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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.01.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-01-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990121013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899012101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899012101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-01
- Tag1899-01-21
- Monat1899-01
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Di* Morgen-Au-gabe erscheint um Uhr, -t» Nbend-Au-gabe Wochentag- um b Uhr. Ne-artto« und Trve-itiou: Jshaaneszafie 8. Di» Expedition ist Wochentag- »«unterbrach«» geöffnet von früh 8 bi- Abend» 7 Uhr. FilialrL: ivtt» klemm'» Eorttm. (Alfred Hahn), VniversitLtSsrrahr S (Paulinnss-), L«lli» Lösche, kitlharkenstr. 14, vart. und Kö^g-platz D VezngS'Prei? I» d« chauptexpedition oder den i« Gtabt- bmtrk und den Bororten errichtete» All»- «bestellen ab geholt: vierteljährlich ^>4.b0, vei jweimaliaer täglicher Zustellung in» HanS KLO. Durch die Post bezogen für Deutschlaud »nd Oesterreich: vierteljährlich ^l S.—. Direkte tägliche Kreuzbandsrnduag In» Au»land: monatlich ^l> 7.ÜO. Morgen-Ausgabe. MMrIllMait Anzeiger. Amksvlatk des Königlichen Land- im- Ämtsgenchles Leipzig, -es Rathes nnd Nolizei-Ämtes -er LLa-t Leipzig. AnzeigettPrelS Vie L gespaltene Petitzeile SO Hs-» dirclamen unter dem Redaction-skrich (4 g* svalten) üO^, vor den Familiennachrichrr» (6 gespalten) 40/^. 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Die klerikale Presse hat sich beeilt, die Mittheilung des Münchener Blattes zu dementiren, und sie hat es theilweise in scharfer und zugleich gegen den Bund der Landwirthe unfreund licher Form gethan. Sie erklärt, daß sich das Centrum nicht uur von dem Bunde der Landwirthe fernhalten wolle, sondern sogar von der im Reichstage gebildeten wirthschaftlichen Ver einigung, obgleich diese Vereinigung wohl eine agrarische Tendenz hat, aber doch nicht strikt auf das Programm des Bundes der Landwirthe festgelegt ist. Das Centrum will aber offenbar selbst den Anschein vermeiden, als ob es zu dem Bunde und seinen Bestrebungen nähere Fühlung nehmen möchte. Des halb schreibt die „Köln. Volksztg." zu der Meldung, daß sich das Centrum über den Beitritt zur wirthschaftlichen Vereinigung noch nicht schlüssig gemacht, ziemlich unwirsch: „Das Centrum hat in seiner Mitte selbst eine wirthschaftliche Vereinigung ge bildet und gar kein Bedürfnis, sich der vom Bunde der Landwirthe geführten wirthschaftlichen Vereinigung anzuschließen. Es braucht sich darum garnicht erst hierüber schlüssig zu machen. In früheren Sessionen hat es sich der Vereinigung ja auch schon ferngehalten, und wenn etwa die „Deutsche Tagesztg." glaubt, oer Bund der Landwirthe habe jetzt einen größeren Einfluß im Centrum, so irrt sie eben." Man wird die Behauptung des klerikalen Blattes, daß der Einfluß des Bundes auf das Centrum sich nicht gesteigert habe, als richtig zugeben müssen. Das Centrum ist hinsichtlich der Stellung seiner Mitglieder zu den agrarischen Fragen kaum wesentlich anders zusammengesetzt, als nach den Wahlen von 1893. Als im März 1894 ein Theil des Centrums dem russischen Handelsverträge zum Siege verholfen hatte, erschien wohl eine Spaltung innerhalb der Centrumsfraction nicht aus geschlossen und insbesondere bemühten sich die katholischen Agrarier am Niederrhein, eine solche Spaltung herbeizuführen; aber diese Bemühungen stellten sich als vergeblich heraus. Wie fest auch am Niederrhein das Centrum im Sattel sitzt, zeigte sich daran, daß bei den Wahlen von 1898 der Versuch agrarisch- tatholischer Gegencandidaturen gegen die officiellen Centrums candidaturen