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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 27.05.1911
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-05-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19110527012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911052701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911052701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1911
- Monat1911-05
- Tag1911-05-27
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BezugS.PrrlA Änzelftca-PretS Ar «««<» «» V«r«a» »»rch 7räa«, ««» 6p«Lt«ri>r, ?»«> ttVlich ii»» vaa» «edrocht » Vt. «»»att. r.7ü »t. i-t«rte1tLH,I. Bel unter» FUtaKn «. Än» nnhmckellen Ldaevoll: 1» Vt. X»a1U Ltd ML »tiUeltLhrL »«» >- Vs«, inner»«!» D«»«chta»d, und der dorlch»« «°!onie» »»eneljährl. ».« Mr, I.A> Mk. «»Uhl. Poftdeltellueld Kerner «n Belste», Vanem«rt. de» D,n«u»aat«». Jralt«. ^niemdnr«. Sited«r!<uU>e, X«» wegen, L^errerch» Ungarn, «ntzlan». Schwede^EL»«!« «, boanle» 2» alle» »drigen Staale» «i dtrev «ich dt» S«tchätt»kek» de» VUrUe» «dLUrtch. Va» Lrwng« La«ed!aH «1-et« »«! tLgltch. kann» «. Kerenag, «, «ergen». Ldonne«„r»-Sn»«»», 2ed»»»<»«,ft« I, dei »nteren Irüger». KU!«!«». Soedtte,»«« n»V L»»Ltz»«k«lle», I««»» V»ftL»ue» nnd vrreftrager» IW» Morgen-Ausgabe. KMgcrTagMM iei.-1-schl.!!!^ HanbelsKettung. «el.-^»»^»« Nmtsölatl des Aales und des NoNzeiamtcs der Stadt Leipzig. M Inlerat» au» U«»p«ia und Umgebung dt» ÜpalltgeVettlirll« LPt , VieSieName» »eUe I KL, von auswan» Zu vt, VieNemen rLUML. Jnterale von Bedorben tm amt. tichen Teil vt« Petitirtl» SV Pt «,l!däsr»aareige» mit Blatzvorlchrtsten n in der «denvaujgade im Preüe «rhützl Rabatt nach lort! Betlagegebühi Setamt- auilage d ML o Lautend ritt. Poktgedühr. leildetlage höher. Kekerteit», Auttrane können nrcdt »»rück. ge»og«n wervrn. Kür da» Crichetnen a» vejNmmten lagen »nd Pla»«n wtrd ket»« tvaranttr üdernommen. Anzeigen« Ünnatzm« 2«tia»»«»»»It» bet timtliche« Filialen a. allen Annoncen- Enieditionea de» 2n» and «»»lande» re«a »ad Verla, de» Uri»»»,»» Tag«. »laue« S. V»l» S«dad«r: V»»l vllrlie». Neda Ui»» »ad »,l»tst,lt«l!«: Joüannis^itt« 8. -«»^«Filiale rr,»b«»t EeetUag« L t lTelevh»» 1L2L> Ar. l-16 Sonnabend, ücn 27. Mal lSll 105. Jahrgang. Die vorliegeude Ausgabe umfasst 18 Seiten. vis LxpeaMoasv cktzs LotpLlßsr iLAeblLttss «uck der l»sipLi§6r ^IlLSmsiLsv LsituvK deünckva aiel» nur voob ZevipLiß, ^0ÜLllIli8KL88v 8, VorckerxedLuck« parterre liulc« im LvdLuäs 6s8 Ia§edl3.ltSL. Das Nilhttglte. Die Teilnehmer am Sachsesrundflug Liad- paiutuer «ad Lattich führte« gefteru die zweite Etappe des Rnndsluge, Dresden—Leipzig aas ««d landete« glatt aas de» Li«de«thaler Exer zierplatz. Die übrigen Flieger werden hente fol ge«. (S. Les. Art.) * Für die elsaß-lothringische Verfas sungsvorlage stimmten am Freitag in der dritten Lesung mit Za 211 und Nein 93 Ab geordnete. Siebenenthielten sich der Ab i-immung. (S. Leitartikel und Reichstügsber.) ' Der Reichstag erledigte am Freitag außer reichsländischen Verfassungsresorm i» erster und zweiter Lesung das Herbst diätengesetz und nre Novelle zum Zündwarengesetz und be gann hierauf die dritte Lesung der Reichsver- >r che. r u »r g s o rd n u n g. (S des. Art und Reichs- »!7gsberrcht.) ' Zn Berlin find die Bäckergesellen in -en Ausstand getreten. sS. Dtschs. R.) * Zn Paris fand am Freitag die Trauer gier für Kriegsminister Berteaux statt. (S. Ausl.) Aus Mexiko wird der definitive Rück - ! r itt des gesamten Kabinetts Diaz gemeldet. iS. Ausl.) Der Tag üer Erfüllung. Ein Maienkind ist die elsaß-lothringische Verfassung. Mit den Blüten des jungen Grüns