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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.03.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-03-27
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940327029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894032702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894032702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-03
- Tag1894-03-27
- Monat1894-03
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Tabellarischer »nd Zifsernsatz nach höherem Tarif. Artra-Beilage» (gefalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe . ohne Postbesorderung >» 60.—, mit Postbesorderung ^ 70.—. Ännalfmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen- Ausgabe: Nachnntlag» 4 Uhr. Sonn- und Festtags srtti Uhr. Bei Len Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expeditt*» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. ^«155. Dienstag oen 27. März 1894. 88. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 27. März. Wenn der Reichstag nach der Osterpause an die große Frage der Rrtchsstrurrresorm herantritt, tritt auch für die beiden größten Fraktionen des Reichstag» eine kritische Heit ein: für die deutsch-conservativen und da» Cent rum. Die Erstcren sucht der extreme rechte Flügel in eine principielle Opposition gegen den verhaßten Reichskanzler hineinzutreibcn. der gezwungen werden soll, einem agrarischen Reactionair seinen Platz zu räumen; die gemäßigleren Elemente, die schon zu lange von den Führern der Extremen sich ins Schlepptau nehmen ließe», werden diesen Bcrsuchcu gegenüber einen schweren Stand haben. Nock, kritischer ist die Lage des EentruniS. dessen Reihen schon längst gelockert sind. Früher war diese Partei der KrystallisationSpunct der Opposition sür mancherlei mit ihr nicht wcsenSverwandle Gruppen. Die Welfen sind ihr jetzt abtrünnig geworden, seit durch Windtkorsl'S Tod das Band persönlicher Beziehungen zerschnitten Worten ist. Die Elsaß- Lothringer haben ebenfalls, trotz ihres klerikalen Anstrichs, die Berbindung gelockert, seitdem „der Protest todt und be graben ist", wie Pfarrer Iacol sagt. Die Polen sind eine selbstständige Fraclion geworden, die nicht mehr ein Anhängsel des Centrums bildet, sondern um deren Gunst die Partei sich bewirbt. Diese Wandlungen bedeuten nicht nur ziffern mäßig eine Schwächung des Centrums, sondern üben auch einen Einfluß auf daS innere Gesüge desselben. Immerhin sind Las noch nicht die schwersten Schläge, die daS Cenlrum seit einiger Heit erlitten hat. Wiederholt ist mit aller Schärfe nicht nur der regionale Gegensatz, sondern auch eine gar nicht oder nur mühsam überdrückle Kluft der natio nalen und ökonomischen Anschauungen hervorgetrcten. Vor- nehmlich sind cs drei Tbeile Deutschlands, welche CcntrumS abgeordneie wählen: die östliche Gruppe dieser Abgeord neten stammt aus Schlesien, eine westliche bat in Rheinland und Westfalen ihren Sitz, das dritte Contingenl sendet der Süden, und hier bilden die Bayern die weitaus stärkste Truppe. In jeder dieser drei Gruppen war früher eine vortheilhafte Mischung: Vertreter von Landwirtbschast und Industrie, der GeburtSaristokralie, der gelehrten Bcruse und der bürgerlichen Stände saßen und beriethcn miteinander. Ein in der parlamentarischen Taktik überragender Geist wie Windt- horst wußte auf dem einigenden Boden LeS CulturkampfeS au» den verschiedenartigen Factorcn ein Ganzes zu bilden, in dem die