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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 10.07.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-07-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190907108
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19090710
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19090710
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1909
- Monat1909-07
- Tag1909-07-10
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Anzeiqen-PretS 'ür Inserate au» Leipzig und Umgebung die Saesvaltene Petiizeile 25 2z, finanziell« Anzeigen 80 Reklame» 1 von auiwärt» 8V 2z, Reklamen 1.20 vom Ausland SOH, stnanz. Anzeigen 752z Reklamen I.SO ^k. Inserate». Behörden im amtlichen Teil 40H. Beilagegebühr 5 p. Tausend exkl. Post- tzcbühr. Bcschöslsanzeigen an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Tarr Festerteilte Aufträge können nicht zurück gezogen werben. Für da» Erscheinen an bestimmtet! Tagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen-Annahme: AugustuSplay 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annoiicen- Axpeditionen de» In- und Ausländer. Haupt.Filiale Berlin: Carl Duncker, Herzog!. Baqr. Hofbach handlung, Lützowstraße 10. lTelephon VI, Nr. 4603). Haupt-Filiale Dresden: Seestraße 4,1 lTelephon 462IL Nr. 189. Das wichtigste. * Der Reichstag hat am Freitag in der Gesamt, abstimmuug die Brausteuer mit 204 gegen 160 Stimmen, das Tabakgesetz mit 197 gegen 165 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen und die Branntweinsteuer mit 22S gegen 137 Stimmen brr 2 Stimmenthaltungen endgültig in dritter Lesung angenommen. sS. Reichstagsbericht.) * Die neue Tabaksteuer tritt am 15. August 1900 in Kraft ssoweit sie sich auf die Zigarettensteuer bezieht, am 1. September). Die neue Brau steuer tritt am 1. August 1909, einzelne Teile jedoch erst am 1. April 1910 in Wirksamkeit. * Der ReichstagSabgcordnete Frhr. Hehl zu Herrnsheim hat seinen Austritt aus der nationalliberalen Partei er klärt. sS. d. bes. Art.) * Kaiser Franz Josef, der am Montag nach Ischl abrcist und bis Anfang September dort bleibt, erhält den eintägigen Be such des Königs Eduard auf dessen Reise nach Marienbad. sS. Ausl.) * Der frühere österreichische Ministerpräsident Graf Baden! ist gestern an, einem Herzschlag gestorben. * General Gallifet ist am Donnerstagabend in Paris ge storben. (S. d. bes. Art.) * Wie aus London gemeldet wird, beschlossen die schottischen Kohlenbergwerksbesitzer, eine Lohnreduktion von 12sH Prozent, die am 26. d. M. in Kraft treten soll, anzukündigen. Von dieser Maßregel, die natürlich einen Streik in Aussicht stellt, werden an 100 000 Bergleute betroffen. sS. Ausl.) * Der Pester „Lloyd" meldet aus Konstantinopel: Die türkische Kriegsverwaltung fährt in der Ergreifung größter militärischer Maßnahmen fort. Doch tragen diese Maßnahmen keine überstürzten und provokanten Charakter und scheinen vorläufig nur dem Gebot der Vorsicht zu entsprechen. sS. Ausl.) * Tie Meldung des Pariser „Matin", der deutsche Gesandte habe angesichts der beunruhigenden Ereignisse in Marokko seiner Regierung empfohlen, Frankreich zu ersuchen, cs möge in Marokko einschreiten, beruht, wie das Wolffsche Telc- graphenbureau an zuständiger Stelle erfährt, auf Erfindung. Die wahren Herrscher. Wie sich die eigentliche Spannung in der inneren Politik auch lösen wird, eines erhellt aus der Krisis aufs neue mit erschreckender Deut lichkeit: die römische Legion sowie die Kohorte der Noten verfügen stets über einen so großen Teil des Reichstages, daß die Gefahr einer völligen Herrschnst sehr groß ist. Sobald die übrigbleibenden Teile sich einem erbitterten Streit hingeben, triumphiert ein Bündnis jener beiden bösen Gewalten. In der Neuwahl von 1907 erlangte das Zentrum mit 104 Stimmen, denen sich naturgemäß 20 Polen, 10 Elsässer, Dänen, Welfen anschließen, einen Gesamtstand von 134 Stimmen. Sobald dazu 65 Sozialdemo kraten kommen, verfügt das Zentrum über eine Mehrheit nach links. 