich ziemlich geräuschvoll die Thüre, die aus seinem Arbeitszimmer in den Salon führt«, und sein« Gemahlin trat lebhaft ein. Sie war eine noch «wohlconservirte Dame und verstand sich sehr gut zu kleiden, freilich, wie die böse W«lt sagte, ein w«nig zu jugendlich. „Lieber Erich —" begann sie. Er machte «(ne abwehrende Bewegung. „Beste Henny, ich bin da mit einer wichtigen Arbeit beschäftigt..." „Ja, das sagst Du immer, wenn ich Dich sprechen will. Aber ich habe ebenfalls ein« sehr wichtige Angelegenheit, die keinen Auf schub duldet. Du wirst Dir also schon gefallen lassen müssen, mich zu hören." Resignirt seufzend schob Herr von Haller daS Acienstück bei Seite. Er wußte, daß in solchen Fällen ein schnelles Nachgeben am praktischsten war. Die Dam« de» Hauses ließ sich in einen Polsterstuhl in der Näh« de» Schreibtische» sinken und begann schmollend: „E» ist doch eiaentlich sehr unrecht, daß Du Dich sogar im Hause nur mit Deinem Amt beschäftigst. Wir, Deine Frau und Deine Tochter, bekommen Dich fast gar nicht mehr zu sehen. Und auf mir ruht nicht nur die Last der Mrthschaft, ich muß auch an unsere gesellschaftlichen Verpflichtungen denken." Der Regierungsrath wußte nun, worin di« „wichtige An gelegenheit" bestand, die seine Gattin zu ihm geführt. Ohne ihren Vorwurf zu beachten, erwiderte er: „Ich glaub«, wir haben mit dem großen Ball, den wir Anfang März gaben, in dieser Hinsicht genug gethan." Sie lachte nervös auf. „Welche Idee! Du vergißt, daß wir inzwischen im Sommer die Bekanntschaft des Barons von Butlar und seiner Frau gemacht, und daß uns die beiden jungverheiraiheten Assessoren kürzlich ihren Besuch abgestattet haben! Der bloße Anstand erfordert es, sic einzuläden. Es soll aber nur ein kleiner Kwi» werden, kein« Massenversammlung, und außer den Ehepaaren nur einige ältere Junggesellen. Ich hab« es schon Emmy g«sagt, di« freilich gar nicht damit zufrieden war. Nun, ich habe ihr versprochen", fügte sie lächelnd hinzu, „ihr zum Tischnachbarn Walter von Eggcbrecht zu geben. Wen, meinst Du, könnten wir außerdem noch bitten?" Er rieb sich die schmalen Hände, ein sarkastisches Lächeln um spielte seine Lippen. „Solltest Du nicht längst Deine Bestim mungen darüber getroffen haben?" Sie erröthete flüchtig. „Bestimmungen? Die überlasse ich stets Dir, wie Du weißt, aber ich habe natürlich überlegt, wer am besten zu unseren Freunden paßt." „Und daS Resultat dieser angenehmen Beschäftigung ist —" „Ist hier!" Sie entnahm ihrem eleganten Notizbuch einen beschriebenen Zettel. „Also, wie bereit» gesagt: Baron von Butlar und die beiden Regierungsassefforen Henning und von Dörfel mit ihren Frauen; Deinen langweiligen Präsidenten mit seiner steifen Gemahlin können wir leider nicht auslassen, — ein pafftndes Gegenstück dazu bikdei ja auch der Landrath mit seiner quecksilbernen kleinen Frau. Dann die Räthe Hogarten und Welleriheim, die Major» von Dressel und Heidheim mit ihren besseren Hälften und unser Oberbürgermeister, für den ich nun einmal ein kuidls hab«. Schade, daß er nicht zehn Jahre jünger ist, er wäre ein reizender Mann für Emmy. Ja, — wen hab« ich denn noch auf m«in«r Liste? Di« Sanden« von Dürk heim, Rossaus von Rossalken und last, leider auch least, den Commerzienrath Schottländer mit seiner Hopfenstange von Frau." „Und das nennst Du einen kleinen Kreis?" „Es sind allerdings mit uns siebenundzwanzig Personen, aber der dritte Theil sagt mindestens ab. Mehr als achtzehn bis zwanzig kann ich gar nicht in unserm Eßzimmer placiren, und diese bilden auch gerade die richtige Zahl zu einem exquisiten kleinen Diner." „Wenn Du Dich nur