volle Kraft des gcsammteii KlcrikaliSmuS parla mentarisch tbätig war. Diese Verhältnisse haben sich gründlich geändert. Welche schwere innere KnsiS die Partei im vorigen Jahre bei der HcereSreform durchzumachen hatte, ist »och in frischer Erinnerung. Damals schied ein Thcil der einflußreichen, ja führenden schlesischen Mitglieder aus, weil sie mit ihren nationalen Anschauungen die Opposition gegen die Stärkung der Wehrkraft nicht vereinbar hielten. GestnnungS- und SlandcSgcncsscn in Rheinland und Westfalen stimmten ihnen zu. In Bayern unterlagen bei den Wahlen nach der Auslösung des Reichstages die sämmtlichcn früheren Abgeordneten, die durch ihre Geburt eine höhere sociale Stellung inne hatten — ein Vorgang, der sich bei den LanbtagSwahlen wiederholte. Damit ist im Centruin ein durch seine Traditionen und gesellschaft liche Beziehungen sehr bedeutendes Element, dem ein stark konservativer Zug innewohnl, ganz zurückgedrängt, ob wohl die decorativc Spitze der Partei noch dieser Schicht entnommen ist. An die Stelle gerückt ist eine klerikale Demokratie, in der sich wieder zwei Hauptslrömungen geltcud mache». Die eine glaubt mit der Politik des eio ul llos die größeren Erfolge zu erreichen, die andere sucht »nt charfer Opposition die Machtstellung der Partei im Parla ment wie im Volke zu behaupten. Bi-weilcn gelingt eS, die Diagonale in dem Parallelogramm der Kräfte einzu halten, oft genug aber fällt die Partei auseinander. Am stärksten ist das Gefühl, daß man eigentlich nickt mcbr in den Rabmen der Partei passe, in den baye rischen CentrumSkreise». Hier wird der noch vor wenigen Jahren als ketzerisch verdammte Gedanke eine» Ausscheidens und der Gründung einxr klerikale» bäuerischen Volkspartei ganz offen erörtert. Schon bat die mit muslulöser Derbheit betriebene Agitation der Agrarier und Bajuvaren nicht nur die kleine Fraktion der bayerischen Baucrnbündler mit dem ar- und balinlosen Sigl an der Spitze ins Leben gernscn, sondern auch Strnctur und Gesinnung der bayerischen CentrumSpartci völlig durchsetzt. Mustert man die Blätter und Blättchen, die dem weißblauen UltramontaniöinuS dienen, liest inan die Reden seiner Fübrer, so erschrickt man oft über den prahlerisch zur Schau getragenen Preußenhaß und die agrarische Ausschließlichkeit. Von Norden komme nichts Gutes und alle anderen Interesse» müßte» der Laudwirtb- schaft unlerthan sein, das ist die Ouintessenz dieser Aus- lassungen. Man droht der „preußischen" Ccnlrumslcitniig offen mit dem Abfall und gesteht «»umwunden zu, daß lckigliw taktische Rücksichten jetzt noch verbieten, diesen Schritt zu tbun. Will kaö Cenlrum einen Riß vermeide», so muß cS der oppositionellen particularistischcn Strömung Concessionen macken, die mit dem Eintreten sür eine de» Rcichögedanken stärkende» und daö Reich zum finanziellen Woblibäter der Einzelstaatcn machenden ReichSsteuerresorm sich nickt vertragen. Zcrsallcn wird der „feste Tburm" des CentrumS auch bei dieser neuen Erschütterung seiner Fundamente wohl noch nicht. Aber die Risse in seinen Mauern werden noch weiter und sichtbarer werden. Wäre GrafCaprivi der Mann, der gleich seinem Vorgänger die Sprengung der Centrumspartci als eine seiner Hauptaufgaben betrachtete, so würde er kemnääfft sehr günstige Gelegenheit zu einem Sprcng- vcrsuchc haben. In Wien ist vorgestern der vierte österreichische social - demokratische Parteitag eröffnet worden, wobei 154 Delcgirte sowie die deutschen NcichslagSabgeordnelen