Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.12.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-12-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011223021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901122302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901122302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-12
- Tag1901-12-23
- Monat1901-12
- Jahr1901
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis 1« der Hauptexpedition oder den im Stadt- bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich 4.80, bet zweimaliger täglicher Zustellung tn- Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich: vierteljährl. «. Man abonnirt ferner mit entsprechendem Postaufschlag bei den Postanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem burg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donaustaaten, der Europäischen Türkei, Egypten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expedition dieses Blattes möglich. Die Morgen-AuSgabe erscheint um V,7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Ne-action und Expedition: Johannisgasse 8. Filialen: Alfred Hahn vorm. O. Klemm'- Sortim. Umversitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Aatharinenstr. 14, Port, und KSnigsplatz 7. Abend-Ausgabe. KipMer TaMalt Anzeigen-Prei- die 6 gespaltene Petitzelle 25 H. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach« richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertrnannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen ^gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung .Sl 70.—. Anuahmeschluß für Adrigen: Anzeiger. Ämtsölatt -es Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, -es Aatyes un- Notizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 653. Montag den 23. December 1901. 95. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Kapitulation * Ttanderton, 19. December. Dem „Reuter'schen Bureau" wird berichtet, daß Versammlungen unter Waffen stehender Boeren abgehalten werden sollen, um über die Frage der Capitu- lation zu berathen. 30 Boeren haben sich mit ihren Waffen und Pferden in der letzten Woche ergeben. Mehr als 200 hiesige Bürger sind bei de» National Sconts ringetreten. (Siehe indes; dir folgende Meldung. D. Red.) * London, 23. December. (Telegramm.) „Daily News" berichten aus VolkSrust unter dem 20. December: Tie Boeren im Felde veranstalten in der letzten Zeit Zusammenkünfte, um neue Feldzugspläne für den Sommer zu vereinbaren. Darunter befindet sich ein Marsch nach Natal durch die Drakensberge. Der Leiter des Unternehmens soll Dem et sein. Botha soll mit ihm Zusammenwirken. Diezweidentige Hal tung der Swasis hat eS ermöglicht, daß Waffen, Schießbedarf und Briefe aus Europa über die Grenze kamen. Der Feind ist gut beritten und mit Vorräthrn wohl versehen. (Hiernach haben die „Versammlungen unter Waffen" anscheinend nichts mit der Frage der Capitulation zu schaffen. D. Red.) Angebliche Unthaten der voeren. * London, 23. December. (Telegramm.) Lord Kitcbener hat dem Kriegsminister einen zweiten Bericht gesandt, in dem er verschiedene Fälle meldet, in denen Ein geborene von Boeren erschossen wurden. In 16 Fällen führt er Einzelheiten an, unter denen sich auch einer befindet, wo ein Eingeborener im November oder December 1900 zwischen Pretoria und Rustenburg lebendig verbrannt worden ist. (?) Ferner berichtet Lord Kitchever, daß bei Kimberley 37 Ermordungen und im Nordwesien des Oranje- Freistaates 23 Ermordungen in den letzten 