kläglich scheiterte. Wenn die Abstimmung Uber die Handelsverträge sich heute wiederholte, so würde das Verhältniß zwischen den Centrumsmitgliedern, die für eine Handelsvertrags politik sind, und den Gegnern derselben ein Aehnliches sein wie 1894. Für das Ansehen der Centrumspartei nach außen ist es ja sicher nicht förderlich, daß die Partei bei derartigen wichtigen Fragen vollständig auseinanderfällt und sich neutralisirt. Der Wählerschaft gegenüber aber ist dieser Zustand garnicht so un günstig. Den agrarischen Wählern, die über die Annahme von Handelsverträgen unzufrieden sind, kann man entgegenhalten, daß ein erheblicher Theil der Partei sich auf ihren Standpunct gestellt habe, die industriellen Wähler kann man darauf Hinweisen, daß die sie vertretenden Abgeordneten nicht gegen ihre Interessen ge stimmt hätten. Denn die Centrumsabgeordneten sind klug genug, in derartigen Fragen nicht so sehr nach ihren eigenen Anschauungen, als nach den Auffassungen der Mehrheit ihres Wahlbezirkes zu stimmen. Deshalb treten in der Regel die Abgeordneten, die vorwiegend ländliche Bezirke vertreten, wie z. B. die meisten bayerischen Centrumsabgeordneten, für die agrarischen Bestrebungen, die industriellen Abgeordneten für Handelsvertragspolitii ein. So hat das Centrum allerdings gar kein materielles Interesse daran, sich einer allgemeinen wirthschaftlichen Vereinigung im Reichstage anzuschließen. Wie z. B. die großen Schiffsrhedereien die Versicherungsprämien sparen, indem sie sich in sich selbst versichern, so spart sich das Centrum die Mühe, mit anderen Parteien in wirthschaftlichen Fragen Fühlung zu nehmen, indem es als große Partei in sich selbst eine wirthschaftliche Ver einigung bildet. Es hat dabei den Vortheil, daß die gegen sätzlichen Auffassungen sich zum größten Theile im Schooße der Partei selbst austragen, ohne daß neugierige Nachbarn einen näheren Einblick in die häuslichen Verhältnisse der Partei zu ge winnen brauchen. Nur in Ausnahmefällen wird sich auch der Gegensatz nach außen hin zum Ausdruck bringen, wie beispiels weise bei dem lebhaften Streite zwischen den Abgeordneten Lieber und Schädler in den Handelsvertragsdebatten. Derartige gelegentliche Explosionen aber gefährden die Einig keit der Partei nicht. Das Centrum hat sich nun einmal damit abgefunden, daß innerhalb der Partei die verschiedensten Auf fassungen über wirthschaftliche Fragen herrschen, und nachdem erst einmal die ersten Stürme glücklich überstanden sind, werden künftige Gegensätze in agrarischen Fragen den berühmten „Thurm" sicherlich nicht erschüttern. Auch dann steht die Einig keit des Centrums nicht in Frage, wenn es, wie verlautet, für die Abbröckelung des Jesuitengesetzes zur Bewilligung der für den Bau des Mittellandkanals vom preußischen Ab geordnetenhause geforderten Mittel sich entschließt. Die dieser Bewilligung nicht günstig gestimmten agrarischen Mitglieder der Partei lassen sich durch die Abbröckelung des Jesuitengesehes leicht beschwichtigen. Um so ungereimter aber ist das konservative Eintreten für diese Abbröckelung, denn es hat die Bewilligung des Mittellandkanals zur Folge und stellt sich als ein gegen den Bund der Landwirthe geführter Schlag dar, den dieser schwerlich jemals verzeihen wird. Deutsches Reich. K. Berlin, 20. Januar. (Die Nationalliberalen nnd die lippische Frage.) Die „Freisinnige Ztg." hatte e« gerügt, daß in der ReichStagSdebatte über die lipprsche Streitfrage die Nationalliberalen sich „ausgeschwiegen" hatten. Darauf antwortet die „Nat.