Bebel und Singer erschienen waren. Bebel überbrachte die Grüße der deutschen Parteileitung, welche den diesmaligen Wiener Verhandlungen ein besonder- lebhaftes Interesse entgegenbrächten. „Wir wissen", sagte er, „daß unsere Hielc gemeinsame sind, daß die Beseitigung der bestehende» Elassenherrsckast nur auf internationaler Basis möglich ist. Wir haben ein lebhaftes Interesse, zu sebe», wie die einzelnen Armeecorps innerhalb der großen Armeen der Arbeiterschaft marschiren, und ob sie sich aus gleicher Marsch linie befinden. Wir seben, wie die verbündeten Fürsten Europas sich zu gegenseitigen Besuchen verpflichtet hielten, um sich zu überzeugen, ob ihre Armeen die »ötbigc Schlag fertigkeit habe»; AcbnlichcS thun wir, wir wollen iehen, wie weit die Scklagscrtigkcit der österreichischen Arbeiterschaft geht. Daß wir auf die Internationalität angewiesen sind, lckrt auch die Aeußerung Caprivi'S in Danzig an läßlich des ZuslankckonimenS dcS russischen Handelsver trages hervor: Der deutsche Kaiser habe dieser Vertrags politik aus ganz spcciellcm Grunde seine Aufmerksamkeit geschenkt, weil er sich bewußt war, daß das zwanzigste Iabr- bundcrt die Notbwendigkeit berbeisühren werde, daß die Staaten sich gegenüber den „drohenden Eventualitäten de» kommenden Jahrhunderts" international verbinden. Wir wissen genau, was darunter zu verstehen ist, und glauben, daß uns gegenüber der internationalen Verbrüderung unserer Feinde die Aufgabe zufällt, die internationale Verbrüderung unserer Freunde zu bewerkstelligen." Bebel schloß: „Marschiren Sie vorwärts, immer vorwärts!" Wie wir schon angedeutct habe», stimmen wir in der Auffassung der Tendenz der Caprivi- icken Rede nickt mit Bebel überein, dem wobl nur das böse Gewissen Gefahren sür die internationale Socialdcmokratie dort verspiegelt, wo, augenblicklich wenigstens, keine zu erwarten sind. — Der Kossuthrum mel stellt sich immer mebr als eine von klerikaler Seite in Scene gesetzte Agitation gegen daS Cabinet Wckcrle heran». ein Manöver, das als gänzlich mißlungen zu betrachten ist. Besonders die dringende» telegraphischen Ersuchen der Söhne Kossutb's an den Bürgermeister von Pest und die Partcipräsidenten, alle Kundgebungen demonstrativen Cbrakters zu unterdrücken, da dieselben kaum von wirk lichen Verehrern ihres Vater» anzesliftet würden, habe» allgeiiK-i» einen ticsen Eindruck gemacht, selbst aus die äußerste Linke, die eS noch in zwölfter Stunde als ihre Ausgabe erkannt zu haben scheint, mäßigend cin- zuwirken. Es macht sich überall die Ucbcrzcugung geltend, daß >edc wcitergebente Huldigung sür Kossuth nur dazu dienen könne, daß die Feinte Ungarns in Wien die loyale Gesinnung Ungarns vor dem Könige verdächtigen, und so dürste, wenn kein Hwischcnsall eintrilt, die Kossuthsragc alles Bedenkliche verlogen haben. Einen besonderen Colonialmini st er hätte Frankreich nun, aber einen solchen fast ohne alle Competenzen, den» die Senatscommissio» bat. als sie ihre Hustimmung zur Schaffung dieser neue» Behörde gab. die Beringung gestellt, daß selbst nach Crcirung des Colonial-Ministeriums die wichtigsten Hwcigc der Colonial-Vcrwaltung — die Verlheidigung zu Lande und zur See, die Justiz, der öffentliche Unterricht, die Cultcn und die Finanzen — bei den betreffenden Fack- miiiisterien verbleiben solle», und der Ministerpräsident ist aus diese Bedingung eingcgangen, die den neuen Colonial- minister, für reu nur die „allgemeine Verwaltung" übrig bliebe, wieder