14 Monaten vor gekommen seien. (?) * Winburg (Oranjefreistaat), 22. December. („Reuter's Bureau".) Der Boerencommandant Haasbroek ist in einem Gefecht mit einer englischen Colonne in Doornberg gefallen. * London, 23. December. Die „Times" berichten aus Sydney: Die Bundesversammlung Hal beschlossen, ein Contingent von 1000 Mann nach Südafrika zu entsenden. politische Tagesschau. * Leipzig, 23. December. lieber das „ A u f k l ä r u ng s g e f e ch t", d. h. über die erste Lesung des Zolltarifs äußert sich die Wochenschrift „Deutsche Stimmen" sehr optimistisch; sie hegt deshalb für den endlichen Ausgang der Vorlage di« rosigsten Hoffnungen. So gar in den Ausführungen der beiden Führer des Bundes der Landwirthe, der Abgeordneten v. Wangenheim und vr. Rösicke, kann sie nichts erblicken, was einer runden Absage des Bundes gleich sehe. Allerdings müssen wir den „Deutschen Stimmen" zugestehen, daß beide Herren wie auch die Redner aller übrigen Parteien cs sorgfältig vermieden haben, sich auf bezifferte Forderungen festzulegen; um so nachdrücklicher haben dies aber die agrarischen Blätter gethan. Im Uebrigen, meinen die „Deut schen Stimmen", sei ein frischer Zug durch alle Reden der Minister und der Freunde der Vorlage im Reichstage gegangen, besonders nach der Richtung, daß die wichtige Jnteressenfrage deS Zolltarifs als eine eigene Angelegenheit dec deutschen Wirth- schaftspolitik, und zwar im Sinne einer gesunden Heimaths- politik, beantwortet sein wolle. „Die schönen Augen der Herren Luzzati und Roosevelt", heißt eS, „sollen uns dabei so wenig beeinflussen, wie der Zorn des Herrn Mite und seiner gefügigen Publizisten an der Newa. Wir täuschen uns nicht, wenn wir namentlich einen auffälligen Umschwung der Mei nungen gegenüber den Vereinigten Staaten feststellen, der gleichbedeutend ist mit einer veränderten Beurtheilung der Werthes der Meistbegünstigungsverträge. Die rheinisch-west fälische Großindustrie hat noch vor vier Jahren eine umfangreiche Denkschrift ausarbeiten lassen, um davor zu warnen, daß man den Vereinigten Staaten die Zähne zeige und eine Kündigung der Meistbegiinstigungsverträge überhaupt in Erwägung ziehe. Jetzt wird es auch von Großindustriellen der Montanbezirke mit starker Betonung ausgesprochen, daß die Meistbegünstigung ge rade solchen Staaten, "die unsere Ausfuhr am schnödesten be handeln, den heimischen Markt am weitesten preiSgiebt. Und was für kräftige Töne hört man gegenüber den Vereinigten Staaten anschlagen — selbst auf der linken Seite!" Ein« der Hauptschwierigkeiten erblicken die „Deutschen Stimmen" in der Neigung einiger Parteien, das Ausland als Argument für ihre Gegnerschaft gegen "den Zolltarif anzurufen und so «der deutschen Diplomatie bei den zukünftigen Verhandlungen die Sache noch schwieriger zu machen, als sie ohnedies schon ist: Graf Caprivi hat Handelsverträge geschlossen, ohne daß er sich vorher das Rüstzeug zum Verhandeln, d. h. einen angemessen hohen auto nomen Tarif, verschafft hatte. Er hat unseren Tarif von 1879 als Basis für Vertragsverhandlungen anerkannt, obwohl die Vertragsstaaten sich selbst in den Jahren 1888 bis 1891 mit neuen, höheren Tarifen ausgerüstet hatten. Dies« höheren Tarife und unser 1879er Tarif lassen sich unmöglich zum zweiten Mal« einander gegenüberstellen. Unsere Landwirthschaft wie unsere Industrie gebieten es dringlich, daß der deutsche Tarif den Auslandstarifen von 1888/91 entsprechend auf ein höheres Niveau gebracht wird. Aber das Ausland sträubt sich. Was ihm zu Caprivi'S