15 Konstantin Hermann »Unehrliche Leute« - Ausgrenzungen in der frühen Neuzeit Unehrlichkeit - das ist noch heute eine der schlimmsten Charakterisierungen eines Men schen. Wie stark muss eine solche Stigmatisierung auf Menschen des ausgehenden Mittelalters oder der frühen Neuzeit gewirkt haben, zumal sie einen tieferen Sinn als heute hatte? Im Wort »Unehrlichkeit« verbirgt sich »era« oder »ere«, das auch Gnade, Scheu oder Freude bedeutete, aber ebenso mit dem Wort »hieros«, also »heilig«, zusammenhängt, eine Bedeutung, die im heutigen Sprachgebrauch des Begriffs »ehr lich« nicht mehr erscheint. Unehrlichkeit im Sinne der Berufe bedeutete also nicht betrü gerisches Handeln, sondern ohne Ehre, ohne Ansehen zu sein. Die Ehre war für Men schen in germanischer wie in der frühen Neuzeit wichtigste Voraussetzung für die persönliche Existenz. Ohne Ehre zu sein war gleichbedeutend einem Verbot, bestimmte Berufe oder Ämter in Dorf und Stadt bekleiden zu dürfen. Die persönliche Reputation in der Gesellschaft hing von der Ehre ab. Auch bei Rechtssachen war der unehrliche Mensch benachteiligt; er konnte weder Richter noch Schöppe sein, sein Wort als Zeuge galt wenig. Nicht umsonst sind in vielen deutschen Städten in dieser Zeit Verzellbücher vorhanden oder Ehrstreitigkeiten in Stadtbüchern vermerkt. So vielschichtig, wie das Wort »unehrlich« ist, sind auch die unehrlichen Berufe. Die Liste ist lang: von den heute naheliegenden wie Henker, Totengräber, Abdecker oder Freudenmädchen bis zu überraschend dazu zählenden Berufen wie Müller, Leineweber, Schäfer, Bader, Barbier oder Schauspieler. Noch 1760 verbot der Pfarrer von Leuben das Öffnen der Kirchentüre bei der Beerdigung der Caroline Neuber, deren Sarg schließlich über die Kirchhofsmauer gehoben werden musste. Die Neuberin wurde dann außerhalb des Friedhofs begraben. Bei der Entscheidung des Geistlichen wirkte die alte Auffassung der Unehrlichkeit von Schauspielern fort. 1 Die mehrere Jahrhunderte dauernde Unehrlichkeit einiger Berufe hat also auch in Dresden ihre Spuren hinterlassen. Oft mussten unehrliche Leute außerhalb der Stadt wohnen, in der Kirche hatten sie meist besondere Plätze, abgesondert von den anderen, die Bevölkerung hielt sich von ihnen fern. Dabei gehörten die Scharfrichter und Abde cker manchmal zu den reichsten Menschen einer Stadt, da sie sich ihre Dienste, die kein anderer erledigen wollte, gut bezahlen ließen. Die Unehrlichkeit vererbte sich auch auf die Kinder. Unehrliche Leute waren daher bemüht, ehrliche Berufe zu erlernen, sich »ehrlich zu machen«. Auch versuchten sie, ihre Berufe für ehrlich zu erklären. Dies jedoch konnten sie nicht von sich aus und auch nicht durch den Stadtrat erreichen, son-