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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 24.10.1906
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1906-10-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19061024011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1906102401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1906102401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1906
- Monat1906-10
- Tag1906-10-24
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Stelleu-Anzrigrn, sowie An- und Berkäufe 20 Pf, finanzielle Anzeigen 30 Pf, für Inserate von au-wärtS 30 Pf. Reklamen 75 Pf, auSwärt« l Mark. Beilage- gebühr 4 Mark p. Tausend ezkl. Postgebühr. Geschäftsanzeigen an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Tarif. Anzeigen-Annadme: AugustuSplay 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncra- Erveditiouen des In- und Auslandes. r daS Erscheinen an bestimmten Tagen u. ätzen wird keine Garantie übernommen. Hanpt-Ftltale Berlin: EarlDuucker,Herzgl.Bayr.Hofbuchhandlg, Lützowstrafie 10 lTrlephon Vl, Nr. 4603). Atlial-Erpeütti on: Dresden,Marienstr.34. Nr. 521. Mittwoch 24, Oktober 1906. 10V. JabMNsi. Vas Wichtigste vom Tage. * Kaiser Wilhelm ließ dem Bürgermeister von Venedig Grafen Grimani seine Absicht mitteilen, der Stadt Venedig eine Büste WagnerS zu schenken; Grimani dankte. Bei der Ausstellung sollen durch Musiker der Berliner Hofoper Wagnersche Kompositionen zur Auf führung gelangen. * DaS Reichsgericht hat in der Klage des Grafen Alexander v. Welsburg gegen den Großherzog von Oldenburg, daS grobherzogliche HauS und die Verwaltung de» großherzoglich olvcnburgifchen Familienvermögens aus Anerkennung al» gleichberechtigte» Mitglied des olden- burgischen Hau'eS und dementsprechende Apanagierung, die gegen da» Urteil deS OberlanveSg'richle» Oldenburg ein gelegte Revision verworfen. Die Ansprüche beS Grafen sind also in allen Instanzen abgewiesea worden. * Am gestrigen Tage verbandelte die Landessynode eingehend über die Frage der geistlichen Schulaufsicht. * Im 18. Hannöverschen ReichStagswahl- kreiS Stade-Bremerförde findet Stichwahl zwischen Reefe lnatl.) und Ebert sSo»-) statt. lS. Letzte Dep.) * Die Königin der Niederlande und der Prinz, gemabl treffen am Freitag zu mehrtägigem Besuch beim Großherzog von Sachsen is Weimar eiu. * Wie e» heißt, ist Geheimrat Honsell mit der Leitung deS badischen Finanzministeriums beauftragt worden. * Im Wettbewerb für den Neubau deS Deutschen Museums in München hat Gabriel vou Seidl deu erste» Preis erhalten. (S. Feuill.) * DaS Ministerium Clemenceau ist gebildet. Pichou erhielt daS Portefeuille de« Auswärtigen. Milleraud scheidet aus der Komb iuatioa aus. (S. Leiter.) vSdeln. So ist denn doch der Sozialdemokrat als Sieger aus dem Döbelner Wettkampf hervorgegangen! Gleich die Haupt wahl hat für ihn entschieden. Für ihn wurden 12 213 Stim men gezählt, Professor Haffe, der gemeinsame Kandidat der Nationalliberalen und Konservativen, des Bundes der Landwirte, der Mittelstandspartei und der Antisemiten brachte es auf 8321, der freisinnige Kandidat Lehrer Beck aus Dresden auf 3509 Stimmen. Vergleicht man diesen Ausgang der Wahl zunächst mit dem von 1903, so ergibt sich, daß der Sozialdemokrat, der damals ja auch gewählt wurde, dieses Mal zahlenmäßig um ca. 950 Stimmen ungünstiger abgeschnitten hat. Er erhielt im Jahre 1903 13 162 Stim men. Dagegen brachten dieses Mal die bürgerlichen Kandi daten Haffe und Beck zusammen 12014 Stimmen auf, wäh rend die beiden bürgerlichen Kandidaten Zimmermann lAnt.) und Luckweil sNatl.), die 1903 kandidierten, zu sammen