so aut wie überflüssig macht: das Unterstaalösecretariat der Colonicn Kat einfach nur seinen Namen geändert. Daß eS in der Pariser Presse an Spott über diese „Mißgeburt" nicht fehlt, läßt sich denken; namentlich wird die Bestimmung, daß das Ministerium kein mililairischcs Vcrsügungsrccht habe, sondern daß die bereits bestehenden militairischcn Ceutralbchörden das Oberkommando über die zur Verlheidigung der Colonie bestimmte» Truppen behalte» werden, vielfach kritisirt.da man sie für eine Schwächung der Autorität des ColouienminislerS hält. Die Argumente, welche gegen riese Bestimmung angeführt werden, verdienen eine ernste Erwägung von Seite» der Regierung, denn man muß be fürchten, daß unter dieser Einschränkung dcS Entscheidungs rechtes des neuen Ministeriums vor Allem die notbwendige Einheitlichkeit dcS Ressorts leiben werde und ähnliche llebel- stände zu Tage trete» dürfte», wie sic anläßlich der Marinc- Lebatte mit Bezug aus die beiden obersten Kriegsverwallungcn ausgereckt wurden. Wie eS scheint, ist Casimir Perier aus die Bedingungen des Senat» nur eingegangen, um den Consiict mit dieser Körperschaft nickt zum Acußcrstcn zu treibe», was ja nur geheißen hätte, die Geschäfte der rabicale» Gegner des Senats zu betreiben Der Ministerpräsitenl ist aber nicht der Mann, der etwas nur halb lbut. Jetzt, nachdem er den Senat in der Hauptsache zur Raison gebracht hat, wird Las klebrige sich auch noch finden. Am l. April treten die spanischen Cortes zusammen; man sicht ihren Verhandlungen diesmal mit besonderem Inlcreise entgegen» da sie vor Allem über die Handels verträge Beichluß zu fassen haben, die längst cnvgiltig in Kraft getreten sein sollte», gegen deren Annahme zcvoch in einzelne» Tbeilen des Lande-, insbesondere in Catalonien und den baSkischcn Provinzen, eine Agitation ins Leben ge rufe» worden ist, wclckc den Widerstand, den die deutsche Landwirtbschast dem Vertrage mit Rußland entgegensetzte, a» Energie weit hinter sich läßt. Am heftigsten wird der Kampf um den Handelsvertrag mit Deutschland entbrennen, von dem die baSkischcn und caitalonischen Pro- tucenten und Hanteltreibenten die schwerste Schädigung ihrer Interesse» befürchten zu müsscn glaube». Als ent schiede»« Gegner desselben m der Kainme:e werten etwa 150 Abgeordnete bezeichnet; wie groß die Hah l seiner Freunde und Vertbeitizer ist, bat sich bisher mit Sicherheit noch nicht sestsleUe» lasten; ei» beträchtlicher Tbeil der Deputirten scheint noch nicht zu wissen, auf welche Seite er sich schlagen soll. Jedenfalls lassen einzelne Acußcrungc» der gouvcrne mentale» Presse erkennen, daß daS Cabinet selbst keineswegs sicher ist, ob es den Vertrag mit Deutschland in den Cortes durchbringen wird, daß eS aber für den .Fall seiner An nähme einen mehr als passiven Widerstand in einzelnen Tbeilen des Landes gewärtigen zu müssen glaubt. Wäre Spainc» ein durchaus geordnete-, fest gefügtes Staat-Wesen mit starker monarchischer Spitze, so würde selbst eine »och hochgradigere Unzufriedenheit einzelner I »teresscntenkreise schließlich ohne daucrudc Gefahren für Staat und Gesellschaft überwunden werden kennen: der spanische Boden ist jedoch durch Partei-Intrigucn aller Art unk durch die in Folge der Nothlagc weiter BevölkerungSkreise stetig wachsende socialistisch anarchistische Propaganda bereits derart unterminirt, daß ernste Politiker der Rückwirkung, welche die bevorstehenden handelspolitischen Kämpfe in den Cortes aus die Stimmung