Zeiten recht war, soll ihm alle Zeit billig sein. Es wird besondere Geschicklichkeit und Energie auf Seiten der Unterhändler erfordern, damit das Ausland vor Allem anerkennt, daß die Waffen erst dann gleich sind, lvenn wir das im Jahre 1890 Versäumte nachgeholt haben. Und dazu bedarf die Re gierung den verständnißvollen Beistand einer großen, in den grundsätzlichen Zielen wie Im taktischen Verhalten geeinten Parlamentsmchrheit. ' Begreiflicherweise wird das Ergebnis; der ReichStagS- Vesaywrül 1» Kreise Dchweimn - Wittenberg, das eine Stichwahl zwischen dem freisinnigen Candidaten vr. Barth und dem deutschconsercativen Herrn v. Leipziger nöthig macht, in der Presse vielfach besprochen. Wenn man es richtig würdigen will, muß man selbstverständlich die letzten all gemeinen Wahlen zum Vergleiche heranziehen. Dabei läuft meistens ein Jrrthum insofern unter, daß die Zahl der im Jahre 1898 abgegebenen Freisinnigen Stimmen auf 6594 angegeben wird, wahrend sie sich thatsächlich nach der amtlichen Statistik nur auf 5694 belief. Im Verhältnis zu dieser thatsächlichen damaligen Ziffer ist die damalige Stimmenzahl von mehr als 6600 eine nicht unbeträchtliche Zunahme; die Conservativen haben ihrerseits einen Stimmenzuwachs von 800 zu verzeichnen. Gegenüber dieser Zunahme der beiden bürgerlichen Parteien um nahezu 2000 Stimmen ist der Zuwachs der svcialdemokraten um kaum 300 Stimmen rin recht geringer. Wenn freisinnige Zeitungen dieses Wahlergebniß als em Derdict der Wählerschaft gegen dieZwl7erhÄhu-ng bezeichnen,so ist dies eineUebertrribung. Einmal nämlich beträgt oas Plus der beiden zollgegnerischen Parteien gegenüber den Conservativen nur 500 Stimmen, was bei einer Abgabe von insgesammt 17 000 Stimmen doch nicht eben viel besagen will, und zweitens ist keineswegs anzunehmen, daß jede Stimme, die auf Herrn vr. Barth gefallen ist, auch von einem Gegner jeglicher Zollerhöhung herrühren müsse; es wird im Wahlkr«ise genug Leute geben, die einer Zollerhöhung durch aus nicht abgeneigt sind, aber in den übrigen Fragen des politischen Lebens Herrn vr. Barth näher stehen als einem Can didaten der deutschconservativen Partei. Eine ebenso starke Uebertreibung aber ist es, wenn die „Kreuzztg." von einem recht kläglichen Resultat im Vergleich zu der Agitation der zollgegnerischen Parteien spricht. Bedenkt man, daß vr. Barth in dem Wahlkreise sicherlich nicht das Ansehen und die Beliebt heit des dort ansässig gewesenen Herrn v. Siemens besitzt, bedenkt man ferner, daß der Kreis überwiegend ländlich ist, so wird man das Mehr von 1000 Stimmen gegenüber der vorigen Wahl nicht als gering anschlagen dürfen. Sieht man also das Ergebniß nicht durch die Parteibrille, sondern objectiv und unbefangen an, so muß uns die nahezu gleiche Stimmenzunahme des freisinnigen und des conservativen Bewerbers folgern, daß die Wählerschaft weder auf dem Standpunctc einer extremen Erhöhung der Zölle, noch auch auf demjenigen des unbedingten Festhaltens an dem gegenwärtigen Zollsätze steht; in keinem Falle aber hat eine der beiden extremen Gruppen das Recht, aus einem so winzigen Unterschiede zwischen der Stimmenzunahme des Gegners und der eigenen den Schluß zu ziehen, daß die Wählerschaft princi- piell seinem Standpuncte zustimme. Dächte die große Masse der Bauernschaft extrem agrarisch, oder erhöbe sich umgekehrt bei oen „unteren Zehnmillionen" «in Schrei der Entrüstung über die geplant« Zoller höh',mg, so hätte das Resultat ein ganz anderes sein müssen. Die Nachricht auS Mombassa, daß am Donnerstag Abend der Schienenstraug der britische» Ugan-abahn den Victoria Nyanza erreicht bat, veranlaßt die „Nat.