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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.11.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-11-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041126024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904112602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904112602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-11
- Tag1904-11-26
- Monat1904-11
- Jahr1904
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BezugS-Prets in b« Hauplexpedttion oder deren Ausgabe» sttllen ab geholt: vierteljährlich 3.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus ./t 3.75. Durch die Post bezogen für Deutsch, wnd u. Oesterreich vierteljährlich 4.50, für die übrigen Länder laut ZeitunqSprriSliste. Diese Nummer kostet aus allen Bahnhöfen und III k bei den ZestungS-Vertäufern I * Redaktion und Expedition: 153 Fernsprecher 222 JohanniSgasse 8. Haupt-Filiale Dresden: Marienstraße 34 (Fernsprecher Amt I Nr. 1713). Haupt-Filiale Berlin. LarlDuncker, Herzal.Bayr.Hofbuchhandlg^ Lützowstraste lO (Fernsprecher Amt VI Nr. 4603). Abend-Ansgabe. MpMer.TllgMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Rolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzetgen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redaktionsstrich (4 gespalten) 75 nach den Familiennach- richten i6gespalten) 50 — Tabellarischer und Ziffernsay werden entsprechend höher be rechnet. — Gebühren sür Nachweisungen und Ossertenannahme 25 Annahme,chlus; für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Extra-Beilagen (nur mit der Morgen- Ausgabe) nach besonderer Vereinbarung. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Truck und Verlag von E. Polz in Leipzig (Inh. vr. B., R. L W. Klinkhardt). Nr. 603. Sonnabend den 26. November 1904. 98. Jahrgang. Var Wichtigste vsm Lage. * Aus Angaben im Militäretat für 1905 geht her vor, daß die zweijährige Dienstzeit gesetzlich fest gelegt wird. * Der Etat wird dem Reichstag bereits bei seinem Zusammentritt am Dienstag zugehen. * Eö wird offiziös angekündigt, daß die Protokolle der Strafprozeß.Kommission nach Abschluß der Be ratungen von der Regierung veröffentlicht werden sollen. * Der Wiener Hochschulausschuß hat zur Boy kottierung der italienischen Studenten, die in Innsbruck Exzesse begingen, aufgefordert. (S. Ausland.- * Eine internationale Ausstellung wird in Paris im Jahre 1920 stattsinden. (S. Ausland.) * In der südafrikanischen Grube Kleinfontein haben Gewalttaten zwischen Eingeborenen und Chinesen nattgefundeu. (S. Ausland.) * Ein argentinisches Torpedoboot wurde von einem Fort von Paraguay beschossen. Das Boot entfernte sich, ohne zu antworten. Der Präsident von Paraguay hat bei der argentinischen Regierung eine Entschuldigung vorgc- brachk. (S. Ausland.) Militärjurlir. Von einem früheren Offizier wird uns geschrieben: Zwei Soldaten sind zu mehrjähriger Zuchthausstrafe verurteilt wotzdcn, weil sie sich an einem Unteroffizier vergriffen haben. Ter Unteroffizier war betrunken, er hatte zwei Mädchen geschlagen, die in Begleitung der Soldaten waren, kurz, es waren mildernde Umstände vorhanden. Tiefe erkannte auch das Gericht an und ver hängte die mildeste Strafe. Tiefe mildeste Strafe ist - wir sagen es ganz ohne Pathos, ohne rhetorischen Nebenzweck — ein Todesurteil. Fünf Jahre Zuchthaus bedeuten den bürgerlichen Tod und Zerrüttung der Ge- iundhcit. Taran kann man nach den Mitteilungen