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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 23.02.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-02-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070223026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907022302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907022302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-02
- Tag1907-02-23
- Monat1907-02
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BeH«q-*Prei- für Leipzig und Vororte: Ja der tzaupd- ExpedÜion oder der»» «n-gabestrllea ab» geholt Monatlichr Ausqabe (1 mal ttlgltch) 70 Ps., Ausgabe ö <2 mal täglich) SO Pf^ bet Znsiellnng tat Han» Ausgabe 80 Pf., Au-gabe v l Mark. Durch nnsere auS- wär!inen AuSgabestellru and durch die Post bezogen (1 mal täglichttnuerdalb Deutschlands monatlich I Mark anSschl. Bestellgebühren, für Oesterreich-Ungarn 5 ll 45 d vierteljährlich, di« übrigen Länder laut Festung-Preisliste. Diese Nummer kostet aus -44 allen Bahuhöse» und bei III Vbl den fleitungS-Berkäuiern Retzattton und ErpeVUtaa; , JohanuiSgasse L Telephon Nr. 15^ Nr. 22T Nr. I17S. Berliner NeVatttonS-Bureau: Berliu di^V. 7, Prinz Louis Ferdinand» Etrab« 4. Telephon I, Nr. 9275. ' Abend-Ausgabe 8. MpMer TagMM Handelszeitung. Amtsblatt des Mates und des N-lizeiamtes der Ltadt Leipzig. An^eiaeu-Preis die 6 gespaltene Petitzeile für GeschSftS- taferate aus Leipzig nad Umgebung 2K Pf, Familien^ Wohnung«» u. Stellen-Auzelgen, sowie An- und Verkäufe 20 Pf, finanzielle Anzeigen 30 Pf, für Inserate von auswärts 30 Ps. Reklamen 7b Pf, auswärts l Mark. Beilage gebühr 4 Mark p. Lausend exkl. Postgebühr. «ÄcschLftsauzeigeu an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt „ach Tarif. Für Inserate vom Auslände besonderer Tarii. Aazeigen-Annahmr: AuguftuStzlNtz 8, bei lämtlichen Filialen u. allen Annonce». Expeditionen des In- und Auslandes. zur das Erscheinen an bestimmten Lage» u. Plätzen wird keine Garantie übernommen. FeslrrteiUe Aufträge köuueu nicht zurück gezogen werden. Vaapt-Ftliale Berlin: E arlD u n cke r,Herzgl.Bahr.Hofbuchhaudlg, Lützowslraß« 10 (Tel. VI, 4603!. Ktltal-vrpedM««:Dresden,Marienstr.34. Nl. 54. Sonnabend 23. Februar 1907. 101. ^ilhlgailg. Vie ZchiNrlrslarttspde bei Isoelk van fiollanü. In Hoek van Holland ist jedermann erfüllt von Bewunde- rung für den tapferen Führer des R-ettuwgsdampiers und für dessen Leute, die, nachdem sie schon fast Unimögliches ge leistet hatten, gestern nachmittag unter den Angen des Prinzen Heinrich der Niederlande im dichtesten Schnee treiben in die wütenden Wellen hinausfuhren und die Ver bindung mildem W'r a ck der „Berlin" herstellten. Von einer kleinen Schaluppe aus, die die größte Gefahr lief, a u f der Mole zerschmettert zu werden, schwang sich ein Mann auf die Mole, erkletterte das Wrack und befestigt« ein« Leine an dem Fördergestell pxz Fahrstuhls, während er durch ein« -weite Lein« mit dem Rettungsdamrpfer verbunden blieb. So kam die Verbindckng zustande, di« es, wie wir be- reits meldeten, den Mannschaften ermöglichte, elf Men sche», darunter drei Damen'.^u retten. Die Aermsten hatten in der SteuermannSdeckikabine einen Unter, schlupf gefunden, den sie dann in Hrer Todesangst verließen, um alle vorüberfahrenden und einlaufenden Schiffe, die ausnahmslos halbmast flaggten, verzweifelt um Hilfe anzuschreien. Man sah fi« dann vom Land aus nach der Kabine zurückgshen, indem sie verzweifelt di« Hände rangen und sich das Haar rauften. Die Geretteten von der „Berlin" weinten, wie ferner ans Hoek van Holland berichtet wird, laut vor Rührung, als sie an Land kamen. Während des Rettungswerkes herrschte eine