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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.10.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-10-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011014020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901101402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901101402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-10
- Tag1901-10-14
- Monat1901-10
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ScheeperS war mit Kruitzinger die Seele der Boerenoperationen auf englischem Territorium, und seine Gefangennahme ist somit ein harter Schlag für die Boeren- sache in der Capcolonie, wo er bei der holländischen Bevölke rung in hohem Ansehen und Respect stand. In London herrscht über diesen wichtigen britischen Erfolg große Freude. Weiter berichtet man unS: * London, 14. Octobrr. Der „Standard" berichtet au- Tap- stadt: Der gefangene Boereocommandant ScheeperS ist nach dem HoSpilal in Matjessontein gebracht worden. Die Meldung sagt weiter, ScheeperS leide an einer Darmentzündung, sein Zustand sei sehr ernst. Man darf bestimmt annehmen, daß nur die schwere Er krankung ScheeperS' seine Gefangennahme möglich ge macht hat. Botha s Operationen. „Reuter'S Bureau" berichtet auS Dundee unter dem 1l. October: Botba machte, da er nach Norden zu auf eine britische Streitmacht stieß, etwa 20 Meilen südwestlich von Pietretief in der Nähr von Lüneberg Halt. Er ist nunmehr gezwungen, sich entweder durch die britischen Truppen nach Norden durchznschlagen und den Baviaan-Fluß wieder zu überschreiten oder in Swaziland einzumarschiren; letzteres ist wegen der feind seligen Stimmung der Eingeborenen gefährlich. Die Australier erbeuteten gestern sieben Wagen Botha'S und verbrannten sie. — General Hamilton berichte:, ein Wagenzug bewege sich unter starker Bedeckung nach Osten zu. Im ganzen Lande ist Regen gefallen. Engllschcs TchreckenSrrgtment. Das dritte KriegSjahr wird von den Engländern in Südafrika durch eine ganze Reihe von scharfen Maß regeln eingeleitet, die ihrer eigenen Sache viel mehr Schaden zuzufügen im Stande sind, als dies mit der jenigen der Boeren der Fall sein kann. Lord Kitcheuer hat allerdings, wie bereits gemeldet, 13 zum Tode ver- urtheilte „Rebellen zu lebenslänglichem Zuchthaus mit harter Arbeit begnadigt" und sogar diese Gnade auf den ganzen übrigen Rest des Lotter'schen Eommandos, einige 50 Mann, ausgedehnt, die unter Annullirung des TodesurtheilS vom britischen Oberbefehlshaber ebenfalls für Lebenszeit als Sträflinge Seiner Großbritannischen Majestät, König Edwards VII. in Gewahrsam gehalten werden und uä msjorom Lrituuniue gloriam in den Zuchtbäusern und Strafbergwerken der britischen Colonien werden arbeiten müssen. Weniger nachsichtig und gnädig hat sich Lord Kitcheuer dem Anführer dieser unglücklichen Kriegsleute gegen über gezeigt, denn er bat, wie gemeldet wurde, den Comman- danten Lotter zum Tode verurtheilen und dieses Urlheil sofort vollstrecken lassen. Lotter, der allerdings in der Capcolonie Grundbesitz aufzuweisen hatte, ist geborener Freistaatler, hat seine Hauptfarm nördlich vom Oranjeriver und konnte dem über ihn aburtheilenden Kriegsgericht sein Patent als Commandant und Osficier des Freistaates vorlegen. Ander seits vermochten