des maßvollen Buches von Hans Leuß: „Aus dem Zucht- Hause" nicht mehr zweifeln. Ter „Vorwärts" hat also recht: Tas Urteil ist furchtbar, ist erschütternd. Wir sind lest davon überzeugt, daß es den Richtern selbst so er schienen ist. Und es legt einige Betrachtungen nahe. ^s handelt sich um einen Fall, der in Tcssan vor dem Kriegsgericht der 8. Tivision abgeurtcilt wurde. Zur Sache möchten wir zunächst bemerken, daß der Fall die Notwendigkeit beweist, das Militärstrafgesetz zu ändern, zu mildern. Es ist notwendig, die Mindcststrafc bcrabzusetzcn. Keineswegs ist die Befürchtung gerecht fertigt, daß eine solche Reform die Disziplin gefährden werde. Tcnn die bisherigen Strafen sollen in ihrer gan zen Schwere bestehen bleiben, und dafür, daß sie auch ongcwcndet werden, lasse man den Geist der Armee sor- gen, der die Rechtsprechung gewiß nicht lveibisch vcrlin- dern wird. Aber man schaffe die Möglichkeit milderer, d. h. gerechter Beurteilung. Denn daran wird niemand zweifeln, daß das Urteil in dem erwähnten Falle nur juristisch, nicht im menschlichen Sinne gerecht ist. Hier trifft das Wort zu: surumum ras Zurnrun, iuiuriu. Um Mißverständnissen vorzubeugen, betonen mir nochmals: wir plädieren nicht etwa für Milderung dec militärischen Strafen überhaupt. Dazu scheint uns die Periode planmäßiger Verhetzung, in der wir leben, nicht angetan. Ohne strenge Strafen ist keine Disziplin mög- lich und ein Heer ohne Disziplin ist nicht nur unnütz, sondern gefährlich. Massen nur durch „Ehrgesühl" lenken zu wollen, ist ein psychologischer Irrtum. Ibsens Zeit der „freien Adclsmenschen" ist eben noch nicht an- gebrochen. Aber noch ein wichtiger Gesichtspunkt drängt sich bei der Betrachtung der Gerichtsverhandlung auf. Ter An klagevertreter hat erklärt, es gebe keine Notwehr des Un tergebenen dem Vorgesetzten gegenüber, und er soll die Frage, ob der Untergebene auch die Pflicht habe, sich von dem Vorgesetzten ruhig abschlachten zu lassen, bejaht haben. Wenn diese Mitteilung des „Vorwärts" sich be stätigt, so müssen wir dem Herrn Kriegsgcrichtsrat zu rufen: Allzu straff gespannt zerspringt der Bogen! Für alle menschlichen Verpflichtungen gibt es eine letzte Schranke, und Gesetze, die im Widerspruch mit der Auf fassung der Zeit und des Volkes stehen, für die sie gerade gelten sollen, sind widersinnig und unwirksam. Wir können uns die antike Härte der Staatsgesinnung nicht mehr ankünsteln, und ein Vater, dec seinen Sohn wegen eines Verstoßes gegen die Disziplin zum Tode verurteilen wollte, würde heute wahrscheinlich gelyncht werden. Gegen die bekannten Acußernngen, der Soldat müsse im Notfall auf die eigenen Eltern schießen, hat kein Ge ringerer als Heinrich von Trcitschke Front gemacht, und der war gewiß ein „effeminierter Kerl". Ein Staat, der sich mit Stolz „christlich" nennt, kann den Wert der ein zelnen Persönlichkeit nicht mehr so verkennen, daß er in ihr nur ein Mittel zum Zweck erblickt. Also, wir wieder holen: Allzu scharf macht schartig. Nun sind aber auch andere Militärjuristen anderer Ansicht, sie erkennen das Recht der Notwehr auch für den Untergebenen an. Also scheint die Sachlage doch nicht geklärt zu sein, und es empfiehlt sich vielleicht, hier ganz präzise Bestimmungen zu schaffen, an denen cs augen scheinlich fehlt. Selbstverständlich darf der Unterschied zwischen Vorgesetzten und Untergebenen nicht nivelliert werden. Es darf auch nicht der Grundsatz: „Wie du mir, so ich dir" aufgestellt werden, demzufolge