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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 20.01.1906
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1906-01-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19060120020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1906012002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1906012002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1906
- Monat1906-01
- Tag1906-01-20
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Vezia-.H-rer- f> tz«r Hantztttzpitztü»» «d« d«i U»Z-«b*- stelle» abgihottr -tetteltzl-rÜch LM, b«t täglich A>HrI»A in» Han» vierteljShrttch L—. L«ch euch« a»S- ivürtige» LnSgabesteL«, «ch dnrch dk Post bezogen für Deutfchlantz «md Oesterreich vietteljShrltch SckiE fk di« übrigen LLnda laut ZettuugSprriSlWr. Dies, Nunun« kostet "k 4 Iß ML all« vahnbbf« mdb«t III kß^I den Zeitung»-BerkLufrrn »v Neditttto» m»tz GtztzetzMnnr J ohami-gast, L Telephon Rr. lüS, «r. WL, «r. 1178. Berliner UedLkttnud-vsrr««: Berlin 7. Dorotbeeustratz« 83. Tel. I, «r. H Dresdner UednMnud-vnre«: LreSdeu-A.. Könurrttstr. Lk, Del. L «r.4L83. Abend-Ausgabe. MpMer TllgMM Handelszeitung. Amtsblatt -es Rates «nd -es Rolizeiamtes -er Lta-t Leipzig. Anzeigen-Prei- vie tzgespalteu« Petüzeite für Leipzig und Umgebung L5 Pf., für anöwärtS 30 Pfg. Familien- WohnungS- und Stellen- Anzeigen 20 Pf. FinanzielleAnzeigeo, Geschüstsanzeigen unter Text oder an besonderer Stell» nach Tarif. Für das Erscheine« an bestimmte» Tagen u. Plätzen wird kein« Garantie übernommen. Anzeigen und Extrabeilagen nur in der Morgen-Ausgabe Schluß der Buaahme nachmittags 4 Uhr. Auzeigen-Annahme: AugNstuStzlatz 8, Ecke JohanniSgasse. Hautzt-Ailtale verltur EarlDn u ck« r,Hrrzgl.BaqrHofbuchhandlg„ Lützowstraße 10 (Fernsprecher Ami VI Nr. 4603). KUial-Srpedttion: Dre»tze«,Marieustr 34. Sonnabend 20. Januar 1906. Ivo. Jahrgang. Var MStigrle vv» Lage. * Für -en verstorbenen Staatssekretär Freiherrn v. Richthofen findet heute nachmittag in Berlin eine Trauerfeier statt, die Beisetzung dagegen am Montag in Baden-Baden. * In Berlin hat die Sozialdemokratie für morgen mittag 12 Uhr 31 Versamm lungen einberufen, in der Umgegend sogar 62. In allen Versammlungen lautet die Tagesordnung: Gegen Volksentrechtung und Volksknechtung. * Die französischen Kammerwahlen fin den am 8. April statt, die Stichwahlen am 22. April. * In Toulon sind an den Toren der Arsenale und anderer militärischer Gebäude, sowie an dem Arsenal von HyöreS in der verflossenen Nacht abermals antimili- taristische Aufrufs angeschlagen worden. politirche cagerrcds«. Leipzig, 20. Januar. Der Fiuauzminister steht für nichts mehr! (Aus unserem Dresdner Bureau.) In jeder Volksvertretung gibt es Beratungsgegen stände, die, wie die Seeschlange, immer wieder und wieder auftauchen. Im sächsischen Landtage gehört dazu das Projekt einer Schmalspurbahn Wilsdruff—Gadewitz, der sogenannten Rübenbahn, die seit Jahren von den Wortführern der Landbündler eifrig befürwortete, von den Liberalen ebenso eifrig bekämpft worden ist. Diese kam am Donnerstag in der Zweiten Kammer wieder zur Beratung, und der Kampf um sie entbrannte mit aller Heftigkeit von neuem. Die Redner der Rechten stützten sich darauf, daß bereits vor sechs Jahren die erste Rate von 2Vs Millionen Mark vom Landtage bewilligt, von der Regierung aber noch nicht ausgegeben worden sei, die