die englischen Richter nach ihrer Ansicht untrügliche Beweise davon vorzubringen, daß Lotter im Middelburgdistricte heimath- und wahlberechtigt gewesen sei, indem die Wahllisten dieses DistricteS ihn, wenn auch unter einem anderen, seinem wirklichen ähnlichen Namen führten. Obgleich Lotter behauptete, er könne Hunderte von Zeugen bringen, die nachweisen würden, daß er mit diesem Cap- colonisten durchaus nicht identisch, sondern daß er durch Geburt und Recht Burgher deS Freistaates immer gewesen sei, haben ihm die britischen Richter keine Gelegenheit gegeben, einige dieser Zeugen herbeizuschaffen, sondern sic haben eS vorgezogen, den tapferen Freistaat-ComMandanten, der ihnen so viel zu schassen machte, bevor das schwankende KriegSglück ibn in ihre Hände lieferte, auf das mindestens fragwürdige Zeugniß englischer Polizeispitzel, die, wie früher gemeldet, in Südafrika mehr gefürchtet sind wie die Pest, zum Tode zu verurtheilen, und somit einen gefährlichen Gegner aus der Welt zu schaffen. Man hat es hier also mit einem Pendant zu der Hin- mordung des durch einen elenden Polizeiagenten verführten und dann auf Befehl deS Lord Roberts hingemordeten Leutnants HanS Cordua zu thun. England und seine Feldarmee in Südafrika werden die Folgen solcher HenkerS- politik noch zu tragen haben. Die Aburthrilung der Lotter'schen CommandoS hat den Engländern noch eine Gelegenheit gegeben, um den Boeren und der ganzen Welt zu zeigen, wie vielseitig sie sind in der Anwendung neuerer grausamer Strafen, wenn eS sich um sogenannte Abschreckungsmittel handelt. Eiu junger, noch nicht sechSzehnjäbriger Capbolländer, der sick begeistert dem CorpS Lotter ««geschlossen hatte und ebenfalls gefangen ge nommen war, wurde wegen seiner Jugend vom Gerichtshöfe der besonderen Gnade des britischen Oberbefehlshabers empfohlen, welcher daS verhängte TodeSurtheil dabin ab änderte, daß der junge Patriot während der ganzen Fort dauer deS Krieges ins Gefängniß gesetzt werden soll, vorher jedoch 25 Stockschläge öffentlich verabfolgt bekommt. Kitchcner will also den jungen Caphollanderu und Boeren ihren Patriotismus und ihren Britenhaß, sowie ihre glühende KriegSbegeisterung mittels der Prügelstrafe auStreiben. Es bleibt abzuwarten, welchen Einfluß dies auf da« weitere Berhalten der Boeren und ihrer Führer den gefangenen englischen Soldaten gegenüber haben wird. Unter den letzteren befinde» sich bekanntlich auck zahlreich« 15- oder I6jährige Burschen, und uater den Trompetern und Tambours sogar 12jährige Knaben, die also in Zukunft, falls sie den Boeren in die Hände fallen, ebenfalls Gelegen heit haben werden, dank dem Dorgeben des Lord Kitckener, mit dem Sjambock der Burghers Bekanntschaft zu machen. Selbst conservative und sonstige nationale englische Blätter nehmen heute Veranlassung, die Negierung aus« Neue vor extremen Maßregeln in Südafrika zu warnen und daran zu erinnern, daß Großbritannien eS sich nicht gestalten kann, sich der verdammenden Anklage der ganzen civilisirtco Welt mit Bezug auf solche Schritte nock weiter auSzusetzen und seinen Ehrenschild durch Heraufbeschwörung einer blutigen Vendetta für alle Zeiten zu beschmutzen. In der Iingoprcsse erregt natürlich daS über Lotter verhängte Tode«- urlheil einen wahrhaft dämonischen Jubel und Beifall, und in diesen Organen