unbeschreibliche Spannung, die sich in lautem Jubel Lust »rächte, als di« Rettungskunde kam. Während des ganzen Tages hatten alle Bahnzüge Scharen von Menschen rrach Hoek van Holland gebracht; auch viele Fremde, die in Der-wLiflung die Reihen der Äiten durchmusterten. Prinz Heinrich der Niederlande brachte die Geretteten auf dem Lotsendampfer selbst an Land und redete ihnen freundlich zu. Bei der Rettung waren einige der Geretteten von der Lein« fast inS Meer gefallen, wenn man sie nicht aufgefangen hätte. Die Gliedmaßen konnte keiner von ihnen fast mehr bewegen, sprechen war das einzige, was sie noch konnten. PrinzHeinrich komplimentierte die deutschen Damen wegen ihres Mutes. Der Franzose Berscherre fühlt« sich am wohlsten und war kaum auf dem Lotsendampfer, als er sich eine Zigarre erbat, »ach der er sebnlichst verlangte! Sämtliche Geretteten hatten fast keine Kleider mehr am Leib, diese waren ganz zerrissen. Eine Dame soll einen Beinbruch erlitten haben. Die Ge retteten wurden sofort in Decken gehüllt und vom Schiss nach dem Lmeriko-Hotel gebracht, dort müssen sie sich erst unter ärztlicher Pflege wieder erholen. — Als Prinz Heinrich de» Fuß anS Land setzte, begrüßt« ihn stürmischer Beifall aus tcursand Kehlen. Di« harreichen Menschen konnten sich nicht mehr -urückhalten vor Begeisterung. Ein Seemann der Rettungsmannschaft gestand, daß ohne Zuspruch des Prinzen die Rettung vielleicht noch nicht auSgefuhrt wäre. Der Amsterdamer „Telegraas" meldet weiter, daß di« drei Frauen, di« sich noch aus dem Wrack der „Berliu" befanden, heute früh gegen 5 Ubr gerettet wurden. Zwei von ihnen gehören zur Operngesellschast; es sind Frau Thiele aus Dresden, Frau Wennberg aus Berlin und ihr 16j ädriges Dienstmädchen. Die Gesamtzahl der Geret teten beträgt daher 15, darunter 6 Frauen. Das gerettete Frau lein Gäbler aus Dresden erzählt, daß es furchtbar zu sehen gewsscn sei, wie in der ersten Stunde nach der Katastrophe noch immer Männer und Frauen über Bord geschlagen wurden, bis noch 15 übrig geblieben, von denen schließlich kurz vor der Rettung noch eine Dame weggespült wurde. Es war entsetzlich, wie sich di« kleine Truppe aneinanderklammerte und sich dadurch die Kleider vom Leibe riß. Fräulein Gäbler hatte schließlich nur noch Hemd und Hos« an, sie kauerte an der Wand und auf ihren Beinen, die an schwollen, standen mehrere Männer, da kaum Platz vor- yanden war. Fräulein Schröter schien bei ihrer Rettung ziemlich guten Mutes; sie erzählte: „Gegen 5 Uhr früh klopften Matrosen an die Kabine, wir zogen uns alle un. wurden aber nicht herausgelassen. Plötzlich wurd« geöffnet und gesagt, es fei ein Unglück geschehen. Als wir nach oben kamen, war das Schiff schon geborsten. und wir sahen die Menschen vor unseren Augen versinken. Wir blieben 34 Stunden so eng aneinandergedrängt in einer Ecke stehen, daß mir oft Personen auf den Füßen standen. Die Matrosen, die mit uns an Bord waren, zeigten sich äußerst gütig und teilten ihr Letztes mit uns. Prinz Heinrich hals mir nach der Rettung, die nassen Oberkleider vom erstarrten Körper zu ziehen und lieh mir seinen Mantel. Nach der Rettung war der Prinz sehr hilfsbereit, er selbst zog den Gereiteten Handschuhe und Kleidungsstücke an, die ihm die Lotsen gaben. Diese werden von allen Geretteten als brave und gütige Helden geschildert. Länger als 24 Stunden waren die U«berlebend«n ohne Nahrung. BiS jetzt sind 42 Tot« geborgen. Der deutsche Sänger Denninger verdankt, nach einem Londoner Telegramm, fein« Rettung dem Umstande, daß er eine Minut« vor der Abfahrt des Expreßzuges von Liverpool Street nach Harwich, in dun er sein Gepäck bereits untergebracht hatte, das Abteil