nur 11003 Stimmen erhielten. Sie haben also eine Zunahme von über 1000 Stimmen zu verzeichnen. Das Uebergewicht der sozialdemokratischen Stimmen, das 1903 über 2000 s2159) betrug, ist durch diese Verschiebung auf 702 Stimmen zurückgegangen. Vergleicht man das Wahl resultat «es 22. Oktober 1906 mit früheren Wahlen, so läßt sich sogar konstatieren, daß die gemeinsame Stimmenzahl der bürgerlichen Parteien zum ersten Male wieder seit 1890 die Summe von 12000 Stimmen erreicht hat. Das ist er freulich. Denn es zeigt, daß es gelungen ist, eine größere Anzahl von sozialdemokratischen Mitläufern, die nicht zu den eingeschworenen Genoffen gehören, zurückzugewinnen. Man wird aber offen zugestehen müssen, daß die Stimmen dieser Mitläufer weniger dem Kandidaten der vereinigten Nattonallitecalen, Konservativen und Antisemiten zuge fallen sind, als dem der Freisinnigen. Lehrer Beck hat mit seinen 3642 Stimmen eine weit höhere Stimmenzahl er reicht a>» der Freisinn in den Jahren 1887, 1890 und 1893 für sich zahlte, d h. bei den Wahlen, in denen er seit 1887 selbständig oorging, während er bei der einzigen Wahl, in der dies sonst noch geschehen ist, 1884 noch um 400 Stimmen s4O41) mehr erhielt. Anderseits hat Professor Haffe etwa 2000 Stimmen mehr erhalten, als der Nationalliberale 1902 f6129s, der damals auch Kompromißkandidat war. Aus diesen bewen Tatsachen ergeben sich die Gesichts punkte für die Beurteilung der Döbelner Wahl und die parteipolitischen Konsequenzen für die Wahl 1908. Zunächst wird durch die Zuname der Stimmen, die die Kandidatur Haffe ^ufweist, vollkommen gerechtfertigt, daß man gerade seine Person als für diese Wahl geeignet ansah. Die starken alldeutschen Traditionen, die im Döbelner Wahlkreis wirken, ließen in Verbindung mit dem gemäßigt liberalen Standpunkt, den Professor Hasse vertritt, die Hoffnung zu, daß, wenn der Wahlkreis überhaupt noch auf der Basis einer lonservativ-nationalliberalen Kompromißkandidatur zu neh men war, dies durch Herrn Professor Haffe geschehen konnte. Diese Hoffnung wurde dann aber nur insoweit gerechtfertigt, alS die auf Haffe vereinigte Stimmenzahl gewachsen ist. Daß sie aber nicht zum Sieg führte, wird auch den alten national liberalen Kartellfreund zu einer erneuten Nachprüfung seine» Standpunktes veranlassen müssen. Die 3500 Stimmen de» freisinnigen Kandidaten zeigen, wie stark der Zug nach links io» bürgerlichen Lager ist. Er bricht sich trotz aller Mahnung zu» Zusammenschluß der bürgerlich«» »artet« Bahn, veil man von der Erkenntnis erfüllt ist, daß uns im Reichstag gegenüber dem Zentrum, den einseitigen Agrariern und der Sozialdemokratie ein starker Liberalismus not tut. Daß dieser liberale Zug dann dem Liberalismus in der Form der Freisinnigen Volkspartei zugute kommt, wenn die National liberalen sich mit den Konservativen vereinigen, zeigte schon die Chemnitzer Ersatzwahl und bekräftigt sich jetzt in Döbeln. Aber es braucht für die Zukunft nicht so zu sein. Nur muß dann der Nationalliberalismus sich unter völliger Wahrung seines nationalen Standpunktes auf seine liberalen Ausgaben im Reichstage besinnen und darum auch schon für die Wahlen darauf bedacht sein, die Konsequenzen aus seinem liberalen Standpunkt zu ziehen. Wenn der alte Kartellgedanke selbst in Verbindung mit der Person des Herrn Professor Hasse und selbst in einem so stark ländlichen Wahlkreise wie Döbeln nicht mehr zum Siege führen konnte — so lädt der eine schwere Verantwortung auf sich, der für die ReichstagSwahlen von 1908 ihm immer noch als leitenden Gedanken ansehen möchte. Er kann in dem einen oder anderen Fall, durch ganz besondere Umstände