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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.12.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981214024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898121402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898121402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-12
- Tag1898-12-14
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Neclame» unter dem Redactionsstrich (»go» spalten) bO>-, vor den Familiennachrichtea (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut uns«em Preis« verzeichniß. Tabellanscher uud Ziffernsatz »ach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), u»r mit d« Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderunx 60.—, mit Postbesörderuug 70.—. Attuahmeschluß für Anzeigea: Ab end-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen »Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. vei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Er-tditis» zu richten. Druck uud Verlag vo» L. Pol^ iu Leipzig 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 14. December. Der neue Reichstag ist seiner hauptsächlichen Zusammen» setzung nach ein altes Gebilde und nicht sonderlich auf Kampf gestimmt. Dieser seiner Natur entsprach auch der Verlauf des gestrigen, zweiten TageS der Etats debatte. Als wenig veränderte Neuausgabe seines Vor gängers gab sich daS Parlament schon dadurch, daß in diesen elfstündigen Verhandlungen des jüngst gewählten Hauses nur altbekannte Persönlichkeiten sich vernehmen ließen. Der nationalliberale Abgeordnete Bassermann, ein eleganter, geistvoller, gestern während seiner fast anderthalbstündigen Darlegungen aufmerksam angehörter Redner, ergriff als erster daS Wort, ohne etwa vorhandenen Sturm gelüsten nachfolgender Redner eine Angriffsfläche zu bieten. Es wäre Manches zu verzeichnen, was Herr Bassermann wider Manchermanns Vermuthung und Erwartung nicht gesagt hat; wir erwähnen nur, daß er jede Hindeutung auf das Schweigen der Thronrede über den Tod des Fürsten Bismarck vermied — wahrschein lich, um dem Wortführer der Conservativen, Grafen Lim- burg-Stirum, der später in Form eines Dankes für den dem Altreichskanzlerinder Eröffnungssitzung«^ dem Präsidenten gewidmeten Nachruf eine verschämte Kritik an der Unter lassungssünde der Thronrede übte, nicht daS Concept zu ver derben. Was Herr Bassermann sagte, wird im Großen und Ganzen die Zustimmung der nationalliberalen Partei im Reiche finden können. Ohne nach scharfen Ausdrücken zu suchen, brachte der Redner das Bedauern über das Wachs- lhum der lippischen Frage zum deutlichen Ausdruck, die übertreibende Darstellung des praktischen Werths der Orientreise des Kaisers fand unzweideutige Zurückweisung und hinsichtlich der VereinSgesctz- Angelegenheit wurde kein Zweifel daran offen gelassen, daß daS Versprechen des Reichskanzlers wegen der Verbindung der Vereine in Preußen nur durch die Reichsgesetzgebung cingelöst werden könne. Dem Minister v. d. Recke votirte Abg. Bassermann ausdrücklich das Gegentheil von Vertrauen. In der Hauptsache war seine Rede eine socialpolitische, reich an Einzelsorderungen, von denen man nicht bestreiten kann, daß sie zur Erfüllung herangereift sind oder heranreifen. Die Kennzeichnung, welche die socialpolitische Richtung der nationalliberalen Partei von der Socialdemokratie zu er fahren Pflegt, erscheint im Lichte dieser Rede, allerdings nicht zum ersten Male, als eine einzige große Lüge. Daß für die nationalliberale Partei Socialpolitik und ausschließliche Be rücksichtigung