-Ztg.", dem berech tigten Stolze, mit dem England auf die gelungene Durch führung eines neuen colonialen Unternehmens Hinweisen darf, die Empfindungen gegeniiberzustellen, die den deutschen Colonialpolitiker bei der Nachricht erfüllen müssen: „Wahrlich, die deutsche» Colonialpolitiker muß ein Gefühl tiefer Beschämung ergreifen, wenn sie die jetzt in Ostasrika geschaffene Lage betrachten: Den schon begonnenen und künftig in noch verstärktem Masse drohenden Verkehrsrückgang der deutschen Häsen auf der eine», den thatkräftigen Unter« nehmungSgeist nnd den BerkehrSausschwung auf der anderen Seite und daheim in Deutschland die Kleinlichkeit kurz- sichtiger und die Eitelkeit eigenbrödlerischer Colonialpolitiker, die in fortwährendem Parteistreit kostbare, unwiderbringliche Zeit für die Lösung der wichtigsten colonialen Ausgaben ungenützt verloren gehen läßt. Die Vollendung der Ugandabahn sollte es uns dring licher denn je ins Gewissen rufe», daß die unverzügliche Jnangriss- iiahme der Cent ralbahii eine Lebensfrage für unsere ostasrikanijche Colonie ist, und der Reichstag sollte nach Weihnachten mit der raschen Erledigung dieser Aufgabe nicht zögern." Wir Wollen die Frage nicht aufwerfen, ob durch den Vor wurf der Kleinlichkeit, Kurzsichtigkeit, Eitelkeit und Eigen- brödelei etwas gebessert werden könne; ganz am Platze aber ist der Hinweis darauf, daß über die Frage, die dem Reichs tage zunächst vorliegt, Einstimmigkeit in den weitesten colo nialen Kreisen herrscht und daß Professor Or. HanS Meyer, obwohl Gegner der Centralbahn, erst kürzlich wieder für den Bau von Stichbahnen eingetreten ist und gemahnt hat: „Unter diesen Stichbahnen kommt nach dem Bau der Usambara- Bahn mit am erste» die Linie Dar-eS-Salaam-Mrogoro (oder einem anderen Puucte der Ukamiberge) in Betracht; ihr Bau ist unsere nächste und wichtigste wirthschaftliche Aufgabe ini Schutzgebiet. Es wäre ein schweres Verschulden des Reichstages, wenn er, »och Stellung besserer Bedingungen seitens der bahnbauendrn Finanzleute, noch immer nicht die Zinsgarantie mit etwa 800000 pro anno für diese Bahn bewilligen wollte, zu deren Bau die Finanzgruppe der deutschen Bank bereit ist." Verschließt sich auch der Reichstag der Nothwendigkeit des Baues der Linie Dar-cs-Salaaui-Mrogoro nicht, so kommt wenigstens die große VerkehrSfrage wieder in Fluß; die weiteren Erfahrungen werden dann dafür sorgen, daß ein abermaliges Stocken für jeden Frrund unserer Colonien zur Unmöglichkeit wird. In gewissen Kreisen der Londoner Gesellschaft fängt man bereits jetzt an, mit dem nrucii König von England unzufrieden zu sein. Die „Berl. Börs.-Ztg." erhält darüber folgende inter essante Mittheilungen: Als Eduard VH. noch Albert Eduard war, hoffte man in diesen Cirkeln, daß er, sobald er auf den Thron kommen werde, jeden ausländischen Einfluß beseitigen werde, der zu manchen Zeiten unter der Regierung der Königin Victoria ziemlich vorherrschend gewesen war. Der Mensch fürchtet sich natürlich immer vor dem, was zu fürchten er Ur sache hat; kein Wunder also, wenn man jeden Ausländer, der am Hofe erschien, für einen gefährlichen Gegner ansah. Und wie gewöhnlich in solchen Fällen, wurde dann alle Hoffnung auf den Thronerben concentrirt. In diesem Falle ist das eigentlich etwas sonderbar, wenn man bedenkt, daß der jetzige König lange genug Prinz von Wales war, und daß man seinen Geschmack in dieser Richtung ziemlich