1907 wurde die Sozialdemokratie glücklicherweise von 81 auf 43 Stimmen zurückgedrängt, so daß das Zentrum diese „linke" Mehrheit verlor. Aber wie leicht kann die Partei wieder ebenso stark werden wie vorher! Wenn sie nur 22 Stimmen gewinnt, so hat das Zentrum die Mehrheit für alle solche Fälle in der Hand, in denen es auf die Roten rechnen kann. So war es von 1903 bis 1907; da bestand diese Gruppe aus 213 Stimmen, und infolgedessen konnte das Zentrum seinen Willen diktieren. Eine „rechte" Mehrheit hat das Zentrum, sobald ihm außer den Konservativen und Antisemiten auch noch entweder die Jreikonservativen oder die Polen zu Gebote stehen. Letzteres wird trotz gelegentlichen Zankes wohl immer der Fall sein. Es ist zwar in dem 1903 gewählten Reichstag eine solche Kombination unmöglich gewesen, Wohl aber in dem letzigen. Es ist also immerdar eine sehr große Gefahr vorhanden, daß das Zentrum nach zwei Seiten Trumpf ist. Und eine riestge Verantwortung ladet jede andere Partei sich auf, die ihm dazu verhilft. Aus diesem Gesichtspunkte hat Dr. Th. Barths Politik auch von freisinniger Seite die schärfste Verurteilung erfahren müssen. Dieser begabte, hingebungsvolle Mann hat doch mit seiner Lebensarbeit eine furchtbare Pleite erlitten. Kein Zweifel, daß er nichts erreicht hat und daß seine Bahn nicht weiter verfolgt wird. Eine Erhöhung der so zialdemokratischen Stimmen würde zugleich eine Vergrößerung der Macht des Zentrums bedeuten. Das Gros der freisinnigen Partei ver dient vom nationalliberalen, antiultramontanen Standpunkt aus die größte Anerkennung, daß es dieser Verlockung stets widerstanden hat. Aber ebenso schwer ist die Verantwortung, die jetzt die Rechte durch ihre Politik auf sich geladen hat. Kein Zweifel: niemals wird die kon servative Partei direkt die Sozialdemokratie unterstützen, dazu steckt sie viel zu voll von Selbsterhaltungstrieb. Auch zu einer indirekten För derung wird sie niemals den Willen haben. Aber was sie treibt, das ist eine Politik, die zwar nicht den Zweck hat, das Heer der Roten zu verstärken, wohl aber die Wirkung. Sie wirkt dahin, daß die Begierden und der Zorn der unbemittelten Masten immer mehr ent- facht werden, und daß deren Leidenschaften immer mehr den äußersten Radikalen zugute kommen, also der Sozialdemokratie. Unsere Wählerschaft strebt immer mehr den beiden Extremen zu, der äußersten Rechten und der äußersten Linken. Gleich zwei Mühlsteinen zerreiben diese alle mitt- leren Elemente zwischen sich. Das ist an sich schon eine äußerst gewagte Entwicklung, auch betrachtet aus dem Gesichtspunkte der Rechten. Denn schließlich muß sie sich doch sagen: der eigentliche Kern und Ausgangs 103. Jahrgang. Sonnabend 10. Juli 1909. punkt ihrer Macht ist der ostelbische Großgrundbesitz, und das ist eine „geborene Minderheit", die unter dem Verhängnis oder Glück steht, immer nur eine Minderheit zu bleiben. Teilweise hat sie den Bauenstand für sich gewonnen: eine rein zeitliche Erscheinung, deren Nutzen sich ausgleichen wird durch das Abströmen zahlreicher kleinbürgerlicher Ele mente in die Reihen der Sozialdemokratie. Sie rechnet damit, immer die Zügel der Staatsgewalt in der Hand zu behalten. Die Geschichte lehrt, daß die herrschenden Klassen sich in solcher Annahme grausam irren können. Das Verfahren, das mobile Kapital den acherontischen Begierden zu denunzieren nnd preiszugeben, um dem immobilen Vor teile znznschanzen, wird dahin führen, daß auch der Grundbesitz einer gleichen Verfolgung ausgesetzt wird. Dem Kommunismus sind sie beide gleich. Doch wie dem auch für eine spätere Folgezeit sei: die sichere Folge für die nächste Gegenwart ist die, daß aus der allgemeinen Volks erregung über die Behandlung der Steuerfragen eine