recht. Landläufig nennt man diesen Komment Ritterlich keit. Was gehört dazu? Sehr viel! Vor allem Respekt vor sich selber, nicht weniger als vor dem Nächsten. Wo Zu rückhaltung und Entschlos senheit nebeneinander woh nen, wird man ihn immer finden. Verständnis für die Weite und Begrenztheit der Menschenwelt gehört auch dazu. Als französische Bericht erstatter nach dem Kriege durch Dampf und Nebel läp pischster Vorurteile nach Deutschland kamen, um einen neuen Kontinent zu ent decken, war einer darunter, dem eine von diesen sinn losen Statistiken in die Hände gefallen war, wieviel die Ber liner zu Weihnachten und Neujahr an Gänsen, Karpfen, Im Speisewagen Kurt Werth Puten und ich weiß nicht was noch verzehren. Es ging jedenfalls über das Vorstellungsvermögen eines ein zelnen, dem ja wohl auch schwach werden würde, wenn er vor sich auf gestapelt sähe, was er im Laufe eines Jahres in sich hineinschlingt. Kurzum: der Schreiber hatte wenig Mühe, Berlin als die Stätte einer kannibalischen Sauf- und Freßorgie erscheinen zu lassen. Es ist zwar lange her, seit der südfranzösische Edelmann Michel de Mon taigne durch Deutschland reiste — 1581 —, aber er hat uns ein Zeugnis zurückgelassen, daß es einst auch andere französische Berichterstatter gab. Zudem ist er ein großer Schriftsteller, ein Edelmann und Mann von Welt, ein schönes Beispiel für den idealen Betrachter eines Volkes. Nicht eine Spur von Vorurteil ist bei ihm zu entdecken. Und das in einem privaten, nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Tagebuch, das er seinem Sekretär diktierte. Er ist durchaus nicht blind. Er sieht alles, sieht es mit einem wohl wollenden Skeptizismus und einer wundervollen Nüchternheit. Er hatte auch keine Spezialinteressen. Ihn interessiert die geringste Kleinigkeit ebenso wie die großen politischen Fragen, die das damalige Deutschland beherrschten. Die Gegenreformation war damals im Anlauf. Heute sieht man fran zösische Blätter, in denen man seit Jahrzehnten kein Wort über Religion finden konnte, sich ums Verrecken in die deutschen Konfessionsaffären mischen. Das atheistische Frankreich, das zur selben Zeit sich bras dessus bras dessous mit dem Bolschewiken der erstaunten Welt zeigt! Der Casus macht uns lachen. Wir fürchten, wir haben dabei den erlauchten Michel de Montaigne auf unserer Seite. 289