im Lande üben dürste», mit schwerer Besorgniß entgegen sebe» Aus die Schwierigkeiten, welche der R igierung dadurch entstehen werden, daß kein Geringerer als der bisherige liberale Finanzminisier Gamazo a» der Spitze der bis lies in die liberalen Reiben sich erstreckenden schutzzöllnerischeu Bewegung steht, wurde schon lnngewicsen. Wenn eS den radikalen Stürmern in (S.igland schwerlich je gelingen wird, das Oberhaus abzuschoffcn, so wird es doch über kurz oder lang zu einer maßrwllen Reform diese- conservativstc» Factor- im politisch,:« Leben Groß britanniens kommen müssen, zu der die PeierS sich auch ent schließen werden, wenn sie sehen, daß die Mehrzahl der Wähler sie verlangt. Das Oberhaus besteht in seiner gegen wärtigen Gestalt auS 2«', geistlichen und 550 wrltlichcn LvrtS; cs finden in ihm vorwiegend die Interesse» der anglikanischen Staatskirche und die des Hochadcls ihre Vertretung, und diese Einseitigkeit ist das Uebcl, an dem die Institution krankt. Da« bat selbst Salisbury seiner Heit anerkannt, indem er erklärte: „Wir gehören zu sehr einer Classe an und sind in folge dessen in einer große» Anzahl von Frage» zu sehr einer Meinung!" Bezeichnend ,n dieser Beziehung ist die Thal sache, daß seit der Rcsormbill im Jahre l832 die erste Kammer nur !> Gesctzentwürse einer konservativen Regierung verworsen bat (natürlich meistens solche, die ein Zu- gestäutniß an die Neuzeit enthielten, wie die Gestattung der Ehe mit der Schwägerin, die Bill, betr. Zu lassung der Juden zum Eide, Regelung der Kirchensteuer. Aufhebung der StaatSkircke in Irland u. i. w.). dagegen 57 von einer liberalen Regierung eingebrachte Bills Der Gedanke einer Reform ist, wie gesagt, nicht neu und sogar im Jahre 1888 in Gestalt einer Selbstrcsormiruug von Salisbury angeregt worden, aber an der erklärliche» Abiicignng der Peers gescheitert, sich selbst zu depossediren. Bei einer Reform kann es sich nicht, wie Laboucherc meint, um eine bloße, aus den Augenblick berechnete Maßregel handeln, sondern um eine durchgreifende Sanirung der FeuiUet»«. Medea. Ein bürgerlicher Roman von Wilhelm Wolters. Nachdruck »nbolca. 1j Erstes Buch. I. „Bist Du es, Paul?" „Ja, Tante, wer sollte eS denn sonst sein?" „Nun? War - hübsch ?" „Ganz hübsch ... ich erzähle morgen früh beim Kaffee... cS ist schon selr spät . . . Bei Euch alles in Ordnung? Mama wohl ? Cläre von ihrer Antrittsstunde ohne Ent täuschung zurück?" „Alles ui Ordnung." „Gute Nackt." „Gute Nackt. Schlafe wohl." „Du auch." Paul, welcher im Hut und Wintermantel, mit hinauf geschlagenem Kragen auf dem dunklen Vorsaale stand, schob behutsam die Thür von Tante Lina - Schlafstube zu, die nur angelebnt gewesen, zündete das Licht aus der Commode an, warf einen Blick in den großen, goldumrabmten Rococo- spiegel über derselben, und ging, den Bronzelenckter in der Hand, so leise, wie eS seine neuen, knarrenden Lackstiefel zu- ließcn, den langen Corridor hinunter. Tante Lina richtete sich ein wenig im Bett empor und horchte. Paul'S Tritte verklangen oben; jetzt war alles still. „Was er nur habe» mag?" tackte Tante Lina. Sie kannte den Schall dieses nächtlichen Schritts in allen seinen leisesten Abtönungen, in den kleinsten Unterschieden jede- wechselnden Tempo«: diese wunderliche Resonanz der Seelenschwingungen dcS Abends Heimkebrenden Unzählige Male kalte sie idm gelauscht, seit der geliebte Sebwestersobn von unsteter Wander schaft in das vcrwittwete mütterliche Nest zurückzeslogen war, ein neues Leben zu beginnen. Wie viel Nächte nicht sckon batte sie ihn mit ihren Gedanken begleitet, wenn er ihr, der stet- Wacken, in ein paar kurzen Worten de- Tage- Erlebnisse zugeflüstert, während Mutter und Schwester drüben auf der andern Seite de- Corridors in festerem Schlummer lagen. Heute konnte sic a»S diesem hastigen Schritte nicht klug werden. „WaS er uur haben mag?" Paul warf in seinem Schlafzimmer Hut und Ueberrock aus einen Tisch an der Wand, achtlos über die sorgfältig in Reib und Glied geordneten Kästchen voll von glitzernden Krystallen und blinkenden Erzstückcben, nestelle ein Paar Cotillonorden von seinem Frack, ging in die Arbeitsstube nebenan, betrachtete zerstreut die Adresse eines aus seinem Schreibtische liegende» Briefes und begann, ohne jenen geöffnet zu haben, erregt über den Plüschteppich hin und her zu wandern. „Ach Gott," sagte er, plötzlich innchaltend, laut vor sich bin, „sie denkt vielleicht gar nickt an dich, und du bist ein Narr, daß du wachst ... ein hübsches Bild wie so viele . . . wirs eS zu den Tobten . . ." Er machte mit der Hand eine Bewegung nach dem Lichte, aber er ließ die Hand wieder sinken und begann von Neuem seine Wanderung. „Nein! . . . Nicht wie so viele! . . . Dieser Blick beim Abschiede, dieser verstohlene Blick, lag nickt in diesem einen Blicke, allein dasselbe Gefühl der Seligkeit, das ihn so plötzlich, so . . . wie mit überirdischer Gewalt, wie eine Offenbarung überkommen, als sich ihre Augen zun, ersten Male begegneten? Milten durch den großen Saal, quer über die lange Tafel hinweg, zwischen dreißig, vierzig fremden, schwatzenden, dummen Gesichtern hindurch batten sich diese zwei Augenpaare den Weg gebahnt, batten sie sich getroffen, gesunden! . . Solch' ein Zufall! Wie wunderbar! Daß er gerate diesem Stiftungsfeste beiwohnen mußte! Eine Marotte, ein galliger Iournalisteneinsall seine- schrullenhaften Cbcss, gerade von ihm den Bericht über dieses ehrenwerthe Tanz- consortium geschrieben haben zu wollen, von ihm, in dessen Ressort die Sache gar nicht gehörte! AuS erzwungener Ge fälligkeit sür einen College«, der nun gerade wieder nicht anders gekonnt, als an diesem Tage von der Pferdebahn zu fallen statt zu springe» . . . War da- Zufall?! . . . Nein, sie und keine Andere ist die so lange in seinem vielbewegten Leben vergeblich Ersehnte! Die für ihn Bestimmte! Diese- Mädchen, so schüchtern und so stolz zugleich, so bürgerlich schlickt und so adelig vornehm, so anders al« ihre ganze aus- geputzte Umgebung, al- alle diese nichtssagenden, hüpfenden, sittsamen, verbeirathetseinwollenden Lämmer, die- Märchen, so still und so wild, so kalt und so voller Glutb, so naiv und so gescheckt, so kindlich unbeholfen und so weltgewandt, sic war dal Weib, das ihm gehört, ihm gehören muß! Hier ist alle- bei einander, was er bis nun zu seinem sünsunddreißigsten Jahre vergeblich bei einander gesucht: Jugend, Anmuth, Seele, Witz — alle äußeren und inneren Vorzüge! Diese entzückende Gestalt, dieser bezaubernde Geschmack im einfachen Faltcn- wurse des lichtgelben Kleide«, diese braune» Wangen, diese Munterkeit >m nie versiegenden Gespräche, diese« dunkel- glänzende Haargesleckt, das in kecken Ringellöckchen über die Stirn herunterfiel, die- schalkhafte Lächeln unter den langen, schwarzen Wimpern hervor, dieser Mund mit seinen rotbcn, licbcdurstigen Lippen . .. Paul fuhr sich mit der Hand durch sein braune- Haar. Ach, du Süße... Nein, hier giebt'S kein