Ulrich Güsso-n Es gibt nureinVerfahren, sich nach einer Ohrfeige richtig zu betragen: das der Weiber — und es wundert mich, daß man es ihnen hierin nicht allgemein gleichtut. Sie fallen nach dem geringsten Schimpf, der ihrer Körperoberfläche angetan wurde, in Ohnmacht. Das ergibt mehrere Vorteile. Zunächst gilt dann von dem klatschenden Tatbestand das Wort, das der alte Grieche über den Tod sagte: „Wozu ihn fürchten? Wenn ich da bin, ist er nicht da, und wenn er da ist, bin ich nicht mehr da.“ Der Effekt der Bewußt losigkeit ist so stark, daß er das vor- angeaanggne Geschehnis auslöscht; die Öhrfeige scheint bereits einen Abwesenden ereilt zu haben. Außer dem (für nachfolgende Gerichtsver handlungen nicht zu unterschätzen!) verschiebt sich das Faktum der Be leidigung zu dem einer Verletzung. Alles schart sich um den Bewußt losen oder zu Boden Gefallenen, man trägt Schüsseln, Labetränke, Tücher herbei, man spielt Hektors Begräbnis, und der Hingefällte heimst anstatt Spott Heldenehren ein. Irgendwo im Raum verduftet mittlerweile der Übeltäter, froh, daß man ihn in der Verwahrung nicht beachtet. Man könnte dieses Verhalten, dessen sich mancher unserer Zeitgenossen zu seinem Vorteil befleißigt, die Igel-Taktik nennen. Talleyrand hat es bekanntlich erfolgreich angewandt, als er auf einem Leichenbegängnis die Ohr feige seines entlassenen Polizeiministers erhielt. Verleumder und Schurken kennen kein besseres Mittel, der Stunde des Gerichts zu entgehen, als diese Vorbeugung: daß sie käsegesichtig alle Viere von sich strecken. Was ihnen dann geschehen mag, geschieht einem ausgepumpten Balg, in dem sich kein Hauch menschlichen Bewußtseins mehr befindet. Mag der Angreifer mit der eingerollten Kugel tun was er wül — die Ohrfeige klatscht, aber sie sitzt nicht mehr. Freilich rettet dieses Betragen den Mißhandelten nur vor den Augen der Umwelt. Tief in ihm bleibt trotzdem das Erlebnis graviert, dessen Wesen der alte Johann Nestroy mit dem Satz umschrieb: „Zwischen einem, der eine Ohrfeige kriegt hat, und dem, der sie'geben hat, schlingt sich ein magisches Band; und nach Jahren noch, wenn sie sich wfleder sehen, gibts dem einen ein Riß in der Hand und dem ändern ein Zucken ums Maul . . .“ — Du kannst von Glück sagen, daß du heute deinen Knüppel mitgenommen hast ... ich hätte nämlich große Lust, dir die Ohrfeige zurückzugeben, die ich vor einundsechzigeinhalb Jahren einstecken mußte ! 27