der Cbamberlain'schen Anhänger und Nachbeter wirdviclfachdergehässigenHoffaungAuSdruckgegeben, daß Lord Kitcheuer im Einverständnis mit seiner Regierung nun endlich auf dem einmal betretene» Pfade fortschreiten und überhaupt nur noch kurzen Proceß m»t allen Rebellen machen möge, welch' letzteren Titel er natürlich jetzt nach dem historischen 15. September auch allen heute noch Widerstand leistenden Boeren ohne Ausnahme beilegen soll. DaS ist echte Iingomoral, und waS vernünftige Leute in England dazu zu sagen haben, das geht am Besten auS den Worten hervor, mit denen die „Daily News" diese letzten Nachrichten vom Kriegsschauplätze begrüßt: „Die Nachricht von der über Lotter verhängten Todesstrafe ist deshalb fürchterlich, weil es der erste Fall ist, in welchem ein kriegsgefangener Freistaatler von unserer Hand zu Tode gebracht wird, — weil die Mütter und Väter britischer Officiere, die in den Händen der Feinde sind, jetzt in tövtlicher Angst um daS Leben ihrer Söhne schweben müssen, denn nach KriegSbrauck muß diese Hinrichtung Re pressalien nach sich ziehen. Selbst wenn Lotter ein Rebell war, hätte man in weiser Vorsicht von seiner Execution ab sehen müssen. Die grausame Brutalität, den jungen Rebellen zu prügeln, ist daS Schlimmste, was jemals unter britischer Colonialregierung vorgekommen ist. Wir überzogen Süd afrika mit Krieg, um daS Prügeln der Schwarzen zu ver hindern, und jetzt lehren wir sie, wie man -weiße Kriegs gefangene züchtigt." Politische Tagesschau. * Leipzig, 14. October. Wie nach den „Münch. Neuest. Nachr." verlautet, ist den Bundesregierungen der Entwurf einer neuen Matz- »nd 8c» wichtSordnung für das deutsche Reich zugcgangeu, der u. A. folgende Aenderungen der bisherigen Verhältnisse bringen soll: 1) Verstaatlichung deS AichwesenS; 2) Einführung der sack- lichen RechtSeinhrit mit Bayern und Anerkennung der ge- sichten Gewicht« und Waagen im ganzen deutschen Reiche; 3) »bligatorische Nachaichung iunerhalb bestimmter Fristen an Stelle der seitherigen technischen und polizeilichen Re vision; 4) Ausdehnung de« AichzwangeS auf Fässer für Obst- wein und Bier; 5) Milderung der Strafbestimmungen durch Fort fall des i 369 de« ReichSstrafgrsrhbuche-, welcher selbst den Besitz unrichtiger Maße bestraft und auf da« Schuldbewußtsein deS Be- fitzerS kein« Rücksicht nimm», ja ihn selbst für ein Versehen der Aichbeamten leiden läßt; 6) Ermächtigung deS BundesratheS und der Laudescentralbehörden, vorzuichreiben, daß bestimmte Maaren im Verkehr nur nach Maß oder nur noch^Aeibicht gewerbsmäßig verkauft oder frilgehalten werden dürfen; die Bemessung der Aich- gebühren soll dem BundeSrath überlasten bleiben. Bestätigt sich, wie anzunehmen ist, diese Meldung, so ist eine Vorarbeit zum Abschluß gelangt, welche die zuständigen behördlichen Stellen schon seit Beginn der neunziger Jahre deS vorigen Jahrhunderts beschäftigt hat. Wenn in dem Ent wurf« auch eine Ausdehnung deS AichzwangeS auf Fässer für Obstwein und Bier vorgesehen ist, so wird damit ein Tbril der Vorlage der verbündeten Negierungen wieder aus genommen werden, aus der das Gesetz über die Bezeichnung deS Raumgehaits der Schankgefäße vom Jahre 1881 hervor gegangen ist. Die Vorlage enthielt u. A. eine Bestimmung vcS Inhalts, daß Fässer, in denen Flüssigkeiten nach dem