verließ, um «inS Schachtel Streichhölzer zu kaufe» Als er auf den Perron -urückkehrte, war der Zug bereits in Bewegung, und der Zugführer verhinderte Denmnger am Einsteigen. Er blieb also in London zurück. — Von den in Hoek angeschwemmten Leichen machten die deS Oberstewards der „Berlin" namens Ward und des Knaben Augu st Hirsch einen besonders rührenden Eindruck. Der fünf Jahre alte Knabe war der besonderen Obhut deS Steward anvertraut wovd«n und hielt seinen Beschützer noch im Tod« fest umklammert.. Schließlich wird auS Berlin telegraphiert: Der Kaiser Hot Befehl gegeben, ihm über die Katastrophe des Dampfer merlin" fortlaufend Bericht zu erstatten. Vas Neueste vom Lage. (Die »ach Schluß der Redaktion eützegangenen Depeschen stehen auf der 3. Seite de- HauptblattrS^) Fürsorge für RcichSbeamte. kg. Dem Reichstag« ging ein Nachtragsetat zu, der zugunsten der Reichöbeamten rund 5 Millionen Mark fordert. Die Regierung führt in der dazu vorliegenden Denlschrist aus, daß bereits in dem Etatentwurf, der dem Reichstag noch vor der Auflösung im Dezember 1906 -.»gegangen war, für einige mittlere und untere Beamte BesoldungSaujbesserungen vorgesehen waren. Inzwischen sei nun aber die preußische Regierung in den Gehaltsaufbesserungen weiter gegangen, indem sie namentlich Beamten deS Außendienstes, vor allem Genvaimen und Schutzleuten, sowie Eisenbahnbeamten, aus gedehntere Gehaltsaufbesserungen bewilligte. Um nun die gleichartigen Beamten des Reiches nicht hinter den preußischen Beamten zurückstebeu zu lassen, seien soweit die bezüglichen Sätze deS ReickSetatS die de« preußischen Etats nicht er reichen, die zur Gleichstellung erforderlichen Mittel noch nach träglich geiordert worden. Und zwar sollen mit der Aus besserung bedacht werden: 13 566 Unt erbe amte der Post verwaltung, 2400 mittlere Beamte der Eisen bahnverwaltung und die mittleren Beamten im Verwaltungsdienst deS ReichSamtS deS Innern, deS ReichSheereS und der Marine. Mit Rücksicht aus die bereits sehr Hobe Belastung des Etat« war eS, wie die Denkschrift weiter auSsührt, nicht möglich, allen Unterbeamten eine Gehaltserhöhung zuzubilligen. Dagegen ist wie in Preußeu mit Rücksicht auf die gestiegenen Preise vieler Lebensbedürfnisse die Gewährung einmaliger Bei hilfen an gering besoldete Unterbeamte, für die» der Mindest satz deS Gehalts nicht mehr als 1100 beträgt, in« Auge gefaßt und demgemäß eia entsprechender Fonds für 1907 vorgesehen worden. Solcher Beamten sind im ganze» 101 367 vorhanden, wovon auf die Reichspost- und Telegraphenver- waltuug allein 90 000 entfallen. Keine Verständigung. In republikanischen Kreisen herrscht die Meinung vor, die französitche Regierung werde von der Forderung, daß den Mitgliedern der aufgelösten Kongregationen, sowie den auSlällbischra Priestern lein Ptarramt übertragen werden dürfe, unter keinen Umständen ablassen. Bon kirchlicher Seite wird diese Forderung nach wie vor mit derselben Ent schiedenheit al« durchaus unannehmbar und als ver letzend für di« Würbe und den Patriotismus der Bischöfe bezrichnet. Die ultraradikalen Blätter drücken ziemlich offenkundig ihre Befriedigung darüber au«, daß unter diesen Umständen die Verhandlungen zwischen dem Seinepräfekten de SelveS und dem Vertreter deS Erzbischofs nicht mehr ausgenommen werden dürfen. So schreibt der Senator Ranc in der „Aurore": Die Bischöfe und der Vatikan wollen im Namen der katholischen Hierarchie den Gemeinden während der ganzen Dauer der Pachtverträge Pfarrer ihrer Wahl aufdräugen. Sollten diese einer fremden Nationalität angehören, Jesuiten oder Kapuziner sein, hat ich Kultusminister Briand in aller Form verpflichtet, einem derartigen Anspruch das