-Lib. Corr.": „Die nationalliberale Fraktion des Reichstags hat durchaus keinen Anlaß, einer sachgemäßen Erörterung der Streitfrage sich zu entziehen, zumal, nenn dadurch die Erledigung der Streitfrage im Sinne des ReichsgedaukenS gefördert würde. Ob dies aber von dem Plaidoyer des Abg. Lenzmann gesagt werden kann, ist ebenso zu bezweifeln, wie, ob es rein sachliche Beweggründe waren, diese Frage ex abrupto bei der Etatsdebatte zu behandeln, wo doch rin von freisinniger Seite eingebrachter Antrag den Anschein erweckte, als ob auch von dieser Seite eine sachgemäße und besondere Dis kussion über den Gegenstand beabsichtigt sei. So blieb der Eindruck vorherrschend, daß es galt, im Falle Lippe nebenher die alte Mühle wieder einmal in Betrieb zu setzen, die seit fast dreißig Jahren im Reiche klappert und nie Mehl gegeben hat. Darum dem Commando freisinniger Politiker „vor die Front" zu folgen, kann auf national liberaler Seite keine Verpflichtung anerkannt werden." Die im Vorstehenden gegebene Charakteristik der frei sinnigen Unternehmung ist vollständig zutreffend. Aber Par lamentsverhandlungen sind nicht wie ein Vorlesungs-CytluS, bei dem alles am angesetzten Tage vorgenommen wird. So lange eS Parlamente gicbt, wird vielmehr jede Partei bin und wieder vor der Nothwendigkeit stehen, sich ihr Verhalten vom Gegner vorzeichnen zu lassen. Wenn es sich bei der Erörterung der lippischen Frage nm die Partei des Herrn Lenzmann gehandelt haben würde, so hätte die „Nationallib. Corresp." Recht. Da aber die Sach; Erwähnung gesunden hatte, war eS die Aufgabe, der Regierung über die Auffassung des Landes von der Behandlung der lippischen Angelegenheit reinen Wein einzuschänkcn, und gerade weil die Freisinnige Volksartei die „Förderung des Reichsgedankens" sicher nicht im Auge hatte, wäre es erwünscht gewesen, wenn Fürst Hohenlohe und GrafPosadowSky zu hören bekommen halten, daß man nicht gleicbgillig oder feindlich dem ReichSgedanken aeacnüberstehen müsse, um den BundeSrathSbeschluß wie die Berliner Behandlung de» Handel- überhaupt ebenso zu be- urtheilcn wie die Radikalen. Dies umsomehr, als die Regie rung selbst durch ein — noch dazu vorbereitetes — Eingehen auf die Auslassung des Herrn Lenzmann die Debatte — wenigstens in der Form — über ein bloßes oppositionelles Manöver hinansgehoben hatte. Berlin, 20. Januar. (Das Goethe-Denkmal in Straßburg und vaS Reich.) Es ist ein sehr glücklicher, der allgemeinen Zustimmung würdiger Gedanke des Prinzen Sckoenaich-Carolath gewesen, den Reichskanzler um die Vorlegung eines Nachtragsetats zu ersuchen, in dem 50 000 als Beitrag des Reiche» für da» geplante Straß burger Goethe-Denkmal gewährt werden. Die verbündeten Regierungen und der Reichstag erfüllen eine nationale Auf gäbe, wenn sie gemäß dem Anträge des Prinzen Schoenaicb- Carolatb beschließen, denn ein Goethe-Denkmal in Straßburg ist ein Monument von nationaler Bedeutung; «S erinnert in sinnfälligster Form an die Thatsache, daß noch vor wenig mehr als 100 Jahren Straßburg eine kerndeutsche Universität, daS Elsaß eia kerndeutsche» Land war. Gerade in Straßburg und im Elsaß hat Goethe jene Antriebe empfangen, die ibn für da» Deutschthum schwärmen ließen. Wie er mit Herder auf dieSuche ging und „aus denKehlrn de» ältesten Mütterchens" elsässische Volkslieder aufschrieb, so fand er in dem deutschen Mädchen mit dem französischen Namen, in Friderike Brion, die Unschuld, die, mit Scherer zu sprechen, seine Muse bis dahin im Paradiese, bei den Schäfern, in den Bürgerhäusern vergebens gesucht hatte: Wirklichkeit, Dichtung und Liebe schufen verkörperte- Ideal, und so lernte Goethe der Wirklichkeit eine poetische Gestalt geben, er machte die ersten Studien zu Gretchen, zu Klärchen, zum Wertber, zu Hermann und Dorothea. Gegen die französischen Tragiker aber hat sich Goethe damals, von leidenschaft lich patriotischer Gesinnung