Gedichten Walthers von der Vogelweide seinen schönsten und tiefsten Ausdruck fand. Und schließlich darf auch das Bürgertum nicht vergessen werden, dessen von Nützlichkeitserwägungen bestimmte Denkweise sich von den Denkgewohnheiten beider Parteien in mehr als einer Hin sicht grundlegend unterschied: Auch diese Denkweise wirkte auf die Kunst ein, vorerst einmal auf dem Umweg über die Bautechnik. Die nach bürgerlichen Nützlichkeitserwägungen organi sierten gotischen Bauhütten sind das echte Erzeugnis einer Übergangszeit, in der die Bürger noch nicht stark genug waren, die Unabhängigkeit ihrer Klasse zu proklamieren, und die Feudalherren schon zu schwach, um bedeutende Aufgaben ohne Hilfe des Bürgertums lösen zu können. Der Bamberger Dom Wie sehr es der fränkischen Baukunst widerstrebte, sich Stilrichtungen zu unterwerfen, die ihrer Entwicklungsrichtung widersprachen, beweist die Tatsache, daß die französisch-burgundisch beeinflußte Ordensarchitektur fast ohne Nachhall blieb. Obwohl die Zisterzienser-Meister bis in die ersten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts die gotische Bauweise weitaus besser beherrschten als die Kräfte der einheimischen Bauschulen, traten sie bei größeren Unternehmungen doch höchst selten als Planentwerfer, dagegen oft als Planfortsetzer in Erscheinung. In Bamberg gehen vor allem die Proportionierung des Querschnitts nach dem gleichseitigen Dreieck und die Zeichnung des Rosenfensters im nördlichen Querschiff auf Ebrach zurück. Bamberg bildet überhaupt einen Sonderfall in der Gruppe der Bauten, die um die Jahrhundertwende entstanden. Der frühe Bau beginn, wohl um 1185, und der Zwang, die alten Fundamente wieder benutzen zu müssen, verhin derten, daß die nordfranzösischen Ideen von Anfang an das Baugeschehen bestimmten. Aber selbst wenn diese Faktoren nicht vorhanden gewesen wären, so hätten doch andere Bedingungen ausge reicht, eine Übernahme der Chartreser oder Reimser Baugedanken unmöglich zu machen. Die konservative, der spätromanischen Tradition verhaftete Einstellung der deutschen Baumeister dieser Periode ist bekannt; dazu lag Bamberg im Kreuzungsgebiet fast sämtlicher damaliger Stilrichtungen. Der Meister des Ostchores kam zweifellos von den Bauplätzen des Oberrheins: Der Charakter der Schmuckformen weist auf Basel und Freiberg hin, also auf Städte im Wirkungs bereich der burgundischen Architektur. Burgundische Eindrücke bestimmen auch den zweiten Bauabschnitt, in dessen Verlauf das Langhaus des Doms errichtet wurde; als Vermittler treten, wie schon angedeutet, Zisterzienser aus Ebrach auf. Der Entschluß, beim gebundenen System zu beharren, ist wohl auf ihr Wirken zurückzuführen: Die Ordensbaukunst rechnete grund sätzlich mit einfachen quadratischen Grundrissen; der Versuch, rechteckige Felder zu überwölben, mußte sie folglich vor Schwierigkeiten stellen, denen sie lieber aus dem Wege ging. Erst jener Meister, der in den dreißiger Jahren den Westchor samt den ihn begleitenden Türmen erbaute, stand mit dem neuen Ideengut in anderer als loser Verbindung. Aber auch er hatte seine Schulung nicht etwa in Reims oder Chartres empfangen, sondern an der vergleichsweise alter tümlichen Kathedrale von Laon (1165 begonnen). So kam es, daß auch die das Laoner Vorbild abwandelnden Westtürme die konservativ gerichtete Prägung des Bauwerks nicht zu stören vermochten; sie fügten sich ihr im Gegenteil widerspruchslos ein. Mit dem Bamberger Dom nahm die deutsche Baukunst Abschied vom romanischen Zeitalter.