wird sie den Elsaß-Lothringern in den Schoß gelegt. Freilich vermag der Reichstag als Gesamtheit eine festliche Gebärde und die Miene herzlicher Zueignung nicht an- runehmen; einige sind da, die lieber nach zuletzt griesgrämlich dreinschauen. Der 23. Mai, der die zweite Lesung im Plenum wh, mit dem Ko-mpf der Reden und der Listen, wird den Parlamentariern als Höhepunkt im Gedächtnis bleiben. Der 26. Mai, der den par lamentarischen Abschluß brachte, war matt und '.hne rechte Frische. Zwar war durch die am Himmelfahrtstage mit Bestimmtheit verbreitete Meldung, daß die Sozialdemokratie sich ent schlossen habe, auf die Neinseite überzugehen, noch ein Moment der Spannung gegeben worden, aber die am Freitagvormittag abgehaltenc Fraktionssitzung der Sozialdemokraten führte zur Annahme der Verfassung, wie es heißt: zur einstimmigen Annahme. Nur in solchen Dingen muß man eine Einstimmigkeit her zustellen. suchen. Von den Kämpfen, die zweifel los vorhergegangen sind, erfuhr man in der Rede Franks, der für die elsaß-lothringische Frage die Führung der Partei übernommen batte, nichts: nur daß noch immer schwere Be denken gehegt wurden, wurde erwähnt. Das Ja der sozialdemokratischen Partei bedeutet zweifellos einen großen Erfolg der Revisionisten. Die Erste Kammer mit den zur Hälfte vom Kaiser er nannten Mitgliedern in der elsaß-lothringischen Verfassung und das Ansässigkeitserfordernis im Wahlrecht — das sind Bestimmungen, die der orthodoxen sozialdemokratischen Lehre direkt zuwiderlaufen. Die Partei als solche wird durch ihre Zustimmung freilich nicht mit einem Male i'mgekrempelt werden. Man darf sogar er warten. daß sie bald eine Gelegenheit benutzt, nm zu zeigen, daß sie die alte erbitterte Feindin be« Gegenwartsstaats geblieben ist. Aber in einem Punkte ist doch dos realpolH t»sche Verständnis durchgebrochen, die Partei hat gezeigt, daß sie einen Fortschritt mit herbeiführen und sich zu mäßigen vermocht hat. ^UZo aber eine den Bedürfnissen der Gegenwart und den Grenzen des Möglichen sich nicht mehr ganz verschließende sozialdemo kratische Partei ist, kann mehr Freiheit in deutschen existieren. Ein Werl der Frei heit im Sinne der Selbstbestimmung ist es, bei dem zum ersten Male die Mäßigung zutage tritt. Das Werk gilt einem Ein zellande, aber es wirkt auf das ganze Reich hin, und nicht zuletzt der Regierung schafft es erhöhte Freiheit der Entschließung. Nicht un bedingt angewiesen zu sein auf die Zustimmung der äußersten Rechten, sondern auch nach der entgegengesetzten Seite hin Anschlußmöglichteit an „arbeitswillige" politische Kreise zu besitzen, gibt Entschlußfreiheit. Es bedurfte diesmal der Konservativen nicht. Sie wollten nicht dabei sein, so klang es durch die etwas wehleidigen Ausführungen ihres Sprechers Winkler. Aber als derselbe Abgeordnete noch vor fünf Wochen sich zu den Vorlagen äußerte, brachte er zwar auch starke Bedenken vor, aber man hätte doch nicht die Hand dafür ins Feuer gelegt, daß dieses Gesetzgebungswert ohne die Konservativen gemacht werden mußte. Ihre Stellung litt an innerer Unentschiedenheit. Wären sie ganz konsequent gewesen, so hätten sie die Aufteilung des Reichslandes unter mehrere Bundesstaaten oder die Angliederung an Preußen verlangen müssen. Den gegenwärtigen Zustand aufrechtzuer halten, der nach den Erklärungen der berufensten Regierungsmänner völlig unbefriedigend war, konnten sie auch als konservative Männer eigentlich nicht verantworten. Ganz unschön wurde das Spiel, in das sie sich später hinein treiben ließen. Eins ihrer Mitglieder — Herr von Oldenburg — stimmte in der Kommission dem gleichen Wahlrecht zu, nur