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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.10.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190210269
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19021026
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19021026
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-10
- Tag1902-10-26
- Monat1902-10
- Jahr1902
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.10.1902
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Bezugs-Preis i« der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Bororte« errichtete» Aus gabestellen abgrholt: vierteljährlich ^l 4.K0, — zweimaliger täglicher Zustellung in« Haus .e« S.50. Durch di« Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich vierteljährlich 6, für die übrigen Länder laut Zeitungspreisliste. Redaktion und Lnredition: Iohannisgasse 8. Fernsprecher 153 und 222. FUta1»»peditio»r» r Alfred Hahn, Buchhandlg., UniversitLt<str.3, 8. L-sche, Katharinenstr. 14, u. Königspl. 7. —q.»— Haupt-Filiale Dresden: Strehlener Straße 6. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. Haupt-Filiale Lerlin: Königgrätzer Straße IIS. Fernsprecher Amt Vl Nr. 33S3. KiMM TlllMllü Anzeiger. AmtsAatt des königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Nates und -es Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen- Preis die 6 gespaltene Petitzeile LS H. Reklamen unter demRedakttonsstrich («gespalten) 75 vor den Familtennach- richten («gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Lffertenannahme LS -S, (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Au-gabe, ohne Postbeförderung SO.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Tie Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 546. 86. Jahrgang. Sonntag den 26. Oktober 1902. Aus -er Woche. „Du mußt eS dreimal sagen!" so ruft die Reichsverfassung dem an der Gesetzgebung muwirkenven Reichstage zu. Uno zweimal muß das Reichsparlament für Borlagen, wie die Z o l l g e s e tz e, in Ziffern reden, wobei e» nichiS zu diplomatisieren gibt. Einmal nun bat der Reichs tag sich erklärt, ablehnend, wenn man die Haltung der Regierungen in Betracht zieht. Denn an deren Beharren auf dem eingenommenen Zayleustanvpunkte ist nun nicht mehr zu zweifeln. Aber wenn Vie MehrheitSparleien den Re gierungen bisher einen Boiwurf daraus machten, daß sie „eigensinnig" oder „halsstarrig" blieben, so lausen Zentrum und Konservative unseres Erachtens weit größere Gefahr, sich diesen Tadel als einen berechtigten zuzuziehen, wenn sie bei ihrer „Rede" bleiben; denn di« Regierungen, die Handels verträge abschließen wollen und sollen, haben mit anderen, mit fremdländischen Faktoren zu rechnen; der Abgeordnete braucht über sein endgültiges Votum nur mit sich allein iuS reine zu kommen. Es sei denn, er fürchte sich vor seinen Wählern — eine GemütbSverfassung, gegen die einen Volksvertreter, der dies dem Geiste des Gesetzes nach ist, sein Gewissen schützt. Nun weiß man wobl, das Parlamentariergewissen wird manchmal bei der Fraktion in Depot gegeben und dort ohne weiteres Dazwischentreten des Eigentümers verwaltet; aber es ist unerfindlich, welches Interesse die beiden Fraktionen, auf die eS ankommt, zwingen könnte, die zurückgewiesenen Forderungen aufrecht zu erhalten. Zu gewinnen haben sie zollpolitisch bei den Neuwahlen nicbtS, denn sie besitzen schon jetzt die Mehr beit, und daß ei« Zuwachs von vielleicht zwanzig Stimmen, auf die die Rechte und daS Zentrum aber gar nicht hoffen, die Regierungen zu anderen Ansichten über die Möglichkeiten einer HandelSvertragSpolitik bewegen könnte, croüat ckuckaeus Arendt. Es tritt also für Konservative, Zentrum und Polen, deren Redner im Reichstage nach Vor