Linke hielt ebenso fest an der von der Handelskammer Dresden im Jahre 1902 abgegebenen Erklärung, daß die Bahn auf absehbare Zeit nicht einmal mit einem mittelmäßigen Verkehr werde rechnen können. An eine Verzinsung des verhältnismäßig hohen Anlagekapitals werde nicht zu denken sein, man werde dafür aber nicht unbedeutende Betriebs zuschüsse zu zahlen haben. Die Frachten, die zu erwarten seien, würden wesentlich nur die Rüben und Rüben schnitzel der beteiligten Rittergutsbesitzer sein, und davon allein kann sich eine solche Bahn nicht rentieren. Auch die übrigen Frachten, Kohle, Tonerde usw., könnten sie nicht nutzbringend machen. Das hat die Regierung auch selbst eingesehen und deshalb noch immer mit der Verausgabung der bereits bewilligten 2Vr Millionen Mark gezögert, uni so mehr, als eine erneute Berechnung ergeben hat, daß die Bahn sich noch etwa eine halbe Million teurer, als veranschlagt, stellen und demgemäß gegen 8 Millionen Mark kosten wird. Die Regierung hat also ganz recht, wenn sie zum mindesten von den Anliegern wesentliche Kostenbeiträge fordert, worüber natürlich die Herren Konservativen, voran die direkt am Bau der Bahn interessierten Ab geordneten Andrä und Steiger, ein großes Zetergeschrei erhoben haben. Ihnen trat mit sehr eingehender, mit reichem Material belegter Rede, die etwa den oben skizzierten Gedankengang auswies, am Donnerstag der Abgeordnete Schulze- Dresden, der Syndikus der Dresdener Han delskammer, entgegen und erregte damit den Hellen Zorn — des Finanzministers. In einem vollkommen un qualifizierbaren, jede parlamentarische Form und Rücksicht außer Acht lassenden Aus fall gegen den Abgeordneten Schulze be hauptete der Finanzminister schlankweg, Herr Schulze könne das Material zu seiner Rede nur durch grobe In diskretionen von Beamten der Generaldirektion der sächsischen Staatsbahnen haben. Wohlgemerkt: der Minister kleidete diesen Vorwurf in die denkbar positivste Form, er sagte nicht etwa, er hege die Vermutung , daß usw., sondern er beschuldigte den Abgeordneten Schulze direkt, sich die Unterlagen zu seiner Rede auf illegalem Wege verschafft zu haben. Ein solches Vorgehen sei ihm das widerwärtigste, und er würde es bedauern, wenn diese Kampfesweise im Land tage Sitte werden sollte! (Im amtlichen Stenogramm des „Dresd. Journ." ist, wie wir als Ohrenzeugen fest stellen wollen, auf Seite 3, Spalte 3 der Beilage Nr. 37 vom 19. Januar, nachträglich das Wort „widerwärtig" in „unangenehm" ge — ändert worden, auf Seite 4, Spalte 1 derselben Beilage ist es aber stehen geblieben, denn — die Stenogramme von der Rede des Abgeord neten Schulze hat sich der Finanzminister nicht geben lassen!! —) Und nun geschah das geradezu Unglaubliche: Präsident Dr. Mehnert, der sonst stets mit größter Promptheit und je nach Lage des Falles jovial oder streng Verstöße gegen die parlamentarische Ordnung rügt, ließ hier die so oft bewiesene Um sicht und Entschlossenheit vollkommen vermissen: er griff nicht zum Hammer und rief nicht mit seinem sonoren Organ den Finanzminister kräftig zur Ordnung, sondern ließ die direk» tenBeleidigungen, die derMinister dem Abgeordneten Schulze völlig grundlos ins Ge sicht geschleudert hatte, unbeanstandet, und überließ es dem Abgeordneten selbst, sich zur Wehr zu setzen. Wir können dies Verhalten des Präsidenten, der die Ausdrücke unbedingt gehört haben muß. nicht verstehen und