Veto der Regierung entgegenzu- iellen. Der Bruch scheint also unvermeidlich. Kultusminister Briand dürfte alle seine Liebenswürdigkeit, der Seinepräselt alle seine diplomatische Geschicklichkeit umsonst aujgrwendet haben. Ti« holläntztsche Minifterkrifi«. Aus erster Quelle erfährt der Korrespondent des „Bei- liner LolalanzeigerS" in Rotterdam, daß die Königin die Minister bat, im Amte zu verbleiben. Die Minister behielten sich ihre Entscheidung vor. Kaulbars abberuse«: Infolge der Intervention der ausländischen Diplomatie wird General Kaulbars aus Odessa abberufen und seinem Nachfolger der strikte Befehl erteilt werden, der unheilvollen Tätigkeit deS russischen Verbände- eia Ende zu machen. Endlich! — Die Zustände inObessa waren auch himmel schreiend geworden. »Rußkoje Znamja" erfährt, daß, nachdem der Führer dcS russischen Verbandes Drohbriefe erhalte» hat, die Führer der Kadettenpariei persönlich für die Sicherheit Kruschewans hafibar gemacht worden sind. — Der »Verband echt russischer Leute" hat sogar die Unverschämtheit besessen, durch eine Depesche den Zaren auszuforderu, sein angeblich unschuldig deS Mordes an Herzenstein angeklagte«, aber leider schon geständiges Mitglied de« finnischen Gerichten zu entziehen! Lhinesen in ver Mantfchmeet. Die chinesische Regierung erklärt die Truppenkonzen- tration, die diese bei Tstlsikar und Ninguta, 167 Meilen west lich von Eharlin vornehme, und durch die sie die trans sibirische Bah» beherrscht, unt der Notwendigkeit, energisch gegen die Tschungufen vorgehen zu müssen. Max Rcger als Nachsalger Zöllners. Max Reger ist, wie wir soeben erfahre», al» Nachfolger Professor Zöllner- (unseres früheren Musikredakteurs), znm hiesigen UniversitälSmusikdirektor ernannt worveo. Max Reger, der gegenwärtig in München lebt, ist noch sehr jung. Er wurd« 1873 in Brand in der Oberpfalz ge- boren, sollte erst Lehrer werden, machte sich aber, als er in vaS bayerische Lehrerseminar zu Amberg eintrat, zugleich mil rem Geranken an eine musikalische Laufbahn. verirant. De» ersten, bereits recht ausgedehnten Musikunterricht hatte er im Elternhause empfangen — sei» Vater war selbst ein eifriger Musiker. Zu seinem Entschluß, Komponist zu werden, trug der Rat Hugo RiemannS nicht wenig bei. Reger trat 1890 in das Konservatorium zu Sondershausen em, wohin Riemann von Hamburg her berufen worben war, und folgte seinem Lehrer dann im selben Jahre nach Wiedbaven. Während Riemann schon 1895 als Dozent an die Leipziger Universität zurückkehrte, blieb Reger ein Jahr länger am Wiesbadener Konservatorium tätig, an dem er bald selbst Unterricht in Klavier- und Orgelspiel und in Theorie er teilte. 189l war seine erste Komposition im Druck erschienen. Feuilleton. Der Mensch soll mit ckar Mühe Pflugschar sich Des 8chlcksslr hatten Socken Offnen, soll ... Des Qlildces Sratetag sich selbst bereiten Und Taten la cUe offnen Türchen streun. «iem. Vie fugend soll schaffen uad frühllch sein, soll sich ein yau, bauen aus 1-lUen uack liosen, solang« Kosen und l-lllea blühen. «nitm. Larl» Sslösnl. (Geboren am 25. Februar 17O7.j Bon Eugen Segnitz (Leipzig). Inmitten der Weltstadt des achtzehnten Jahrhunderts, des üppigen, durch seine Kürzst weithin berühmten, aber auch von Grund aus verdorbenen Venedig, in der Calle dei Nonrboli deS Viertels San TomL, wurde der italienische Moliöre am 25. Februar 1707 geboren. Die Kunst dieses großen und einzigen Poeten, den die Lagunenstadt hervor gebracht hat, war durchaus bodenständig und heimatlich. Ein dichterischer Antäos, wurzelte Goldoni fest in der Scholle. So sehr, daß seine schöpferische Kraft zu versagen begann, als er sein Vaterland verließ und das letzte