Ranmgehalte zum Verkauf gelangen, dem Aich- zwange unterliegen sollten. Diese Vorschrift wurde jedoch vom Reichstage nicht genehmigt. Bald stellte sick aber heran«, daß man gerade in den Kreisen der Brauereien sowie der Gastwirthe auf die Unter werfung der Bierfässer unter den Aichzwang großen Werth legte. Allgemein wurden die Mißstände, die auf diesem Gebiete eingerifsen waren, beklagt und der ReickS- taz selbst hat in den neunziger Jahren mehrfach Ge legenheit gehabt, sich mit Petitionen zu beschäftigen, welche die Ausdehnung de« AichzwangeS auf Bierfässer verlangten. Allerdings wurde von anderen Interessen- kreisen der Aichzwang für Fässer mit anderen Flüssigkeiten al« unzweckmäßig und lästig verworfen. So hat sich noch vor nicht langer Zeit fast die Gesammtbrit der Handels kammern bei einer Erhebung gegen den Aichzwang der Spi ritus-, Petroleum- rc Fässer ausgesprochen. Die in dem neuen Entwürfe der Maß- und Gewichtsordnung enthaltene Regelung der Angelegenheit würde demgemäß eine den Bedürfnissen der Praxis entsprechende Beschränkung d«S im Anfang der achtziger Jahre von den verbündeten Regierungen dem Reichs tage gemachten Vorschlages ausweisen, aber gerade deshalb Aussicht auf Annahme im Parlamente haben. Nach dem Stande der Vorarbeiten für diesen legislatorischen Act, sowie nach der Lage der sonstigen gesetzgeberischen Arbeiten ist übrigens kaum darauf zu rechnen, daß die neue Maß- und GewicktSordnung noch im nächsten ReichStagStagungSabschnitte den gesetzgebenden Factoren unterbreitet werden wird. Der „Fall Tpahu" läßt die klerikale Presse immer «och nicht zur Ruhe kommen. Nachdem sich herauSgestell», daß der Inhaber der neuen katholischen Geschichttprofeffur in Straßburg vor Jahren dem bösen Grafen HoeoSbroech Worte der Anerkennung für dessen Angriffe auf den Ultra- montaniSmuS in der katholischen Kirche geschrieben, ist der „Niederrhein. Ztg." plötzlich rin Licht darüber aufgegangr», waS die Ernennung Spahu'S eigentlich zu bedeuten hat: „Als vr. Spahn Len unglücklichen Schritt zu HornSbroech that (1898), war er erst 22 Jahre alt; mit 25 Jahren ist er GeschichtS- profestor geworden, und da liegt di« Bermuthung nah«, daß er da« geworden ist, «be« Iweil er im Jahre 1898 dem ab- gesollrnen Jesuiten Paul HornSbroech in einem Schreibe« s«i» Herz offenbart, daS Vorgehen de« Grafe« gegen die „Mttmmmr*- tonen" gutgeheißen und HoenSbroech seine Mitarbeiterschaft an der evangelisch-bündlerischen „Täglichen Rundschau" gegebenenfalls in Aussicht gestellt hatte." E« handelt sich also nach dieser Entdeckung bei der Er nennung Spabn'S um eine ausgesuchte Bosheit der Regierung, in deren Solde Graf HoenSbroech steht, der seinerseits alle ihm bekannt werdenden katholischen Gegner des Utramonta- niSmuS an höherer Stelle in Vorschlag für einflußreiche Stellen so lange bringt, bis diese sammt und sonders mit verkappten Feinden des UltramootaniSmuS besetzt sind. Am meisten wird über diesen ihr untergeschobenen Plan die Regierung lachen, die mit gutem Gewissen der „Niederrhein. Zeitung" mit den Worten Wrangel'S antworten kann: „Sie überschätzen mir." Was Professor Spahn selbst betrifft, so wird ihn vielleicht am meisten eine Auslassung deS „Elsass. Volksboten" interessiren, in der eS heißt: „ES kann ihm (Professor Spahn) nicht entgangen sein, mit welch