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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 30.07.1906
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1906-07-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19060730027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1906073002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1906073002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1906
- Monat1906-07
- Tag1906-07-30
- Monat1906-07
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Ausl.) wärmerem Schlag und heißerer Vaterlandsliebe, — die von heute sucht dem Volke alles, was heilig ist, besonders die Liäbe zum Vaterland aus dem Herzen zu reißen und es zum freude- und willenlosen Werkzeug gewissenloser Führer, zu dem großen Massenbrei zu machen, in dem der Einzelne sein Streben, seine Tüchtigkeit und Kraft der allgemeinen Gleichheit zuliebe nicht zur Geltung bringen >arf. Hierin liegt aber auch die wunde Stelle jener Ver letzung. Es liegt glücklicherweise doch in der mensch- ichen Natur der gute Zug der Freude an der Arbeit als olcher und dazu das Streben, Tüchtiges zu leisten, um ich aus eigener Kraft eine Stellung im Leben zu erwerben und günstig auszugestalten. Der Kampf der freien Turner gegen alles Wetturnen bringt deren Streben, jedes persönliche Herausarbeiten der allgemeinen Gleich macherei zugunsten zu unterdrücken, deutlich zum Ausdruck; er raubt dem Turnen den Charakter der Arbeit im Ge wand der Freude und stempelt es zum öden Parte i- mittel. pslMrche cagerrcdao. Leipzig, 30. Juli. - Herr Dr. Götz gegen die roten Turner. lieber die sozialdemokratischen Turnvereine machte der greise Vorsitzende der Deutschen Turnerschaft Dr. Götz- Leipzig aus der am Sonnabend eröffneten Hauptver sammlung. iu Hildesheim, nachdem sie vom Regie rungspräsidenten Fromme begrüßt worden war, in seiner Rede eine Reihe von Bemerkungen, denen zu ent nehmen ist, daß die Bestrebungen der erwähnten Turnvereine unvereinbar sind mit der Stellung der deutschen Turnver eine. Dr. Götz sagte u. a.: Neuerdings, weil die ganze Bewegung nicht schnell genug zum Umsturz und zum allgemeinen Kladderadatsch führen will, hat man jenen Standpunkt ausaegeben und setzt Kopf und Kragen dran und Himmel und Erde in Be wegung, die arbeitende Jugend und auch die arbeitenden Männer der Deutschen Turnerschaft abspenstig zu machen und in ihre neu« Schöpfung, die Freie Turnerschaft, und in den Arbeiterturnerbund hineinzuzwingen. — Man muß sagen, zu zwingen, denn der neueste Trick ist der, daß die sozialdemokratischen Gewerkschaften und wirtschaftlichen Organisationen drohen, diejenigen aus rein wirtschaft lichem Interesse ihnen angehörigen Arbeiter, die der Deutschen Turnerschaft nicht den Rücken kehren, hinaus zuwerfen! Der Beweis, daß die freien Arbeiter turnvereine Parteioereinc sind, wird ja dadurch aus das glänzendste geliefert, wenn er bisher auch schon durch den Inhalt der Arbeiterturnzeitnng und das rote Lieder buch geführt war und in die Welt hinausgesungen wurde. Der Erfolg der mit Fanatismus geleiteten Agitation ist zwar bis jetzt kein großer, — man hat eine Anzahl Vereine, meist kleine Landvereine, uns ab wendig gemacht, hat vielleicht auch einige Turnhallen er obert, — tüchtige, gut geleitete Vereine sind nicht untreu geworden, und unsere Zahlen sind gewachsen, — nicht zurückgegangen. Herrscht in unseren Vereinen ein frohes Turnerleben, herrscht überall Treue und deutscher Sinn, so haben wir nur wachsam zu fein, aber nicht nötig, uns zu sorgen, — umsoweniger, weil bei jenem Partel- treiben die Perle des deutschen Turnerlebens, der