für die Praxis notwendig werden. Das wollen wir durchaus nicht bestreiten. Er wird auch für die Stichwahlen immer wieder sich ausdrängeu. Nimmermehr aber darf er, gerade auch i» Sachsen, der parteipolitische Grundsatz für die Taktik bei den kommenden Neichstagswahlen werden. Dafür hat Döbeln, das für den alten Kartellgedanken zu sprechen schien, einen letzten schlagenden Beweis gebracht. Möge man es den Konserva- tiven überlasten, dem alten Kartell nachzutrauern, wie eS Herr Opitz getan hat, — der Liberalismus auf nationaler Grundlage wird nur wieder erstarken, wenn er im stolzen Bewußtsein der großen Aufgaben, die er zum Wohle des Vaterlandes heute mehr denn je zu erfüllen hat, selbständig vorgeht. Ministerium eirmenersu. Das Ministerium Clemenceau ist gebildet. Oranä LliiüstSrv! wird es bei de» Franzose» heißen, die außer an deren monarchistische» Gepflogenheiten auch die Verhimme- lung der Person nicht unterlassen könne», ihre große» Minister haben müssen, wenn sie keinen großen Karl oder Ludwig mehr haben dürfen. Trotz alles Radikalismus. Denn radikal ist letzt das Ministerium bis in die Knochen. Wer hätte ehemals gedacht, daß der rote Clemenceau einmal Ministerpräsident werden würde: er, einst der linke Flügel mann der republikanischen Kompagnie? Wer wußte, daß er es werden wollte, als er Jahrzehntelang den Minister- stürzer spielte, aber bei jeder Neubildung der „Konzentra- tions"-Kabinette seinen Eintritt versagte, als einer, „der» nicht nötig habe"? Der Mann hat eben seine Zeit abgewartet. Abgewartet, dis der französische Volksgeist sich so weit nach links entwickelt hatte, daß er, der im schwindenden politischen Bewußtsein, in der Flut der deutschen Invasion ertrinkend, instinktiv nach dem fest scheinenden User des Monarchismus griff, ständig wachsende radikale Mehrheiten in die Kammer entsendet. Die dunkelrote, sozialistische Färbung des neuen Mini steriums ist dem sernestwohnenden Beobachter erkenntlich: Clemenceau, Millerand, Viviani, Briand! Das Auswärtige in der Hand eines Sozialdemokraten! Freilich eines solchen, der von den Nichts-als-Sozialisten nicht mehr für voll ge rechnet wird; eines Sozialdemokraten, der das amtliche Lob des deutschen Kaisers, der hohe russische Orden eingeheimst hat. Und die Welt empfindet die Berufung dieses Sozial demokraten als eine Erlösung: wurde doch einige Tage hin durch angekündigt, daß ein Strohmann des Chefministers düs verantwortungsreichste Amt erhalten sollte. Daß der Intimste vom Hause Clemenceau es nicht be kommt, sondern mit einem neutraleren Restart abgesunden ist, wirkt beruhigend. Vielleicht auch, daß Millerand sich zu dem Amte geradezu gedrängt haben soll. Es war ihm daS neue volkswirtschaftliche Ministerium angeboten. Clemen ceau scheint angenommen zu haben, daß der Sozialist förm lich brennen werde, soziale Resormgesetze mit seinem Namen zu verknüpfen. Aber Millerand hat eben auch für andere Dinge Sinn, als für Klassenkampf und Zukunftsstaat. Er hat als ehemaliger Minister bereits gelernt, nne schwer ge rade auf lenem Gebiete Dank zu erwerben, wie wenig einer praktischen Neformpolitik mit der bloßen Tendenz, mit der unverbrüchlichen Treue gegen das Programm gedient ist, welche die Schriftgelehrten der Partei als die höchste Tugend schätzen. Sein Lavieren, feine Kompromiß-Diplomatie, seine Berücksichtigung der Opportunität hatten den Sozial politiker bald in eine mehr als schiefe Stellung zu seiner eigenen Partei gebracht. Dagegen mag die Anerkennung urteilsfähiger Fremder ihm die Empfindung eingcslößt haben, daß vielleicht auf dem Gebiete der Auslandspolitik ihm jene Lorbeeren winken, die