der Industriearbeiter nicht zusammensallende Begriffe sine, daß sie vielmehr auch den Classen des Mittel standes und insbesondere der Landwirthschaft Anspruch auf die werkthätige Antheilnahme des Staates zubilligt, kam zum klaren Ausdruck. Die von dem nationalliberalen Redner mit dem Stande der Dinge im Innern und mit der aus wärtigen Politik bekundete Zufriedenheit wird der Regierung nichts zu wünschen übrig gelassen haben. ES hätte natürlich deS gedämpften Tones des Abgeordneten Bassermann nicht bedurft, um zwischen seinen Ausführungen und denen des ihm folgenden socialdemokratischen Herrn v. Voll mar einen gewaltigen Eontrast entstehen zu lassen. Aber wenn man sich einen kritischer verfahrenden nationalliberalen EtatS- redner als den gestrigen wenigstens vorzustellen vermag, so ist eS gewiß, daß die Socialdemokratie einen lauteren Ver treter als Vollmar hätte vorschicken können. Trotz des Ordnungsrufes, den er verdientermaßen erhielt, muß gesagt werden, daß eS dem feinen Altbayern besser, als es die nordischen Parteigenossen jemals gekonnt, gelang, die auf gewaltsamen Umsturz gerichteten Bestrebungen der Social demokratie zu verhüllen. Daß er und die, die ihm ähneln, eben deswegen eine um so größere Gefahr für den deutschen Staat bilden, braucht nicht nochmals hervorgehoben zu werden. Dem conservativen Wortführer Grafe» Limburg-Stirum ist außer den schon erwähnten Worten über den Fürsten BiSmaiH nachzurühmen, daß er den ReichSschatzsecretair zu der Erkläe rung herausgefordert hat, der Gedanke der Finanzreform sei nicht begraben. Im Ganzen ist die Ausbeute der gestrigen Sitzung, in der noch der Pole Motty — wir ein Pole — sprach, gering. Wir haben die Mittheilung der „Berl. Reuest. Nachr."/ daß die agitatorischenInterpellationender Berliner Leitung des Bundes der Landwirthe bei den landwirthschaftS- freundlichen Parteien auf Schwierigkeiten gestoßen seien, als überaus interessant bezeichnet. Heute können wir darüber hinausgehen und einem Berliner nationalliberalcn Blatte zustimmen, daS diesen Zwischenfall den „politisch bedeut samsten des Augenblicks" nennt. Das ist er. Zu nächst kann festgestellt werden, daß jene Schwierigkeiten sich als unüberwindlich herausgestellt haben. Die ver legenen Windungen des Bundesorgans und die Ableug nung der früheren Absichten können nicht darüber Hinweg täuschen, daß jene Interpellationen die nöthigen 30 Unter schriften nicht gefunden haben. Außer den Mitgliedern der Leitung des Bundes dürften nur Antisemiten und bayerische Bauernbündler unterzeichnet haben. Es kommt voraussichtlich nur eine der drei Interpellationen zum Vor schein und diese, wie die „Berl. N. N." vorauSgesehen, in sehr veränderter Form. Daß man bei den Conservativen den Popanz des Berliner BundesdirectoriumS nicht weiter zu fürchten ernstlich entschlossen ist, beweisen neben dieser That- sache folgende Auslassungen des „Dresdner Journals". „Bisher sind Anregungen, die im Schoße des Bundes der Land» wirlhe enistanden sind, immer erst in der wirthschaftlichen Ver» einigung besprochen und, wenn sie Zustimmung fanden, mit Unter» stützung der betheiligten Fraclionen vorgelegt worden. Das neue Verfahren des Bundesvorstandes stellt nun einen Bruch mit der bisherigen Ordnung dar, es verräth Las Bestreben, die Fraktionen bei Seite zu schieben und auch im Reichstage die Führung in landwirthschastlichen Dingen in die Hand zu nehmen. Die verschiedenen hier in Frage kommenden potitischen Parteien gedenken indessen nicht, diesem Lid accompll sich anzubequemen; es wird in den Fractionen vielmehr zu ernsten