frische frohe Geist den finsteren Geistern des Hasses und des Miß trauens, dem Unfrieden und dem fortwährenden Streiten weichen muß. Auch hierfür liefert di« Arbeiterturn zeitung regelmäßig die Beweise. Damit das Komische nicht fehlt, versucht man auch den Vater Jahn zum roten Genossen umzuprägen, — den treuen Alten, der in seiner Schwanenrede einen Absage brief an die Roten geschrieben hat, den kein freier Turner an den Spiegel stecken wird! — Also treu bleiben und treu und unermüdlich im deutschen und vaterländischen Geiste arbeiten, heißt di« Losung! Das deutsche Turn«n hat die machtvolle und einst siegreiche Reaktion von oben her überwunden und überlebt, — es wird auch mit der von unten fertig werden, wenn auch der Kampf hier schwerer ist. Jene Reaktion entflammte die Herzen zu Vou der englischen Flotte. Wie gemeldet, werden dem neuen „reduzierten" englischen Flottenprogramm zufolge „nur" 3 Linien schiff«, 2 Hochseetorpedoboote, 12 Küsteutorpedoboote und 8 Unterseeboote mit einem Kostenauswande von 6,8 Mil lionen Pfund Sterling, das sind 138,72 Millionen Mark, ge baut werden. Die gütige Absicht, die Rüstungen einzufchrän- keu, wird dadurch der Welt vor Augen geführt, daß dieses Bauprogramm gegen das ursprüngliche vom November 1905 um 1 Linienschiff, 3 Hochseetorpedoboote, 4 Unterseeboote und 2,04 Millionen Pfund Sterling, also 51L1 Millionen Mark, für Neubauten niedriger ist. Wie wenig die 138,72 Mil lionen für Schiffbau in einem Jahre nach Abrüstung ous- fehen, kann sich jeder selber sagen: so viel gibt auch nur an nähernd kein Staat aus. Dazu kommt, daß bei England keinerlei Garantie dafür besteht, daß dieses Bauprogramm für ein einziges Jahr, Las verhältnismäßig niedrig ist, aber auch nur verhältnismäßig, nicht als eine ganz vorüber gehende Erscheinung, für ein Jahr nämlich, austritt, also keinerlei Einfluß auf die gewaltige Stärke der Flotte aus übt. England hat in den letzten zehn Jahren seine Flotte um 35 Linienschiffe, einschließlich „Dreadnought" ver mehrt, mit den drei in Bau kommenden werden cs 38! 30 von ihnen sind weit größer als die größten deutschen Linienschiffe. Da kommt es nicht darauf an, ob England ein Linienschiff mehr oder weniger baut! Außer den er wähnten 35 Linienschiffen baute England in den letzten 10 Jahren noch 36 Panzerkreuzer, davon 14 größer als die größten deutschen Linienschiffe, gegen 7 Deutsch lands! — Man ist mit Schiffsmaterial in England dank dem Jleiße früherer Jahre reichlich versehen und kann es sich leisten, einmal ein Jahr „Abrüstung" zu spielen. Diese „Abrüstung" ist nichts weiter als eine dreiste Ko mödie, bei der nur verwunderlich ist, daß man in England wagt, sie Europa und Amerika, die sie für Wahrheit halten sollen, vorzufpielen. Man sucht den Zuschauern des Theater stücks dadurch Sand in di« Augen zu streuen, daß man auf die verminderte Zahl der Kriegsschiffe hinweist. Wie unbedeutend dies« Verminderung ist, wurde bereits erwähnt. Sie wird aber auch dadurch völlig wett gemacht, daß gegen wärtig in der englischen Flotte durchgehends eine wesent liche Erhöhung des Gefechtswertes der ver schiedenen Schiffsklassen vorgenommen wird, da ein „D readn ough t"-Panzer als Gefechtseinheit auf das Anderthalb- bis Zweifache der Linienschiffe vom Ed ward Vll.