Verstärkung der Sozialdemokratie hervorgeht. Der hohe seelische Schwung, der 1907 die Wählerschaft ergriff, so daß sie die Sozialdemokratie auf die Hälfte zurnckdrängte, ist heute nicht da. Das Zentrum sitzt in seinem sturmfreien Turm, daran kann niemand etwas ändern. Aber die So zialdemokratie, die damals die Zeche bezahlen mußte, so daß das Zen trum seine linke Mehrheit verlor, kann jetzt wieder aufleben, und der römischen Legion volle Gewalt über den Reichstag verleihen. Dann muß auch die Rechte in allen den Fällen ihren Einfluß auf das Zentrum verlieren, wo dieses bereit ist, auf die „linke" Mehrheit zurückzugreifen. Das Zentrum kann dann jeden Augenblick die Sozialdemokratie gegen die Konservativen aus spielen. Eine angenehme Zugabe für den Triumph, die Erbschafts steuer abgewehrt zu haben! Noch ein zweites! Niemand wird sich darüber täuschen, daß den hef tigsten Stoß von sozialdemokratischer Seite nicht die Konservativen, son dern die Liberalen ausznhalten haben. Es liegt im Wesen der Sozial demokratie, immer den Angriff gegen die in den Städten, der Industrie, dem Kleinbürgertum wurzelnden Liberalen zu richten. Aber eben so sicher ist es, daß die Liberalen die schönste Aussicht haben, auf Kosten der Konservativen das nnd mehr wiederzugewinnen, was sie vielleicht Roten verlieren. Der Zorn im Unterbeamtentum, bei den Hand werkern, Arbeitern, auch bei den Kleinbauern, über die maßlose Inter estcnpolitik der Konservativen ist zu enorm. Vielleicht haben diese keine Vorstellung davon. Wenn sie denken, ihn auf die „Börse", das Groß kapital ablenken zu können, so sind sie wahrscheinlich im Irrtum. Die demagogischen Manieren, die durch gewisse Landbnndsführer cingeführt sind, werden sich rächen auch an denen, die sie Wohl bedauern, aber nicht die Kraft haben, sie zurückzuweisen. Man wird immer an das tiefsinnige Wort Mommsens erinnert: „Wer den bösen Geist zum Diener nimmt, der wird ihm selber zum Knecht!" Zur* Rrisis. Zur Entscheidung über den Kanxlerwechscl w'rd der Kaiser, wie wir an anderer Stelle erwähnen, nach Berlin kommen. Etwa am Montag kann auf sein Eintreffen gerechnet werden. Ob der Kaiser längere Zeil verweilen wird, ist eine andere Frage. Es ist nicht wahrscheinlich, daß Fürst Bülow noch am Donners tag in Berlin weilen wird. Daraus eraibt sich, daß schwerlich die Steuergesetze, die zunächst die Zustimmung des BundeSrateS ge winnen müssen, von ihm gegengezeichnet werken. Daß er sich sachlich nickt mit der Form, die sie im Reichstage erhalten haben, identifiziert, ist bekannt. Katzenjammer. Wie der „Franks. Zeitg." aus Berlin gemeldet wird, sind bei manchen Mitgliedern der neuen Mehrheit und auch bei mancken Herren des Bundesrates Gefühle der Neue und der Scham ausgetreten, die aber schweigen, weil nun einmal die verbündeten Regierungen unter allen Umständen das Geld haben wollen unv Steuergesetze mitinachcn müssen, gegen sich ihre wirtschaftliche Einsicht und politische Ueberzeugung sträubt. Abg.Heyl zu Herrnsheim aus -er nationalliberalen Reichs- taqsfraktion ausgetreten. Aus Berlin wird uns berichtet: Der Abgeordnete für Worms, Frei herr Heyl zu Herrnsheim ist aus der nationalliberalen Reichstagsfraktion ausgetreten. Diesen AuSgang batten wir erwartet, denn es ist durckaus korrekt, wenn in solchen Situationen wie der gegenwärtigen die Scheidelinien scharf gezogen werden. Ein letzter Rettungsversuch. In ibrem unausgesetzten Mühen, die Schulv an der Demission des Kanzlers und der Wiederkehr der Zcntrumsherrschaft von den Konser vativen aus die Liberalen abzuwälzen, sind die parteiossiziösen „Sachs, pol. Nachr." jetzt daraus verfallen, einen Artikel der regierunsoffiziösen „Leipz. Ztg." gegen die Liberalen als Waffe zu benutzen. Wir können demgegenüber für die Richtigkeit unserer entgegengesetzten Anschauung einen ganz ausgezeichneten, einwandfreien Zeugen ins Feld führen, den Fürsten