erfüllt, nicht minder bilder stürmerisch erwiesen als der ungestüme Lenz in den An merkungen über das Theater. Es ist nnS aus jener Zeit eine Rede erhalten geblieben, die Goethe zum Shakespeare- Tage des JahreS 177l (l4. Oktober) gehalten hat. Darin sagte er: Als er durch die Bekanntschaft mit Shakespeare inne geworden, „wie viel Unrecht ihm die Herren der Regel in ihrem Loch angethan hatten, wie viele freie Seelen noch darin sich krümmten, so wäre ihm sein Herz geborsten, wenn er ihnen nicht Fehde angekündigt hätte und nicht täglich suchte, ihre Thürme zusammenzuschlagen." Alle französischen Trauerspiele waren ihm „Parodien von sich selbst. Wie das so regelmäßig zugeht, daß sie einander ähnlich sind wie Schuhe und anch lang weilig mitunter, besonders im vierten Act." — Nur da unter dem nationalen GesichtSpunct Wichtigste aus Goethe - Straßburger Epoche haben wir im Vorstehenden gestreift. Wie die Fraktion der Elsässer im Reichstage zu dem Anträge deS Prinzen Schoenaich-Carolath sich stellen wird, ist wegen der nationalen Bedentung de» Straßburger Goethe-Denkmal» keine belanglose Frage. Berlin, 20. Januar. (Polnische Gewaltacte gegen eine deutsche katholische Kirchengemeinde.) Mit den CentrumSfractionen im Reichstag und Landtag wetteifern die führenden klerikalen Zeitungen in dem Be streben, durch Dienstbarkeit gegenüber dem PoloniSmuS d,e Polen in der Gefolgschaft der Centrumspartei zu erhalten. Unter solchen Umständen ist die Aufklärung über die Polengefahr dem in der Ostmark lebenden, nicht ver blendeten deutschen Katholiken eine ebenso schwierige wie nothwendige Aufgabe. Den richtigen Weg, den Katho FeiriHotoir. Die Tagalen. Von Karl Theodor Macher k, Nachdruck »crLrten. Der Muth, mit dem die Tagalen, der führende Stamm unter den Eingeborenen der Philippinen, selbst einem Conflicte mit oer mächtigen Republik des Westens ins Auge sehen, um ihrem schönen Vaterlande die Freiheit zu sichern, kann nicht verfehlen, Sympathien für sie zu erwecken. Allerdings bilden unter den Tagalen selbst wieder die Mischlinge das treibende Element. Bon diesen sind die chinesischen Mischlinge sehr zahlreich (man zählte bereits 1867 über 200000), und es scheint die Vermischung des chinesischen und des tagalischen Blutes ein sehr glückliches Resultat zu geben. Denn die chinesischen Mestizen pflegen lörperlich rührig zu sein, die Indolenz der tagalischen Rasse zu überwinden und einen höheren Jntellect mit einer feineren Genußfähigkeit zu vereinigen. Sie wenden sich hauptsächlich den kaufmännischen Berufen zu, und als ein Beweis ihrer Rührigkeit darf hervorgehoben werden, daß das größte Bankhaus in Manila, die Firma Tuason, schon seit Generationen im Besitze solcher Mischlinge ist. Was die Kinder von Weißen und Tagalinnen ungeht, so übertrifft ihre Zahl bei Weitem die im officiellen Census angegebene. Daß viele als „Indios" classificirte Ein geborene dieser Class« angehörrn, ist schon daraus zu schließen, daß, wie bereits Jagor bemerkt hat, in den Gegenden, wo Spanier häufig sind, die Eingeborenen im Allgemeinen eine hellere Gesichtsfarbe zeigen. Ist doch die Tagalin gewöhnlich stolz darauf, die Geliebte eines Weißen zu sein und schämt sich oer auS einer solchen Verbindung entstammenden Kinder keines wegs. Die spanischen Mestizen pflegen als kleine Grundbesitzer zu leben oder die Beamtenlaufbahn einzuschlagen. Aus einer dieser beiden zahlreichen Mifchrassen stammt die Mehrzahl der Tagalenanführer, die heute die Freiheit der Philippinen als Losung ausgeben; ohne die Mischung mit anderen Rassen hätten die Tagalen sich zweifelsohne nie zur Initiativ« aufzuraffen ver mocht. Jndeß kann man ihnen Begabung und Entwickelungsfähigkeit keineswegs