jede Bc- fugnis-Ueberschrcitung des Vorgesetzten den Untergebe nen ins Notwehrrcckt versetzen würde-, es sollte aber fest gestellt werden, daß in gewissen äußersten Fällen ein solches Recht besteht und tvclches diese Fälle sind. Tie mechanische Anwendung des Glcichhcitsgcdankens auf die Armee ist unmöglich, das bedarf keines Beweises. Selbst in Frankreich hat man dies nicht versucht, dort verfügt bereits der Unteroffizier über Stcafgewalt und alle Be stimmungen sind weit härter als bei uns. Auch hier lautet also unser Wahlspruch: Organische Reform, kein Erstarren im.nicht immer bewährten Alten, aber sorg fältige Prüfung der Lebensbedingungen und vorsichtige Umbildung! ver stuktaiul in ZiiamrtaMIrs. Verlustliste. Nach amtlicher Meldung sind an Typhus g e - storben: Reiter Ernst Kaiser, geboren am 9. August 1883 zu Mühlhausen i. Th., früher Maschinen gewehr-Abteilung 3, am 24. November im Lazarett Otjimbinde: Reiter Eduard Schal kowski, geboren am 1. Januar 1882 zu Wibsch, früher Feldartillerie- Regiment Nr. 71. am 22. November im Lazarett Otjo- sondu: Reiter Alfons Thoma, geboren am 27. No vember 1882 zu Ochsenhausen, früher Dragoner-Regi ment (Königlich Württembergisches) Nr. 26, am 22. No vember in« Lazarett Okahandja. Verwundet wurde am 13. November auf der Pfcrdewache bei Okahandja: Gefreiter Johannes Tölle, geboren zu Lichtenau, früher Pionier-Bataillon Nr. 10, (Schuß in den rechten Fuß). Truppentransporte. Transportdampfer „Eduard Woermann" ist nach beschaffter Reparatur am 24. d. Mts., uachmittags vou Las Palmas uach Sivakopmund weitergegangen. ver ruuisck-iapanische Krieg. Das deutsche Rote Areuz. Wie die „Ostdeutsche Zeitung" in Thorn meldet, passierten gestern früh 20 mit Lazarettmaterial des Roten Kreuzes beladene Güterwagen den Baknbos, um über Alexandrowa nach Irkutsk zu gehen. Zwei Transportsührer in der Uni form des Roten Kreuzes begleiteten den Train, der nach der Manischurei geht. Die „Times" als friedliche Unschuld. Nach einer Londoner Depesche schreibt der Korrespondent der „Times" in Tokio: „Die gegen Deutschland aus gestreuten Berdächtigungen, daß es mit Rußland ge meinschaftliche Sache mache, haben eine Reaktion zu Gunsten Deutschlands in Japan hervorgerufen. Man nimmt an, daß jene Behauptungen von Petersburg aus lanciert werden, um Japan zu feindseligen Kundgebungen gegen Deutschland zu veranlassen. Infolgedessen betonen japanische Blätter jetzt ausdrücklich, daß Deutschland seinen NeutralitätS- pslichten in befriedigender und gerechter Weise nachkommt." Die Dreistigkeit dieser Methode, erst den Dr. Morrison gegen das deutsche Reich Hetzen Hu lassen und daun, nach Erfolg losigkeit, in Berlin an Petersburger Umtriebe glauben zu machen, ist unübertrefflich. > Englisch-russische Harmonie. Einer Pariser Meldung aus Petersburg zufolge ist neuerdings die Stimmung der leitenden Kreise sehr england freundlich geworden. Das Verhalten der von England be einflußten egyptischen Behörden gelegentlich der Durchfahrt der russischen Schiffe durch den Suez kanal bat, wie es beißt, in Petersburg einen besonders guten Eindruck gemacht; die Anerkennung der russischen Regierung für diese Haltung Englands werde zu gelegener Zeit entsprechenden Ausdruck siyben. Die russischen Schisse in j-srt Arthur. Der Petersburger Korrespondent des „Echo de Paris" berichtet, er habe aus bester Quelle erfahren, daß die Schifte des Geschwaders in Port Arthur tatsächlich kampfunfähig seien. Infolge der