genau kennen mußte. Aber Hoffnung läßt nicht zu Schanden werden. Die kleineren Ereignisse am Hofe wurden nun während der ersten Monate der neuen Regierung ängstlich verfolgt, und jede Einladung, die der König ausschickte, jedes Wort, das er mit Fremden sprach, wurde nach allen Richtungen hin geprüft. Jetzt scheint man sich nun langsam über den wirklichen Sachverhalt klar zu werden. Der König hält sich die Ausländer nicht nur nicht auf Armlänge vom Leibe, sondern er zieht sie im Gegentheil ganz besonders vor. Die ersten Per sönlichkeiten, die nach Sandringham eingeladen wurden, waren der Großfürst Michael von Rußland, der hier mit seiner morga natischcu Gemahlin, Gräfin Torby, wohnt, Graf Mensdorff und viele andere Vertreter der deutschen, der österreichischen, der russischen und der französischen Gesellschaft. Es ist also jetzt Feuilleton. Gräfin Leszek. 7j Roman von Heinrich Lee. Nachdruck »erboten. Fünftes Capitel. Es war ein Tag im Februar. Paris lag im Schnee. Müßig ruhte Herr Maurillac, Inhaber der „Agence des ArtisteS Maurillac", wie unten an der Hausthür auf einem kleinen Porzellanschilv zu lesen war — das Haus, in dem er wohnte, be fand sich auf dem linken Seineufer in der traulichen, kleinbürger lichen Rue Dominique — in seinem Bureau auf dem Kanapee und sah in die blauen Wolken seiner billigen Cigarette. Herr Maurillac war früher selbst Artist gewesen, aber er hatte nach und nach cingesehen, daß es bequemer war, statt selbst zu ar beiten, von der Arbeit der Anderen zu leben, Engagements zu vermitteln und die Procente dafür einzustecken. Allerdings, das Geschäft ging flau, es gab zu viel solche Bureaus — zu viel frühere Artisten, die ganz ebenso gescheidt waren wie Herr Maurillac. Außerdem — in Paris war nicht mehr viel los. Die Concurrenz von Berlin wurde zu stark. London und Berlin — dort wurden heute die großen Engagements gemacht. Herr Maurillac verkehrte nur mit Varietßs. Da ihm die ganz großen — in Paris die „Folies bergvres", in London das „Empire", in New Jork das „Metropolitan" und in Berlin der „Wintergarten" — bisher nicht zugängig geworden waren, so begnügte er sich mit kleineren und sogar den allerkleinsten Chantants, wo die Sängerinnen drei Francs Abendgage be kamen und kein Entree erhoben wurde; statt deS Entrees wurde in diesen Localen nur cin kleiner Aufschlag auf die Getränke be zahlt — für einen „Bock" bezahlte man hier 40 und für einen „kleinen Schwarzen" 50 Centimes. Immerhin, Herr Maurillac gab die Hoffnung nicht auf. Eine große Nummer mal, dann war er on vopcue, dann würde er auch mit den „Folies bergöres", dem „Empire" und dem Berliner „Winter garten" ins Geschäft kommen. Der letzte große Coup war leider mißglückt. Es hatte sich um daS Engagement einer Tanz sängerinnengesellschaft nach Amsterdam gehandelt. Aber schon ein paar Tage nach dem Beginn der dortigen Vorstellungen hatte die Amsterdamer Behörde die Ausweisung dieser Damen an befohlen — aus den Gründen einer übertriebenen Moral, und Herr Maurillac hatte aus Amsterdam einen sehr groben Brief erhalten. Das war eben Pech. ES klopfte an die Thür. „Lntrvr!" rief Herr Maurillac. Der Eintretende war ein junger Mann in etwas defectem Anzuge — ein Anblick, wie ihn Herr Maurillac an seinen Clienten nicht so ganz ungewohnt war. Es war Leonard. Wirklich, er sah heruntergekommen aus — trotz seines i Cylinderhutes und des langen, modernen Sportpaletots und der I Gamaschen über seinen Stieseln, alles Herrlichkeiten, die sehr gelitten hatten. Am auffallendsten an ihm