um damit das ganze Werk zu Fall zu bringen. Der Antrag auf Einfügung der konfessionellen Schule wurde gestellt, dem der Zentrumsführer nachsagen muß, daß er wiederum lediglich den Zweck habe, die Vorlagen kaput zu machen. Dazu das Kon spirieren mit den zweifelhaftesten Elementen des Reichstags: hat man sie doch in allen Ecken des Reichstagsgebäudes stehen sehen mit den elsaß- lothringischen Nationalisten, den Polen und den schlesisch-polnischen Grafen Oppersdorfs! Von den anderen Parteien ist wenig zu sagen. Die Fortschrittler haben, soviel wie zu bemerken war, einstimmig, die Nationallibe ralen mit ganz wenig Ausnahmen das Werk gut geheißen. Die Bedenken, die auch hier ur sprünglich vorhanden waren und die ver antwortungsbewußte Männer wohl an standen, sind überwunden worden. Die Reichspartei blieb gespalten, der eine Teil von ihr, dazu die Wirtschaftliche Vereinigung, die elsässischen Zentrumsleute und die Deutsch-Konservativen bildeten die Minder heit von 93 Stimmen, denen eine Mehrheit von 211 Stimmen gegenüberstand. Gegen Ende der Beratung mußte das Haus ein un erfreuliches Gekeife der elsässischen Abgg. Rick ling und Preiß über sich ergehen lassen. Glück licherweise war der Schluß wieder erfreulicher. Der in Schlettstadt gewählte Zentrumsmann Vonderscheer und der den Nationalliberalen nahestehende Metzer Gregoire stimmten beide dem Verfassungswerke zu, das nun im Reichs lande seine Bewährung zu finden hat. Stimmungsbild aus dem Reichstage. »«rli-, 26. Mai. (Prio.-Tel.) Mit dem bestehenden Diätengesetz und seiner für die heurige Herbsttagung nötigen Ergänzung, sind die Reichsboten recht unzufrieden. Dabei ist man etwas ungerecht gegen das Verdienst, das sich die Diätenregelung zweifellos um das Ansehen des Reichstags erworben hat, nämlich dadurch, daß es dessen Beschlußfähigkeit mit beinahe völliger Sicher heit gewährleistet hat. Man hat schon die Zeit ver gessen, da durch ganz Deutschland ein aroßes schimpfen über die ständige Beschlußunfähigkeit unseres Reichsparlaments ging. Heute gaben Bebel sSoz.), Bassermann (Natl.) und Müller- Meiningen (Vpt.) ihrem Groll Ausdruck über die wenig vornehme Ar», wie die materiellen Ver hältnisse der Reichstagsadgeordneten behandelt wer den. Von Aenderungen versprach man sich aber nichts, und so nahm man die Vorlage über die Herbst diäten gleich auch in zweiter Lesung an. Ebenso er ging es der Novelle zum Zündwaren gesetz, die den nationalliberalen Abgeordneten für Kempten-Zmmenstadt Thomazur Jungfernrede auf den Plan rief. Nach Erledigung des elsaß-lothringi schen Vers ass ungswerkes worüber Las Grundsätzliche rereits an anderer Stelle gesagt ist, brachte die dritte Lesung der R c i ch s v c r s» ch e r u n g s o r d n u ü g noch «ine sehr ernsthafte Gene raldebatte Die Kompromißschmiede waren während der ganzen Sitzung an der Arbeit. Eine Wohltat will man noch den Versicherten zuwenden. Sei es nun die Herabsetzung des Zeitpunktes der Alters grenze von 70 auf 65 Jahre, die erhöhte Wöchne rinnenfürsorge, die Einbeziehung der Angestellten bis zu einem Gehalt von 2500 oder 3000 ,<t (statt 2000 Mark) in die Krankenversicherung ober irgend etwas anderes. Man wird sich bei der Auswahl nicht wenig durch die Rücksicht bestimmen lassen, welche Leistung von der Bevölkerung am meisten gewünscht, mit einem Worte am populärsten ist. Aber es macht Mühe, eben diese herauszufinden. Trimborn (Ztr.), Schillert (Kons.) und Mugdan (Vpt.) kamen heute zu Wort. Dann vertagte man sich auf Sonnabend. Eine große Mehrheit ist auch der Reichs Versicherungsordnung gesichert. Sie wird, wenn nicht unerwartete Zwischenfälle