Bülow selbst. Der Kanzler l>eß kürzlich in der offiziösen „Südd. Reicks-Korr." einedeutlicheErklarung überdie wahren Gründe seines Rücktritts veröffentlichen. Wir haben sie hier bereits am t. Juli abgedruckt, aber wir halten es für zweckdienlich, sie heute zu wiederholen. Sie lautet: „In einem unparteiischen Blatt wird zur Rechtfertigung der Konservativen bemerkt, sie hätten als Folge ihrer Haltung in der Erbansallsteuerfrage den Rücktritt des Reichskanzlers nicht gewollt. Diese Art der Entschuldigung sollten die Konservativen selbst ab lehnen. Man führt nicht mit Hilfe anderer einen wohlerwogenen Streich, um dann zu murmeln, es sei aus Unbedacht geschehen. Man stürzt nicht nebenher und ahnungslos den Reichskanzler. Die kon servativen Führer durften nach ihrer Kenntnis der politischen Lage keinen Augenblick im Zweifel sein, daß die Ablehnung der Erbau fallsteuer durch die konservative Partei den Rücktritt des Fürsten Bülow nach sich ziehen mußte. Sie wußten, waö sie taten, als sie — unter polnischem Beistand — eine Mehrheit gerade gegen diese Vorlage zustande brachten. Die Tatsache, daß die Konservativen durch parlamentarische Schachzüge mit dem Zentrum und den Polen zu ungelegener Zeit einen Kanzlerwechsel in Deutschland heraufbeschworen haben, ist durch nichts zu verdunkeln. Mit der Abstimmung der Konservativen in der Erbansallsteuerfrage hat Fürst Bülow sein Entlassungsgesuch begründet und den Kaiser von der Notwendigkeit, es zu genehmigen, überzeugt. Auf die treuherzige Vermutung, der Entschluß zum Rücktritt sei vielleicht nicht uuwiverruslich, kann nur ein Nichlwissender kommen. Der Kanzler hat mit seinem Abschieds gesuch weder gespielt, noch ab irato gehandelt. ES ist ein vom Kaiser gebilligtes Ergebnis reiflicher U-berlegung. Zentrum und Polen wollten von vornherein die Schwierigkeiten der Reichsfinanzreform zum Sturz des Reichskanzlers benutzen. Dafür suchten sie Helfer und fanden die Konservativen." Diese Darlegung der Gründe des Rücktritts deS Kanzlers dürste auch für die Seite von Interesse sein, die in der „Leipz. Ztg." eine ent- gegengesetzte, nach den vom Kanzler inspirierten Auslassungen der „Südd. RcichSkorr." grundfalsche Ansicht zu verteidigen sich abmübk. Die „Leipz. Ztg." zeigt in letzter Zeit überhaupt das Bestreben, sich ein seitig konservativ zu orientieren, wir möchten bezweifeln, daß das mit der Annaberger Rede des Grafen Vitzthum recht vereinbar ist. General Gallifet Paris, S. Juli. (Tel) Der General Marquis de Gallifet ist oestern abend hier gestorben. Mit dem greisen General Gallifet scheidet eine der bedeutendsten und bekanntesten Gestalien der politischen und militärischen Kreise Frankreichs aus dem Leben, ein Krieger aus der schickials- vollen Epoche des dritten Kaiserreichs, an deren wechselnden Phasen er beteiligt war: an den Phasen der Gloire, an den Phasen deS furchtbaren Zusammenbruchs, der allgemeinen DöbLcle. Die sranzösiicke Armee steht trauernd an seiner Bahre, da sie heute eines ihrer glänzendsten, bewähriesten Offiziere beraubt wurde. Früh trat Gaston Alexandre Auguste MarguiS de Gallifet, der am 23. Januar 1830, dem Abdankungsjahr des gekrönten Kleinbürgers LoniS Pbi'ipp, geboren wurde, in ihre Reiben: im April 1848, als der Sturm der Februarrevolution loSbrach. Der junge Gallifet avancierte rasch. 