Jahresbericht über das Schuljahr 1§71—1§7S. I. Chronik. Unerwartet, wie die Nachricht von dem Hinscheiden seines Amtsvorgängers, des am 14. Febr v.J. selig entschlafenen Johannes Friedrich Palm, kam dem Unter zeichneten Berichterstatter die Aufforderung von höchster Stelle, in das erledigte Rectorat am Bautzener Gymnasium einzutreten. So viele Bande ihn auch an die amtliche Stellung, die er vierzehn Jahre lang an der Fürstenschule St. Afra eingenommen, und an die An stalt, an der ihm so viele Beweise der Liebe in Freud und Leid zu Theil geworden, fesselten, so glaubte er doch dem ehrenvollen Rufe folgen zu müssen. Nachdem ihm von Seiten des Königlichen Ministern des Cultus und öffentlichen Unterrichts unter Zustim mung des hiesigen städtischen Patronates durch Verordnung vom 1. März 1871 seine Vocation zugegangen war und er sich am 1. April in der Aula zu St. Afra von seinen theuren Amtsgenossen und geliebten Schülern verabschiedet hatte, erfolgte am 19. April auf hiesigem Rathhause durch die Königl. Gymuasialcommission seine Verpflichtung und darauf in der festlich geschmückten Aula in Gegenwart des gesammten Collegiums und des Schülercötus und unter zahlreicher Betheiligung der Königlichen und städtischen Behörden sowie der Bürgerschaft seine feierliche Einweisung durch den Königlichen Com- missarius Herrn Geheimen Regierungsrath von Beust. Die Feierlichkeit eröfl'uete der Inquilinerchor mit einer Motette von Bernh Klein unter Leitung des Herrn Cantor Schaar schmidt. Hierauf erhub sich der Königl. Commissarius und sprach die folgenden, Allen zu Herzen gehenden Worte: Unter dem nicht zu bewältigenden Eindrücke tiefster Wehmuth haben wir wohl Alle heute diese Stätte betreten, wenn solche auch gemildert wird durch den Character des gegen wärtigen feierlichen Actes. Waren doch die meisten von Denen, die hier versammelt sind, vor wenig Wochen erst theilnehmende Zeugen einer Trauerfeier von tief ergreifendem Ernst in diesem Saale. Die verwaiste Schule gab ihrem heimgegangenen Vater das ehrendste Zeugniss von dem aufrichtigen Schmerz, der ihr widerfahren durch seinen so frühen Verlust. Wenn ich vor Allem heute des theuren Vollendeten nochmals gedenke, wenn ich mich gedrungen fühle, Ihnen sein Bild nochmals vor die Seele zu führen, so kann dies nicht besser geschehen, als indem ich mich eines Plagiats schuldig mache, mit den trefflichen Worten, mit denen ihn einer seiner treuesten Freunde und Collegen in den lebendigsten Farben in der Gedächtniss- rede vom 17. Februar d. J. geschildert, wenn er sagt: „Worin lag Palm’s Bedeutung? Nicht in seiner schriftstellerischen Thätigkeit, nicht in der wahrhaft Staunenswerthen Elasticität seines Geistes, mit der er sich auch in Gebieten, die seinen eigentlichen Studien ferner lagen, schnell und leicht zu orientiren verstand, so dass er sie vollkommen beherrschte, nicht in seiner umfassenden gründlichen Gelehrsamkeit und dem regen Interesse, welches er an allen wissenschaftlichen Fragen nahm, wenn sie ihn auch nicht nahe berührten; seine Haupt bedeutung lag darin, dass er ein christlicher Schulmann in des Wortes vollendetstem, schönstem Sinne war. Welches aber das Ziel seiner Pädagogik war, diess hat er ausgesprochen 2