Ein ganz anderes Bild ergibt sich bei der Betrachtung der Plastik. Sie steht in jeder Hinsicht auf der Höhe ihrer Zeit. In Bamberg vollzieht sich „die dramatische Auseinandersetzung zwischen zwei ganz großen Künstlerpersönlichkeiten, deren ausgedehnte Werkstätten in einem fast aufregenden Wettstreit nebeneinander arbeiten und einander wechselseitig beeinflussen: der eine der größte Verkörperer deutsch-romanischer Form- und Empfindungskraft, der andere ein fast völlig franzö- sisierter Vertreter der Reimsischen ,maniera moderna'.“ 9 Lassen wir die noch unentschiedene Frage, ob die beiden Werkstätten tatsächlich nebeneinander oder nicht doch nacheinander ar beiteten, einmal beiseite: Tatsache ist jedenfalls, daß in den Werken des Chorschrankenmeisters und der Freifiguienwerkstatt verschiedene stilistische Einflüsse und verschieden geartete Tempe ramente zum Ausdruck kommen. Schon ein oberflächlicher Vergleich weist auf einige bezeich nende Unterschiede hin. Es stehen sich gegenüber: Relief und Freifigur, paarweise Anordnung und Vereinzelung, eine bis zu Temperamentsausbrüchen sich steigernde Erregung und eine in Monumentalität mündende Ruhe. Das Suchen n Ah inhaltlichen Parallelerscheinungen führt bei den Chorschrankenreliefs nicht zum Ziel. Die Apostel an den Chorschranken der Halberstädter Liebfrauenkirche, die vielleicht zur Erklärung des Phänomens herangezogen werden könnten, bleiben für sich, sie wenden sich ein ander nicht zu, jeder von ihnen hat seine eigene Nische. Die Genialität des Chorschrankenmeisters drückt sich vor allem in der Folgerichtigkeit aus, mit der er die Form aus dem Ausdruck ableitet. Die Gestalten leben nicht von ihrem Sein, sondern von ihrem Tun. Der Wille, sich im Streit der Geister zu behaupten, treibt sie zu ungestümen Hüftverrenkungen, eckig vorstoßenden Bewegungen und zu einer Intensität des Mienenspiels, die den Gedanken an kommende Jahrhunderte wachruft. Sie haben keine Zeit, sich um den or dentlichen Fall ihrer Gewänder zu kümmern, sie kämpfen gegen die Falten, die sie zu umschlingen drohen, genauso cholerisch an wie gegen die Argumente ihrer Widersacher. Der Kopf des Jonas löst sich fast völlig vom Hintergründe ab. Auch diese Form scheint mehr das Ergebnis eines ge waltigen, alle Grenzen sprengenden Temperamentsausbruches zu sein als das Resultat ruhiger, von formalen Gesichtspunkten ausgehender Überlegung. In einem anderen Falle setzt sich die Ablehnung eines Beweismittels in eine brüske Abwendung vom Partner um: Das neue Motiv der Rückenfigur ergibt sich also als zwangslose Folgerung aus einer psychologisch genau erfaßten Situation. Die Apostel an den südlichen Chorschranken gebärden sich weniger rechthaberisch als die Propheten, aber auch hier entsteht kein toter Raum, kein Vakuum, in den Beziehungen zwischen den Gestalten; ein Blick, eine Geste genügen, um eine Verbindung herzustellen, die die Figuren zu einer unauflöslichen Einheit zusammenfaßt. Die künstlerische Herkunft des Meisters liegt im Dunkel. Die Beeinflussung durch Werke der byzantinischen Kleinkunst teilte er jedenfalls mit seinen Zeitgenossen. Am Niederrhein führte dieser Einfluß zu einer Steigerung der Anmut, in Sachsen und Thüringen zu Reichtum und Be wegung; in Bamberg gab er einer genialen Künstlerpersönlichkeit die Mittel in die Hand, dem Stein heroisches Pathos abzugewinnen. Der Entwicklungsgang der deutsch-romanischen Plastik Die Bamberger Bildhauer werkstätten Charakter der Chorschranken reliefs Künstlerische Herkunft des Chorschrankenmeisters 17