Drittel seines Lebens in Paris zubrachte. Goldoni stand gemäß seiner LebenSanschauuna und Kunst übung -wischen Giambattista Casti und Carlo Gozzi. Jener war der Vertreter der damals die vornehmen Kreise be herrschenden frivolen und genußsüchtigen Lebensauffassung, ein Lebenskunstler, in dessen galanten Novellen und Sonetten der Geist und die Satire eines Boccaccio von neuem aufzuleben schienen. Und Gozzi, Goldoni- be deutender Gegner, wußte schlau den natürlichen Hang seiner venetianischen Landsleute zu allem Märchenhaften und Wunderbaren auszubeuten und mit dem Improvisations talent des Bewohners der Meeresstadt zu rechnen. So v«r- uchte er die Belebung der alten Volkskomödie <7ova«lln dell' arte) und ihrer burlesken Stücke, >arin die Darsteller stets MaSken trugen und, nach Belieben, sich nur an daS ««Mario, den allgemeinen Anhalt des Stückes haltend, extemporieren dursten. Goldoni führte zeitlebens beinahe einen bitteren Kampf gegen die „MaSken der altitalienischen BUne, gegen den Kaufmann im schwarzen Mantel und roten Strümpfen, den kupfernasioen Dottore in der altbolognesischen Gerichts und UniversitatStracht, den Brighella, den ränkevollen, schlau« Bedienten ans Bergamo und de« Arlecchino, der dummer Teufel war und in bunten Lümpchen I lassung zu einer Posse oder einem Lustspiel für die Fast- lber nicht allein mit diesen „Masken", auch! nacht", jagte Goldoni und ging auf der Piazza von San spielern selbst lag Goldoni in hartem Kampfe, Marco spazieren, um Menschen und Stoffe zu suchen. Und und die gute „und glaubte, u einem Lyzeum erheben, und ihre Folgen zu ver- Marco spazieren, um Menschen und Stoffe zu suchen. Und sie fanden sich jederzeit. Goldonis Stücke enthalten vielmals Selbsterlebnisse. Einmal, im „Don Juan", schildert er porträtgetreu in der Schäferin die ihm früher vertraute Schauspielerin Elisabetta Passalacqua und legt ihr die ver- führerischen Reden in den Mund, mit denen er sie einstmals selbst betrügen wollte. Dann nimmt er wieder den eigenen häuslichen Umzug mit all seinen Mühen und tragikomischen Vorkommnissen als Stoff zu einem Lustspiel, konterfeit sich selbst ab als echten Hypochonder oder bringt einst in der Jugendzeit erlebte Liebesabenteuer, die ihm z. B. mit einer „gefunden" Kranken in Chioggia und einer Limonenhänd lerin in Friaul widerfuhren, auf die Bretter. Im „Advo kat" schilderte er gleichfalls Erlebnisse aus der eigenen Juristenpraxis. „Die Däterschule" weist den Segen der Familienerziehung nach, im „Eifersüchtigen Geizigen" wird eine bekannte Florentiner Persönlichkeit bloßgestellt, in „La Locandiera" venetianisckes Kneipen- und Äummelleben drastisch vergegenwärtigt und in den „Neugierigen Frauen" das Treiben des Freimaurerordens persifliert. Sitten gemälde mit allem und jedem Detail der Galanterie bieten die Lustspiele „La Villegiatura", „Der Hang zum Land leben", „Die Abenteuer auf dem Lande" und „Die Rückkehr vom Lande". Materialien zu diesen Stücken fand Goldoni in Fülle bei seinen Besuchen in den an der Brenta zwischen Fusina und Padua tzelegenen Villen und Landsitzen: „Dort hin gingen unsere Vorfahren, sich Vermögen zu sammeln, und heute gehen wir hin, es zu verschwenden. Auf dem Lande spielen wir großes Spiel, halten offene Tafel, geben Bälle und Schauspiele. Auf dem Lande, wo man sich ohne Zwang und Zurückhaltung sieht und spricht, hat die italie nische Cicisbeatur größere Fortschritte gemacht, als irgend wo sonst." Es lag in den sommerlichen Verhältnissen der Lagunenstadt, daß die Benetianer zu Fanatikern des Land lebens wurden. Auch Goldoni hielt sich ost und gern in Bagnoli bei Padua auf. Den immer abstoßendere Formen annehmenden Cicisbeat geißelte