bringung etlicher unwahrhastiger Polenklagen Zeit gefunden haben, die Frage heran, den wirtschaftlichen, sozusagen privatwirtschastlichen Kern der Gerreidezollangeiegen- heit recht geschickt und sauber herauszuschälen, es tritt also die von den Unbefangenen unzählige Male gestellte und von der Rechten einschließlich Zentrum und Polen bisher stets umgangene Frage die Alleinherrschaft an: sind 5 und 51/2 .4 nicht mehr als 3'/, und sind (bei der Gerste) 3 nicht einem Zollsätze von 2 „L vorzuziehen, uotLdons, wenn man die Beträge und das Plus erhalten soll? Der großen Masse der Verbraucher, der von der Linken mit unverkennbar wachsendem Erfolge vorgercchnet wird, daß sie diese Beträge brutto aus ihrer Tasche zu zahlen habe, kann man eS nicht allzusehr verargen, wenn sie so abgeneigt gegen 5»/2, 5 und. 3 -L ist, wie bisher die — Agrarier. Um diese Stimmung muffen sich die MchrheitSparteien schließlich ernstlich kümmern, weil sie die Gefahr in sich birgt, daß die Neuwahlen eine Majorität in den Reichstag bringen, die auch nicht für einen Groschen über die handelsvertragsmäßig festgesetzten Sätze hinaus zu haben ist. Daß Neuwahlen auch eine Mehrheit für die Regierungsvorlage entstehen lassen können, darf selbst verständlich nicht rund und entschieden bestritten werden. Aber jedenfalls ist dies Ergebnis nicht in solchem Grade wahrscheinlich, daß es da« im Reichstag erhobene Verlangen nach künstlicher Näherrückung dcS Wabltermin« verständlich machen könnte, verständlich wenigstens vom Standpunkt eines Freundes der Regierungsvorlage. Vielleicht wird der Welt und insbesondere den National liberalen im Lande noch eine Erleuchtung über dre tieferen Gründe jener Forderung. Bis dahin geben wir der Regierung recht, wenn sie, anstatt mit etwa 48 von 397 in den Krieg zu ziehen, eS vorzieht, die dritte Lesung abzuwarten und dem Zentrum zu ver stehen zu geben, daß die nette Wendung der „Germania", eine anständige Wirtschaftspolitik könne die Regierung doch nur mit den Klerikalen machen, in umgekehrter Form richtiger sei. Eine anständige Zollpolitik, d. h. eine solche, mit der daS Zentrum sich vor seinen Bauern einerseits und vor seinen Industriearbeitern anderseits sehen lasse« kann, vermag diese Partei nur mit der Regierung zu machen, und da diese — bei den Mindestzöllen und deren Beschränkung — bei ihrer Vorlage verbleibt, so ergibt sich die Voraussetzung für die künftige handelspolitische „Reputierlichkeit" des Zentrums von selbst. Soeben hat, beiläufig bemerkt, die Reputation ernstlich Schaden genommen durch den Umstand, daß einer der wirt schaftspolitischen Führer der Partei, um nicht zu sagen der wirtschaftspolitische Führer, Herr Müller-Fulda, bei der grundlegenden Abstimmung zum Zollgesetze sich des Votum enthalten hat. DaS heißt doch, die Canaille „Volk" ungeniert als Canaille behandeln. Graf Kanitz von den Konservativen ist freilich ebenso verfahre«. Ader de« kennt man schon lange als adeligen Uebermenschen. Herr Müller aber ist bürgerlicher Kaufmann. Wir werden wohl nicht allein in Deutschland dastehen, wenn wir bekennen, daß unS die — jetzt übrigen« in einer anderen, ganz wesentlich gemilderten Form verbreitete — Rede deS Herrn Carnegie kaum verständlich ist. Wir konnten nicht umhin, sie de« Lesern vorzusetzen, da da« Wolfsche Bureau eS gewesen ist, daS sie in Deutschland bekannt machte. Warum? wissen wir nicht. Der Erguß de« Riesen kapitalisten enthält Schmeicheleien für de» deutschen Kaiser, so grob und plump, daß sie beleidigend sind und gewiß auch so empfunden werden. Es beruht zudem auf großer Unkenntniß de« wichtigsten und unbestrittensten TbeileS der Politik Wilhelms II. Die auf Erhaltung de« Frieden« gerichteten Bemühungen be- EnkelS des alten deutschen Kaisers