tragen kein Bedenken, dies hier mit aller Deutlichkeit auszusprcchen. Der Minister untersteht gemäß 8 27, Absatz 2 der Landtags ordnung genau so der Disziplin des Präsidenten, wie jeder Abgeordnete, darum, „Herr Doktor, nicht gewichen, frisch heraus mit Eurem Flederwisch! nur zugestoßen l" Dein Finanzminister, der den ganzen Tag gar nicht besonders aufgelegt schien, wurde übrigens vom Abgeord neten Schulze für seine Provokation in einer Weise heim geleuchtet, wie es wohl kaum jemals in einem sächsischen Parlament vorgekommen ist. Hageldicht fausten die Hiebe, und sie saßen, und wenn der Minister nicht durch die Jmniunität geschützt wäre, so wäre er bereits heute „der Beklagte Dr. Rüger" in einer Privatklage Schulze gegen Rüger. Er würde diesen Prozeß auch mit Glanz verlieren, denn wenn ein Minister in so unerhörter, un vorsichtiger Weise — ein schärferes Wort gehört eigent- lich hierher — einen Abgeordneten vor dem Lande be schuldigt, so ist das uni so unqualifizierbarer, wenn der Beleidiger ein Generalstaatsanwalt a. D. ist, der doch GeseßeskenntniS genug haben sollte, um solche Verstöße sich nicht zuschulden kommen zu lassen. Wer solche Vorwürfe und Beleidigungen ausspricht, muß sie beweisen können oder muß sie wenigstens nach her unter dem Ausdruck des Bedauerns öffentlich zurück nehmen. Herr Dr. Rüger tat das nicht, er verschwand vielmehr zu sehr ungeeigneter Zeit, was ihm vielfach direkt als Flucht aus der Oeffentlichkeit ausgelegt wurde, und als er nachher wieder erschien, da erklärte er nur, wenn er hier auch gegen die Meinungsverschiedenheiten seiner Räte kämpfen müsse, so st ehe er für nichts mehr. Gut, mag Herr Dr. Rüger für nichts mehr stehen, dann muß er das aber auch zur Wirklichkeit machen und — in Pension gehen. Ein Minister, der auf die öffentliche Versicherung eines Abgeordneten, sein Material in durchaus loyaler Weise erlangt zu haben, nichteinmalsoweit dieparlamentarische Form zu wahren weiß, daß er diegrund- los erhobenen Vorwürfe bedauernd zu rücknimmt, ist einfach politisch unmöglich und hat nur noch die eine Pflicht, sein Entlassungsgesuch zu schreiben. Die freie Meinungsäußerung läßt sich denn doch nicht so unterdrücken, wie es Herr Dr. Rüger anscheinend möchte, und man kann es dem Abgeordneten Schulze nach fühlen, daß er Gott dankte, nicht Beamter unter dem Finanzminister zu sein. Diesem selbst aber wird der donnernde Beifall, der sich nicht etwa nur auf derLinken nach der Rede des Abgeordneten Schulze erhob, wohl klar und deutlich gezeigt haben, wie der Landtag in diesem Falle denkt. Wenn aber der Abgeordnete Opitz den Präsidenten in Schutz nahm, daß er den Finanzminifter nicht zur Ord nung gerufen habe, so ist das ja selbstverständlich, es handelte sich ja nur um einen Angriff auf einen liberalen Abgeordneten! Wir hätten aber denselben Herrn Opitz mal zetern hören mögen, wenn ein Konservativer sich in der Lage des Abgeordneten Schulze befunden hätte. Sollen wir den Abgeordneten Opitz daran erinnern wie vor zwei Jahren der Geh. Rat Ulbricht wegen einer ganz harmlosen Aeußerung einem Konservativen gegen über vom Präsidium scharf gerüffelt wurde? Ja, Bauer, das ist ganz etwas andres! Prinz Ludwig von Bayern und die Wahlreform. (Von unserem Münchener Korrespondenten.' Tie Anschauungen, welche der bayerische Thronfolger im Wahlrechtsausschusse der Kammer der Reichsräte über die Vorzüge der geheimen