-Typ zu bewerten sein soll. Aehnliches gilt von den Panzerkreuzern 1. Klasse, dem „Invincibl e"-Typ Die Schiffe der „Dreadnought"-Klasse haben 490 Fuß Länge, 82 Fuß Breite, 26A- Fuß Tiefgang, 11100 Tons Rohgewicht einschließlich der Panzerung, 17 900 Tons De placement. Die Kosten betragen rund 1,8 Millionen Pfund Sterling oder 36 Millionen Mark. Der neueste Kreuzer- Thp, die Jnvincible-Klasse, hat folgende Größenabmessungen: 530 Fuß Länge, 78H Breite, 26 Fuß Tiefgang, 9660 Tons Rohgewicht einschließlich der Panzerung, 17 250 Tons De placement, steht also an Größe dem Dreadnought-Typ im allgemeinen nur wenig nach, ist ihm an Länge sogar um 40 Fuß überlegen. Das Deplacement ist nur um 650 Tons geringer, als das des neuesten Limenschlfss-Typs. Auch die Kosten sind annähernd gleich hoch, dort 36 Millionen, hier 34,8 Millionen Mark. , . , , , . „ Aber auch in der Kleinschisf-Flotte wird nach demselben Grundsätze gearbeitet. Der neueste „Swif t" hat die gleiche Länge wie die S chla ch t s ch l ff e „Nile" und „Trafalgar", die 1890 vom Stapel .gelaufen sind und noch in der Reserve geführt werden. Dabei soll die Fahrtleistung größer sein als die irgendeines anderen Schiffes der englischen Flotte. Dementsprechend sind auch die Kosten gestiegen. Die außerordentliche Ueberlegenheit des „Swist"-Typs wird am besten durch nachfolgenden Ver gleich klar gemacht: der „Cossack", der größte bisher gebaute Zerstörer, hat eine Länge von 270, „Swift dagegen hat 345 Fuß. F-: 77 "" Kosten: „Cossack" 143 Der neueste 7 7, ..... - ment und Fahrtleistung früheren Typs oder ähnlicher Bestimmung erheblich überlegen; si nähme durch die Admiralität bestätigt aufs neue d iglische Flotte das, was sie an Zahl der lieren sollte, durch Steigerung Schiff« ahrtleistung: „Cossack" 33, „Swift" 36 Knoten, sack" 143 000, „Swift" 281 000 Pfund Sterling. Zerstörer - Typ ist also an Deplace- Fahrtleistung früheren Typs gleicher . ...'eine An- dic Admiralität bestätigt aufs neue die Beob ¬ achtung, daß die em Schiffe etwa verl , , . - der Gefechtswerte der einzelnen reichlich ersetzt Deutschfeindliche Wirkungen des „ Rossis L-ArtikelS". Der mit „Diplomatikus" unterzeichnete Artikel des osfi» riösen Blattes des Ministerkabiuetts Goremykin „Rossija" über die Möglichkeit einer Einmischung Oesterreich-Ungarns und des Deutschen Reiches in die russischen Händel hat in der russischen, dann auch in der ausländischen Presse viel Staub aufgewirbelt. Der Artikel stammt, wie uns aus Petersburg geschrieben wird, aus der Feder des Gehilfen des Ministers des Innern Gurko, wenn er auch von der Regierung als vom Anfang bis zum Ende erfunden hin gestellt worden ist. Nichtsdestoweniger zieht er noch heute seine Kreise. Das SensationSblatt „Birshewyja Wedomosti" und alsdann das Boulevardblatt „Peterburgski Listok" brachten dieser Tage je einen Artikel über diplomatische Intrigen Deutschlands. Die Auslassung des zweiten Blattes, die sich mit der des ersten deckt, aber ausführlicher ist und den schaurigen Titel „Entwendetes diplomatisches Dokument" führt, lautet: „Vor etwa einem Monat lenkte das Ministerium des Aus wärtigen seine Aufmerksamkeit auf gleichzeitig t« den beiden deutschen Zeitungen „Petersburger Herold" und „St. Petersburger Zeitung" erschienene Leitartikel in Bezug auf die Politik Deutsch lands im Falle einer Annäherung Rußlands an England. In diesen offenbar inspirierten Artikeln wurde gesagt, daß England daS Ziel verfolgt, Rußland auf Deutschland zu Hetzen. Rußland wurde vor einem derartigen unbedachten Schritte gewarnt, da die Quali tät der russischen Armee Deutschland gut bekannt sei und eS außer Zweifel sei, daß Deutschland die russische Armee schlagen wird. Die Folge davon würde, wie die Zeitungen prophezeiten, sein, nicht, daß Deutschland einen Teil des russischen Gebietes okkupiert, sondern nur ... der Eintritt von Unordnungen tu Rußland und die Proklamierung der demokratischen Republik. Durch diese Anspie