Auseinander setzungen kommen, um festzustellen, daß im Reichstage die ein» zelnen Fractionsmitgtieder sich der Fractionsdisciplin zu unterwerfen haben und keinesfalls berechtigt sind, sich als „Bund der Landwirthe" zu Sond erfra ctione n zu con» stituiren. Es ist mehr als „Fractionsgeist" und „Fractions- streberei", was in dieser Sache zum Ausdruck gebracht wird, cs ist ein nothwendiger Schritt im Interesse der Landwirth- schast selbst, wenn man der Wiederholung eines solchen Vorgehens vorbeugt. Der Landwirthschaft kann heutzutage nur positive Thätigkeit frommen; es gilt heutzutage ganz besonders, alle agitatorischen Uebertreibungen zu vermeiden und in aller Ruhe und Sachlichkeit die berechtigten agrarischen For» derungen zu vertreten. Jedes unüberlegte Vorgehen liefert den Gegnern Wasser auf die Mühle, erschwert Len Landwirth- schastssreunden ihre Arbeit und stumpft in immer weiteren Kreisen das Wohlwollen für unser landwirthjchaftlichcS Gewerbe ab. In diesem Sinne haben denn auch die erwähnten drei „Bundesinterpellationen" bereits gewirkt." Diese Ausführungen verlieren durch den Umstand, daß sie sich in einem Blatte deS Königreichs Sachsen finden, gewiß nicht an Bedeutung. Die Berliner Bundesleitung hat die Probe darauf gemacht, ob das übermüthige Wort des Bundesorgans, daß sie über so und so viele conservative und natioualliberale Abgeordnete „verfüge", in Thaten um gesetzt werden könne, und die Probe ist fehlgeschlagen. Es war in der That ein unerhörtes Verfahren des Bundes vorstandes, vor Constituirung des ReichSlagS drei Inter pellationen mit der Andeutung zu veröffentlichen, daß die nicht in einem Gegensätze zum Bunde stehenden Abgeordneten sie unterstützen müßten. Nun schleift das von den Herren vr. Hahn, von Wangenheim und Genoffen umgethane Löwenfell am Boden und es bereitet sich vor, waS wir wiederholt als unsere in die neue Legislaturperiode ge setzte Hoffnung bezeichnet haben:'die Rückkehr der land- wirthschaftlichen Bewegung zur Sachlichkeit, die Emanci- pation vom Sport- und vom GeschäftSagrarierthum. Wir dürfen einer Bauernbefreiung entgegensehen, die noch dringlicher ist als die Befreiung der Arbeiter von dem Terrorismus der Socialdemokratie und glücklicher Weise leichter durchzuführen als diese. Die Landwirthschaft ist im neuen Reichstag einer Mehrheit für die Wahrung ihrer be rechtigten Interessen sicher und der Bund der Landwirthe ist eS auch, wenn er, wie das „DreSd. Journal" verlangt, sich positiver Thätigkeit widmet. Mit der Politik der Bundesleitung aber, sich als Selbstzweck zu betrachten, dürfte es zu Ende gehen. Die freisinnige Presse ist natürlich sofort bei der Hand gewesen, das Mißgeschick mit dem Interpellations-Unternehmen als ein Fiasco deS Bundes zu bejubeln. Die nicht gefragten Bundesmitglieder haben aber keinen Antheil an dem persönlichen Mißerfolge der mit Selbstüberschätzung gestraften Mitglieder der Berliner Leitung. Den Herren Hahn und v. Wangenheim könnte nichts erwünschter sein, als die Identificirung ihrer Personen mit den berechtigten landwirthschastlichen Bestrebungen durch eine gegen die Landwirthschaft freundliche oder wenigstens nicht unfreundliche Presse. Man darf sich deshalb der Erwartung hingeben, daß Preßorgane, für die die nationalliberale Partei bis zu einem gewissen Grade verantwortlich gemacht werden kann, die Vorgänge im Bunde nicht unter specifisch kom merziellen GesichtSpuncten erörtern. Von der vorgestrigen Sturmsitzung in der französischen Tcputirtcnkammcr haben, wie eS scheint, die patriotischen Slraßenpauker keine Ahnung gehabt, denn sonst