Wahl und des Reichs- tagswahlrechts kundgegeben hat, sind durch die ganze deutsche Presse gegangen und haben außerhalb der weiß blauen Grenzpfähle großes Aufsehen erregt. In Bayern selbst haben sie keinem Politiker eine Ueberraschung bringen können, weil die Ansichten des Prinzen Ludwig nirgends unbekannt waren. Was uns daher viel inter essanter dünkt, ist die in der Beratung des Wahlgesetzes hervorgetretene Stellungnahme deS Prinzen zu der letzten Wahlagitation und damit zu den Parteien. Auch außerhalb Bayerns wird noch in Erinnerung stehen, daß, nachdem in der vorigen, die Wahlperiode beschließenden Session das Wahlgesetz nicht die nötige Zwei-Drittel- Majorität der Volksvertretung gefunden hatte, Zentrum und Sozialdemokraten zu gemeinsamem Wahlkampfe gegen die Liberalen sich vereinigten. Zur Motivierung dieses, viele ultramontanen und sozialistischen Wähler vor den Kopf stoßenden Bündnisses und zu einer uner hörten Agitation hatte man die lügnerische Parole vom „Wahlrechtsraube" der Liberalen ausgegeben, während in Wahrheit das gemeinsame Ziel die Vernichtung des Liberalismus war, wie dies auch der Zentrumsführer Domkapitular Dr. Pichler bei der letzten Katholiken versammlung bezw. bei der dort abgehaltenen General versammlung des Augustinusvereins so unvorsichtig aus- geplaudert hat. Ueber dieses Bündnis hat sich denn auch Neichsrat Freiherr v. Hertling, der bekannte Vermittler zwischen Berlin und Rom, trotz seiner Zugehörigkeit zur Partei, mißfällig geäußert, und er hat auch die Objek tivität besessen, anzuerkennen, daß die Devise „Wahl- rcchtsraub" unberechtigt war. Prinz'Ludwig aber hat sich, wohl einseitig — man kann sich hier denken, von wem — informiert, wenn auch nicht oxprossis verbi», so doch dem Sinne nach, völlig auf den Standpunkt der Verbündeten Parteien, besser gesagt, des Zentrums gestellt. Das geht klipp und klar aus dem Protokoll hervor, das indessen, nach meinen In formationen, noch eine „kleine" Abschwächung erfahren haben dürfte. Der bayerische Thronfolger hat also weder ein Wort des Tadels über jene Koalition, noch eine Silbe zur Rechtfertigung der Liberalen verlauten lassen, die, wie das von den Führern auch in einer Gerichtsver handlung eidlich bekundet wurde, das Wahlgesetz nicht etwa wegen des von ihnen seit Jahrzehnten vergebens geforderten allgemeinen, direkten, geheimen Wahlrechtes, sondern wegen der, dem Zentrum auf unabsehbare Zeit eine unrechtmäßige Mehrheit sichernden gesetzlichen Wahlkreiseinteilung und wegen der seitens der Regie rung versuchten Pression abgelehnt hatten. Dagegen führte der Prinz aus, bei den letzten Landtagswahlen habe die Frage im Vordergründe gestanden, wer das Wahlgesetz zum Scheitern gebracht habe und wer nicht. Nicht Zentrum und Sozialdemokratie, Liberale und Bauernbund sei die Parole gewesen. Der hohe Redner glaubte auch offenbar den ultramontanen Versiche rungen, daß „die Volksseele" damals wirklich gekocht hat und daß das Wahlresultat nicht die natürliche Folge einer unnatürlichen Koalition und einer schier beispiellosen Hetze war. Im Reichsratsausschusse war der einzige Abände rungsantrag gestellt worden, die relative Mehrheit im ersten Wahlgange durch die absolute zu ersetzen, eine von den sämtlichen Minderheitsparteien in der Zweiten Kammer vertretene, vom Zentrum in der vorigen Session konzedierte, diesmal aber im brutalen Macht gefühl abgelehnte