absprechen. Sie sind mit Recht als die hauptsächlichen Träger der Civilisation im ganzen Archipel bezeichnet worden, und von einer natürlichen Kraft der Rasse zeugt der Umstand, daß sie auf Kosten der anderen eingeborenen Stämme der Philippinen unausgesetzt vordringt. Ihre eigentliche Heimath ist Central-Luzon, aber auch außerhalb diese» Gebiete- sind erhebliche Theil« dieser Insel, sowie andere Eilande der Philippinen, die ursprünglich von anderen malaiischen Stämmen bewohnt waren, völlig „tagalistrt" worden, und Tagalen findet man überall in den Philippinen, von Luzon bi» Mindanao, an sässig- Ihr Bildungszustand hat sich wesentlich gebessert, seitdem die Geistlichkeit, die die Vermittlerrolle zwischen den spanischen Behörden und den Eingeborenen sehr ungern preisgab, ihren Widerstand dagegen hat fallen lassen, daß die Tagalen Spanisch lernten. Heute findet man zahlreiche Tagalen al» Schreiber in den Negierungsbureaus, und Bastian sand z. B. in der Provinz Laguna, daß verhältnißmäßig sehr viele Tagalen des Lesens und Schreibens mächtig waren. Der höchste Ehrgeiz tagalischer Eltern ist es, ihren Sohn als Geistlichen zu sehen, und so findet man unter den Pfarrern neben vielen Mestizen auch zahlreiche Tagalen. Aber sie genießen einen schlechten Ruf; es wird berichtet, daß sie nicht anders leben, als die italienisck)«n und deutschen Kleriker vor dem machtvollen Eingreifen Gregor's VII. und daß in tagalischen Pfarrhäusern der Ruf „Papa" keineswegs selten oder auch nur heimlich ertöne. Denn in der Seele des Tagalen wohnen zwei Feinde, die gefährlicher sind, als der Spanier und der Amerikaner. Das sind seine Neigung zur Indolenz und seine Sinnlichkeit. Als die Spanier das Land eroberten, fanden sie die Tagalen in kleinen zersplitterten Ansiedelungen; sie mochten sich nicht zusammen schließen, weil ein isolirtes Hinoegetiren ihr Ideal bildete. Dem vereinten Wirken der Behörden und der Geistlichkeit, die den einheimischen sog. Adel geschickt ihn ihr Interesse zu zielen ver standen, gelang es, die Eingeborenen in größeren Pueblos oder Barrios zu sammeln; aber noch heute entfliehen zahlreiche Tagalen aus ihren Dörfern in die undurchdringliche Bergwildniß, wo ihnen die spanisch« Polizei nichts mehr anhaben kann. Der Naturmensch ist eben in dieser Raffe noch heute stark und durch bricht gar oft den dünnen Firniß, den die Cultur über die elementaren Neigungen gelegt hat. Auch körperlich verleugnen die Tagalen den freien Wald- und Naturmenschen noch keines wegs. Die enorme Beweglichkeit ihrer Zehen, die sie ihre Füße gleich den Händen gebrauchen läßt, erinnert noch an die Zeiten, da sie sich vor Gefahren behende kletternd auf die Bäume ihres Urwaldes flüchteten; und ihr außerordentlich entwickelter Geruchs sinn ist ebenfalls ein Erbe ihrer Urzeit; erzählt man doch, daß tagalische Diener aus einem Dutzend frischgewaschener Hemden das Eigenthum ihres Herrn sofort herausriechen, und tagalische Liebende tauschen Kleidungsstücke aus, um sich an dem „Dufte" zu erfreuen. Kein Wunder, daß diese dem Naturzustande noch so nahe stehenden Menschen ihre Sinne nicht beherrschen lernten. Wie in ihrer alten Heidenreligion die Keuschheit nicht geschätzt war, so legen auch heute, wo doch das Christenthum schon Jahr hunderte lang bei ihnen durchgedrungen ist, weder Männer noch Frauen darauf Werth. Selbst ein Ehebruch wird sehr leicht genommen; dem Verführer geschieht gar nichts, die Frau kommt mit einer tüchtigen Tracht Prügel davon. Durch das Klima und die altüberkommencn Einrichtungen wird die Unsittlichkeit gleicherweise gefördert, und es spotten daher vielfach die Zustände jeder Beschreibung. Von den den Tagalen nächstverwandten philippinischen