nicht verrechnsst!" „Ach wo! Die Sandens sind noch in Trauer, die alberne Rossau fährt nie ohne ihre Küken aus, und daß ihr Mann dann auch zu Hause bleibt, versteht sich von selbst. Hogarten besucht keine Gesellschaften mit Damen, und die Schottländer geht ja wegen ihres Katarrhs im Winter fast niemals aus. Du siehst, ich habe m«ine Wahl sehr vorsichtig getroffen." „O ja. Du bist eine kluge Frau!" Es blieb unentschieden, ob sich Spott in die Worte des Regierungsrathes mischte. Seine Frau gab sich übrigens gar nicht die Mühe, über den Sinn der selben nachzudenken, sie war schon ganz mit dem Menu be schäftigt, das hochfein sein sollte. Gott sei gedankt, sie hatten's ja dazu, und es war Frau Hennys Stolz, daß ihre Küche in ganz B. berühmt war. „Also zuerst Schildkrötensuppe —" „Liebste Henny, jetzt möchte ich doch ein energisches Veto gegen Deine ferneren Ausführungen einlegen. Du weißt, ich bin kein Gourmet; ich erkenne neidlos Deinen vorzüglichen Geschmack an und überlasse Alles Dir und Sr. Gnaden dem Herrn Koch." „Ja, Du machst es Dir freilich leicht!" rief sie ein wenig ärgerlich. „Aber ich sehe schon. Du willst mich los werden. Sage mir nur noch, ob Du Seezungen oder Hummer vorziehst!" Da er nur mit den Achseln zuckte, lachte sie. „Es bleibt mir wohl nicht» übrig, al» Dich Deinen langweiligen Acten zu über lassen. Auf Wiedersehen!" Der Regierungsrath athmete erleichtert auf, als sich die Thüre hinter seiner Frau geschlossen. Er haßte das hohle Gesellschafts- treiben, in dem ste völlig aufging und in da» st« auch ihre einzige, ihnen nach sechsjähriger Ehe geborene Tochter hinein zog. Allmählich war er mürbe geworden und hatte sich darein gefunden, selten mit den Seinen allein zu sein. Für den Mangel eines stillen häuslichen Lebens mutzte ihn seine Arbeit entschädigen. In den nächsten Tagen ging es sehr unruhig im Haller'schen Hause zu. Die Regierungsräthin hatte lange Konferenzen mit dem Koch, dem Lohndiener, dann eilte sie in een Delikatessen geschäft, von dort zum Weinhändler, vom Weinhändler zur Schneiderin, da sie unbedingt eine neue Robe zu ihrem Diner nöthig hatte, und zuletzt zum Gärtner, — o, sie war wirklich eine geplagte Frau. Ihr Gatte wußte gar nicht, wrlch «inen Schatz er in ihr besaß! Die Einladungskarten waren abgesandt, und Frau von Haller wartete nun in fieberhafter Spannung auf die Antworten. Da, bereits am nächsten Tage, trafen drei goldumrandet« Karten ein. Baron Butlar, desgleichen die Herren von Dörfel und Henning sagten mit ihren Damen zu. Landraths, der Ober bürgermeister nahmen ebenfalls die freundliche Einladung mit Dank an, Hogarten sagte, wie erwartet, ab, — kurz, es ging Alles, wie es sollte, und man mußte es schon in den Kauf nehmen, daß der Präsident und sein« Gattin leider nichts andere» vorhatten! Am andern Morgen erhielt der Regierungsrath beim gemein samen Frühstück einen Brief. Auf dickem Velinpapier theilte Commerzienrath Schottländer mit, daß er und seine Frau, falls eS deren Gesundheitszustand -ulietze, sich am Freitag die Ehre geben würden. Frau Henny erblaßte. „Aber das ist ja unmöglich! Erich, hast Du recht gelesen? Sie kommt wirklich — trotz Katarrh und Winterkälte? Hätte ick davon eine Ahnung gehabt, so hätte ich diese Protzen doch jetzt nicht eingeladen. Sr ist ja noch nicht so schlimm, aber sie mit ihrem Aeußeren, ihrer Halbbildung, ihrer Art zu sprechen!" Sie ereiferte sich immer mehr. „Ich be greife Dich nicht, Erich, Du sitzest ganz ruhig da und lächelst noch, al» freutest Du Dich -ar, daß dies» »^«lscheuch« erscheint!"
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