würden sie zweifellos ihre Mannen vor daS Palais Bourbon dirigirt haben, und dann hätten die Faustschläge, die in der par lamentarischen Arena sielen, draußen tausendfache Nach ahmung gefunden. Zum allgemeinen Schrecken und Ent setzen wagte eS in der Kammer der Socialist Grousset, ein Kräutchen Rührmichnichtan kräftig zu zerzausen, daS Dank dem Dünger des DreyfuShandelS üppig ins Kraut geschossen ist: nämlich die scandalöse Erscheinung, daß durch halb wahre, halb erlogene Mitthcilungen einer gewissen Presse, die nur aus dem Kriegsministerium oder dem Generalstabe stammen konnten, der öffentlichen Meinung Sand in die Augen gestreut wurde, um zu verhindern, daß sie die wahre Gestalt der Angelegenheit DreysuS' erkenne, und um ihre Aufmerksamkeit von den heimischen Sündern auf das Ausland, vor Allem auf den deutschen Nachbar, abzulenken. Daß dabei der Interpellant Italien, Österreich- Ungarn, den deutschen Kaiser, den deutschen Bot schafter, ja dessen Tochter in die Erörterung zog, war, wenn er die Dinge beim rechten Namen nennen wollte, nicht seine Schuld, sondern vor Allem die Schuld ter Regierungen, die den Unfug der Presse seit Jahr und Tag geduldet und gefördert haben. Die Entrüstung dcr Herren Vertreter des Volkes und der Regierung, die solches mit anhören mußten, galt denn auch mehr dem Verstoß gegen die Form, der in Frankreich nie verziehen wird, und der Verletzung deS Scheins, unter dem und von dem daS ganze republikanische Regiment lebt, als der Sache selbst, die wirklich der Entrüstung werth ist. Wenn so etwas im Parlament gesagt werde, hörte man von allen Seiten rufen, so sei eS überhaupt unmöglich, weiterhin eine auswärtige Politik zu führen. Weshalb soll denn, fragt die „Köln. Ztg." mit Recht, Derartiges nicht in der dazu berufenen Volks vertretung erörtert werden, wenn es den Kern der Sacke trifft und daS einzige Mittel ist, um die Betrüger deS Volkes an den Pranger zu stellen? Der deutsche Kaiser wird wegen der Rede des Socialisten Grouffet Frankreich nicht mit Krieg überziehen; er, der dem widerlichen Treiben eines Theiles der französischen Presse gegenüber stets die gebührende Nicht achtung und Verachtung bewahrt hat, würde eS vielmehr sicherlich als ein Zeichen der Loyalität und AnslandSpflicht begrüßen, wenn die französische Volksvertretung die Mittel fände, jenen vergifteten und vergiftenden Preßbrunnen zuzu schütten, und ein Mann, der sich wie er daran gewöhnt hat, tagtäglich im Munde der Leute zu sein, wird weder vor Zorn noch vor Scham erröthen, wenn sein Name auch einmal iu der Teputirtenkammer der Republik genannt wird. In der kretischen Frage, auf deren „Regelung" man sich in italienischen Regierungskreisen so viel zu gute thut, war Deutschlands Stellung nach wie vor eine absolut zurück haltende. So findet sich in den am Sonnabend in London veröffentlichten kretischen Blaubüchern folgende Depesche des britischen Botschafters in Berlin, Sir F. Lascelle-, vom 16. März: „Ich habe gerade eine Audienz beim Kaiser gehabt. Er theNtc mir mit, daß er sich ganz von dec kretischen Angelegen heit zurückgezogen habe. Die anderen Mächte möchten die Sache ordnen. In Erwiderung auf meine Frage, ob Se. Majestät damit aussprechen wolle, daß er sich vom europäischen Concert in der Kreta-Frage loSsagen wolle, antwortete der Kaiser bejahend. Seine Majestät wiederholte, was er mir schon früher gesagt hatte, daß Deutschland keine Interessen im Mittelmeer besitze, daß er noch immer glaube, daß seine Vorschläge die besten wären, obgleich sie nicht angenommen worden wären, und es nicht mit der Würde