Wilhelm I. sind von Anbeginn so unermüdlich, umfassend, ja geradezu lückenlos gewesen, daß eine Aufforderung, diese Bemühungen zu ver stärken, wenn nicht gar erst auszunehmen, nur von einer Person au-gehrn kann, die vom Kaiser nichts Genaueres weiß, deshalb aber auch gewiß keinen Beruf hat, unser Reichs- »brrhaupt zu „stimulieren . Eölitmt. Interessanter als die längsten Berichte über die all jährlichen Katholikentage, deren Beschlüsse und Resolu- tionen sich vorauswissen lasten, weil sie immer dieselben sind, ist eine kleine Notiz, die das „Leipziger Tageblatt" am 10. Oktober aus O Berlin über einen „katholischen Gegner" -es Cölibats brachte, und die miterwähnte Stellungnahme des „Bayrischen Kuriers", des Haupt organs des bayerischen Zentrums, dazu erhöht seine Be deutung. Professor Sickenbergcr ist nicht der einzige, der ernste Bedenken gegen den Eülibat, insbesondere der noch jugendlichen Kleriker, ansspricht; sie sind vom vierten Jahrhundert an sehr oft, und am energischsten gerade von frommen Katholiken, nach dem Vorgänge des Asceten Paphnutius (325) geltend gemacht und eingehender als von Sickenberger begründet worden. Aber in Anbetracht der Tatsache, Latz zur Zeit mehr als je die stumme Unterwerfung unter alle Satzungen der Kirche und ihr unfehlbares Oberhaupt als erste uud unerläßlichste Pflicht jedes katholischen Christen gilt, ist das eine wie das andere auch für weitere Kreise beachtenswert. Nicht als ob in absehbarer Zeit aus Beseitigung des Priestercölibats zu rechnen wäre; die Hierarchie wird sich so lange wie irgend möglich dagegen sträuben. Nur daß die Bewegung gegen den Cülibatzwang immer wieder von angesehenen Gliedern der katholischen Kirche ausgcht, läßt, um ein hier passendes triviales Wort zu gebrauchen, „tief blicken", und der Wunsch des „Bayr. Kur.", die Ketzerei des Professors Sickeuberger nicht tragisch zu nehmen, bezw. sie unbeachtet zu lassen, ist wohlbcgrciflich. Denn es handelt sich da um eine heikle Sache. Der Pricstcrcölibat, auf dem einerseits die Stärke der katho lischen Kirche beruht, ist anpersens ihre Achillesferse und kann nur durch fadenscheinige Sophismen gegen An griffe geschützt werden. Tie Ehe als eine des Christen unwürdige Gemeinschaft zu verdächtigen, geht schon aus Rücksicht auf den Apostel Paulus, den ersten unfehlbaren Papst, nicht an. Sie gilt der ganzen Christenheit als eine „göttliche Institution", und die römische Kirche sieht in der Eheschließung sogar ein Sakrament: eine Handlung, durch die der sie nach kirchlicher Vorschrift vollziehende Christ einer „besonderen Gnade" teilhaftig werden soll. Gesetzt nun, die Ehelosigkeit sei, aus irgend welchem Grunde, auch ein an sich wünschenswertes Gut, so ist -och „die göttliche Gnade" viel mehr als ein be liebiges Gut, zu dessen Aneignung die menschliche Willens kraft ausreicht, und von solcher Gnade diejenigen aus- zuschließcn, die sic andern vermitteln sollen, ist ein Wider spruch, über den sich nicht hinwcgkommen läßt. Tie Be hauptung aber, daß die Kirche ohne den Cölibat der Priester nicht bestehen könne, ist durch die Erfahrung vieler Jahrhunderte vor seiner gesetzlichen Einführung durch Gregor VII. widerlegt. Und auch die am häufigsten gehörte Bemerkung, daß der Cölibat im Interesse des Beichtgeheimnisses notwendig sei, weil der beweibte Priester zu stark versucht sei, es zu verletze», ist nicht stichhaltig. Tenn für den ehelosen Priester gibt es -och auch — Versuchungen (Professor 2. deutet sie an), und dafür, daß er sic bestehen werde, hat die Kirche keine größere Bürgschaft, als für das feierliche Versprechen, daß er im Beichtstuhl Gehörtes für sich behalte» werde. Aber wozu in die Ferne sehen, was nahe liegt? Der Cölibat ist für eine Kirche, die herrschen