Forderung. Prinz Ludwig sprach sich auch gegen diesen Antrag aus, einmal, weil er, sehr entgegen der wohlbegrllndeten Ucberzeugung der Libe ralen, deren Schädigung durch das System der relativen Mehrheit nicht fürchtet, aber andererseits in deren Beseitigung eine Gefährdung des Gesetzes erblickt, weil das doch so wahlreformfreundliche Zentrum es dann zu Falle bringen könnte. So lieb aber unserer herrschen den Partei dazu eine Handhabe wäre, diese könnten sie nimmermehr benützen, wenn ihnen die Beibehaltung der relativen Mehrheit auch noch größere Vorteile bietet. Bei diesem Thema hat nun Prinz Ludwig endlich auch auf die letzten Münchener Gemeindewahlen als Beweis für seine Doktrin verwiesen, und auch hier ist ihm ein Irrtum zu Gunsten des Zentrums unterlaufen. Dieses ist, wie bekannt. Arm in Arm mit den Antise miten und einem Teile der Konservativen gegangen. Der Prinz zählt nun einfach diese Stimmen dem Zen trum zu und folgert, daß dieses, obwohl es die Mehrheit der Stimmen erhalten, doch eine Niederlage erlitten hat. — Mir dient das alles zur neuen Bestätigung eines Satzes, den ich vor Jahren aus dem Munde eines sehr hochstehenden Herrn gehört habe: „Prinz Ludwig ver zeiht dem Zentrum alles" — und damit will ich schließen. Feuilleton. Ich bin Im krühllog «rst; ich will <lle Lrnte sehn, Dem ttlmmeisllchte gleich still meine Kreise rirehn, ääeln garires Tonnanjahr volienctenl Huf schlankem 5tlel eia 8tern, clle Tier cker Oattenflur find ich geschaut dlaher ckes öäorgen» leuchten nur; Ich will erst mlt ckem Abencl enden l entnlee. Gerhart Hasrptnian«» GlashüttenmSrehen. Unser Berliner Theaterberichterstatter schreibt unS über die gestrige Premiere, deren Ausgang telegraphisch gemeldet wurde: Heute abend fand im Lessingtheater das lanaersehnte Er eignis der Theatersaison statt, die Premiöre deS Dichter», den wir den ersten der lebenden deutschen Dichter zu nennen gewohnt sind, und brachte auf der ganzen Linie eine — Enttäuschung. DaS vierte Mal rüsteten sich diesmal die Verehrer und Freunde Hauptmann» zu einem jener großen, vergangenen Erfolge, von denen sie die erblassende Erinne rung früherer glücklicherer Zeiten noch im Gedächtnis tragen, und doch gab e» diesmal einen noch ärgeren Mißerfolg als in den letzten fahren. Wohl tobte auch heute abend die Hauptmanngemeinoe mit begeisterten Länden auf der Galerie, aber e» gab eine geschlossene Mehrheit, die diesem lauten Treiben ein Ende gebot und auf da» lebhafteste pro testierte, E» lag in der Tat aenug Veranlassung zu einem Proteste vor. Ein führender Gttst, ein Mann, der uns al» Dichter in einzelnen früheren Arbeiten sogar tief erschütterte, der immer mit lauteren, mit dichterischen Mitteln, gearbeitet bat, hat eine» Erfolge» wegen, den er so eher erringen zu können glaubte, bewußt zu Mitteln gegriffen, di« Theater- spekulationtzsinn geradezu kraß verraten. Hauvttnann bat «inen fremden, in seiner ursprünglichen. gradlinigen Konzeption wundersam rührenden Märchenge danken aufaegrifsen und ihn für die Bühne so zu verarbeiten gesucht, daß er einen recht lärmenden, äußeren Effekt er ziele. Aber des Dichters Hirn war von der vielen, all- jährlich auf den Termin pünktlich gelieferten Produktion so verarmt und ausgebrannt, daß er dem Gedanken auch nicht ein Jota eigener Note zu Leben fähig gewesen wäre. Mit dem biSchen Dialektaufwand allein ist es nicht getan, daS hatte Hauptmann in