Stämmen finden wir bei den Visayern dieselbe Lasterhaftigkeit, während die Jgorrotos vielmehr ihre Mädchen aufs Strengste hüten und sie von den jungen Männern trennen. Harmloser sind einige andere Leidenschaften, die den Tagalen durchweg eigrnthümlich sind. Neben dem Kauen des Bethels (Buya), den der Tagale passionirt liebt und in den Kramläden der Bethelmädchen oder Buyeras ersteht, ist da vor Allem die Leidenschaft für die Hahnenkämpfe zu nennen, die ober an scheinend nicht den Spaniern in die Schuh« geschoben werden darf, sondern als autochthon anzusehen ist. Sein Hahn ist dem Tagalen da» Höchste; ihm widmet er mehr Sorgfalt al» seinen Kindern; er ist das Erste und das Letzte, was er am Tage besorgt und liebkost. Er nimmt ihn mit aufs Felo, wo er arbeitet, erlabt sich dort an seinem Anblick und streichelt ihn; er trägt ihn auf seinen Spaziergängen unterm Arme mit sich. Einen Hahn, der schon einige Zeit ihm gehört, verkauft der Tagale nicht mehr; einen Hahn zu kaufen (und ein guter kostet oft 40—70 Pesos), hat er immer Geld, auch wenn er sonst nichts hat. Gelegentlich trainirt er das kostbare Thier in einem kleinen Kampfe mit anderen Hähnen; die großen Hahnen kämpfe aber finden in eigenen Arenen zwischen spornbewaffneten Hähnen statt. Dann ist der phlegmatische Tagale nicht wieder zu erkennen, mir fieberhafter Erregung verfolgt er den Kampf, und hätte die Regierung nicht die Wetten auf ein Maximum von 50 Pesos besckwäntt, er verspielte hier, wie weiland die alten Germanen, Kind und Kegel. Mit derselben Leidenschaft fröhnen sie dem Kartenspiele, das nur zu gewissen Stunden erlaubt ist, weil die Tagalen sonst Tag und Nacht über den Karten hocken würden, die schon Manchem von ihnen all sein Hab und Gut gekostet haben. Gerade bei indolenten Rassen findet man ja derlei fanatische Passionen nicht selten. Auch das Theater zählt zu den Leidenschaften der Tagalen. Bei den Kirchenfesteil finden unter freiem Himmel die großen Vor stellungen statt, die stets den Kampf der Christen gegen die Mohamedaner zum Gegenstände haben. Tage und Nächte lang ziehen sie sich hin, Hunderte von Personen wirken mit, und Alles wird mit der größten Ausführlichkeit dargestellt, so daß z. B. ein Gefecht mindestens eine Stunde in Anspruch nimmt, wobei denn die Schauspieler immer mehr in Wuth gerathen und es oft zu einem sehr realistischen Blutvergießen kommt. Die Zu schauer aber harren unentwegt — Nachts bei Fackelschein. — aus, essen und schlafen auf ihren Plätzen und weichen nicht eher von der Stelle, als bis die Christen gesiegt haben. Dabei nehmen sie leidenschaftlichen Antheil an dem Stücke, und die Darsteller der Ungläubigen werden mit einem Hagel von Flüchen und Verwünschungen überschüttet. Wie man hieraus ersieht, sind die Tagalen eifrige Katholiken und an Skapuliren, Heiligenbildern, Reliquien, Processionrn und dergleichen mehr können sie sich nicht leicht genug thun. Doch lebt unter der Hülle der christlichen Formen das Heiventhum noch immer fort, und oft äußert es sich in geradezu naiver Weise. So, wenn sich die Tagalen für eine Hochzeit vom Geist lichen Weihrauch zu verschaffen wissen und ihn dann unter dem den Ahnengeistern heiligen Baum« zu Ehren dieser „Nonos" verbrennen. Denn die Nonos wohnen nach ihrer Meinung noch jetzt auf Bäumen und Bergen; und wer an einem solchen vor übergeht, wirb stets rufen: „Mit Deiner Erlaubniß." Das alt heidnische Todtenmahl findet noch jetzt regelmäßig, freilich unter dem Vorwande, Rosenkränze zu beten, statt; neun Tage lang wird es gehalten und artet mit seinen Völlereien und Tänzen oft zur Orgie aus. Dabei wird dem Todten vors Haus Wasser hingestellt, damit er sich bei seiner am dritten Tage nach dem