will, eine kluge, ihrem Zwecke dienliche Einrichtung, weil durch ihn die nach Huuderttausenden zählenden Priester von der Welt losgelöst und ganz zur Verfügung ihres souveränen Oberhauptes gestellt werden. Wie anders die Diener der evangelischen Kirche! Sie leben fast alle in ehelicher Gemeinschaft, und ihre per sönlichen Lebensintercssen lassen sich von denen der Gesamt heit nicht trennen. DasVaterland ist ihnen mehr als die zu fällige Heimstätte. Ihre Söhne müssen es im Kriege mit verteidigen helfen. Sie können sich nicht neutral ver halten, wie -ic katholischenPriester und Ordensglieder, die keinen eigenen Herd zu verteidigen haben, oder gar, was auch schon vorgekommcn ist, mit dem Feinde sympathi sieren. Sie wurzeln augenscheinlich mit allen Fasern ihres Daseins im Volke, und wie manch tüchtigen Mann das Vaterland dem evangelischen Pfarrhause verdankt, ist all bekannt. Deshalb nichts törichter, als das pharisäische Hcrabschen auf die „beweibten Priester". Man wolle sich darüber klar werden: Luthers größte, verdienstlichste, solgewichtigste Tat war nicht die Verbrennung der päpstlichen Bannbulle, sondern — seine Eheschließung. Denn sie war der nicht zu überhörende Protest nicht nur gegen hierarchische Willkür, sondern auch gegen die gesamte moralische Weltanschauung der römischen Kirche. War und ist dieser das sittliche Ideal die größt mögliche Weltflucht, die Geringschätzung der natürlichen Lcbensordnungen (Ehe, Familie, Gemeinde, Staat), so sah eS Luther, umgekehrt, in deren Respektierung und Hei ligung durch den christlichen Geist, — ein sehr viel größerer Unterschied, als der in den Dogmen deretueuund'derandcrn Kirche sich ausspricht. Es können noch Jahrhunderte ver gehen, ehe die ganze Christenheit ihm darin folgt; aber die Stunde, in der eS geschieht, wird schlagen, und die Folgen der Aushebung des Cölibats werden nickst nur für die unter ihm leidenden Priester — durchweg die besten —, sondern auch für die Gesamtheit erfreulich und sozial heil sam sein. D. v. Deutsches Reich. -r- Berlin, 25. Oktober. lKöntg Victor Ema nuel und Präsident Loubet.) An das Ein treffen deS Italienischen Botschafters in Paris Grafen T 0 rntelli in Nom knüpft eine Wiener Korrespondenz eine bemerkenswerte Mitteilung. Ihr zufolge steht näm lich der Besuch des Grafen Torntellt in Rom „in Bc- zichimg mit einem wahrscheinlichen Besuche des Königs von Italien bet bemPräsidenten Loubet in Parts und des Herrn Lonbet beim Könige in Nom oder eher noch mit einer Entrevue zwischen Loubet und dem Könige in Palermo ober in Cagliari gelegentlich der Reise Loubet« nach Lunt«; allgemein hält man eine Entrevue in Palermo oder Cagliari für wahrscheinlich, da die Zeit für eine Reise des Königs Victor Emanuel nach Paris noch nicht reif ist." — Wir haben gnten Grund zu der Annahme, daß es in der Tat so kommen wird, wie man es hier als wahrscheinlich ansieht, daß also eine Be gegnung zwischen dem Könige Victor Emanuel und dem Präsidenten Loubet in Palermo oder in Cagliari statt finden wird. Tie Erklärung hierfür ist freilich ander wärts zu suchen, als in dem von jener Wiener Korre spondenz deS weiteren geltend gemachten Umstande, der König von Italien würde in Paris mit zu wenig Enthusiasmus empfangen werden. Ohne bestreiten zu wollen, daß der König von Italien in Paris nicht so wie der mit Frankreich verbündete Kaiser von Rußland em pfangen werden würde, hat man das Unterbleiben einer Reise des Königs von Italien nach Paris unter voll kommen andern Gesichtspunkten ins Auge zu fassen. Maßgebend für das Unterbleiben dieser Reise bleibt der Standpunkt Victor Emanuels, dem Präsidenten Loubet unter keinen Umständen den ersten Besuch zu machen. Das weiß niemand besser, als der französische Botschafter in