der Dichter auch in „Der Herr und die Dame" wo er den Cicisbeo als Märtyrer der Galanterie und Sklaven der albernen Launen seiner Schönen hinstellt. Dies ward ober dem Poeten arg übel ge nommen, denn viele fanden cs abscheulich, den CiciSbeo lächerlich zu machen und bereiteten darob dem Spötter mancherlei Ungelegenbeiten. Auch gegen die in allen LebenS- kreisen Venedigs grassierende S^ielwut, der in den Casinl und Ridotti (geschlossenen Gemächern und Nebenzimmern) hinreichend Zufluchtsstätten gewährt wurden, wendete sich Goldoni energisch. Und als er wieder einmal angegriffen und arg verhöhnt wurde, gab er dem Lustspiele „Die lustige Witwe einen apologetischen Prolog, der das Treiben seiner Feinde klarleate und ihnen seitens des venetianischen Senats die Theaterzensur einbrochte! Auch seine eigenen Schauspieler schonte Goldoni nicht, sondern verhöhnte sie vielmebr im ^Impresario von Smyrna" — einer auSführ- lichen Kritik ihrer Unwissenheit, Ungezogenheit und Unver- scharntheit, die er so oft an sich selbst -u erfahren Gelegen ein gar armer l einherging. M mit de« Schauspielern . . „ » wie er in seinen Erinnerungen selbst bekennt: „Die Leiden schaften und Empfindungen waren damals noch nicht zu dem Grad von Feinheit getrieben, den man heute verlangt. Jetzt will man, daß der Schauspieler Seele zeigen soll, und Seele unter der Maske ist Feuer unter der Asche." Venedig war die Stadt der Theater. Die Bühnen von San Crysostomo, San Samuelo, San Luca, San Cassiano und San Moise hatten jede für sich ihr Publikum, immer aber mächtigen Zulauf. Und Goldoni fühlte sich auch nur in der Theaterluft recht eigentlich wohl. Vom Vater war die Wanderlust und der Hang zur Komödie ihm gleicherweise überkommen. Der Dichter war so recht daS Kind einer phantastisch erregten, romantischen Regungen gern und leicht folgenden Zeit. Bon Jesuiten und Dominikanern erzogen, erst Mediziner, dann Jurist, Dichter, Schauspieler und Regisseur zualeich, mit fahrenden Leuten lebend, immer hilfsbereit und unaufhörlich poetisch produktiv, nicht dazu gemacht, ein Glück lange zu genießen, aber auch imstande, alle Wechsel fälle eines bunt - romantischen Lebens zu ertragen — so war Goldoni ein echter TypuS seiner Zeit, in der Lebensromane in auf- und absteigender Linie etwas ganz Alltägliches be deuteten. Was sich in seinen Stücken immer nachdrücklich kundgibt, besaß der Poet selbst in hohem Grad, nämlich jenen Tätigkeitsdrang, der ihn nie ruhen ließ während zweier Dritteile seines Lebens und ihn trotz mannigfach wechselnden Aufenthalts neben der Arbeit für die Buhne doch immer die Praxis des Advokaten ausüben und beibe halten hieß. Dies wurde erst anders nach seiner Berufung nach Paris, an den Hof Ludwigs LV., wo er als Sprach lehrer der Prinzessinnen mit einem Jahrgeld in Versailles ein stilles Leben führte und sich eigener Produktion ziemlich begab. „Die Komödie war mein« Neigung, und Komödie mein Zweck", bekennt Goldoni selbst, „ das Theater dürfte sich wohl gut zu einem Lyze den Mißbräuchen zuvorzukommen u . hüten." Hier»«, nicht im dichterischen Wert seiner zwei hundert Stücke, liegt die Bedeutung des Dichters, die weit über seine Zeit und sein engeres Vaterland hinauSgina. Seine Meinung war, „die Komödie als Sittenschule" dürfe die menschlichen Schwachheiten in keiner anderen Weise schildern, als um sie zu bessern. Damit wurde Goldoni der Reformator der italienischen Lustspielbühne und kam dem großen Molisre in seinem Bestreben sehr nahe, zu helfen, zu bessern und zu raten. Wohl mangelte ihm des franzö- fischen Dichters echter Humor und gewaltige komische Kraft, wohl arbeitete er oft eilig und nachlässig. Aber er hatte doch