den letzten Jahren genügend erfahren. Es mußte etwas Neues hinzutreten, etwas Faszinierende», das zugleich einen recht „literarischen" Eindruck machen sollte — da» Mystische, das Rätselhafte, das Unverständliche. Der PersönlichkeltSkuItuS ist eine der schönsten Eigen schaften des Deutschen, er ist der primitive Ausdruck seines stet» wachberetten Idealismus, jener opferfreudigen Hin gabe, mit der der Deutsche bewundernd zu seinem Führer emporblickt und sich selbst klein dünkt, wenn er ihn nicht ver steht. Diesen von den Ausländern häufig genug verlachten schwärmerischen deutschen Sinn darf man verhöhnen, wenn man ein Shaw ist, darf man bewundern, wenn man ein Chamberlain ist, darf man als gefahrbringend hin stellen, wenn man ein Mau ' hner ist, aber ihn mit kluger Ueberlegung spekulativ auSnutzen, darf man nicht, wenn man ein Hauptmann ist. — DaS ist schwere Sünde wider den heiligen Geist und fällt rächend auf den zurück, der mit ihr Gewinn einheimsen wollte. ES gibt vielleicht in der Weltliteratur keinen strenaern und keinen ungerechter» Richter al» Tolstoj. Und doch wüßte ich keinen bessern Kronzeugen wider Gerhart Haupt mann anMÜhren, als jenen Heiligen von Jasnaia Poljana, der in seiner großzügig einseitigen Gedankenführunck die ganze Menschheit aus seine naive Weise selig machen will. — Tolstoj definierte einmal in seiner wundervoll einfachen Weise da» Wesen dessen, wag die heutige Aestbetik unter einem „poetischen Stoff" versteht. WaS Tolstoj vor zehn Jahren schrieb, tritt einem bei Hauptmann» letzter Arbeit so lebendig vor» Gedächtnis, daß nan zu glauben gen-lat wäre, Tolstlst habe die Worte nach der Lektüre von „Und Pippa tanzt geschrieben. . , „Unter „poetischem Stoff" versteht man", so schrieb Tolstoj, „die Behandlung all jener Stoff« und Gestalte«, die einmal ein wcchrer Dichter in einem Kunstwerk geschaffen bat. All die rührenden oder begeisternden Däne, dl« die wahre frühere Dichtung «inst in untz bervorrief, klingen bei der Lektüre de» Falsifikate» in un» mit und erzeugen jenen poetischen Eindruck, den wir mit Unrecht auf da» Falsifikat zurückführen." In diesem Sinne ist Hauptmanns GlaSbüttenmärchen das typische Schulbeispiel eines poetischen Falsifikates. Der Handwerksbursche Michel Hellrieael ist so recht ein ungeschicktes Gemisch des bekannten Helden, der auszog, um das Gruseln zu lernen und deS göttlichsten aller Helden, des ewig unsterblichen Don Quijote. Er träumt von einer ver zauberten Prinzessin, die er aus den Klauen eine» Drachen errettet, ist der Lügenpeter des Andersenschen Märchens, der alle Schätze und Tarnkappen der Welt in seinem Ranzel verborgen glaubt, und soll dabei gleichzeitig eine Art lachen der Tor sein. — Er kält philosophische Reden, die sein Dichtervater selbst unmöglich verstehen konnte und verblüfft die Inhaber der Parkettplätze, denen er eine mystische Separatvorstellung gibt, durch allerhand albernen Wort schwall. Pippa selbst ist eine so wundervolle Märchengestalt, wie sie ein Dichtersinn nie duftender und unberührter tr ab. An ihrer seelisch keuschen, lachenden Schönheit erlahmt elbst Hauptmann» künstliche Experimentierlust, und so »leibt sie al» lyrisch wundersam berührende Gestalt selbst in »iesem trostlosen Mischmasch eines zusammengeflickten Theaterstückes vollendet bestehen. Der alte Huhn, ein Tolpatsch von einem plumpen Bären den e» in seltsam gewaltigen Johannistrieben