Deutschlands vereinbar sei, an Discussionen theilzunehmen, welche kein Resultat für Kreta hätten. Vielleicht würde der Umstand, daß er sich zurückzöge, eS den anderen Mächten leichter machen, zu einem Abkommen zu ge langen. Ich fragte, ob Sein« Majestät noch der Candidatur deS Prinzen Georg oppouiren werde. Se. Majestät erwiderte, daß er jedem getroffenen Abkommen weder oppouiren, noch bei stimmen werde. Jedenfalls werde er sich nicht einmijchen." Diese Behandlung der Kretaangelegenheit, welche ein Stück des großen Orientproblems darstellt, ist die allein ver nünftige und von uns wiederholt mit Nachdruck vertreten worden. „Viele Köche verderben den Brei" sagte StaatS- secretair v. Bülow am Montag im Reichstag. Demnach FeitiHeton» Die Lettelmaid. 2Sj Roman von Fitzgerald Molloy. Nachdruck verboten. „Ich danke der Vorsehung, die gerade m i ch dazu ausersehen, diese Mission zu erfüllen", entgegnete di« Amerikanerin feierlich. Ein Summen und Murmeln wie in einem Bienenkorb war in dem großen Saal vernehmbar. Nach der athemlosen Stille, die während der Vorträge geherrscht, empfand Jedermann das Be- diirfniß, seinem Nachbar eine Bemerkung zuzuflüstern, die fein parfümirten Programme raschelten in den Händen der Besitzer, und in dieser allgemeinen Bewegung nahm sich der in sanften Schlaf eingelullte Marquis von Mountebank höchst komisch aus, sein Mund war leicht geöffnet, die weiße Perrücke etwas ver schoben, und zwischen dem erhobenen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand schimmerte goldgelber Schnupftabak. Mrs. Lordson fand, daß trotzdem jeder Zoll ein Marquis sei, der, ob wachend oder schlafend, Respect einflöße. Plötzlich trat wieder Todtenftille ein, als ob ein Engel durchs Zimmer flöge. Dcr Prinz bestieg das Podium, verneigte sich höflich, setzte den Bogen an und spielte etwa fünf Minuten; nicht endenwollender Beifall belohnte ihn. Den Schlußeffect des Programms bildete ein Lied, welches die Hausfrau singen sollte. Es war jene Composition Padre Pallamari'S, zu deren Drucklegung Lord Harrick seiner Zeit Capri fünf Pfund eingehändigt. Diese hatte ihren väterlichen Freund schriftlich gebeten, die Begleitung zu übernehmen, doch hatte er hartnäckig abgelehnt. Sie sang die kleine pathetische Ballade: „Wenn wir uns niemals gesehen hätten, Geliebte", mit einer Leidenschaft und Wärme, deren sie sich gar nicht bewußt wurde. Si« vergaß den vornehmen Zuhörerkreis, und als sie geettdet, schimmerten in ihren leuchtenden Augen Thränen. Das Fest war ein „Erfolg" und machte noch lange von sich reden. Die hohen Herrschaften verabschiedeten sich voll Be geisterung, der Prinz machte den Anfang, die anderen Gäste folgten. Die Herzogin von Dewshire beglückwünschte Capri und küßte sie beim Abschied gerührt auf beide Wangen. Indessen be gleitete der Marquis von Mountebank die verzückte Mrs. Lordson zu ihrem Brougham und stotterte irgend ein närrisches Compli- ment, an das sie noch lange mit Vergnügen dacht«. Nun war Alle» vorüber, Capri befand sich allein in ihrem hellerleuchteten Empfangszimmer und lauschte auf das Davon rollen des letzten Wagens, als Guy Rutherford geräuschlos eintrat. „Ich wollte Ihnen noch „Gute Nacht" sagen und Ihnen für das Lied danken", sagte er, ihr die Hand reichend. Dann fügte er in ganz verändertem Tone hinzu: „Wenn wir uns niemals gesehen hätten, Geliebte!" „Gute Nacht!" flüsterte sie, ihre Hand zitterte in der seinigen, und sie vermied es ängstlich, ihn anzusehen. Sechsundzwanzig st es Capitel. An einem heißen Augusttage lag Capri auf der Ottomane ihres eleganten Boudoirs; die