das inländische Parteigetriebe ihm versagt hat, dessen Tendenzbären er als Schaukler zwischen zwei Stühlen erschien. Vielleicht aber ist es nicht allein eine gegründete oder ge- wähnte Ueberzeugung von seiner persönlichen Befähigung, die den Mann veranlaßt hat, nach diplomatischen Erfolgen zu geizen. Vielleicht war es auch sein Pflichtgefühl, das ihn bestimmt hat, in d,e Bresche zu treten, um eine gefährliche Besetzung des hochwichtigen Posten» abzuwenden. Den» wenn Herr Pichon Clemenceausche Politik treiben sollte, und wenn die Clemenceausche Politik so beschaffen ist, wie sie scheint: dann allerdings gebot es der Patrotismus, dieser Politik eiu Gegengewicht zu schaffen. Galt doch Clemenceau von jeher als ein ausgesprochener Engländerfreund; wird doch befürchtet, daß er seine Vorliebe stärker akzentuiere«, greifbarer betätigen würde, als der Völkerfriede vertrüge. Mag ein groß , Teil Uebertreibung in solchen Befürchtungen stecken: die nicht ausdrücklich bestrittenen Verhandlungen über eine Militärkonvention mit England, Clemenceaus wiederholte, in den letzten Wochen mit steigernder Häufigkeit geflissentlich wiederholte Betonung des nationalen Ge sichtspunktes ist geeignet, den Besorgnissen eine Grundlage zu geben, die im Auslände wie im Inlands vor einer schran kenlosen Machtstellung dieses Mannes gehegt werden. Im Inlands mehr noch als im Auslande, und da ist es wieder höchst erfreulich, daß die öffentliche Meinung Frankreich» so energisch ausbegchrte, als von der Ernennung de» aller nächsten Gesinnungsgenossen des neuen Ministerpräsidenten die Rede war; erfreulich, daß die Stimme der Nation viel leicht iu erster Linie di« Wahl eine» minder herausfordernd« Kandidat« bewirkt hat. Es wäre doch auch ein seltsames Schauspiel, wenn jene so zialistische Partei, bie so groß tut mit ihren Ideen von Völkerverbrüderung und ewigem Frieden, wenn sie es Ware, die ihr Regiment mit Krieg und Kriegstreiberei beginnen wollte. Welchen Titel vermöchte sie bann künftig aufzu weisen für ihren Anspruch an die Herrschaft, wenn sie ihre erste Amtsperiodc benutzte, um eine solche Situation zu schaf fen, in der von einer ruhigen Friedensarbeit für ihre Reform pläne nicht die Rede fein kann? Gerade in Frankreich, das so gewaltig rückständig ist in seiner sozialen Gesetzgebung! Das noch keine progressive Einkommensteuergesetzgebung be sitzt, seine Bahnen noch nicht verstaatlicht, noch kerne Ar- bciterversicherungsgesetzgebuna geschaffen hat! Daß damit jetzt Ernst gemacht wird, dafür mag uns vorläufig die Schaffung eines eigenen „Arbeitsministeriums" und die Be rufung Vivianis bürgen, eines Sozialisten vom reinsten Wasser: eine noch bessere Bürgschaft aber verleihen der Wiedereintritt des unabhängig vom Parteigetriebe denken den ManneS, der einst in offener Kammer bie deutschen Arbeitergesetze gelobt bat. Kurz vor Schluß der Redaktion geht uns folgende Depesche zu: Die von Clemenceau eingeleiteten Unterhandlungen zur Bildung des Kabinetts sind zum Abschluß gelangt. Nur die Zuteilung des Kolonialministeriums ist noch nicht end gültig erfolgt. Das neue Kabinett setzt sich wie folgt zu sammen: Präsident und Inneres Clemenceau, Justiz Guyot-Desiaigne, Auswärtige? Pichon, Unterricht Briand, Finanzen Caillaux, Krieg Picquart, Marine Thomson, öffentliche Arbeiten Barthou, Hande! Doumergue, Ackerbau Nuau, Arbeits ministerium Viviani. Das Kolonialministerium soll Millies Lacroix angeboten werden, dessen Annahmeerklärung sicher erscheint. Die Unterstaatssekretärfrage soll bald ge regelt werden. — Millerand hat in letzter Stunde sich von der Kombination zurück gezogen. Wie aus den obigen