eintreten, die Zustimmung von der äußersten Rechten bis zur Dolkspartei ein schließlich finden. Morgen kann nun die Vertagung des Parlaments noch nicht erfolgen. Die Hoffnung ist jetzt auf den Montag gesetzt. Rußland unü üle Türkei. Die auffällige Unruhe der russischen Staatsleitung hält an. Wie das Ministerium des Innern neben der Duma auch den Reichsrat herausgesorden hat und nun, um wenigstens die verärgerten „echtrussischen Leure" zu beschwichtigen und abzulenken, mit frevel hafter Duldung neue Pogrome vorbereiten läßt, so tritt Las Auswärtige Amt bald diesem, bald jenem der Nachbarn auf die Füße, dem man es bieten zu können glaubt. Erst wurde Lurch schneidige Ultimata der Chinese auf die Knie gezwungen, dessen ohnehin unsichere Zustände von den andern Mächten mit pein licher Behutsamkeit geschont werden. (Beiläufig be rührt es „echtrussisch", daß erst nach dem Ultimatum — man übersetzt das Fremdwort wohl am besten: „Spiel mit der Kriegsgefahr" — nachgejehen wurde, ob Truppen und Festungen im fernen Osten einiger maßen in Ordnung seien.) Auch in die marokkanischen Dinge soll man sich ja eingemengt haben, und nicht etwa bei der richtigen Stelle, in Paris. Plötzlich wie ein Blitz aus taum beachteter Wolke kommt jetzt die Nachricht, daß Rußland drauf und dran ist. mit der Türkei sehr ernsthaft a n - zubinden. Plan vergegenwärtige sich die Lage: Ein Alöunesenaufftand ist seit längeren Wochen in unmittelbarer Nähe der montenegrinischen Grenze im Gange. Natürlich zieht die Türkei ihr Heer dort zusammen, wo der Feind steht, also eben an jener Grenze. Die Unterdrückung des Aufruhrs wird ihr aufs äußerste erschwert durch die mangelhafte Ab sperrung der Uebergänge, da die besiegten Malissoren nach jedem Kampf ebenso bequem sich auf das „neu trale" Gebiet zurückziehen als nach Entfernung der Türken von neuem hervorbrechen können, vielleicht mit frischen Kanonen und Flinten. Jeder Unbefangene ist über das falsche Spiel der Czernagorzen empört, die offenbar ebenso geschäftig sind, die türkische Wunde sich nicht schließen zu lassen, wie die Vereinigten Staaten mit der gleichen Methode dem alten Diaz zu seinem politischen Tod« verhalfen haben. An gesichts dieser Umstände eignet sich Rußland nicht allein die sogenannten „Beschwerden" Montenegros über einige herübergeflogene Türkenkugeln voll ständig an, sondern überbietet noch die Anmaßlich- teiten des ewigen Friedensstörers im Balkanlande durcb den Tadel, daß di« Pforte durch ihre Truppen- anfammlung jenen „beunruhige". Es verlohnt sich nicht, bei solchem sonnenklaren Mangel ehrlicher Logik kritisch oder auch nur spottend einen Augenblick länger zu verweilen. Es liegt auf der Hand, daß dem Petersburger Kabinett an keinem guten Schein mehr gelegen ist. Es ist offensichtlich, daß der Ministerpräsident Stolypin seit Ssasanows Erkrankung auch die Fäden der Auslandspolitik in seine Hände genommen hat, die sie nun mit gleicher Plumpheit durcheinanderwirren wie di« mühsam ge fertigten Gespinste der parlamentarischen Fraktionen. Ls ist außerordentlich, was in diesen wenigen Monaten geleistet ist. um Rußland aus dem endlich ruhigeren Geleise wieder abzudrän^en, in das es in dem Halbjahr seit Iswolskis Verabschiedung ein gelenkt war. Der solideste Gewinnposten, die An näherung an Deutschland durch die Pots damer Verhandlungen, wird nicht einmal zu Buch gebracht, die endgültige Festlegung der Abmachungen vielmehr auf die lange Bank geschoben und in un gebührlicher Form mit Deutschlands und Frankreichs unausgeglichener marokkanischer Rechnung in Ver bindung gesetzt! Die wichtigste Frage ist jetzt natürlich nicht die kritische Würdigung des russischen Vorgehens, sondern die nach der türkischen Antwort auf die Zu mutung, das Heer von Montenegros Grenzen zurück- zuziechen, also tatsächlich die Herrschaft über die Ge biete der Malissoren, der Tlementi und Castrati auf zugeben. Wird die Pforte sich ebenso klug und ebenso unlöbenswcrt unterwerfen, wie der Waiwupu zu Kreuze gekrochen ist? Dieser Ausgang ist sehr unwahrscheinlich. Nach den bulgarischen und bosnischen Schlappen, die das Jungtürkcntum in den Flitterwochen seiner Herrschaft trafen, wird ein weiteres Landopser ihm jetzt unmöglich sein. In diesem Augenblick um so weniger möglich, als sein Regiment von einer schweren Krisis ergriffen ist. Sein Komitee steht unmittelbar vor der längst erwarteten Spaltung in eine konservative und eine liberale Halbscheid — so bezeichnen sich ja die Fraktionen: eigentlich haben die Jakobiner um Djaoid, Talaat und Hussein Djahid nicht. Liberales an sich, viel mehr ihre Gegner, Sadik, Lutfi, Fikri und andere, die durch Schonung der religiösen und nationalen Ueberliefe- rungen für einen festeren inneren Frieden bemüht sind. Man weiß aber nur zu genau, daß außerhalb der Komiteekreise und des gegen sie ohnmächtigen Parlaments die Alttürken unablässig geschäftig sind, dem Gefangenen der Villa Allatini einen Ausgang ans seinem Kerker zu eröffnen. Eine neue Nachgiebig. keit gegen fremde Ansprüche und gegen so bei den Haaren herbeigezogene, wie sie die russische Note dar stellt, würde mir vollem Recht von den grundsätzlichen Gegnern der Neformtürkei als eme Entwürdigung des Staates daracstellt werden und den Dolkshaß gegen die allzeit Minderer des Reiches entflammen. Besteht Rußland so klipp und klar auf einer Antwort, wie es in seinem Streite mit China darauf bestand, so kann sie diesmal nur verneinend ausfallen. Zunächst aber braucht man nicht mit diesem Aeußersten zu rechnen. Es ist zu wenig wahrscheinlich, daß das Zarenreich angesichts der noch keineswegs geklärten, im Gegenteil durch den Ausstand in den Südprooinzen weiter verwickelten chinesischen Ver hältnisse sich einen zweiten Knüppel ans Bein binden wird. Man dürfte der militärisch nicht verächtlichen Türkei das Luftloch orientalischer Verschleppungs taktik lassen, das man dem gar zu schwach gerüsteten China so brüsk geschlossen hatte. Und daß die Pforte nicht ohne dringendste Not den Bruch geschehen lassen wird, ist selbstverständlich. Ungelegen kommt ihr der neue Konflikt im höchsten Grade. Eben rüstete sich der Sultan zu der ersten Rundreise durch einige seiner europäischen Provinzen. Dazu ist ein schwerer Grenz- zwischenfall mit Bulgarien noch nicht ausgeglichen. Mag aber trotz des grundlos gereizten und heraus fordernden Tones der russischen Note die äußerste Zu spitzung des vom Zaune gebrochenen Streites jetzt noch vermieden werden: auf die schwere Un sicherheit der europäischen Zu stände wirft es ein grelles Licht. Während weltfremde Träumer noch immer in dem Rausche der Friedens und Abrüstungsgedanken befangen sind, den Nikolaus des Zweiten berühmtes Manifest dei ihnen erzeugte, hat dessen Verfasser schon einen Waffengang durch- gemacht, ohn« vorher alles getan zu haben, um ihn zu vermeiden: und seine Regierung spielt jetzt in aller Welt mit dem Kriegsfeuer. Englischer Sozialismus. (Londoner Brief.) L. London, 25. Mar Du: „Home University Library" wrü eine Sammlung populärer, aber durchaus wissen schaftlicher Darstellungen bedeutsamer Fragen und Gegenstände aus Gegenwart und Vergangenheit ver ansralten. Jeder Band kostet 1 Schilling. Er ist gut gedruckt und seine Ausstattung ist von der einfachen, gediegenen Art, die Las