Marquisen waren herabgelassen, eine wohlige Dämmerung herrschte in dem von Blumcnduft er füllten Gemach. Das schöne Weib stützte ihr Haupt auf die linke Hand, in der rechten hielt sie ein geöffnetes Buch, in welchem sie jedoch nicht las, denn ihre Augen starrten in die Ferne. Eine große Niedergeschlagenheit hatte sich ihrer bemächtigt und erfüllt« sie mit Bitterkeit. Der einst so fröhlichen, lebenslustigen Capri erschien das Leben als eine freud- und farblose Wüste. Die Aufregung und der Wunsch nach Erfolg, die sie während ihrer Feste aufrecht erhielten, machten, so oft sie allein war, einer großen Abspannung Platz. Sie verabscheute sich und die Welt. Etwas, das sie in ihren Tagen des Elends besessen, war ihr ab handen gekommen, sie fühlte sich trotz Reichthum und hoher Stel lung höchst unglücklich. Sie hatte das Spiel, in das sie sich ge stürzt, fast ohne Kampf gewonnen, die Dinge, nach denen sie sich gesehnt, erreicht; aber etwas, das ihr theurer war als das Ge wonnene, theurer als Alles in der Welt, stand außer ihrem Be reich. Sie hatte sich selbst verloren, und oft schien es ihr, als ob nur ihr Körper lebe und handle, während ihre Seele gestorben sei. Gestorben? Nein; sie lebte, aber sie gehörte nicht mehr ihr, son dern einem Anderen, dem sie nicht angehören durfte! Wenn sie nur dem Gatten, der sie über Alles liebte und dem sie so Vieles ver dankt«, der sie aus Elend und Armuth in die goldenen Regionen des Reichthums erhoben, ihre Zuneigung hätte schenken können, sie wäre glücklich und zufrieden geworden. Aber das Schicksal hatte es anders gewollt! Lord Harrick stand ihrem Herzen fremd gegenüber, trotzdem sie schon seit einem Jahre sein angetrautes Weib hieß. Eine ungeheure Kluft trennte sie, die Keiner von ihnen zu übersteigen vermochte. Sie fragte sich, ob sie an der Seite Lord Harrick's glücklich oder wenigstens zufrieden hätte leben können, wenn Guy Rutherford ihren Lebensweg niemals gekreuzt hätte! „Wenn wir uns niemals gesehen hätten, Ge liebte!" lispelte sie vor sich hin. Ja, wenn sie sich niemals gesehen hätten, wäre wohl Manches anders geworden. Jetzt lebte sie nur mehr für den Geliebten; die Berührung seiner Hand machte sie erbeben, der Ton seiner Stimme erfüllte sic mit Entzücken, ein Blick aus seinen Augen versetzte sie in den Himmel, seine Gegenwart beglückte und beruhigte sie. Woher die seltsame Macht, die er auf sie ausübte? Sie besaß nicht die Kraft, sie abzuschütteln; er bezauberte sie. War er nicht da, so erfaßte sie ein namenloses Sehnen nach ihm, stand er plötzlich vor ihr, bemächtigte sich ein fieberhaftes Entzücken ihrer. Sie fragte sich vergebens, wie das enden sollte, und ob sie jemals im Stande sein werde, ihre Leidenschaft zu bekämpfen, um dem Manne, dem sie vor Gottes Altar Liebe, Treue und Gehorsam geschworen, ein ergebenes Weib zu werden? Es gab Zeiten, wo sie sich haßte und verachtete. Das Be wußtsein, daß sie sich verkauft, erfüllte sie mit Ekel vor sich selbst. Sie betrachtete sich als eine Sclavin, die in goldenen Fesseln schmachtete; und das Dcmüthigendste dabei war, daß sie frei willig ihren Nacken in di« Schlinge gesteckt, die nur der Tod lösen konnte. Ihr H«rz bäumte sich auf gegen die Leibeigen schaft, der sie sich aus freiem Willen unterjocht. Der von ihrer Mutter ererbte Hang nach ungebundener Freiheit regte sich mächtig in ihr; sie fühlte sich versucht, die ihr vom Schicksal auf gedrungene Knechtschaft abzuschütteln; aber würde diese auf reibende Unruhe, die ihr Blut erregte, dann weichen, ihr rebellisches Herz zur Ruhe kommen? Nein, nein, nur wenn sie dem