Ausführungen hervorgoht, erhält durch Millerands Rücktritt und durch Pichons Ernennung zum Minister deS Auswärtigen die Bildung des neuen Kabi- ncttS eine weit gefährlicher erscheinende Bedeutung für die internationale Lage. Durch PichvnS Einsetzung ist der un bedingte Einfluß des ehrgeizigen und unberechenbaren, mit Pichon aufs engste befreundeten Clemenceau auch auf die auswärtige Politik Frankreichs festgestellt. L«m ffapitel „fflirfgedeimntt". Vor einiger Zeit war gegen die Reichspostverwaltung von welsischer Seite der schwere Vorwurf der Verletzung des Briefgeheimnisses erhoben worden. Be hauptet wurde, daß fortgesetzt Briese maßgebender welsischer Persönlichkeiten unter Verletzung des Briefgeheimnisses be schlagnahmt worden seien. Wie unglaublich eine derartige Verdächtigung ist, wird für jeden ohne weiteres klarliogen, der die auf das Briefgeheimnis einschlägigen gesetzlichen Be stimmungen auch nur einigermaßen kennt. Eine kurze sach liche Erörterung derselben mag hier Platz finden. Da» Gesetz über das Postwesen des Deutschen Reiches vom 28. Oktober 1871 bestimmt im 8 5: „Das Brief geheimnis ist unverletzlich. Die bei strafge richtlichen Untersuchungen und in konkurs- und zivilprozessualischen Fällen notwendigen Aus- nahmen sind durch ein Reichsgesetz sestzustellen. Bis zu dem Erlaß eines Reichsaesetzes werden jene Ausnahmen durch die Landcsgesetze bestimmt." Das in Aussicht gestellte besondere Reichsgesetz ist bisher allerdings nicht erschienen, doch haben die inzwischen an die Stelle der Landesgesetze getretenen Reichsjustizgesetze diese Ausnahmen vom Briefge- oeimnis ganz bestimm, festgelegt. Darnach ist nur zu lässig: In Strafprozessen: Die Beschlagnahme der an den Beschuldigten gerichteten Postsendungen, desgleichen die Beschlagnahme solcher Briese und Sendungen aus der Post, in betreff deren Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, daß sie von dem Beschuldigten herrühren oder für ihn bestimmt ist und daß ihr Inhalt für die Untersuchung Bedeutung habe. Die Beschlagnahme muß vom Richter ausgehen: wird sie im Ausnahmefalle vom Staats an walt angeordnet, so ist sie binnen 3 Tagen vom Richter zu bestätigen, sonst tritt sie außer Kraft lvgl. 88 99 und 100 der Reichs-Strafprozeßordnungs; in Konkursfallen: auf Anordnung des Konkurs gerichts die Aushändigung aller für den Gemeinschuldner eingehenden Postsendungen in den Konkursverwalter, der zur Oessnung der Sendungen berechtigt ist svgl. 8 121 der Reichs-Konkursordnung). Für den Zivilprozeß sind dagegen in der Reichs- Zivilprozeßordnung Ausnahmen vom Briefgeheimnis nicht vorgesehen. Deshalb wird auch in Zivilprozessen seitens der Post weder dem Gerichte noch den streitenden Parteien irgend eine Auskunft über Postsendungen erteilt, wenn nicht zuvor der Absender oder gegebenenfalls der Adressat seine Einwilligung hierzu erteilt bat. Abgesehen von den arracffihrten Ausncchmen im Straf- Prozeß und im Konkurs sind weitere Beschränkungen deS Briefgeheimnisses, die jedoch auch gesetzlich festgelcgt s.nd, nur noch möglich: wenn eö sich in gewissen Fällen um e'.ie vorläufige Beschlagnahme von Druckschrif- t e n handelt, z. B. unzüchtigen Inhalts, die durch die Poli zeibehörde oder die Staatsanwaltschaft erfolgen kann lvgl. 8 23 des Reichs-Prehgcsehcs), ferner während des Be- lagerungszustandes auf Anordnung der Militärbe- sehlshaber und zwecks zollamtlicher Behandlung gewisser Sendungen auf Anordnung der Zollbehörden. Mit Ausnahme der vorbezeichneten Fäll«, deren Vorau», setzungen sämtlich durch die Gesetze bestimmt begrenzt sind, fft do» Briefgeheimnis im strengsten Sinne deS