lungen beruhigt, stellte daS Ministerium des Auswärtigen Nachfor schungen an, und eS gelang ihm, sich mit der Kopie eines Dokumentes bekannt zu machen, welches Grundlage für diese Anspielungen bildete. ES erwirS sich, daß in einem chiffrierten Dokument das aus Berlin nach Petersburg mit einem deutschen Offizier in Zivil kleidung an die deutsch« Botschaft geschickt wurde, der Vorschlag ge- macht wurde, die Aufmerksamkeit der Sphären in Peterhof auf den Umstand zu lenken, daß eine Annübeiuna Rußlands au England zu einem unvermeidlichen Zusammenstoß Rußlands mit Deutschland führen wird und daß die zweifellose Niederlage der russischen Armee zur direkten Folge den Sturz der Selbstherrschaft und die Prokla mierung der Republik haben wird. Am 13./26. Juni verbreitete sich in den höchsien bureaukratischen Sphären Petersburgs die Kenntnis les Inhalts dieses Dokumente?, und danach drückte, wie man aus derselben Quelle berichtet, der deutsche Kaiser den Wunsch aus, mit unserem Herrscher in den sinnländischen Scheren zu sammenzukommen, um den aus die russischen Sphäre» bervor- gebrachten äußerst schweren Eindruck des Dokumentes zu glätten, das für diese Sphären ein Geheimnis bleiben sollte." Die offiziöse Petersburger Telegraph en aaentur demen tierte auch diese Erfindung. Doch der Stachel bleibt stecken. Im einfachen Bolke macht sich plötzlich wieder die alte Gehässigkeit gegen alles Deutsche bemerk- bar. Den leitenden Kreisen ist es sehr genehm, die Ge- danken von den Vorgängen im Innern des Reichs aufs Aus land zu lenken, zudem^hofft man, die einzige Stütze gegen den revolutionären Zusammenbruch, das Nationalgesükl, wieder zu Wecken. Daß dieses Nationalgesühl nur im Deutschenhasfe bestehen kann, daran zweifelt kein russi scher Patriot. Hierüber wird uns die folgende Meldung übermittelt: Es hätte wenig gefehlt, und wir hätten in Peters burg eine Ausländer-, zumal eine Deutschenhetze gehabt. Die Warnungen, die am 7./20. Juli dem deutschen Botschafter und dem bayerischen Gesandten seitens der Regierung zuteil geworden sind, sich in den belebten Straßen nicht zu zeigen, beruhen auf dieser Gefahr. „Nur Kaiser Wilhelm haben wir es zu verdanken, daß die Regierung eS gewagt hat, die Reichsduma aufzulöseo", heißt es unter den Arbeitern. Am 12./25. Juli bringt das „Nowoje Wremja" einen Leiter zu derselben Frage. „Freuuduachbarliche Einmischung" betitelt er sich. Der Schluß deS Artikels lautet: „Die deutsche Presse mit der „Kölnischen Zeitung" an der Spitze bestätigt kategorisch, daß der Dreibund (Anm. „Heilige Allianz") be steht und daß Rußland auf die Hilfe des Nachbars rechnen kann, wenn die Diktatur erklärt wird. Die „Post' und andere Blätter gehen noch weiter, zählen die Resultate dieser „freunduachbar- licden Einmischung" auf und erklären unvorsichtigerweise, daß die baltischen Provinzen mit Kurland nur einen Teil kes deutschnationalen Territoriums bilden. Nicht uninteressant sind auch die Artikel unserer Residenz-Blätter „Herold" und „St. Petersburger Zeitung", die seit nicht langer Zeit in ein gewisses neues, doch immerhin niemand täuschen des Fahrwasser gebracht worden sind. — Angesichts dieser unmäßig anwacbsendeu Appetite, die sich unter der Maske nachbarlicher Hilfe verbergen, können wir nur bemerken, daß der russisch-japanische Krieg kein Normalmaß sein kann für einen Zusammenstoß mit Rußland in Europa. So ost wir unsere Heimat verteidigt haben, haben wir stets unsere Widerstandsfähigkeit bewiesen, und wenn — was Gott verhüten möge — über uns und Europa ein solches Unglück hereinbrechen sollke.'so werden wir wahrscheinlich doch zeigen, daß