Nom, Herr Baröre. Dieser dürfte schon froh genug sein, wenn anläßlich der Reise des Präsidenten Loubet nach Tunis eine Begegnung zwischen dem italienischen Monarchen und dem Präsidenten der Republik in Palermo oder in Cagliari zu stände kommt. Nach all' seinen pomp haften Ankündigungen muß Herr Baröre in der frag lichen Beziehung wenigstens ein reales Ergebnis herbei führen. An eine Reise des Königs nach Paris ist schlechterdings nicht zu denken, und darum wird der Aus weg, wenigstens in Palermo oder in Cagliari eine Be gegnung zwischen Victor Emanuel und Loubet stattfindeu zu lasten, von Herrn Barere mit größter Bereitwilligkeit betreten werden. HD Berlin, 25. Oktober. (Erfahrungen mit dem neuen Typ der deutschen Hochsee torpedos.) Von fachmännischer Feder verfaßt, ist sv- eben der seit vier Jahren übliche, für das große Publikum bestimmte Bericht über die Flottenmanöver des Jahres 1902 erschienen (Berlin, Mittler). Der an ziehenden, durch eine Reihe lebendiger Abbildungen noch anschaulicher gestalteten Darstellung entnehmen wir die wesentlichsten Angaben über die Erfahrungen, die mit dem neuen Typ des deutschen Hochseetor- pcd 0 s gemacht worden sind. Zum ersten Male setzten sich die beiden Torpedobootsflottillen aus lauter Ver tretern des neuen Trips zusammen. Die Hauptunter schiede gegen den früheren Typ bestehen zunächst in dem erheblich größeren Deplacement, das dadurch bedingt ist, daß die neuen Boote zwei Maschinen und zwei Schrauben, anstatt einer, besitzen und mehr Kohlen fassen. Die artilleristische Armierung ist stärker als früher, die An zahl der Torvcdoausstoßrvhrc ist dieselbe. Infolge aus gezeichneter Seccigcnschastcn sind sie jedem Wetter ge wachsen und gewährleisten in weit höherem Maße als früher die Möglichkeit sicheren Navigierens. Der beste Beweis dafür, daß die Wahl dieses Typs einen sehr glücklichen Begriff bedeutet, ist die Tatsache, daß zwei Boote das Manöver mitmachtcn, die eben aus Ostasien heimgekehrt waren, nämlich K. 91 und 8. 92. Die Boote gingen im Sommer 1900 nach Ostasien, waren dort volle zwei Jahre angestrengt tätig und wurden jetzt zur Manöverslotte gezogen, weil man beide Flottillen a»S gleichartigen Booten zusammensetzen wollte. Das vor zügliche Uebersteheu aller Anstrengungen durch beide Boote zeugt einerseits von ausgezeichneter Beschaffenheit des Materials, anderseits von sachgemäßer Handhabung desselben durch das Personal. Die an Stelle der Cnlinder- kcsscl cingeführtcn Wasscrrohrkcsscl haben, wie die Er fahrung mit den beiden Booten beweist, Ausgezeichnetes geleistet. Havarien kommen gelegentlich zwar vor, dürfen aber nicht irre machen: wo Holz gehauen wird, fliegen Späne! Drei bei der Flotte vorhandene Torpedoboote sind von der Kruppschen Germaniawerft gebaut. Sie werden zum Unterschied von den K-(Tchichau-) Booten als 6 - (Germania-) Boote bezeichnet. Diese neuen 6-Boote stehen den K-Booten vollwertig zur Seite und zeichnen sich besonders durch eine zweckmäßige Raum einteilung im Innern aus. — Ein Wasserrohrbruch auf kl. 98 war die einzige Havarie, die während der dreißig tägigen Dauer der Hebungen vorgekommcn ist. 6. II. Berlin, 25. Oktober. Im anarchistischen Heerlager sind zwei Kundgebungen erfolgt, die immerhin größeres Interesse beanspruchen, weil sie zeigen, wie sehr die Jnternationalität zwischen den Anarchisten in Europa gepflegt wird. Aus Anlaß des Generalstreikes in Genf und der damit verbundenen Nu- ruhen hat bekanntlich die republikanische Genfer Regie rung eine Anzahl Anarchisten ausgewiesen; für diese, die sich angeblich in großer Not befinden, haben jetzt die hiesigen Genossen einen Ausruf zu Geldsammlungcn er lassen. Die polnischen Anarchisten in Galizien wollen eine große Agitation entfalten und