nach dem blonden, zarten, tanzenden Kinde, nach Pippa, gelüstet, ist trotz seiner scheinbaren natürlichen Originalität eben nur ein weniger mißlungenes Gemisch verschiedener mystischer Gestalten, dem das Nibelungenlied die chrßere Gestalt und Ibsen daS innere Wesen lieb. Er zerbricht de« Traum seiner Sinne, der ihm, in dem sich etwa» von der Generation eines ganzen alten GlaSbläsergefchlechteS verkörpert, wie ein dem Hochofen entsprungener tanzender Funke erscheint, indem er va» eigene Werk seiner Meisterkuvst in Scherben schlägt. — Sind eL nicht alte deutsche Märchen, deren längst Verblasen« Töne in un» mitklingen, wenn da» Bild an unseren Augen vorüberzieht? Ist es nicht da» Werk deut- scher VolkSphaittasie, da» pochende Menschenherzen in Vögel nvd Bäume und Sträucher und Wunderdinge verbannt? Hat nicht in solch einem Märchen ein arme», irrende» Menschen herz verblutet, al» ein Schwert in eine» heiligen Baume» Stamm drang? In wessen Seele nicht die Akkord« verklungener wahrer Kunstwerk« durch leis« äußerliche Erinnerung neu erkling«», der wird bei Hauptmanns neuem Werk nichts empfinden, als die Leere einer verworrenen, stilwidrigen Konzeption. So war auch der Eindruck, den das Werk beim Publikum hervorrief, verworren. Man wußte nicht ein und aus, verhielt sich erst reserviert und applaudierte schließlich trotz starker Opposition, weil man sich sonst blamiert gefühlt hätte. Der Deutsche ist eben schwärmerisch und mutet sich selbst eher Dummheit und Unverständnis zu, als seinem be liebten Dichter einen Fehlgriff. Die Darstellung stand nicht auf der Höhe des Lessing theaters. Frl. Ida Orloss als Pippa war trotz ihres natürlichen Liebreizes recht farblos, Rittner als alter Huhn wirkte mehr durch seine glänzend gelungene Marke und Grunwald als Michel Hellriegel versagte direkt an entscheidenden Stellen. Recht stimmungsvoll spielte Oscar Sauer „eine mythische Persönlichkeit". Frau Eberly, die in einer Episodenrolle sehr amüsant war, ließ im Zu- schauer das Bedauern entstehen, daß sie schon lange nicht mehr in einer größeren, dankbareren Rolle auftrat. Rodert Lauckelr. verlinsr Musikbrief. Wie ich schon durch Telegramm meldete, hat Hugo Wolfs einaktige Oper „Der Corregidor" bei ihrer ersten Berliner Aufführung in der Komischen Oper dem Publikum anscheinend sehr gut gefallen. Absichtlich drücke ich mich so reserviert auS, weil mir hier nur ein von Fachleuten und Bewunderern des unglücklichen Komponisten gemachter Er folg dorzulieaen scheint. Ich glaube nicht, daß sich das große Publikum für diese Oper erwärmen kann. Aber für die Kenner, die denn auch sehr zahlreich bei der Premiere er schienen waren, bedeutete der „Corregidor" ein Ereignis, eine willkommene Sensation, und wenn man über die musikalische Dramatik Hugo Wolf» so seine eigenen Gedanken haben kann, dann wird man es für eine Ehrenpflicht deutscher Theater- hirektoren erklären müssen, wenn das Werk, das aus einen äußerlichen Erfolg gar nicht zuaeschnitten ist, einmal wieder der bereits vorhandenen Vergessenheit entrissen wird. Die Oper hat eine bedeutsame Schwäche, ihr Textbuch. Es ist mir nicht recht begrcuuch, wie Hugo Wolf — eö geht das aus seinen Briefen hervor — gerade diese» episodenhafte, mit wenig Bühnengeschick zusammengestoppelt« Libretto mit „Begeisterung" komvonieren konnte, offenbar fehlt« ibm der
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