wir nicht nur mit Hilfe der Milliarden, sonder« unterstützt von nruerwachtem Geiste eines großen Volkes werden kämpfen können." So das Blatt, das heute als halbofsiziös gilt! Der „Kadett" Pctrunkewitsch sagte in der Duma: „Oesterreich und Deutschland verstäuvigeu sich hinter uuserm Rücken. Die deutschen Truppen sind bereit zum Einmarsch in Rußland. Es ist notwendig, die Schmach vom Laude abzuweuden, die ihm das Ministerium vorbereitet." Die beiden grundverschiedenen Drohungen decken sich. Sie sind ernster zn nehmen, als vieles, was sonst in dieser überhitzten Zeit bei uns geredet und geschrieben wird, Venn sie habe« «ne altsolide Unterlage — den Deutschenhaß! veuksches Keich. Leipzig, 3ü. Juli. * Die englischen Behörden beweisen in der letzten Zeit großes Entgegenkommen gegen die Wün sche Deutschlands, die sich darauf beziehen, die Unter stützung der Aufständischen in Deutsch-Südwestafrika vom englischen Gebiet her tunliässt zu verhindern. Kürz lich sind Instruktionen nach Kapstadt ergangen, wonach verhindert werden soll, daß gestohlenes Vi-eh von aufständischen Eingeborenen über die Grenzen getrieben wird. Durchgelasscn werden soll Vieh nur dann, wenn es ehrliches Eigentum der Flücht linge ist. In solchen Fällen soll es mit den Besitzern unter polizeilicher Aufsicht in ein Eingeborenenlager gebracht werden. Feuilleton. l-eden aber zvlrck stoppelt gelebt, zvenn man es im Angesicht stes Dostes lebt. U?IIö«ndnist>. Vie Mutter -er rrrffischen Städte. Von Karl Eugen Schmidt sParisj. Kiew, von den Russen bald die Mutter der Städte Ruß lands, bald das russische Jerusalem genannt, ist eine ebenso interessante wie schöne Stadt. Schade nur. daß das Regen wetter, das mich schon in Odessa begrüßt hatte, mir auch in Kiew treu blieb und die Sonne nur von Zeit zu Zeit zur Herrschaft gelangen konnte. Denn schönes Wetter gehört da zu, um diese Stadt gebührend zu würdigen. Sie liegt auf einem von mehreren Schluchten durch schnittenen hohen Lehmplateau am User des Dnjepr, der sich hier ein ungeheuer weites Bett gewühlt hat und immer noch an den Lehmhügeln beider Ufer nagt und gräbt, also daß ein kleiner Bergrutsch in und bei Kiew nichts Seltenes ist. Einen herrlichen Ueberblick über diese weite Flußebene hat man von den sehr hübschen Anlagen, wclche an der Flußseite das Plateau und seine steilen Abhänge schmücken. Man schaut geradeaus hinab auf den gelben Strom, der sich da unten nach Gefallen seinen Weg suchen darf, gerade wie der Mis sissippi und die anderen Ströme Amerikas, di« von der Zwangsjacke der Stromreaulierung noch nichts wissen. Der Dniepr spaltet, sich da in unzählige große und kleine Arme und bildet ebenso unzählige «roße und kleine Inseln, wovon einige Häuser und Gärten, andere kultiviertes Land haben, während viele sumpfig und unbenutzt scheinen. In weiter, weiter §erne wird diese Ebene, die in ihrer ganzen AuSdehnurm dem Strome gehört und daS Gelände liefert, worin er sich und sein je nach der Laune der Ge- wässer veränderliche- Bett sucht, von einer Hügelkette be grenzt, welche dre vom Flusse durchbrochene Fortsetzung unseres PlateauS zu sein scheint. Unten verkehren zahlreiche Dampfer, welche di« Verbindung zwilchen der Stadt und der bewohnten groben Truchanow-Jnsel Herstellen, links liegt zu unseren Füßen das industrielle Stadtviertel Podolskaja, dessen zumeist grüne und braunrote Dächer im Sonnenschein sehr lustig aussehen. Einige hohe Fabrikschornsteine ragen aus den Häusermassen auf, aber sie können doch nicht an gegen die weit zahlreicheren grünen oder vergoldeten Kuppeln und Turmhelme der Kirchen. Nach rechts hinüber ist