war sein ShlipS, denn nicht die kleinste goldene Nadel steckte darin. Die Behauptung des alten Meisters Daggesell hatte sich an ihm prompt erfüllt. Er hatte seine große Dummheit gemacht — in Monte Carlo. Natürlich hatte er nach einem System ge spielt — erst nach einem, dann nach mehreren. Natürlich halte er auch ansänglich gewonnen. Dann telegraphirte er an den Kredit Lyonnais und hob sein Guthaben ab, bis auf den letzten Centime, und schließlich verkaufte er alle sein« Schmucksachen. Das Ende war, daß ihm die Direction der Spielgesellschaft ein Eisenbahnbillet nach Paris kaufte und ihm hundert Francs Reisediäten mitgab. So langte er in Paris wieder an. Sein erster Gang war nach dem Circus Franconi. Man bot ihm die Stellung eines gewöhnlichen Rider und Stallmeisters an, dreihundert Francs monatlich, etwas Anderes war sticht frei. Selbstverständlich dankte er dafür. Dann ging er in die Agenturen, aber, wie schon gesagt, man war für di« laufende Saison complet. Die hundert Francs wollten zur Neige gehen, Leonard begab sich zu Franconi zurück und nahm die Stelle an. So konnte man ihn jetzt jeden Abend bei Franconi im Stallmeisterfrack oder als Reiter in den Quadrillen und der Pantomime sehen, ohne daß aber auf den Placaten etwas von sein«m Namen stand. Er war obscur geworden. Kein Wunder, daß sich auch die Damenwelt nicht mehr um ihn bekümmerte. Dreihundert Francs im Monat! Davon kann man in Paris eben gerade «in kleines, mit einem Kaminspiegel geschmücktes Stübchen haben und nothdürftia essen und trinken. Obendrein hatte Leonard auch noch seine Reitstiefel und die TricotS davon zu bezahlen, weil diese die Direction nicht lieferte. Kein Wunder also, wenn seine Garderobe etwas strapazirt aussah und wenn er in seiner ganzen Erscheinung an den schmucken, schneidigen, eleganten, schönen Leonard von einst nur noch recht kümmerlich erinnert«. Seinen Rundgang durch die Agenturen setzte er d«m unge achtet fort, die Zeit die ihm dazu blieb, war allerdings knapp genug, denn von früh bis in den Nachmittag hinein wurde von der Direction geprobt, und als Stallmeister hatte er dabei Hilfe zu leisten. Das Resultat seiner Bemühungen aber war überall daS gleiche. Di« Agentur von Herrn Maurillac war die letzte in Paris, die er heute besuchte. Herr Maurillac hatte sich die Wünsche seines neuen Kunden auSeinandersetzen lassen. „Augenblicklich bedauere ich", sagte er — „aber ich denke, es wird sich machen lassen. Ich werde an Ciniselli schreiben oder an Renz oder an Carree. Herr Maurillac brüstete sich mit den berühmtesten Namen. Endlich schloß er seine Rede mit den Worten: „Sie haben mir nur noch das Einschreibegeld zu zahlen." Und Herr Maurillac begab sich eilfertig an sein Pult und zog dort sein Buch hervor. Den Witz kannte Leonard. Er empfahl sich ohne Weiteres und ärgerlich warf sich Herr Maurillac wieder, indem er sich eine Cigarette ansteckte, auf sein Kanapee. Dis Geschäft ging flau, nicht einmal mehr das Einschreibegelo wollten die Leute bezahlen. Unzufrieden begab sich Leonard nach seiner Wohnung zurück. Es hieß „warten!" Warten bis zur nächsten Saison. Und 'dabei hatte er eine Idee — die Idee zu einer neuen Nummer. Es war eine Nummer a ckoux. Er brauchte eine Collegin dazu. Aber wo «ine finden, die jetzt noch „mit ihm Arbeit machte?" Wenn er Sisi jetzt gehabt hätte. Und zum ersten Male dachte er an sie zurück. Verheirathet hatte sie sich — und vornehm und reich. Diese Heirath hatte jetzt etwas befremdliches für ihn. Mit Leib und Seele hatte sie an ihrer