Worte» unverletzlich, da» heißt, keiner Behörde sonst und keiner Seite, io hoch oder niedrig sie stehen mag, darf postseitig eine Mitteilung über die Korrespondenz zwischen Dritten gemacht, geschweige denn die für einen Dritten bestimmte Sendung zu Unrecht ausaeliefert werden. Zwischen welchen Personen eine Korrespondenz besteht, ob für einen anderen eine Sendung eingegangen ist, wann die für einen andere« bestimmte Sendung eingeliekcrt worden ist usw.: für alle diese Momente wird nach der gesetzlichen Auslegung der Begriff des Briefaebeimnisses in Anwendung gebracht, und daher strengste Verschwiegenheit von der Post behörde und ihre« Beamte» drittcn Personen gegenüber ge fordert. Selbst al» Zeug« vor Gericht Lob« die Post. beamten ihr Zeugnis im Einzelfalle zu verweigern, wenn dies eine Verletzung des Briefgeheimnisses in sich schließen würde, soweit sie nicht ausdrücklich von der Postbehörde von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden worden sind. Wie subtil die Postverwaltung den Begriff des Bries- geheimnisses auffaßt, erhellt am besten daraus, daß sie ihn analog auch auf den Postzeitungsvertrieb anwendet und da her selbst den Zeitungsverlegern die Angabe der Namen derjenigen Personen verweigert, die bei der Post auf die betreffende Zeitung abonniert haben; nur die Wohnorte der Abonnenten werden dem Verleger auf Verlangen mit geteilt. Daß bei dieser strengen Auffassung und Durchführung des Briefgeheimnisses seitens der Post die eingangs erwähnte Verdächtigung geradezu ungeheuerlich erscheint, darf bei dem Ansehen der Deutschen Reichspost nicht Wunder nehmen. Eine derartige flagran.e Verletzung des Brief geheimnisses kann eben heutigen Tages im Deutschen Reiche al» völlig ausgeschlossen gelten. Die verwerfliche Ein richtung der „schwarzen Kabinette", die noch Mitte der vier ziger Jahre des vorigen Jahrhunderts bei einzelnen deut schen Staaten in Blüte standen und für politische Zwecke eine Verletzung des Briefgeheimnisses im großen Stile be trieben, ist Gott sei Dank für Deutschland endgültig ab- getan. Ritt einer ffarteigerchichte. Eine mit Bildnissen reich geschmückte „Denkschrift für die Teilnehmer des nationalliberalen Parteitages zu Goslar, Oktober 1906" hat die „National-Zeitung" dem Parteitag als Angebinde überreicht, eine wertvolle und vornehme Gabe in Inhalt wie Ausstattung. Aus da» Baffermannsche Vorwort der Denkschrift näher einzugehen, wollen wir unS mit Beacht versagen. Bassermann hat es sehr aktuell ge halten und viele Verstimmungen der letzten Monate klingen darin wieder. Daß der Politiker Bassermann im letzten Jahre eine innere Wandlung durchgemacht zu haben scheint, daß ein Zug der Resignation in seinem Wesen immer be stimmter sich bemerkbar macht und daß al» Ausdruck bieser Wandlung die kampsessrohe Betonung des Liberalis mus schwächer, die der staatlichen oder staatsmännischen Not wendigkeiten stärker geworden ist, dafür kann dies Vorwort als Dokument dienen. Eine Stelle aber, die wichtigste und für den psychologischen Scharfblick Bassermanns bezeich nendste, wollen wir zitieren: „Es ist eben etwa» Schönes darum, wenn eine große Idee über allen materiellen Inter essen und selbst über Steuerfragen hinweghilst. Uns fehlt eine solche zündende Idee zur Zeit. Und das läßt die Un zufriedenheit leichter hoch kommen, als gut ist." „Sehr richtig!" dürfen wir unter Berufung daraus sagen, daß wir seit langer Zeit nicht nur immer wieder das Gleiche kon- skaliert, sondern uns auch positiv bemüht haben, auf solche „zündenden Ideen" hinzuweisen. Die Denkschrift selbst behandelt die Geschichte der nationalliberalen Partei und ist von dem politischen