die Stadt von den grünen Anlagen der Uferhöhe verdeckt, und erst da hinter sieht man «in Stück von der großen Nikolausbrücke, die sich nach Ueberspannung des Hauptarmes über Inseln und kleinere Arme meilenlanq fortsetzt, bis endlich drüben das Festland erreicht ist. Die eigentliche Stadt Kiew liegt jetzt hinter uns. Wenn wir uns aber umwenden, sehen wir wenig oder nichts von ihr, denn hinter uns steigt der Hügel noch höher an, und seine Bäume verdecken die Gebäude des anstoßenden Mxhael- rlosters, von dessen vergoldeten Kuppeln und Türmen nichts zu sehen ist. Nur links, gerade über Podolskaja, ragen zwei Kirchen auf, die Andreaskirche und die Dreiheiligenkirche Die erstere ist die einzige, an der die den russischen Kirchen eigene Buntheit fehlt. Sie ist im achtzehnten Jahrhundert in dem damals in ganz Europa beliebten Zopfstil errichtet worden, und damit vertrugen sich die grünen und aoldnen Kuppeln nicht. Also ließ man sie ganz weiß und über schüttete das Innere mit Silber und Gold. Aber der Zopfstil macht sich nur in den Einzelheiten geltend. Der Gesamtplan ist bei allen diesen Bauten unge fähr der aleiche: eine Kuppel über der Vierung, ein Glocken turm an der Fassade. Nun werden um die Mittelkuppel herum kleinere Kuppeln und Türmchen angelegt, deren Zahl und Form im Belieben d«S Baumeisters liegt, also daß mitunter sehr phantastische Bauten entstehen. An der AndreaSkirche die zu klein für architektonisch« Ausschwei- fungen ist, geht eS noch hübsch manierlich her, und da stehen regelmäßig in schöner Ordnung vier kleine Kuppeltürme um die große Kuppel in der Mitte h«rnm. Bei den älteren Kirchen aber haben sich die Erbauer nicht durch Regeln der Symmetrie hemmen lassen, und das Resultat ist für unsere, durch die Regelmäßigkeit unserer Bauten verwöhnte Augen höchst bizarr und fremdartig. , ... Häßlich aber sind diese Kirchen auf keinen Fall. Sre bieten ohne Ausnahme ein sehr anziehende-, reizvolles und malerisches Bild, woran man. ohne zu ermüden, di« Augen stundenlang weiden kann. Wohl die schönste der zahllosen Kirchen, die Kiew zum russischen Rom machen, ist dre der heiligen Sophie geweihte Kathedrale, deren Inneres mit alten Fresken und Mosaiken geschmückt ist. Besonders die zum Teil vortrefflich erhaltenen Mosaiken find außerordent lich schön, prächtia. ernst und würdevoll. Diese Kirche er innert sehr an San Vitale und die anderen Kirchen in Ravenna, doch kommt das vielleicht nur daher, daß hier wie dort der Hauptsännuck aus Mosaik besteht, und daß die Technik der Mosaik in beiden Fällen ähnliche Resultate zeitigen mußte. Die Fresken an der zum obcrn Stockwerke führen den Treppe sind wie die Mosaiken ihre tausend Jahre alt, haben aber natürlich der Zeit lange nicht so aut widerstanden wie diese. Um sie nicht ganz verschwinden zu lassen, sind sie stellenweise vorsichtig erneuert worden, und so kann man sich an den in ihrer naiven Unbeholfenheit sehr putzig wir renden Jagdbildern, Tanzszenen und abenteuerlichen Tier geschichten amüsieren. Die Sachen sind den phantastischen Karikaturen, womit Steinmetzen und Maler unsere alten romanischen Kirchen schmückten, gar nicht unähnlich. Im Osten wie im Westen der Christenheit wehte damals ein stark humoristischer Wind, der den Künstlern gestattete, auch am heiligsten Orte ihren witzigen und komischen Einfällen freien Lauf zu lassen. Ich.will Sie nicht durch alle Kirchen von Kiew schleppen. Das wäre auch ganz unmöglich, denn ihrer sind sicher mehr als hundert. Einige von ihnen, so besonders die dem heiligen Wladimir geweihte, sind mit modernen Malereien ausge schmückt, die im einzelnen nicht