Arbeit gehangen. „Poltronne!" — „Memme!" brauchte er ihr nur zuzuruzen, und sic that, was er von ihr verlangte — auch daS Kürmste. Sie tvar nicht, wie er und die Anderen, für die daS ganze Merier nur Broderwerb war. Warum waren sie nicht zufammengeblicbcn? Dann wäre es nie so weit mit ihm gekommen. Nun konnte er, bis er cS zu einer Rente brachte, noch einmal von vorn anfangen. Wenn ihm die neue Nummer gelang und wenn er eine Col legin und daS nöthige Geld dazu fand — denn die Nummer er forderte auch eine gewiss« Ausstattung, auf „Augenweide" kommt eS heutzutage bei einer solchen Nummer eben meistens an — dann konnte sic ihm monatlich 2000 Francs und mehr bringen. Aber er hatte weder die Collegin, noch das Geld. Es sah mit seiner Zukunft also ziemlich dunkel aus. Der Abend kam und Leonard begab sich wieder in die ver haßte Tretmühle. Wieder und wieder dacht« er an Sist. Wo mochte sie jetzt sein? — MiSko hatte mit den Damen ein elegantes Boulevardhotel bezogen. Man weilt« in Paris nun schon vier Wochen, ging in die Theater, fuhr im Bois spazieren, besuchte die Cabaret« auf dem Montmartre, die großen Magazine, manchmal auch den Louvre, das Luxembourg, das Hotel de Cluny, obwohl sich Sist in einem Museum schrecklich langweilte, und speiste der Reihe nach in allen berühmten Restaurants. „Blos in den Circus kommt man nicht", sagt« eines Tages Frau Camilla, als ihre Laune wieder schleck rr. Das Wort war heraus. Sisi erschrak darüber und Misko schwieg. „Geradezu, als ob man Angst davor hab«n müßte", setzte Frau Camilla hinzu. „Wenn Sisi eine» Wunsch Hal", «rwiverte Mikko endlich — „so weiß sie, daß sie ihn nur auszusprechen braucht." „Sag's ihm doch", schrie Camilla, aber Sisi blieb stumm. „Weil sie Angst hat, weil sie denkt, Sie könnten ihr darüber böse sein." Misko bezwang sich, er sah aber ein, daß ihm jetzt nichts Anderes übrig blieb, als diesem Weibe wieder nachzugeben. „Wollen wir, Sisi, heute Abend in den Circus gehen?" fragte er. Wie sie ihn anblickte, furchtsam, zweifelnd und doch voll von einer plötzlichen Freude, die sie nicht verbergen konnte, so brauchte er ihre Antwort, die sie sich nicht über die Lippen zu bringen traute, erst nicht abzuwartcn. „Es ist gut", entschied er — „der Portier soll uns eine Loge bestellen." Die äußere Gleichgiltigkeit, mit der er sprach, befreite auch Sisi nun von ihrer Befangenheit. Sie jubelte und klatschte in die Hände. Mit keiner Fiber spürte sie, wie ihre Freude ihn schmerzte. Der Stachmittag verging für Sisi, wie für ein Kind die Stunden am Wei'hnachtstag, die es noch von dem Abend mit dem Lichterbaum trennen. Endlos dehnte sich ihr die Zeit. Sie war wie verwandelt, aufgeregt und lebhaft, und je mehr Misko sich selber beherrschte, um so mehr ließ sie sich in ihrer Frrüde gehen. „Du mußt mir nicht böse sein", sagte sie, sich an ihn schmiegend. „Sisi, warum soll ich Dir döse sein?" „Wei! ich dachte —" Sie stockte. „Nun?" „Weil ich dachle, es würde Dich kränken —" „Daß Du Deinen einstigen Beruf noch immer lieb hast?" „Ja." „Aber mich, mich hast Du auch lieb, Sisi?" „Ja." Sie drängte sich stürmisch an ihn und sie sah Ihn so zärtlich an, wie noch nie. Ein Thor war er gewesen. Nein, er hatte von diesem Be suche nichts zu fürchten. Unsinnige Phantasien hatten ihn ge quält. Sisi's Wunsch und ihre Freude war nur ganz natürlich. Der Abend >var gekommen. Der Circus Franconi war ausoerkaust. Die Loge, kn der Misko mit den Damen Platz nahm, lag genau zwischen de«
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite