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Dresdner Nachrichten : 16.10.1927
- Erscheinungsdatum
- 1927-10-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-192710160
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-19271016
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-19271016
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungDresdner Nachrichten
- Jahr1927
- Monat1927-10
- Tag1927-10-16
- Monat1927-10
- Jahr1927
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 16.10.1927
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Hof. .Ihr '>ferdner Nachrichten Die Liebssvrobe. Historische Skizze zum Kleist-Gedenktag von Bruno Winkler. Die Diener gossen Champagner ein. Gras v. Buol- Echaucnstetn, der österreichische Gesandte an, sächsische» nahm das GlaS und hob eS gegen seine Tischnachbarin. Wobl, meine Gnädigste!" Frau v. Haza nippte nur. -Wir sollten ihn lebe» lasten!" Ihr Gatte, Landrat v. Haza-Radlitz, beugte sich vor. »Darf ich den Spruch ausbrtngen, Gras?" .Aber bitte!" Herr v. Haza erhob Nck. klopfte ans Gla». .Eine Rede!" flüsterte der Maler Hartmann keinem Kunstgenossr» Gerhard v. Kitgelgen zu. .Pst!" Gras Vitzthum legte den Finger an den Mund. .Der Verfasser des .Amphitryon". der Dichter dcd .Zer brochenen Kruges", der Schöpfer der .Penthesilea", unser lieber Kleist, der uns heute wieder unvergebltchc Stunden geschenkt ha», er lebe hoch . . .1" Gläserklingeul Hochrufe! Geschwirr froher Stimmen. Die flammen der Kerzen flackerten. „Jetzt Tante Minna?" Die liebliche Julie Kunze griff unter den Tisch. Iran Minna Körner nickte. Da glitt da» junge Mädchen vom Sitz, huschte hinter den Stuhl des Gefeierten und drückte ihm einen Lorbeerkranz aufs Haupt. Kleis» saß blutübergossen. -Mas tun Sie, Julie?" Ihre Blicke glänzten ineinander. „Sie tut recht. Herr v. Kleist." Lächelnd »rank Appell«. ttouegerlästSrat Körner seiner schöne» Pflegetochter zu. KleistS Jugendfreund, der Maior »nd Kammcrherr v. Rühle, legte die Hand auf den Arm des neben ihm Sitzen den. .Jetzt bist du glücklich!" .O Rühle! Es erfüllt sich mir alles." Trunken vor Seligkeit irrte Kleist an diesem Abend durch Dresdens winklige Strassen. In seiner Brust hämmerte es: .Sieg!" Worum er cli, Jahrzehnt gerungen, cs mar ihm ge worden: Anerkennung, Erfolg, :>tutim! Und zu alledem blühte eine neue Liebe in seinem Herzen. .Julie!" Kleist sprach den Namen der heimlich Geliebten laut vor sich hin. Der Himmel hatte ihm dieses holde Mädchen gesandt. Noch hatten sic sich nicht erklärt: aber ihre Herzen — das fühlte er - waren eins Morgen würde er mit ihr rede», sich durchs Wort bestätigen lassen, was ihm ihre Augen längs« verraten hatten, und dann - dann würde er cs halten, das Glück. Diesmal würde er es halten! Seine Gedanken flatterten !äh ins Vergangene. Wilhelminc o. Zengc! Ach, es war seine Schuld gewesen, dab die Braut sich von ihm ge wandt hatte. Jetzt sah er klar! Landman» hatte er werden wollen, Bauer in einem entlegenen Winkel der Schweiz. Da hatte sie ihm freilich nicht folgen können. Er stand vor seinem Quartier in der Pirnaischen Vor stadt. Leise stieg er dir Treppen hinauf, die Wirtsleute nicht zu wecke». Der Mond warf sein Helles Licht in die bescheidene Stube. ES könnte fast eine Bauernstube sein, dachte Kleist. Er lächelte. Wohl ,ihm, dab er nicht Landmann geworden war! Wer weift, bb er dann die frohen Ereignisse dieses Tages erlebt hätte: die Ausführung des „Zerbrochenen Kruaeö" auf dcni LseLhaßsrtheater des Grafen Buol. das ihm zu Ehren veranstaltete Festmahl und am Morgen die ver heißungsvolle Sitzung mit Rühle. Pfuel. Hattmann und dem Gelehrten Adam Müller, in der die Herausgabe einer Zeit schrift mit dem stolzen Namen .Phöbuö" beschlossen worden war. Er entkleidete sich und legte sich nieder. Seine Gedanke» aber kamen noch nicht so bald zur Ruhe. Sie tanzten um Julie, spielten mit der Zuknnft und glitten zurück in die Ver gangenheit. Wenn doch Ulrickc, seine liebe Schwester, heute bei ihm gewesen wäre! Sie würde ihn nun nicht mehr tadeln, dasi er zweimal den Dienst seines Königs verlassen hatte. Jetzt würde sie etnschen, dab er ebensowenig zum Beamten wie zum Soldaten geschaffen war. Gestalte» auS seinen Merken traten ihm vor die Augen. Eine aber überstrahlte alle anderen an Glanz: die der Ama- zvnenkönigin Penthesilea, deren Schatte» er der Sage ent rissen batte. Schon zuckte die Flamme seines immer lodern den Geistes um eine neue Erscheinung, die eines Mägdleins, eines reizenden, minniglichen Geschöpfs, das die Züge der leuchtende» Jnlie Kunze trug. Märchenhafte Bilder schauend, schlummerte er ein. Am nächsten Morgen warf er. kaum erwacht, in groben Zügen die Handlung eine» neuen Theaterstücks aufs Papier. Dann eilte er zu Körners. Der sechzchniährige Theodor öffnete ihm. .Willkommen. Herr v. Kleist! Die Eltern sind nicht daheim. Aber wenn Sie Tante Dora ober Julie spreche» wollen . . .?" „Gern!" Kleist plauderte eine Weile mit dem feurigen Jüngling. Dann ging er in den der Elbe zugelegenen Garten, wo er ein Helles Kleid hatte leuchten sehen. Sie lehnte an der Mauer und schaute auf den Strom. -Julien Anfschrcckcnd fubr sie herum, die Hand auf der Brust, Jener ans den Mangen. Stumm stand sie da. Aber ihre Augen sprachen: „Geliebter!" In süfter Erregung nahm Kleist sie bet der Hand und führte sic zur Bank in der Laube. Jetzt aber brach das Dunkle. Rätselhafte seiner Natur auf einmal wieder in ihm auf und vernichtete die zarte Blüte des Glücks, kaum dab sie sich entfaltet hatte. Selbstvergessen ruhte das Mädchen in seinem Arm. Da kam ein seltsamer, fremder Ton In Kleists LiebeSgeflüster. Er beschwor die Geliebte, ihren Herzensbund vor sebermann geheim zu halten und auch dem Vormund nichts davon zu saaen: er bat sie. und seine Bitte klang wie ein Gebot, ihm ohne Wissen der Pflcgeeltcrn zu schreiben. „Das kann ich nicht. Heinrich." „Dann liebst du mich nicht. Ich werde in drei Tagen wtcderkommen." Er verabschiedete sich und verlieb gesenkten Haupte» den Garten. — Noch dreimal wiederholte er sein Verlangen: nach drei Tage», nach drei Wochen, nach drei Monaten. Julie erfüllte es ihm nicht. Ta erlosch die Liebe in seinem Herze». Erlosch sie wirklich? War sie so schwach gewesen? Oder hatte sein Dämon sie nur in eine andere Bahn gelenkt? Sie lebt noch heute: in einer der lieblichsten Mäbchen- signren der Weltliteratur, im -Käthchcn von Hcilbronn", dessen Gestalt Kleist in diesen Monaten schuf »nd in besten Erscheinung er sein Ideal von der Liebe und Treue des WcibeS verkörperte. Zonnlag. 1h. OKI. >927 c Neijanga. Erzählung auS der Südsee von Arthur van Dam. Nauru ist «in winziges Sttdfee-Jnselchen, das zur MaishaUgruppe gehört und dicht unter dem Aequator liegt. Die Einwohner der Insel sind Mikronesier — ihre Ur- Väter sind in ihren Kann- durch Stürme von dem im Umkreis liegenden Gilbert-, ElltS- und Marshallinseln abgetrieben worden und haben in Nauru eine neue Heimat gesunden. Sie batten den weihen Kvrallenstrand betreten, der sich wie ein . ... , „ Band um die grüne Insel zieht, und hatten im schattigen l Ehemann» — eine Art Polterabend. Unterholz ihre Hütten gebaut. Die Eingeborenen leben hier wie im ParadteS: Kvkosnuh. Vrvtfruchl. Melonen, Bananen, Ananas spenden ihnen das Land, und die Fische des Meeres gehören ihnen. Nahrungssorgen kennen sie nicht. Der kleine Schoner „Triton" war Nauru angelanfen. Wir sollte» Kopra — lonnengetrocknrte. in Stücke geschnittene Kokosnuss — laden und den auf Nauru ansässigen Händler Tom Wrialey. einen gemütlichen alte» Schotten, mit Handels artiketn. Proviant, und „Trinkbarem" versehen. Tom war an Bord gekommen, hatte seine Einkäufe besorgt und halte mich dabek eingeladen, an Land zu schlafen. Ich folgte gern seiner Einladung, zumal ich am nächsten Morgen aus seiner Station die gesammelte Kopra wiegen und an Bord schassen lasse» wollte. Wir abe» auf der Veranda seines baufälligen, windschiefen Holzhäuschens, legten uns dann beguem in unsere Liege stühle und lieben uns das importierte deutsche Bier schmecken. Tom. der sehr bald zur Feier dieser Gelegenheit auf stärkere Sachen überging, sprach fleißig einer Flasche Kognak zu. er zählte seine derben Geschichichen. die alle noch ans der Zeit stammten, als er noch „unter Menschen" lebte, und fluchte und wetterte über die Eingeborenen, die schlechte Zeit, die Ne- gierung, die Frauen, ein Programm, das sich mit kleinen Variationen in den Erzählungen aller Händler der Südsee wiederholt. Ich hörte kaum zu, rauchte meine Zigarre und träumte in die wundervolle Tropennacht hinein. Als Tom auf seinem Stuhl eingeschlgsen mar, kroch ich in meine Hängematte und schlief den Schlaf der Sorglosen. Als mich bei Sonnenaufgang das Konzert der Nachti gallen weckte« hielt ich Ausschau nach dem „Triton". Das Schiss war verschwunden. Ich weckte Tom Wir nahmen ein Fernrohr und eilte» an den Strand. Da sahen wir weit im Oste», ein kleiner Punkt, die Mastspitze des Seglers. Es hatte sich über Nacht ein starker Westwind erhoben, gegen den das Schiss nicht aufkrcuzen konnte. Eine» Hasen besitzt Nauru nicht, das Schiff hatte auf offener Reede liegen müssen und konnte nicht vor Anker gehe». Nach einer halben Stunde war der „Triton" völlig verschwunden. Tom kannte die Wetterverhältniste und meinte kalt blütig, dab der Westwind wochenlang anhalten ivürde, und dab ich mich auf einen längeren Ausenthalt aus der Insel ein richten solle. Er war froh, dab er semanden hatte, der seine Einsamkeit teilen würde, und ich persönlich hatte nichts an meinen unfreiwilligen Ferien auszusetzen, vienügend zu essen und zu trinken hatten mir. Warum sollte ich nicht mit Vertrauen und Ruhe der Zukunft entgcgenschen? Jetzt hieb es ein Heim gründen. Eine In Toms Nähe gelegene, mit einem Palmblätterdach gedeckte Hütte wurde gründlich gesäubert und mit Matten ausgelegt. Dann bauten wir aus alten Brettern eine Veranda nach der Leeseite zu. auf der ein Tisch, zwei Stühle und ein Liegestuhl Platz fanden. HauSgerät und Proviant lieferte Toms Laden, »nd die vor handenen Trinkvorräte wurden brüderlich geteilt. Zum Koch und Diener avancierte ein älterer Nauru mann, d«r mehrere Jahre als Matrose auf Segelschiffen ge fahren war und einige Brocken Englisch sprach. Er hatte-einen langen Bollbart und ein faltenreiches, gnomenhaftes Gesicht. Ich taufte ihn Rübezahl. Seine Kochkunst beschrankte sich auf eine — allerdings vorzügliche Hühnersuppe und aus schmalz- gebackene Kuchen. Des Morgens kam stets Fisch aus den Tisch, der die Nacht zuvvr aus dem Mebre gefangen wurde. Bananen. Melonen, Ananas bildeten das Dessert. Ich ging auf Entdeckungsreisen und durchstreifte die Insel. Ich verfolge den Pfad, der sich durch die Stämme schlanker Palmen windet. Das sonnenbcstrahlte Meer wirft seinen Glanz in den Schatten des Waldes hinein. Seine Brandung donnert gegen das Korallenriff, es wirst die zer- schellten Wellen über den Strand. Die Luft flimmert und zittert, sie trägt den heissen Brodeni des Meeres und empfängt den süssen Duft der Blumen, den herben Atem der Farre». Ich hatte mich im Innern der Insel am Rande des kleine» Sees niedergelassen und genoss den Frieden dieses entzückenden Bildes, als ich plötzlich eiüen Menschen im Wasser entdeckte, der in langen, regelmässigen Stössen auf das Ufer zuschwamm. Ein Mädchen war cs, das verängstigt zu mir herübcrblickte. Ich ging der Stelle zu, wo sie in Land kommen musste. Sie verdoppelte inzwischen ihre An strengungen und glitt wie ein Fisch durch das Wasser. Ehe ich noch einige Schritte getan hatte, war sie am Ufer, griff nach ihrem Lava-Lava, dem Palmblätterschurz, und lief aus das Dickicht zu, wo sie spurlos verschwand. Das Mädchen kam mir nicht aus dem Sinn, ich musste immerfort an sie denken, ich glqubtc, niemals ein so reizendes Wesen gesehen zu haben. Tom belächelte meine begeisterten Beschreibungen, die sedoch der Wirklichkeit entsprechen mussten, denn er wusste sofort, um wen es sich handelte. „Deine Badcpuppe heisst Neisanga," sagte er. „sie ist die Tochter des Häuptlings Neroba, der im Nachbardorf wohnt. — Möchtest du sie heiraten?" fragte er dann, ganz geschäfts- massig. „Wieso, heiraten? Ich kann sie doch nicht heiraten und sie mit nach Europa nehmen!" „Nein," antwortete er. „das ist dir gar nicht erlaubt. Aber du kannst sie heiraten — so, nach Sitte der Eingeborenen. Es wird dich etwas kosten, und du musst für sie sorgen, solange du hier bleibst. Und sie wird für dich arbeiten und deine Wäsche waschen." Am nächsten Morgen machten wir uns auf den Weg zu dem Nachbardorf. Neroba war von unserem bevorstehenden Besuch durch Rübezahl in Kenntnis gesetzt worden und wußte gleichzeitig auch schon, um was es sich handelte. Wir fanden ihn vor seiner Hütte aus einer großen Matte sitzend in Gesell, schüft von fünf Naurugreiscn. Als Zeichen seiner Würde hatte er ein Unterhemd an und ein paar weiße TennISschuhe an den nackten Füssen. Nachdem er uns freundlich grinsend die Hand geschüttelt hatte, bedachte er mich mit ein paar englischen Brocken, die ich aber nicht verstand, jedoch mit „Bes! Aes!" beantwortete, worauf der Alte stolz und befriedigt Tom mit einem Schwall von Nanruworten überschüttete. Die Diskussion wurde sehr erregt. Ich merkte, es ging um die Geschenke. „Der alte Fuchs nimmt uns hoch." sagte Tom grimmig^ Schliesslich schüttelten wir uns wiederum freundschaftlichst die Hände, und wir verlieben sodann meine zukünftige Ver- wandtschaft. Rübezahl und noch ein zweiter Kanaker wurden mit Reis. Schiffszmicback. Tabak und sechs Flaschen Bier beladen und zu Neroba geschickt, doch erst, nachdem ich seufzend weitere sechs Flaschen Bier gespendet hatte, ging der Heiratsköntrakt in Ordnung. Es war gegen Abend. Tom und Ich saßen auf der Veranda meiner „Villa". Wir hatten gerade die obligate Hühnersuppe verspeist und knabberten am Schmalzgebackenen, als eine grössere Anzahl blumengeschmückter junger Mädchen und Burschen erschien, die grosse Mengen Früchte und in Blätter gehüllter gebackener Fische auf dem Platz vor der Hütte nieder- legte». .Neroba sendet Gegengeschenke, das Heiratsgut," bemerkte Tom. Die jungen Leute setzten sich Mit verschränkten Beinen vor der Hütte nieder, lachten und schwatzten und schienen sich köstlich zu unterhalten. Da» ging auf Kosten des jungen Da sah ich, wie Rübezahl mit den Armen gestikulierte und mir geheimnisvoll winkte. Ich ging mit ihm in daS Innere der Hütte und fand dort vier Frauen, die mit Matten und Paketen beladen waren. Eine von ihnen war Neijanga. Sie war mit Blume» geschniückt und hatte ein buntes Tuch um die Schultern gelegt. Silberne Armbänder klirrten an ihren Handgelenken. Das arme Mädchen fürchtete sich und zitterte. Die Frauen breiteten die Matten aus und stellten eine kleine Rotholzkiste, die Reijangas Habseligkeiten enthielt, in eine Ecke. Dann umarmten sie die junge Bragt und gingen schweigend hinaus. Ich führte Neijanga auf die Veranda, wo sie sich auf dem Boden niederlieb. Tom sprach zu ihr und suchte sie aufzuheitcrn. Ich holte Tabak. Schisfszwieback und Eorned beef und bedeutete Neijanga. diese in der Südsec be liebte» Dinge unter ihre Freunde zu verteilen. Sie war jetzt die Hausfrau. Ich sah ihr an, dass sie das mit Stolz erfüllte. Dan» kehrte sie auf die Veranda zurück. Ihr Platz war bei ihrem Gatten. Sie bot auch Tom und mir zu essen an. aber ich begnügte mich mit etwas Kokosmilch. Allmählich verschwand der verängstigte Ausdruck aus ihrem Gesicht. Hin und wieder huschte ein Lächeln über ihre Züge, wenn ihre Freunde mit ihr sprachen und sie neckten. Das Gastmahl dauerte geraume Zeit. Man hörte deutlich, wie es allen schmeckte. Man hörte aber auch, wenn jemand satt war. Dann folgte der zweite Teil des Programms: Die Tänze. Immer zwei Paare setzten sich gegenüber, die Beine ver- schränkt, wie die Türken sitzen. Ein Vorsänger sang ein paar Worte, und dann fielen die anderen ein. Der Gesang wirkte monoton. Die Melodie wiederholte sich. Zuerst wurde leise gesungen, dann wurde der Gesang lauter, immer lauter, bis er zum Schluss wild und kreischend ausklang. Im Takt schlugen die Tänzer die Hände gegeneinander, wie es bei uns die Kinder tun. Dabei bewegten sich ihre Körper ruckweise vorwärts und seitwärts. Je länger der Tanz dauerte, desto aufgeregter wurden sie, desto schneller wurden die Be wegungen. Sie schlugen sich auf Brust und Schenkel. Es blitzten ihre Augen, das Haar flog wild um ihre Schultern — bis plötzlich der Gesang abbrach und sie erschlafft zusammcn- sanken. Und wieder begann ein neues Lied, zuerst leise und sanft, dann immer wilder werdend. Wenn der Höhepunkt erreicht war. brach der Tanz jäh ab. herrschte lautlose Stille. Tom war nach Hause gegangen. Neijanga fass neben mir, hoch ausgerichtet, und wendete den Blick nicht non den Tanzen- den. Sie hätte gewiss zu gern mitgetanzt, aber nur die un verheiratete Jugend durfte sich diesem Vergnügen hingeben. Jetzt war sie Frau und gehörte einem Manne, noch dazu einem Tribelli. einem Weissen, und hatte als solche eine bevorzugte gesellschaftliche Stellung. Allmählich lichteten sich die Reihen der Tanzenden. Sonnig und heiter verliefen die Tage, die keine Sorgen beschatteten. Mich entzückte Neiiangas sanftes, kindliches Wesen. Bald konnte ich mich in der Naurusprache verständlich machen. Neijanga mar eine vorzügliche Lehrmcisterin. Wir tollten umher wie die Kinder, schwammen ins Meer hinaus und ließen uns von den Brechern ans Ufer tragen. Wir suchten Schutz in geheimnisvollen Tropfsteinhöhlen, wenn Regenwolken, von Böen getragen, ihren Inhalt in Stnrz- bächen entluden. Wir kletterten die Kraterwand hinauf und sammelten Blumen, mit denen Neijanga sich schmückte. Im Schatten" kühler Patmenhäine ausgcstreckt labten wir uns an Früchten, die Wik pflücktLK, und tränken die kühle Milch der Kokosnuß. Wir belauschten die Vögel im Walde und sammelte» schimmernde Muscheln am Strande. Wir durch, streiften die Insel und suchten nach Schildkröteneiern Wir fuhren in Toms kleinem Boot zum Fischen hinaus und brachten Fische heim, so schön gezeichnet und so leuchtend in Farben, wie sie nur die Südsee kennt. Nachts schlossen wir »ns den Eingeborenen an, die in Kanus hinauszogen, wenn sich fliegende Fische gezeigt hatten, die in Schwärmen sich aus dem Meere erheben, nach dem Feuer der Fakeln fliegen, und mit Handnetzen gefangen werden. Wir zogen mit Fackeln aus den Riffen umher und erbeuteten manche Languste, oder wir sahen den Eingeborenen zu. die mit langen, spitzen Wurf geschossen die Fische sperren. Und wenn wir dann morgens heimkehrten, dann setzten mir »nS »m das Feuer und machten Steine glühend, auf denen die Fische, in Blätter gehüllt, ge backen wurden. Oder wir verbrachten den Abend zu Hause. Ich liege aus meinem Liegestuhl und lese beim Schein der Petroleum, lampe ein Buch. Zu meinen Fussen am Boden sitzt Neijanga und flechtet an einer Matte. Sie singt leise vor sich hin. Ab und zu hebt sie den Kopf und sieht zu mir hin und nickt mir lächelnd zu. Ihr »»vergeblichen Tropennächte! Der Mond hängt am Himmel, eine klare, lichte Scheibe. Er breitet silberne Streifen aus das ruhig atmende Meer. Im reinen, blauen Aether flimmern und blitzen die Sterne. In der Ferne rollt der Donner der Brandung. Die Wellen eilen schaumbedeckt den leuchtend weiften Strand empor, und rückwärts gleitend folgen ihnen leise klirrend Steine und Muscheln. Einer silbernen Wolke gleich bebt sich rauschend ein Schwarm von kleinen Fischen vom Meeresspiegel, die ein Feind, ein grosser Fisch, verfolgt. Zwischen Palmenstämmen streut das Mondlicht weiße Kreise über den Boden, und drüben steht geheimnisvoll und schwarz der Urwald. Der kühle Seewind fächelt die er hitzte Erde. Es raschelt in den Büschen, im Gestrüpp, und schwingt die Palmenwedel hin und her. in denen sich daS Mondlicht fängt. Es duftet die Erde, tausend Blumen öffnen ihre Kelche. Ein Vogel ruft verträumt aus dichtem Grün, ein anderer gleitet lautlos, schattenhaft, vorbei. In tiefem Frieden ruht die Erde. „Hast du schon bemerkt, dass der Wind sich gedreht hat?" sagte Tom eines Abends bei Tisch. „Dein Schiff wirb nun bald wiederkommen." Ich fühlte einen stechenden Schmerz. De» Gedanken an bas .Morgen" hatte ich ausgeschaltet, ich hatte mich gezwungen, nicht an die Zukunft zu denken. Ich sah Neijanga an, die nichtsahnend mit einer Freundin vor mir fass. Die Unruhe riß mich hoch. Ich lief an den Strand, setzte mich auf einen Baumstumpf und starrte auf das Meer. Die Sonne war gerade untergegangen. Rotglühend lohte im Westen der Himmel. Wo Horizont und Meer sich trafen, blitzte ein breites silbernes Band. Unruhig wogte die See, weiße Köpfe tanzten auf den Wellen. Klar war die Luft, ein scharfer Wind riß an den Wellenkuppen und wühlte sich in die erregten Wogen. Die Brandung wuchs. eS wälzten sich hohe Wasserberge gegen die Insel und stürzten sich laut krachend auf das Ufer. Ich höre eilige Schritte hinter mir. Ich wende mich nicht um. Neijanga setzt sich neben mich und legt ihren Arm um meine Schulter: „Warum gingst du fort von mir? Warum sind deine Lippen straff und deine Stirn gefaltet?" „Nichts Besonderes. Liebe, ich wollte die Wellen sehen." „Das ist nicht wahr," erwidert sie mit trauriger Stimme. „Du sehnst dich nach deiner Insel jenseits des Wasserö." „Unsinn, kleines Mädchen." Da schmiegte sie sich an mich und sagte leise: „Ich liebe dich!" Am drittnächsten Tage plötzlich Rnfe: „Ein Schiff! Ein Schiff! Schiff ahoi!" Die Eingeborenen laufen erregt durch- einander. Das ganze Dorf eilt zum Strande. Mir werden ble Glieder schwer. Ich geh« langsam zu Toms Station. s EM A-
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