gerad« hervorragend sind, im ganzen aber einen wirkungsvollen und prächtigen Eindruck machen. Von den steinernen Wänden ist fast nirgends etwas zu sehen, alles ist bunt bemalt oder mit gleißendem Silber und Gold bedeckt. Einen großen Raum zum gemeinschaftlichen Gottesdienst scheint eS nicht zu geben, sonder» die Kirchen sind in viele kleine Kapellen, Nischen und Altäre eingeteilt, di« ohne Regel den ganzen, durch zahlreiche Pfeiler unterbrochenen Raum füllen. Außer den unzähligen Heiligenbildern, an denen nur Ge icht und Hände gemalt, die Gewänder aber von Gold oder Silber sind, gibt «S meist ein besondere- Heiligtum, im M chaelskloster das Grab der -eiligen Barbara, in der Sovhienkathedral» das des heiligen Jarosslaw, welcher sich großer Verehrung erfreut. Ohne Unterlaß machen hier di« aläubioen Pilger und Pil- gerinnen ihre Freiübungen, wenn dieser Ausdruck gestattet ist. Ich sind« keinen besseren für diese unaufhörlichen Bekreu- zungeu, Kniefälle und Verbeugungen, die bis »um völligen Niederfallen und zur Berührung des Bodens mit der Stirne gehen und sich unzählige Male wiederholen. In irgendeiner Kapelle ist stets ein Gottesdienst im Gang, wobei mehrere Priester oder Mönche, unterstützt von einem Knabenchor, ihre außerordentlich wohlklingenden Litaneien singen. Eine Orgel oder sonstige instrumentale Begleitung des Gesanges babe ich nicht wahrgcnommen und scheint es nicht zu geben Alles in allem ähnelt das Verhalten der Gläubigen teils dem unserer römischen Katholiken, teils dem der Mohammedaner. Am wenigsten ist es mit unserm protestantischen Gottesdienst zu vergleichen. Die Zugänge zu den Kirchen und Klöstern sind von zahllosen Bettlern beider Geschlechter umlagert, die in ihren malerischen Lumpen stark an die Bettler vor den Moscheen Konstantinopels erinnern. Auch haben sich, wie an den römisch-katholischen Wallfahrtsorten, viele Krämer und Händler angesicdelt, die ihre Amulette, Kreuze und dergleichen feilhalten, und in der Kirche selbst kann man nicht nur Kerzen, sondern auch allerlei Hciligcnbildchcn usw. kaufen. Von der Austreibung der Händler aus dem Tempel ist hier nichts zu spüren. Alles in allem sind die russischen Kirchen außen wie innen den mohammedanischen Gotteshäusern viel ähnlicher, als den christlichen Westeuropas. Und überhaupt fallen dem gerade von Konstantinopel kommenden Reisenden zahlreiche Beriih- rungspunkte zwischen Russen und Türken auf. Jedenfalls stehen sie diesen mindestens ebenso nahe, wahrscheinlich näher als den Deutschen. Nur in einem Punkte siel mir ein aewal- tiger Unterschied auf: der russische Kaffee ist, soweit ich sein« Bekanntschaft gemacht habe, ebenso schlecht, wie der türkische gut ist, und sofort nach dem ersten Versuche habe ich beschlossen, hinfort in Rußland nur noch Tee zu trinken, der selbst in den kleinsten Kneipen sehr erträglich ist. In Kiew geriet ich, mich auf den französischen Namen des Hotelbesitzer- verlassend, in ein stockrussisches Gasthaus, wo kein Mensch irgendeine westliche Sprache spricht. Da babe ich fürchterlich aeschwitzt in meiner Not, um wenigstens die unentbehrlichsten Dinge zu erhalten und zu erfahren. Am schlimmsten ging es mir in dem zum Hotel gehörigen Restaurant, wo nur ein in russischer Sprache geschriebener Speisezettel aufliezi. Nun hake ich es zwar daak meiner natürlichen Begabung weit genug gebracht, um mit gedruckten russischen Buchstaben fertig zu werden, das Geschriebene aber bleibt mir in den allermeisten Fällen unverständlich. Hinter der fremden Form verbürgt sich häusig ein alter Bekannter,
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