DIE NEUERE ENTWICKLUNG UND DER HEUTIGE STAND DES KUNSTGEWERBLICHEN SCHULWESENS IN PREUSZEN I. ENTWICKLUNG E in fast völliger Umschwung in der Auffassung des Kunstgewerbes hat es mit sich gebracht, daß innerhalb der letzten zehn Jahre das Lehrprogramm der Kunst gewerbeschulen eine grundsätzliche Änderung erfahren hat. Es ist bezeichnend, daß im 18. Jahrhundert von der Akademie der Künste auch Handwerker zu „akademischen Künstlern“ ernannt wurden, denn dieser Umstand laßt erkennen, daß das Gewerbe noch in seiner natürlichen Beziehung zur Kunst stand. Als im 19. Jahrhundert die Gedankenverbindung zwischen Kunst und Handwerk von neuem aufgenommen wurde, und das geschah nach der ersten Weltausstellung in London 1851, hatte sich die Sachlage dahin geändert, daß nach allgemeiner Ansicht die Kunst aus dem Gewerbe entflohen war und man sie diesem wieder zutragen müsse. Dieses Zutragen von Kunst in das Gewerbe ist seitdem der leitende Gedanke der kunst gewerblichen Bewegung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewesen; in seinem Dienste standen sowohl die allerorten gegründeten Kunstgewerbemuseen, als auch die im Anschluß an diese entstehenden Kunstgewerbeschulen. Nichts lag natürlich näher, als sich der Schätze der alten handwerklichen Kunst als Nährmittel für das neue Kunst gewerbe zu bedienen. Die überkommenen Werke wurden fleißig gesammelt und als Vorbilder für eine Neubelebung des Gewerbes benutzt. Dabei handelte es sich vor wiegend um die äußerlich-formale Erscheinungsform der alten Handwerkserzeugnisse, deren Vorbildlichkeit man für über alle Zweifel erhaben hielt. Die Erzeugnisse, die aus dieser kunstgewerblichen Bewegung zunächst heraus kamen, waren denn auch vorwiegend Nachahmungen und Übertragungen aus dem Formenschatz der alten Kunst, in Deutschland vorwiegend aus dem Formenschatz der deutschen Renaissance. Die Übertragung wurde auch auf Gegenstände vorgenommen, die es in der alten Kunst nicht gegeben hatte, so wurden z. B. in den sechziger Jahren in den Zeichenklassen der gewerblichen Schulen selbst die Schwungräder von Maschinen mit gotischem Maßwerk verziert. Das Bedenkliche, das darin lag, mit historischen Formen neue Gegenstände äußerlich zu dekorieren, wurde zuerst durch eine Neben erscheinung offenbar. Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzende maschinelle Kunstindustrie fing an, den Markt mit Luxusgegenständen zu überschwem men, für die sie Abnehmer brauchte. Aus dem Bestreben, die Abnahme zu steigern, ergab sich die Spekulation auf das Abwechslungsbedürfnis der Menschen, dem man durch rasch wechselnde Moden entgegenkommen wollte. Vorwiegend aus diesem Be streben heraus sind die Stilmoden zu erklären, die sich im Kunstgewerbe, nachdem der Formenschatz der deutschen Renaissance erschöpft war, einstellten. In diesen Stil moden handelte es sich ausschließlich um äußere Schmuckformen, für die die Schätze der Kunstgewerbemuseen die Vorbilder lieferten. Man übersah dabei, daß diese Schätze insofern ein einseitiges Bild der alten Kunst gaben, als sie fast nur Prunkstücke auf wiesen. Die Alltagsgegenstände waren infolge ihrer einfachen Erscheinung dem Sammler