haben deshalb einen Aufruf erlassen, in dem cs heißt: „Eine Gruppe junger, kampfcslustiger Genossen hat sich, unbefriedigt, müßige Zuschauer des Kampfes unserer westeuropäischen Genossen zu bleiben, entschlossen, ihre ganze Energie, ihre ganze Leidenschaft auf die revolutionäre Propaganda zu richten und nicht auszuruhen, bis das polnische Proletariat, das durch die Grenzpfähle der drei Nachbarstaaten Oesterreich, Preußen und Rußland getrennt ist, die revolutionären Traditionen der Warschauer wieder ausgenommen und sich seiner heldenmütigen Vorkämpfer Dickstein, Kcmmicki, Warinski und Mryniewictzkt würdig erwiesen haben wird." Da die polnischen Anarchisten kein Geld haben, »nn ihre Agitation wirksam betreiben zu können, so sollen die hiesigen Genossen solches sammeln; anarchistische Schriften von Kropotkin, RccluS und Most sind bereits ins Polnische übersetzt und die Drucklegung und der Ver trieb sollen beginnen, sobald die nötige „Munition" zu sammen ist. Auch eine polnisch-anarchistische Zeitung soll ins Leben gerufen werden. Es wird interessant sein, zu erfahren, ob die nötigen Mittel beschafft werden. Gc- lingt dies, so wird die Polizei in allen europäischen Staaten die Augen wieder einmal weit offen halten muffen. * Berlin, 25. Oktober. (Der Trakehner Prozeß.) Vor der 7. Strafakmmer des Berliner Land gerichts ist ein Prozeß beendet worden, der in den Wahl kämpfen des nächsten Jahres, namentlich im Osten, eine grvße Rolle spielen und sicherlich auch das Abgeordneten haus in erregter Debatte beschäftigen wird. Gegen den Landstallmeister v. Oetttngen waren von Sanitätsrat N i ck e l in T r a k e h n e n Anklagen erhoben worden, die, so weit sic die persönliche Ehre -es Herrn v. Oetttngen an tasteten, sich als grundlos erwiesen haben, die aber doch Zustände in einer preußischen Verwaltung offenbarten, die man nicht für möglich hielt. Es ist aus einem staat lichen Besitze vorgekvmmen, daß Scharwerker beiderlei Geschlechtes in derselben Kammer schlafen mußten, daß auf die Frage, wer hat gestohlen, sich die ganze Schulklasse er hob. Es gibt auf einer staatlichen Domäne Schulzimmer, in denen im Winter der Schnee liegt, da die Temperatur nicht über 0 Grad zu bringen ist. Der Staatsanwalt hat ansgcführt, daß Herrn v. Oettingen die Schuld an diesen Zuständen nicht treffe, da er bestrebt gewesen sei, die Woh- nungsverhältnisse der Arbeiter, Wärter und Beamten, die er ja selbst als unglaublich schlecht bezeichnet hat, zu ver bessern. Bei dem erbitterten Kriege, der zwischen Lehrern und Domänenverwaltung besteht, mögen auf beiden Seiten Fehler vorgekommcn seinp; aber jedenfalls ist durch die Verhandlung erwiesen, daß die Lehrer sich ungefähr wie in einer Strafkolonie gesühlt haben. Wenn der Lehrer ruhig zuschen muß, wie es ihm durchs Dach regnet, so daß er seine Kleider im Schranke durch Säcke zu schützen ver sucht; wenn ihm die Kartoffeln im Keller, die Vorräte im Schuppen verderben und das Kalb im Stalle erfriert, ohne daß er Abhülfe zu schaffen vermag, so kann er doch un möglich die zu seinem wichtigen und schweren Berufe nötige Freudigkeit aufbringen, so muß er notwendig daran verzweifeln, etwasErsprießliches zu leisten, besonders,wenn er in einer nicht wärmbaren Schulstube vor Kindern, die vor Külte klappern, lehren soll. Mögen viele der Klagen auf Aufsässigkeit, auf gegenseitiger Verärgerung beruhen, jedenfalls war es, wie die „Tügl. Rundsch." zutreffend aus führt, unstatthaft, daß Herr v. Oettingen ihre Bewegungs freiheit in der Weise einschränkte, daß die Lehrer, wenn sie auf ein benachbartes Dorf gehen wollten, erst seine Er laubnis einholen mußten, als wären sie polizeilich Inter nierte. Bon der Beförderung der Lehrer auf Schweipc- wagcn und der Verweigerung des