wohlwollender Schonung katholischerseits die kritische Sonde an seine CochläuSbiographle gelegt wurde; die Geschichte einer gewissen Recension dürfte ebenfalls lebhaft in seinem Geiste haften." Gegenüber Feuilleton. Olof Thoroldsen. Roman von Anna Maul (M. Gerhardt). Nachdruck verbot«,. Elftes Capitel. „Der Herr Ingenieur ist nicht zu Hause. Wenn die Dame einen Auftrag hat." „Ja, bitte, diesen Brief. Wollen Sie die Freundlichkeit haben, ihn in Herrn Thoroldsen's Zimmer zu legen. Ich brauche ihn gar nicht selbst zu sprechen? Beklommen und etwas hastig zog Lissi das Briefchen, das sie heute früh geschrieben, auS der Tasche und überreichte eS der ehr bar aussehenden, schwarzgekleideten Matrone, dte ihr nach schüchternem Läuten die Thür ihrer Wohnung geöffnet, aber breit in der Spalte stehen blieb und mit mißtrauischem Blicke daS junge Fräulein musterte, das in so unsicherem Tone nach ihrem Zimmer herrn fragte. Sie nahm den Brief, betrachtet« ihn von allen Seiten und versprach kurz und trocken, ihn abzugeben. Lissi wandte sich um — enttäuscht, fröstelnd, mit brennenden Wangen. ES war wohl im Grunde gut, daß er nicht da war. Sie erschrak jetzt selbst über ihr Wagniß. Sie hatte «in so heiße-, so schmerzliches Verlangen gehabt, ihn zu sehe«. AIS sie vor der verschlossenen Thür ge standen, hatte eS sie mit heimlicher, wonniger Neugier durch rieselt, nur einen Blick in sein Zimmer zu werfen. Wie oft war sie als Kind in sein Zimmer gelaufen — in die große, öde Schreibstube — Sonntag früh, wenn er noch im Bett« lag. Aber freilich, jetzt waren sie Beide keine Kinder mehr. AIS sie schon den Fuß auf der Trepp« hatte, hört« sie einen raschen, leichten Schritt von unten heraufkommen. Plötzlich tauchte di« lang«, schlanke Gestalt Olof Thoroldsen's über der Trevpenmündung auf. Frau Wittwe Kupffer, die im Begriff gewesen, die Thür hinter sich zuMiehen, hielt damit inne. „Da ist der Herr Ingenieur, nun können Sie ihm Ihre Botschaft selber auSrichten." — Sie reicht« mit spitzen Fingern da« Brieschen hin und zog sich zurück, indem sie d,e Thür halb offen ließ. Olof stand vor dem Mädchen und strahlte sie au» erstaunten Augen an. „Lissi! Wie kommst Du hierher?" murmelt« er, ihre Hand drückend. Dann faßte er sich schnell: „Komm herein!" Er,og ss« in den Corridor und schloß di« Thür. Laut, zum Vesten der iq der Küche lauernden ehrbaren Matrone, sagt« «r mit respektvoller Höflichkeit: „Oh, Sie bemühen sich selbst, gnä diges Fräulein, es thut mir sehr leid, Ihr Herr Bater sollte di« Broschüre schon gestern haben, aber die Druckerei hat sie erst heut« früh geliefert. Das Heften und Broschiren kostet immer so viel Zeit. Wollten Sie die Gewogenheit haben, «ine Minute zu warten, bis ich die Packet« geöffnet —" Damit schloß er eine Thür im Hintergründe des CorridorS auf und lud mit einer Handbewegung zum Nähertreten ein. Drinnen, als der Schlüssel sich leise im Schloß gedreht, nahm er das Mädchen mit unterdrücktem Jubel in seine Arme: „Lilli da« ist ja ein göttlicher Einfall — so viel Courage hätte ich Dir gar nicht zugetraut." „Wie Du lügen kannst! Was für «in raffinirter Spitzbube Du bist!" lacht« Lissi mit rosigen Wagen und leuchtenden Augen. „Wo hast Du da- gelernt. Wie man sich vor Dir hüten muß!" „Kein unwahres Wort. Da liegt di« Broschüre. Du nimm! ein