Hinscheiden erfolgenden Rückkehr in seiner Hütte die Füße waschen könne. Auch seine alten Götter glaubt der Tagale noch in Wirksamkeit, nur daß sie jetzt zu Gespenstern geworden sinh die in das Leben der Menschen oft feindlich eingreifen. So steigt z. B., wenn ein« Tagalin «in Kind erwartet, ihr Mann auf da» Dach des Hauses und haut und ficht dort mit seiner Lanze eifrig in der Luft herum, um den Unholden Patianac und Usuang. die der Mutier und dem Kinde gefährlich sind, den Zugang zu verwehren. Wunderlich vermengen sich bei den Tagalen oft christliche und heidnische Anschauungen. So haben sie beispiels weise wieder ganz die spanisch-christliche Vorstellung udoptirt, daß der Tod eines unschuldigen und darum der Seligkeit sicheren Kindes nur ein Gegenstand der Freude sei, und begraben daher die Kinder unter großen Lustbarkeiten und Tänzen. Freilich sind sie überhaupt geneigt, sich Gelegenheit zu derlei Aeußeiungen zu schaffen. Sie tanzen gern; ihr Nationaltanz Comintnn, der pantomimisch eine Liebeserklärung von dem Ausdrucke Les einfachen Wohlgefallens bis zu der heftigsten Leidenschaft dar stellt, wird zu einer eigrnthümlich romantischen Musil mit Eifer executirt; auch die Tänze der Weißen, Bolero, Walzer ?c., führen sie gern aus; die Frauen behalten dabei ihre eigenartigen Pantoffeln, die Chinelas, deren Oberfläche kaum die Zehen bedeckt, an den Füßen. Der Musik sind sie sehr ergeben, und die aus Tagalen bestehenden Militaircapellen werden allgemein gerühmt. Die Tagalen haben eine nicht uninteressante Geschichte hinter sich. Als die Spanier das Land eroberten, waren sie bereit- im Besitze einer eigenen, in manchen Beziehungen recht doch entwickelten Cultur, und es zeugt von dem in neuester Zeir sichtlich gewachsenen Nationalgefühle der Tagalen, daß sie sich in den letzten Jahrzehnten dieser ihrer Vergangenheit mit vieler Liebe angenommen und sich auch wissenschaftlich eifrig mit ihr beschäftigt haben. Welcher Art diese Civilisation gewesen sei, können wir zum Theil noch bei den Jgorrotos erkennen, die allem Anscheine nichts Anderes als heidnisch gebliebene Tagalen jedenfalls aber den Tagalen nahe verwandt sind. Wir finden bei ihnen größere, ziemlich stattliche Dörfer, in denen jedes Haus von dem benachbarten durch einen viereckigen umwallten Hof geschieden ist. Bewunderung verdient ihre Ackerboucultur uno ihr B-rieselungssystem. „Die schroffsten Abhänge sind durch mühseliges Aufthürmen von Felsblöcken in Terrassenfelder ver wandelt worden. Den Felsen wird das Wasser durch aus gezeichnete Canäle zugeführt, Schluchten und Bergklüfte werden durch primitive Aquädukte überbrückt, die aus rinnenartig an gehöhlten Baumstämmen bestehen" (Blumentritt). Ihre Religion steht dem Heidenglauben der Tagalen sehr nahe, und wie früher die Tagalen, so haben die Jgorrotos noch jetzt einen zum Theil weiblichen Priesterstand. Auch die jetzt so vielgenannten Vrsayer haben mit den Tagalen viel gemein. Ihre Gebräuche und ibre Religion, die Anlagen ihrer Hütten und ihre Unsittlichkeit zeigen ihre nahe Verwandtschaft mit jenen. Doch haben sie in Haartracht und Kleidung Besonderheiten, zeichnen sich auch durch ihre Unreinlichkeit und Trunksucht vor den Tagalen un vcrtheilhaft aus. Aber auch sie besaßen zur Zeit der Eroberung bereits eine eigene hohe Cultur. Daß diese zur Zeit der Spanier wesentliche Fortschritte gemacht habe, wird man kaum sagen können; die Zukunft, die ja die Philippinen jedenfalls in einem freieren Zustande sehen wird, muß kehren, ob in den Tagalen und den ihnen verwandten Stämmen eine wirkliche kulturelle Kraft lebt, die über ihre Nattonalfehler zu siegen im Stande ist.
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