Fuhrwerkes in Krank heitsfällen oder gar bei dem ersten Krckrgange -er Lehrers frau »ach der Entbindung oder dem Taufgange, wollen wir schweigen. Was den Trakehner Prozeß bedeutsam macht, ist nicht nur die Aufdeckung haltloser und unwürdiger Zu stände auf einer königlichen Domäne, sondern die leidige Erkahruna, daß trotz aller Weisungen von hoher und höchster Stelle bei mancher Verwaltungsbehörde noch ein Geist herrscht, der die Zeit, in der wir leben und die Auf gaben, die dem Staate gestellt sind, nicht begreift, der unsere Entwickelung eigenmächtig um Jahrzehnte zurück schrauben möchte und dadurch die besten Regierungsabsich tcu nicht nur wirkungslos macht, sondern den Staats nörglern und Ltaatsfeinden direkt in die Hände arbeitet. Berlin, 25. Oktober. (Telegramm.) Die „Norbd. Alla. Ztg." schreibt: „Die „Rheinisch- Westfälische Zeitung" läßt sich ans Berlin eine Erzählung aufbinden, in der zu lesen ist: „Trotz aller offiziösen Schönfärbereien ist eö sicher, daß der Reichskanzler Graf von Bülow den Empfang der Bocrengcneralc nicht wünschte und daß er ibnen ein Bein stellte, vermutlich so, daß er erst feststellte, der britische Botschafter werde die Generale nicht einführen, daß er dann dem Kaiser die entstehende Blamage vormalte, das Zögern der Boerengenerale, die auS politischen Besorgnissen eine direkte Berufung erwarten mußten, als Nichtannahme der Einsührungsbedingung auslegte und dann eiligst die Tür mit ter Note der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" zuschlug. Der Kaiser durchschaut heute die Sachlage. Die Kaiserin bemerkte in der vorigen Woche gelegentlich eines Damenempfanges, der Kaiser habe getagt, daß er nicht mcbr Herr in seinem Hause sei." — „Wir erinnern unS nickt, in einem Blatte, das auf politische Bedeutung und nationalen Takt Anspruch macht, eincm alberneren Schwindel begegnet zu sein. ES ist auch nicht ein wabreS Wort an der ganzen Geschichte." — An Stelle deS verstorbenen Abgeordneten Virchow in für den LandtagSwablbezirk 3 Berlin ein neues Mitglied des Abgeordnetenhauses zu wählen. Der Ober- präsieent bat den Termin für die Wahlmänner-ErgänzungS- Wablen auf Dienstag, 6 Januar 1903, und den Termin für die Wahl deS Abgeordneten auf TienStag, 13. Januar 1903, festgesetzt. — In der letzten Nummer der sozialdemokratischen „Neuen Zeit" macht Karl KautSky gelegentlich folgende nickt nninleressante Bemerkungen: ,.DaS Proletariat muß danach tracksten, das Heer als Mittel zur Niederhaltung des Volkes aufzuheben, aber es kann für abseh bare Zeit leider noch nicht deS Heeres als Mittel zur Verteidigung gegen auswärtige Feinde, namentlich von Osten, en trat en. Tas Problem wird nicht durch einfache Beseitigung der Armee gelöst, sondern durch Aufhebung der Privilegien, die sie, d. h. ihre Offiziere, in so reichlichem Maße genießen, und durch Aushebung der Wehrlosigkeit des Volkes, d. h. durch Volksbewassn un g ... Wir denken selbstverständlich nicht daran, die gesamten Pro duktionsmittel mit einem Scklage zu verstaatlichen. Aber den Anfang dürsten wir mit den großen Monopolen machen, Eisen bahnen, Bergwerke, Großgrundbesitz, kartellierte Großindustrien, ohne Unterschied de» Besitzer» ..." — Nachdem die Mehrheit der preußischen Eisen bahndirektionen sich gegen eine Erneuerung der au( den Stationen aushängenbcn, abändcrungsbcdürftigen Znsammenstellung der wichtigeren Be stimmungen für den Pc rs 0 n e n v c r k c h r aus gesprochen hat, weil ihr crfahrungsmäßtg von den Reisen den wenig Beachtung geschenkt wird, hat der Minister der öffentlichen Arbeiten der Einziehung dieses Aus Hanges auch im Hinblick darauf zugestiwmt, daß die wich tigeren Bestimmungen in den durch Auszüge aus der Be-
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