66 Klaus Bergdolt Dresden und Venedig Die Geschichte einer heimlichen Verwandtschaft o Die künstlerischen und kulturellen Verbindungen zwischen dem sächsischen Hof und der Lagunenstadt an der Adria waren seit dem 17. Jahrhundert erstaunlich vielschichtig. Wie stark sie Musik und Malerei, Architektur und Theater, Oper und Literatur, ja selbst die Mode an der Elbe prägten, wie sehr Venedig unter August dem Starken und August III. in Dresden »en vogue« war, spürt der aufmerksame Besucher noch heute. Die Inventarlisten zeitgenössischer Sammlungen, die venezianischen Gräber auf dem Alten Katholischen Fried hof oder die bekannten Bilder Canalettos in der Galerie der Alten Meister lassen die alte Suggestionskraft der Serenissima erahnen. Die Venedig-Vedute, deren besonderen Reiz zu Ende des 17. Jahrhunderts Caspar van Wittel wiederentdeckte, erreichte in diesen Gemälden photographische Präzision, vor allem aber künstlerische Vollendung. Die Vedute symboli sierte wie keine andere Kunstgattung den Mythos der Lagunenstadt, die im 18. Jahrhundert zum Reiseziel schlechthin geworden war, das - besonders aus der Sicht protestantischer Besu cher - selbst Rom in den Schatten stellte. Gemälde, Zeichnungen und Stiche mit Venedig- Motiven, aber auch die berühmten Meister der venezianischen Renaissance, erfreuten sich - nicht nur in Dresden - größter Beliebtheit. Vielen Zeitgenossen, die Italien nie betreten hatten, waren Markuskirche, Dogenpalast, Markusplatz und Canal Grande gegenwärtig; Venedig »kein bloßes Wort mehr, kein hohler Name«, wie Goethe bemerkte. Doch fiel die Begeisterung für die venezianische Kunst - ungeachtet des Mäzenatentums und der Sam melleidenschaft venedigverliebter Insulaner wie Owen McSwiney und Joseph Smith, des legendären englischen Konsuls - nirgends auf so fruchtbaren Boden wie am Hof der Wettiner. Die erwähnten, bereits 1754 inventarisierten Canaletto-Bilder widerspiegeln die Venedig- Leidenschaft Augusts III., der bereits als Kronprinz 1713 und 1716 - im Alter von siebzehn bzw. zwanzig Jahren - die Stadt am Rialto besucht hatte. Zwar führten »Kavalierstouren« oder offizielle Anlässe im 18. Jahrhundert zahlreiche europäische Fürsten nach Venedig (so den König von Dänemark, den Herzog von Württemberg oder die geheimnisumwitterten Conti del Nord, d.h. Großfürst Paul von Rußland und seine aus Stuttgart stammende Frau Maria Fjodorowna), doch kaum ein Empfang dürfte so prunkvoll ausgefallen sein wie derje nige des sächsischen Thronfolgers und zukünftigen Königs von Polen. Die Venezianer veran stalteten ihm zu Ehren eine pompöse Regatta, die den Triumph Chinas über Asien symboli sierte (und damit ein weiteres Modethema der Zeit aufgriff). Luca Carlevarjis, Canalettos