Exemplar mit für Deinen Bater. Nicht wahr, daS wolltest Du doch?" „Ach, Olof! Daran ist ja gar nicht zu denken! Ich habe ja mit dem Vater gesprochen. Deswegen komm« ich, weil ich mir keinen Rath mehr weiß. Ich habe Dir da Aller geschrieben — wollte ja nur den Brief aogeben. Einmal wollte ich Dich noch sehen. Dir Lebewohl sagen. Er ist Alle« au« zwischen un«, Olof, Aller. Wenn der Bater wüßte, daß ich hier bin, brachte er mich um." Olof setzte sich auf da« mit grünem Wollenrip« bezogene Sopha und zog Lissi neben sich nieder. Er legte den Arm um sie und küßt« ihr die Thränen von den Augen. „Nicht lveinrn, Herz lieb. Wenn wir Mann und Frau sind, wird er sich den Schwiegersohn — früher oder später — gefallen lassen." „Mann und Frau! Wir Beide!" Lissi lacht« durch ihre heißen Thränen. „Wann wird daS sein, Olof? — Jetzt gehst Du fort und vergißt mich, und ich sterbe vor Sehnsucht und Gram." „Lv vo ruoans, äoar! — Da« thun wir beide« nicht, Lissi. Wir bleiben jetzt zusammen und trennen un« nie mehr." „Ach Gott — Olof!" „Sieh her, Schatz, wa« ist da«?" Er zog seine Brieftasche herau« und auS dieser ein zusammengefaltete« Blatt. Ein Fahr schein erster Cajüt« für den Schnellpostdampfer „Trave", Bremen-Southampton-New York. Soeben hab« ich ihn mir ge holt. In sechs Tagen gebt da« Schiff von Bremen ab. Schneller al« wir gedacht. Und jetzt gehe Ich und bestelle «inen zweiten Platz — für mein« Frau." Lissi starrte auf da« Papier, ohne den Worten Olof'« ,u folgen. „Ss schnell schon fort!" rief sie bestürzt. „Wie kommt „Das hat einen erfreulichen Grund", erklärte er. „Die Bro schüre hier" — es lag ein Stoß dünner Hefte in rothem Umschlag auf dem Sophatisch — „ist in Amerika bereits erschienen, nicht wahr? In Fachzeitungen ist sic erwähnt, gewürdigt, angegriffen, wie das so zu kommen pflegt. Die Hauptsache ist, daß mir von zwei Seiten her ganz annehmbare Anerbietungen darauf hin ge macht worden sind. Für eines davon werde ich mich entscheiden — falls nicht noch etwas Besseres kommt. Dann haben wir zu leben. Bis dahin giebt es gute Leute, die mir borgen. Habe keine Angst, Liebste, ich halte uns Beide über Wasser. Und Du hilfst mir arbeiten, als mein treuer Kamerad, nicht wahr?" Lissi hatte seinen Arm zuriickgeschoben und blickte ihn in höchster Spannung mit weitgeöffneten Augen an. „Olof, sprichst Du im Ernst?" „Im vollen, feierlichen Ernst, Lissi. Ich denke, wie wir uns verlobten, war unsere Absicht, fürs Leben eins zu werden." „Ja — aber — wir werden warten müssen — Du wirst Ge duld Haben müssen, Olof — mir treu bleiben — bis —" „Bis die Jugend vorbei und die Liebe verblaßt ist? Nein, Kind. Geduld und Treue sind alte biedere deutsche Tugenden. Dkt neu« Welt bat bessere: Thatkrast und Entschlossenheit. Stellen wir die Welt vor vollendete Thatsachen, sie wird sich darein finden und sie anerkennen." „Aber wie — wie — ich begreife nicht, Olof. Das sind doch Unmöglichkeiten, die Du da planst.' „Keineswegs, Herzlieb. Du brauchst nichts zu begreifen, nur strikt zu befolgen, waS ich Dir jetzt sagen werd«. Ich stehe für Alles ein. — Du gehst also jetzt einfach nach Hause, machst em vergnügte» Gesicht und thuft, als ginge Dich der Taugenichts von Detter auf der Welt nichts an. Wenn die Eltern schlafen, packst Du in einen kleinen Koffer die allernothwendigsten