Nedak- teur der „National-Zeitung", Dr. Paul Harms, verfaßt, das Werk eines klugen und politisch erfahrenen Mannes, der bei aller Partei- und Berufsarbeit innerlich frei geblieben ist. Schon die Einleitung der Schrift zeugt davon: Be- wegung ist alles! heißt seines politischen Glaubensbekennt nisses wichtigster Sah, der ihm auch bei der Beurteilung und Skizzierung der Geschehnisse Richtschnur geblieben ist. Wir können hier nicht nacherzählen, was Harms dort alles schildert: die Zeit der Wirren und des Werdens bis zur Gründung des neuen Deutschen Reiches und die Glanzepoche des nationalen Liberalismus, Sezession und die ganze neuere Partcigeschichte. Mer von der Art der Darstellung möchten wir einen Begriff geben und zugleich nach Kräften um die Publizität der Ideen uns bemühen. Harms erzählt von dem Militärkonslikt 1874. Die Negierung verlangte das Aeternat, das heißt die dauernde Festlegung der Truppen körper und der Mannschaftsstärke. Für das Parlament be deutete das den Verzicht auf das Budgetrecht, einen Ruhmes- titel der Nationalliberalen. „Da bot Bennigsen den, Kanzler das Septennat, in dessen zeitlicher Beschränkung die An erkennung des Budgetrechts liegt. Der Kanzler und aus seine Empfehlung der Kai'er nahmen es an, und sämtliche 152 Stimmen der Nationalliberalen, mit Ausnahme der von drei erkrankten Parteigenossen, sielen dafür in die Wagschale. Auch Lasker, der 1871 gegen das verlängerte Provisorium gewesen war, hatte sich bekehrt." Hieran knüpft Harms fol gende treffliche Bemerkung: „Der ganze Vorgang ist ge- eignet, das grellste Schlaglicht auf den späten Bruch Bis- marcks mit den Nationalliberalen zu werfen: denn er zeigt, daß der Kanzler, in Lebensfragen des Reiches, die Verstän digung mit der „Partei der Reichsgründung" wohl hätte finden können, wo er sie ernstlich gewollt hötte. Und man darf sich angesichts des so glücklich vermiedenen Militärkon- slikts von 1874 schon fragen, ob der Schocher mit dem Ultra- montanismus zur Durchführung einer neuen Steuerpolitik wirklich eine unvermeidbare Notwendigkeit gewesen." Die Bismarcksche Beurteilung nationalliberaler Führer im Hohenloheschen Memoirenlichte läßt die Berechtigung dieser Frage noch deutlicher werden. Ter hierauf folgende Abschnitt, die Wertung des Kultur kampfes und neue Kulturkampfmöglichkeiten, zählt zu den besten der Harmsschen Schrift. Klare Erkenntnis der inneren Vorgänge und trotz durchscheinender Neigung für eine Verständigung mit der Kirche objektives Abwägen und eine Perspektive von hohem Standpunkte aus geben diesem Abschnitt die Merkmale. HarmS schreibt: „Es ist heute, selbst in liberalen Kreisen, Mode ze- worden, über den Kulturkampf vornehm die Nase zu rümpfen. Auch Bismarck in seinen Gedanken und Er- inncrungen macht sich die Auseinandersetzung mit dieser Episode ziemlich leicht. Für ihn — so will er glauben machen — sei der Kulturkampf nie viel mehr al» eine er weiterte Polenfrage gewesen. „Am Bilde ehrlicher, aber ungeschickter preußischer Gendarmen, die mit Sporen und Schleppsäbeln hinter gewandten und leichtfüßigen Priestern durch Hintertüren und Schlafzimmer nachsetzten", sti ihm klar geworden, daß die juristischen Einzelheiten der Mai- qesetze „psychologisch nicht richtig gegriffen" waren. Das mag sein oder nicht sein; aber so ist es doch keinesfalls, daß auf mehr oder minder richtig „gegriffene" Einzel heiten der Maigesetze das Gesamturteil über den Kultur kampf aufgebaut werden dürfte. Der Kamps zwische« NltramontaniSnru» und deutschem Kaisertam ist i« alt« Reich« »i« oosaetra»» Wort«. Nachd«, sich da» neue
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