1863 wurde er Eskadronchef. In dieser Eigenschaft machte er sich über den O:ean und wurde Teilhaber an dem mexikanischen Abenteuer. Bei Puebla trug er eine schwere Wunde davon. Am 30. August 1870, im verheerenden Kriegsjahr, wurde er da: n zum Brigadegeneral befördert. Am 1. September dieses Jahres donnerten die Schlachten um Sedan, denen der fahle Epigonenglanz deS dritten Napoleon erlag. Siegreich drangen die deutschen gegen die französischen Korps vor. Die Bayern hatten Bazeilles erstürmt, das 11. Armeekorps den Kalvarien berg von Jlly. Da ritt General Gallifet mit seinen Reitern eine der prachtvollsten, heldenmütigsten Attacken des ganzen Feldzuges, die bei Floing vor den rauchenden und donnernden Feuerschlüncen der Feinde hoffnungslos zerschellte: Frankreichs Schicksal mußte sich erfüllen. Nach der Kapitulation von Sedan geriet Gallifet in Gefangenschaft. Er wurde nach EmS transportiert, von wo aus er, von der Königin Augusta zur Tafel eingeladen, nach Koblenz reiste, dann zurück nach- Frankreich. Dort erhob die Kommune ihre blutrotes Haupt. Der Reiter general von Sedan, ThierS' Vertrauter, wurde ihr furchtbarster, schonungslosester Bekämpfer und infolgedessen als ein grausamer Soldat auSgelchrien, den die Sozialisten nur noch „Mörder" schalten. Nach dem Friedensschluß wurde der Verstorbene weiterhin mit be sonderen Ehren bedacht. Im Jahre 1875, nachdem die Armee reorganisiert worden war, erhielt er das Kommando der 15. Jn- sanieriedivision in Dijon. Gallifet, der ehemalige Bonaparlist, zeigte sich dann als eifriger Republikaner, und so konnte cS nicht ausbleiben, daß er rasch avancierte. Er wurde 1879 zum Befehlshaber deS 9. Korps in Tours ernannt, 1880 zum Befehlshaber der Truppen in Paris, ein Kommando, das er jedoch nach dem Ablauf von zwei Jahren schon wieder nieverlegte. Gallifet blieb hierauf bis 1886 Mitglied deS KriegsrateS unv Präsident des Kavalleriekomitees. Auch im Dreysusvrama hat Gallifet dann eine Rolle gespielt. Als die Affäre der gefälschten Aktenstücke ans Tageslicht kam, erhob sich, wie man weiß, ein Wuisturm im Volke gegen den Generalstab. Das Ministerium wurde durch ihn vom politischen Schauplatz gefegt, der gereckte Waldeck-Rousseau, ver stahlharte Republikaner, bildete das neue Kabinett. Waldeck-Rousseau, dem die Gemäßigten ein Greuel waren, stützte sich gänzlich auf die Linke, gab Millerand, dem entschiedenen Sozialisten, das Portefeuille des Handelsministeriums. In die Armee suchte er, der Ministerpräsident, den Elan des RspublikanergeisteS zu tragen. General Galliset, der 1899 zum Kriegsminister ernannt wurde, war bei diesem Werk sein tätigster Gehilfe. Hart ging er, der bei seinem Debüt in der Kammer mit dem Geschrei: „Hoch die Kommune, nieder mit dem Mörder!" empfangen wurde, gegen die widerstrebenden monarchistischen Elemente im Offizierkorps vor. Als die DreyfuSaffäre unter seinem Ministerium — er hatte zwar nach der zweiten Verurteilung deS unglücklichen Hauptmanns zu Rennes das naiv-lapidare Wort gesprochen: „IVincicient est clc^!" —kein Ende nehmen wollte, erhob sich der alte Haudegen am 29. Mai 1900 in ver Kammer und sagte ärgerlich: I'eu ai asser ck« la merci«!" Nach diesem groben Ausspruch schickte er dem schwachen Loubet, den er nachmals gehaßt hat, sein Portefeuille zurück. Sein Nachfolger wurde Andre, der bekanntlich glücklicher war. Zuletzt hat Gallifet vor ter Verkürzung der Dienstzeit des französischen Soldaten eindringlich gewarnt. So ist mit ihm, dem Marquis de Gallifet, dem ehemaligen Ordonnanz offizier Napoleons III., eine typische Figur des zertrümmerten Kaiserreichs dabingeaangen, eine ihrer elegantesten, glän,endstenEr>cheinungen,ein ritter licher Militär, dessen kaustischer Witz vielfach gerühmt wurde. Der General war frivol, abenteuerlich, chauvinistisch, draufgängerisch. Von seiner Gattin, die vor ihm starb, lebte er getrennt. Wie aus Paris gemeldet wird, ist er in seiner Wohnung in der Rue de Ehateaubrianv gestorben, ohne das Bewußtsein wieder erlangt zu haben. Vor ein paar Tagen erlitt der 78jährige einen rechtsseitigen Schlaganfall, der ihm einen Teil der Be- wegunassähigkeit unv die Sprache raubte und ihn fast in ununterbrochene Bewußtlosigkeit versenkte. Nur hier unv da waren lichte Augenblicke eingelreten, in denen sich seine beivcn Kinder, Gras de Gallifet unv die Baronin de Sellierc, an seinem Krankenbette einfanden.
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