Dinge — und vergiß nicht, Deine Thür zu verschließen, damit die Mutter nicht auf den Einfall kommt nachzusehen. Den Koffer nimmst Du in eine Droschke und fährst damit nach dem Bahnhof Friedrichstraße. Da übergiebst Du ihn dem Portier zur Aufbewahrung. — Ver stehst Du mich, Lissi?" Sie bejahte halblaut, ohne ihn anzusehen. Ihre Arme waren schlaff hrrabgesunken, ihr Blick war starr, ihr Ausdruck der eines Traumwandler«. „Und dann fragst Du am Postamt Dorotheenstraße nach post lagernd«» Briefen unter der Adresse: 0. 3795. Wart', ich schreib' Dir LÜe« auf." Er ging ,um Schreibtisch und machte gleichlautende Notizen auf zwei Blättchen. Das eine faltete er zusammen und übergab e« dem Mädchen. „Noch eins: hast Du Geld?" Sie nickte. „Gieb mir Dein Portemonnaie." Mechanisch zog sie ihr Geldtäschchen auS der Kleidertasche und reichte es ihm hin. Er untersuchte den Inhalt und that zwei Goldstücke aus seinem eigenen Portemonnaie hinzu, nicht ohne vorher eine rasche Berechnung anzustellen. „In meinem Briefe schreibe ich Dir, waS weiter zu thun ist", fuhr er fort. „Es ist besser, wir versuchen nicht, einander zu sehen, bevor wir auf dem Bahnhofe zusammentreffen. Uebrr- morgen Abend, sechs Uhr, Lissi. Morgens sind wir in Bremen. Mittags geht das Schiff ab. Den Capitän kenne ich persönlich. Er wird uns unterwegs trauen. Du weißt, der SchiffScapitän hat das Recht, Brautleute zusammenzugeben^ wenn Eile noth thut." „Olof — eS ist schrecklich" — sagte Lissi, tief und schwer Athem holend, und preßte beide Hände an die Schläfe. „Ich habe jetzt das Gefühl, ich müsse thun, waS Du willst, unweiger lich, ich habe keinen eigenen Willen, keine eigenen Gedanken mehr." Er zog sie empor und schloß sie zärtlich an seine Brust. „So soll es auch sein, Lissi. So und nicht anders. Ich bin der Mann, ich habe die Verantwortung. Gehorche mir und ver traue mir. Es wird Alles gut werden." „Aber, meine Eltern, Olof. ES ist ja ganz unmöglich, daß ich sie so heimlich verlasse. Sie würden die Kränkung nie ver winden. Ach, es wäre zu schön, aber es kann ja nicht sein." Sie brachin Thränen aus. „Jedes Mädchen, das einem Mann« folgt, muß Vater und Mutter verlassen, nicht wahr? Das ist Naturgesetz. Glaubst Du, Deine Eltern würden es lieber sehen, wenn Du zu Hause vertrauerst und verblühst, als wenn sie von Dlr hören: Ich bin glücklich. Ich bin bei dem Manne, den ich liebe?" Olof fühlte den Körper der jungen Mädchens an dem seinen in heftigem Schluchzen beben. Sie sah nicht auf, antwortete nicht. Er küßte die lockigen, braunen Haare auf ihrem Scheitel. Er liebkoste sie und raunte ihr LiebeSworte zu. „Lissi, liebst Du mich? Vertraust Du mir?" „Ja, Olof", jauchzt« sie. „Soll es so sein, wie ich will?" „Ja, eS soll so sein. Ich folge Dir. Ich Lin Dein." Sie hielten sich noch eine Minute wortlos umschlunaen. Dann zog Lissi den Schleier vor ihr erregte«, thränenfeuchte« Gesicht. Olof geleitete sie die Treppe hinab und sah sich auf der Straße nach einer Droschke um. Er stieg nicht mit ein, küßte ihr nur die Hand zum Abschied. Er war ernst und gefaßt, er kam Lissi plötzlich um zehn Jahn älter vor. An Alles dachte, für Alles sorgte er, für das Große und für da» Kleine. Si« hatte da« Gefühl, zu ihm zu gehören, unter seinem Schutze geborgen,
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