englische Buchgewerbe überall so vorteilhaft auszeichnet. Der deutsche Leser, der für englische Verhältnisse interessiert ist. wird unter diese» Banden manches Nützliche für sich finden, sei es in dem „Englischen Parlament", der „Geschichte von Krieg und Frieden", der „Londoner Börse", der „Jrsschen Nation" oder anderem. Es find alles sachverständige und bekannte Männer, die Liefe Fragen hier behandeln. So ist es auch mit dem Band über die s o z i a l i st i s ch e Bc - wegung. Ramjay Macdonald. der augen blickliche Führer der englischen Arbeiterpartei, hat ihn geschrieben. Macdonald ist neben Keir Hardie, der etwas gar zu viel „Großväterliches" an pch hat, die kräftigste und intelligenteste Persönlichkeit unter de» englische» Sozialisten — wenn man von Bernhard Shaw hier absehen will. Was uns Deutsche an dem Buch interessiert, ist natürlich das eigen Englische an Macdonalds Sozialismus. Das sozialistische Ziel ist die Frei heit, sagt er. Die Revolution ist der Zweck, aber nicht das Mittel zum Zweck. Der Staat wird durch eine experimentelle Gesetzgebung verbessert. Wo es Parlamente gibt, ist die Aufmerksamkeit viel mehr auf Methode und positive Programme, als aus allgemeine Grundsätze zu richten. Es ist unmöglich, eine rein negative Haltung einzunehmen. Ja man hat in seinen Abstimmungen sogar auf die allgemeine politische Lage Rücksicht zu nehmen. Die Parteien im deutschen Reichstag haben ihre Augen auf den Horizont gerichtet, während die Parteien im Hous« of Commons vor ihre Füße schauen. — Der Besitz von Gütern wird immer ein Mittel bilden. Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen, und diese Tatsache wird in der Entwickelung des Sozialis mus nicht vergessen werden. Der sozialistische S-aa< wird nicht eine ungeheure zentralisierte Bureaukratie darstellen: er wird auch nicht stagnierend sein. — Woran die sozialistische Bewegung heute leidet, das ist die Erbschaft des wissenschaftlichen Materialismus aus der Mitte des 18. Jahrhunderts her. Die materialistische Auffassung der geschichtlichen Enrwick lung ist aber einseitig und unangemessen. Der Fort schritt der Menschheit wird nicht nur vom Geldbeutel aus inspiriert. Die Geschichtsauffassung von Karl Marx ist ein abgetragenes Ge wand. Diejenigen, die mit dem Argument des Klassenkampfes noch arbeiten, sind rückständig. Und so geht es munter weiter. Das alles klingt stark ..revisionistisch". Nur ist es nicht ganz richtig, diesen Ausdruck hier zu gebrauchen Denn „revisionieren" will Macdonald gar nichts. All die oben zitierten Sätze werden mit völliger Selbst Verständlichkeit vorgctragen. Nirgends findet sich auch nur ein Ansatz, sich mit ..älteren Richtun - a e n" auseinanderzusetzen. Sie sind längst zum alte» Eisen gelegt und werden nur als Erscheinungen der Vergangenheit gewürdigt. Hier also liegen Unterschiede zwischen der eng lischen und der deutschen sozialistischen Bewegung. Doch sie sind in Wirklichkeit noch viel tiefer greifend als die obigen Andeutungen vermuten lassen. Mac donald selbst weist wenigstens auf einen wichtigen Punkt hin, wenn er am Schluß seines Buches offen eingefteht. daß die englffch« Arbeiterpartei nicht sozialistisch ist, und daß die eigentliche englische „sozialdemokratische" Partei eine isolierte bedeu tungslose Körperschaft bildet. Wie schwer es der englischen Volksseele wird, sozialistische Gedanken auf- »»nehmen, kann man jeden Schritt und Tritt beobach ten Grenzt es doch auch heute noch geradezu an «ine Herabwürdiguna seiner politischen Fähigkeiten, wenn man einen Engländer einen SosialiO»« nennt.
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