anhaltenden Beschießung durch die Japaner, die es auch unmöglich macke, eine Reparatur vorzunehmeu. Weiter könne er versichern, daß die schweren Geschütze von den Schiffen entfernt und auf den Höhen von Liaoteschau «jufgestellt worden sind. Im Suez-Aaual. Aus Suez wird telegraphiert, daß zwei Schlacht schiffe, drei Kreuzer und neun Transportschiffe des russischen Geschwaders wohlbehalten auf den Bitter- seen eingetroffen sind, wo sie während der Nacht vor Anker liegen bleiben sollen. Sieben Torpedobootszerstörer sind aus dem Kanal kommend eingetroffen. Nach neuen Instruktionen sollten neun Transportschiffe die Bittersten verlassen und beim Lichte elektrischer Scheinwerfer nach Suez abgehen, wo sie um 2 Uhr morgens einzutreffen hatten; die Linienschiffe und Kreuzer sollten in den Bittereen bis Tagesanbruch bleiben. Lin neues Gerücht vsm Tove Aurokis. Wie aus Mukden gemeldet wird, erhielt das russische Hauptquartier von Chinesen (!) die Nachricht, die Leicht Kurokis sei in Jnkau eingetroffen. An der Front dauern, wie die Russische Telegrapbenagentur aus Mukden meldet, die Scharmützel fort. Japaner in Stärke von einigen Kompagnien und einer Eskadron überschritten die Brücke bei Siaosyn, wurden aber unter bedeutenden Verlusten in der Nacht vom 23. zum Rückzüge genötigt. Der Hunho und der Taitseho sind zugefroren. Der flache Wasserstand des Liaoho verhindert die Zufuhr von Lebensrnitteln von Jukau. Der Mangel an Eisenbahnwagen verzögert die Zufuhr von Munition und die Fortschaffung Verwundeter nach Liaojang und Dalny. — Von der Armee Novzus wird über London unterm 23. ds. berichtet: Die Russen legten eine große Tätigkeit an den Tag. Sie griffen die Linke und das Zentrum an. Im Zentrum wurden sie zurückgeschlagen. Der Angriff gegen die Linke jedoch konnte erst nach heftigem Kampfe abgewiesen werden. Die japanischen Truppen verfolgten den Feind und besetzten Putuen. Die Russen ließen eine große Anzahl Leichen auf dem Kampfplatz zurück. politische ragesschs«. * Leipzig, 26. November. Berliner Kultur. Kürzlich ist im „Leipziger Tageblatt" berichtet werden, daß Professor Karl Lamprecht sich iiber Amerika geäußert und seine Zivilisation gerühmt habe. Nur „Kultur" habe der Gelehrte vermißt. Man braucht nicht bis nach New Bork, nur nach Berlin braucht man zu reisen, um die Berechtigung der von Lamprecht geübten Begriffsschcidnng zu erkennen und gleichzeitig mit ge mischten Gefühlen sestzustcllcn, daß Berlin immer ameri kanischer wird. Es ist vielleicht mehr als ein Zufall, daß dort ein deutsch-amerikanisches Theater erstanden ist, das eine Posse „Jenseits vom großen Teich" ein paar- hundertmal auffiihren konnte. Daß wir viel „Zivili sation" haben, ist nicht zu leugnen. Demnächst wird Feuilleton. Die heilige Caerilie. ?51 Roman von Marie Bernhard. '. Nachdruck verboten. Immer hatte Annemarie diesen lieblich lächelnden, fragenden Blick eines klugen Kindes, das gern recht viel vom Leben wissen möchte und sich dabei sein schuldloses, reines Herz bewahrt. Dieser Ausdruck, dieser Blick bil dete einen Hauptbestandteil des Zaubers, den sie auf jedermänniglich ausübte. Sie wußte cs nun schon: ich brauche die Männer nur so anzusc.,en, so anzulächeln, . . . . und ich habe sie alle am Bändel! — War es ihr so sehr zu verargen, wenn sie ihre Macht ausübte, — jetzt zumal, da sie Bundesgenossen brauchen konnte? Sie hatte ihren zukünftigen Schwiegervater, Direktor- Mentzel, in dieser Weise angcblickt und angelächelt, und er hatte sie in die Arme geschlossen, hatte sic sein „teures Kind" genannt und ihr den Vaterkuß auf die Lippen gedrückt, — einen innigen und warmen Vaterkuß! Bankier Ringhaupt hatte sie sofort um das „Du" und den „Onkel" gebeten, hatte sie in sein Haus eingeladen und ihr die Aussteuer versprochen, — schwerwiegende Momente der neuen Phase ihres Lebens! Und wie hatte „Onkel Brück ner" ihr Händchen getätschelt, den Arm um sic gelegt und dem „neuen Nichtchen" das seidenweiche Haar ge streichelt, — wie hatte sogar der ehrwürdige alte Ge- Heimrat Wessel sie gerührt auf die Stirn geküßt, Vater Vollmar wohlwollend geschmunzelt, von den jungen ritterlichen Vettern, die das Cousinchen umtollten und umschwärmten, wie die tanzenden Falter das Kerzenlicht, ganz zu schweigen! Blicke und lächle du also getrost weiter, kleine, kluge Annemie, es macht dir nicht die geringste Mühe und er wirbt dir.Freunde, wohin du kommst! Freilich . . . mit den Freundinnen wollte es so rasch und leicht nicht gehen! Sie hatten beide Komödie gespielt, Frau Direktor Mentzel und Annemarie, als sie einander zum erstenmal nach dem „Ereignis" sahen; sic hatten es beide genau gewußt, daß es eine Komödie — auf Seiten der älteren Dame allerdings mit starker Hin neigung zum Trauerspiel! — war und daß es so bleiben mußte, weil keine von ihnen beiden für gut befinden würde, die verhüllende Maske zu lüften! Das „Willkommen, mein liebes Kind, — ich hoffe, du wirst alles tun, meinen Sohn zu beglücken", klang Annemarie noch im Ohr? Es war eine so falsche Note darin gewesen, ein so erzwungener Ton, die Hände der Frau hatten sich eiskalt angefllhlt, ebenso eisig waren die Lippen gewesen, die flüchtig des Mädchens Stirn berührt, — in den Augen, die vom vielen Wachen und Weinen gerötete und geschwollene Lider hatten, glomm es fast unheimlich. Und während Annemarie eine herkömmliche Phrase flüsterte, dachte sie: „Ich hatte eS mir gelobt, nie Redensarten zu machen, und dies ist eine, — und, was das schlimmste ist, sie wird das erste Glied einer lasigen, unabsehbaren Kette von Redensarten sein, die ich in diesem Hause, an dieser Stelle, dieser Frau gegenüber aussprechen werde, — dieser Frau, die mir antipathisch gewesen ist von der ersten Minute an und die ich strafen und demütigen werde durch ihren Sohn, um ihr den Hochmut und die Geringschätzung, mit der sie mir be gegnet ist, heimzuzahlen mit Zins und Zinseszins!" Fremd und kGhl waren die meisten weibliclxm Familienmitglieder der neuen Verwandten gegenüber geblieben, bis auf Oswalds jüngste Schwester Stephanie, Steffis geheißen, die sich in eine etwas künstlich erhitzte Schwärmerei für ihre „entzückende Schwägerin" hinein gearbeitet hatte, und allenfalls noch Margot Wessel, die die Musik als Baud zwischen sich und der neuen Cousine gelten ließ nnd in kameradschaftlichem Ton bemerkte: „Tu gehörst jetzt zu uns, - da hinein mußt du dich finden, und wir müssen es auch!" — Biauka und Rose Vollmar nahmen eine beinahe abweisende Haltung an, Frau Vollmar, die gekränkte Mutter, schoß einen ver gifteten Pfeil nach dem andern aus dem sichern Hinter halt auf die junge Braut ab, die Brücknerschen Damen waren von vollendeter Höflichkeit, ohne die geringste Vertraulichkeit, und die beiden alten Tanten versuchten umsonst, ihre grenzenlose Enttäuschung unter süßsäuer- lichen Mienen zu verbergen. Sie hatten gehofft, ihr schöner, genialer Neffe werde ihnen eine Dame aus vor nehmstem Geblüt, dazu noch eine reiche Erbin, ins Hans bringen, .... statt dessen war es eine Kopistentochter, die nicht einen roten Heller besaß? Sie würden sich nie von diesem Schlage erholen können, sie bestürmten jetzt schon täglich ihre Schwester mit Bitten und Vorstellungen: „So wie sie verheiratet ist, muß sie sofort ihre Gesangs studien wieder aufnehmen, Mathilde, — sie muß! Mein Himmel, sie hat ja eine hübsche Stimme und ein nied liches Lärvchen, — daraus muß doch Kapital geschlagen werden! Es ist ja, dem Stein sei cs geklagt, das einzige Kapital, das sie hat! Ein Mensch wie dein Oswald kann doch keine so bettelarme Fran brauchen, — sieh das doch ein, Mathilde! Was soll er damit? Und du wirst sehen, sic wird noch Ansprüche machen! Leute aus der Hefe des Volkes, wenn sic unerwartet obenauf kommen, werden immer dünkelhaft und unverschämt, und nichts ist ihnen gut genug! Jetzt sorgen Ringhaupts für sie und putzen sie aus, wie eine Prinzessin, weil ihnen das augen blicklich Spaß macht, — die gute Babette ist ja aus Launen zusammengesetzt, und er, Ringhaupt, — Gott, wir wollen nichts sagen, aber wie so die Männer sind, — nnd Alter schützt vor Torheit nicht! Schließlich, wenn alle sie be- schenken, diese kleine Kopistentochter, dann werden wir ja nicht zurückstcheu, — nicht wabr, Ida?" „Natürlich geben »vir etwas nnd werden auch ein gutes Hochzeits geschenk machen, einen großen Salontepvich oder ein Taielscrvice, meinst du nicht, Elise? Aber später hört doch das auf, Mathilde, — das hört doch auf, — und dann soll Oswald allein für sie sorgen, und ihm ist ja nichts gut genug für sie, er ist ja verliebt, wie ein Narr! Wie soll denn das werden, wenn sie sich hinsetzt und die Hände in den Schoß legt und will die vornehme Dame spielen und nichts selbst dazu verdienen?" — Diese erbitterte Philippika hatte Annemarie Lom- bardi natürlich nicht mit angchört, aber es war so gut, als hätte sie cs getan. Die alten Damen waren für sie durchsichtig wie Glas, ihre Fragen und Anspielungen waren mehr als deutlich. Im ganzen und großen war es sonnenklar: Oswalds Braut wurde von der gesamten Familie des Bräutigams als ein Eindringling betrachtet, den mair ums Leben gern wieder los geworden wäre, wenn sich dazn die geringste Aussicht gezeigt hätte. — Allein, die wollte sich nicht zeigen! Ueber- cilt, überhastet, wie diese Verlobung zustande gekommen war, — unerwartet, — wie dies Ereignis die ahnungs- lose Familie betroffen hatte: an eine Aenderung der be stehenden Tatsache war nicht zu denken! Wenn Tante Ida ihren Steffen Oswald einen „verliebten Narren" gescholten hatte, so konnte man dies wörtlich nehmen: er war in der Tat bis znr Besinnungslosigkeit verliebt! — Er erzählte allen, die es hören wollten, Annemarie sei seine erste, einzige, wahre Liebe, er habe überhaupt durch sie erst erfahren, was eigentlich Liebe wäre! Phon- tasievoll, spontan angelegt, wie er war, glaubte er dies selbst, redete cs sich mit einem gewissen Hochgefühl ein. Er trieb einen förmlichen Kultus mit seiner Braut, — jede Stunde, die er fern von ihr zuzubringen ge- zwungen war, galt ihm für verloren; an Arbeiten, an Komponieren war kein Gedanke, da er für nichts anderes Sinn batte als für seine Liebe. Sein Vater meinte, man müsse den Termin der Hochzeit tunlichst nabe rucken, da mit der Sohn znr Ruhe käme und sich seinem Beruf widmen tönnc, ein so kopflos verliebter Bräutigam tauge schlecht zur Ucbcrnabmc eines neuen Postens au
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