Manne, zu dem ihr ganzes Sein hinstrebte, angehören durfte, konnte sie auf Erlösung hoffen. Erlösung? Diese vermochte ihr nur der Tod zu bringen. Seit diese wahnsinnige Leidenschaft ihre Brust durchtobte, erschien ihr daS Dasein unerträglich. Wenn sie Guy nur niemals begegnet wäre! Während der ganzen „Saison" war kaum ein Tag vergangen, an dem Capri ihn nicht gesehen hätte. Er speiste oft bei ihnen, begleitete sie ins Theater, auf ihren Spaziergängen und Ritten, und täglich wurde er ihr theurer und gefährlicher. Niemals entschlüpfte ihm ein Wort, das nicht di« ganze Welt hätte hören können. Sie gaben sich ihrer Freundschaft und dem seelischen Jneinanderaufgehen, deren sie sich zuerst in Rom bewußt worden waren, so sorglos hin, als ob jene Scene im Wagen auf dem Heimwege von dem Masken ball der Prinzessin Alantino niemals ihre Ruhe gestört hätte. Capri wollte blind sein und war eS. Hätte Guy Rutherford ihr wie damals im Wagen noch einmal seine Liebe gestanden, so wäre sie wahrscheinlich wieder aus ihrem Rausch erwacht; aber bei ihm bedurfte es keiner Worte, um seine Gefühle aus zudrücken. Wenn er über die gleichgiltigsten Dinge plauderte, wußte er eine solche Innigkeit in seine Stimme zu legen, daß sie ihm stundenlang hätte lauschen mögen. Sie fragte sich oft, ob er wohl ahne, welche Macht er über sie befaß und wie sehr sie nach seiner Liebe schmachte? O, wenn sic nur frei wäre, um ihm den ganzen Schatz der ihrigen zu Füßen legen und dem Zuge ihres Herzens folgen zu können! Während sie bleich und wie leblos auf ihrer Ottomane lag, kreuzten all' diese Gedanken ihr Hirn. Sie ahnte gar nicht, daß die Welt, der sie entrückt war, sich im goldenen Sonnen schein dieses herrlichen Sommertages badete, sie gedachte nur ihres eigenen verfehlten Lebens und der Schatten, die eS ver düsterten. Plötzlich erweckte sie ein leises Pochen an der Thür aus ihren Träumereien; sie wußte, daß dies keiner der Diener sein könne und sprang, an allen Gliedern zitternd, auf die Füße. Ihr Herz blieb einen Augenblick stillstehen; mit einer übermenschlichen An- strengung suchte sic sich zu beruhigen und nahm wieder Platz. Jetzt klopfte es noch einmal. Sollte sie Einlaß gewähren? Was bedeutete dieses seltsame, wilde Bangen, das ihr Herz erzittern machte und ihr das Blut in die Wangen trieb? „Herein!" rief sie mit heiserer Stimme, die ihr selbst fremd dünkte. Die Thür ging auf, sie hörte einen leichten, ihr so lieb ge wordenen Tritt auf dem Teppich, aber sie drehte ihren Kopf nicht um. „Sie werden verzeihen, daß ich so früh bei Ihnen vorspreche", begann Guy in dem gleichgiltigsten Tone der Welt. Seine Kälte gab ihr Kraft, seine Nähe beruhigte sie, und doch vermochte sie nicht gleich zu antworten, sondern deutete stumm auf den nächsten Stuhl. „Mein Besuch galt eigcntlick Lord Harrick", fuhr er in dem selben Tone fort, „aber man sagte mir, daß er auSgegangen sei, und ich wollte nicht fortgehen, ohne wenigstens Ihnen einen guten Morgen gewünscht zu haben." „Mein Gatte ist des Morgens immer in seinem Club", sagte sic jetzt ganz gefaßt und reichte dem Besucher die Hand. „Wirklich?" rief dieser, als ob er nicht wüßte, daß dies die Gewohnheit seines Freundes war. „Habe ich Sie in Ihrer Lectüre gestört?" fragte er, indem er in ihrer Nähe Platz nahm. .„Nein, ich habe nicht gelesen." Sie erhob sich, zog die Marquise in die Höhe und das volle Sonnenlicht strömte ins Gemach. Dann setzte sie sich wieder; Keiner sprach ein Wort, Keiner wagte es, sich zu bewegen. End. lich brach er das Schweigen:
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