stet- gute Einfälle und lebendig bewegten, reich individuell gefärbten Dialog, und kaum einer konnte die Sitten und Unsitten, Freuden und Kümmernisse, liebenswürdigen und abstoßenden Seiten seines Volkes so scharf charakterisieren und lebenswabr darstellen, wie er. Jederzeit stand er mitten I,n d«« unaufhörlich fluktuierenden Leben seiner Vaterstadt; I „vielleicht gibt mir eine Mask« oder «in Gaukler Beran- heit fand. Goldoni besann sich auch nicht lange u. a. seinen eigenen Arzt, den Doktor Boerhave auf die Bühne zu bringen. Als echter Hypochonder war er stets anderer Meinung als jener und wurde zu seinem Lustspiele „Ter Arzt" durch das klassische Diktum angeregt: „Reiten Sie fleißig, machen Sie sich lustig, leben Sie wie gewöhnlich und — hüten Sie sich vor allen Arten von Aerzten!" — Wie Goldoni in „De Üonns os-sslinsüs", den guten Haushäl terinnen, „zur Aufmunterung der braven und zur Besserung der schlechten Hausmütter beitragen wollte, so suchte er in den „Lustigen Frauen" „den Frauenzimmern den Hof zu machen, obwohl ich mein eigenes Interesse vor Augen hatte. Wenn man dem Publikum gefallen will, muß man damit anfanaen, den Damen zu schmeicheln." Goldoni hatte Selbstkritik genug, nicht lange über ein durchgefallenes Stück zu trauern, sondern sagte sich: „es gibt kein anderes Mittel uns am Publikum zu rächen, als daß wir es zwingen uns seinen Beifall zu schenken" — und schrieb sofort ein neues und besseres. Zu den Vorbildern für sein Schaffen gehörten Corneille, Moliöre, Rousseau, Madame Grafsigny (Voltaires Freundin), Voltaire, Mar- montel und Dnfresny. Er überließ sich gern dem von Paris herkommenden Einfluß, lernte später in Paris Rameau kennen und wurde auch Mitglied einer, literarische Ziele ver folgenden, Sonntagsgesellschaft („De-, vowinioLiss"), zu deren neun Mitgliedern auch Sourin, de la Porte, Favart und Crebillon d. I. gehörten. Bei seiner Ankunft war ge- rade die Fusion der Italienischen Komödie und der Komischen Oper vor sich gegangen. Goldoni war kein Musiker, liebte aber als Venetianer die Musik leidenschaftlich. Waren doch mit dem heimatlichen Musikleben die glänzenden Namen Marcello, Lotti, Porpora, Biffi, Hasse u. a. so eng verknüpft. Unter Goldonis Werken finden sich über 50 Libretti zu Opern, Operetten und Intermezzos. Er schrieb sie für Italien, England, Portugal und Deutschland und hatte mit den Komponisten Vivaldi, Galuppi, Buranello Duni, Ferra- dini und Mazzoni gearbeitet. Als Operntextdichtcr waren ihm Apostelo Zeno und Pietro Metastasio vorbildlich. Indem Goldoni die Masken von seinem Theater ver- bannte, förderte er die mimische Kunst. Auf anderer Seite frei lich half er wieder dem schauspielerischen Virtuosentum vor wärts. So schrieb er besondere Stücke („Die Verwand- lungen") wo die Soubrette Gelegenheit bat, in verschiedener Gestalt zu erscheinen, ort die Kleidung zu wechseln, verschie dene Personen ohne Pause darzustellen und in mehreren Dialekten zu sprechen. Ueberhaupt liebte es der Dichter, Soubrettenrollen besonders reich auszugestalten; wie er ein mal von der berühmten Bacccherim sagte: „ich arbeitete für ih^en Ruhm und sie zerstreute meinen Kummer!" Der Dramatiker Goldoni zeigt sich auch in seinen Memoiren („Goldoni über sich selbst und die Geschichte seine- Theaters." Deutsch von G. Schatz. 3 Bände. Leipzig im Verlage der Dvkischen Buchhandlung 1783). Alles ist darin, wie in einem Dialog. Geist, Leben und Handlung Cie sind kurz bis vor seinem am 6. Januar 179.3 in Poris erfolgten Tode fortgesübrt und geben ein kulturgeschichtlich treue- Abbild von Zeit, Land und Leuten, DesellschaftSlebea, ebrovL-
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