Zaudern, kein Schwanken mehr! Nur eins: bingeben und sagen, ich liebe Dich, wir sind für einander geschaffen, Du bist mein, mußt mein sein! Hingehen? Ja, wohin? Wie dumm, wie albern hat er sich doch benommen! Wer ist sie eigentlich? Kaum, daß er auf ihren Namen gehört, als die sitzen- gebliebene, spitzcnbebangene Häßlichkeit, der er von dem vor sorglichen Tanzvorstande zugeführt worden, ihn der „Freundin" verstellte. Fräulein Reiche, lieber Gott und die Welt hat er mit ihr geplaudert, an daS Wichtigste hat ersticht gedacht! Wer kann freilich auch noch denken, wenn ihn diese Augen anlachcn?... Fräulein Reiche. DaS ist beinahe Alles, wa- er von ihr weiß. Nur noch, daß sie zui» ersten Male in dieser vortrefflichen Gesellschaft Volupta's gewesen, als Gast, eingcladcn eben von jener ehemaligen Schulkameradin, daß sie „wahrscheinlich" auch das nächste Mal da sein werde. DaS nächste Mal! In vier Wochen! WaS kann in vier Wochen nicht Alles geschehen!... Da« vertraulich lächelnde, glattrasirte Gefickt jenes fatalen Menschen stieg grinsend in Paul'S Erinnerung auf, diese« ve.banimten Kerls, der ihm zwei Mal beim Walzer zuoorgekoinincn ... Wenn der unter dessen vielleicht ... Schon der Gedanke kann ibn rasend machen!... Wer ist dieser Mensch? Am Ende gar ein heimlich Verlobter!... Vier Wochen! Nein, unmöglich! Paul stürzte nach dem Bücherregal, riß einen dicken Band aus der untersten Reibe, wars ibn aus den Schreibtisch »nd blätterte hastig. Reiche . . . Reiche . . . Eine ganze Seite dieses schönen Namens barg da- Adreßbuch. Vom Geheim- ratb herunter nach dem Rentier über ungezählte Kaufleute hinweg bis zum Dienstmann. Zum Verzweifeln! GeheimrathS- oder RenticrStockter? . . . Ein rolher Schein flatterte durch das Zimmer, da- herunter gebrannte Lickt leckte an der Papierumwickelung ui der Lcuchtrrtülle. Paul sprang aus und stülpte da« bronzene Hütchen über die verlöschende Kerze, winkte mit der Rechte» zum Fenster hinaus nach den Bergen, hinter denen schon die ersten röthlichcn Strahlen der Fcbruarsonne hervor blinzelten, als ob er sie grüßen wollte, die Sonne, seine Sonne, und ging rasch zurück in sein Schlaf zimmcr, um wenigstens »ock ein paar Stunden die müden Gedanken und Glieder auSruhen zu lassen, ehe sic von Neuem zur Arbeit und in den Kampf, in einen neuen, fröhlichen Kamps um das Glück zögen. „Ab, der Herr Don Juan-Feuilleton Rcdactcur!" ries Cläre Paul entgegen, als er am anderen Morgen etwas ver spätet in der gcmütblichen Wohnstube erschien, an deren rundem Kasfectische Mutter und Tante und Schwester ihu bereits erwarteten. „Endlich ausgcschlafen »ach den grimmen Hcldentbatcn dieser Nacht ? Wieviel Herzchen sind wieder gebrochen worden? Wir sind Alle mit einander gespannt uns harren der Tinge, die da koninien sollen! Tante Lina macht ein ganz melancholisches Gesicht vor unbefriedigter Neugierde!" „Die Neugierde scheint mir einzig »nd allein ans Seile» meiner tbcure» Schwester zu sein", erwiderte Paul, der Mutter die Wange küssend und Tante Lina die Hand reichend, „und Neugierde muß bestraft werden." „Die tbcure Schwester siebt der Strafe mit Würde ent gegen. Nun?" „Ick habe allerdings etwas sehr Interessantes zu erzählen", sagte Paul lächelnd, indem er sich Cläre gegenüber aus seinen Platz setzlc, „aber nun will ich erst höre». Wie war - bei Deiner Familie aus Washington?" „Das ist unglücklicher Weise sür den Herrn Strafrichter kurz abgemacht: cinsach entzückend! Eine seine, liebenswürdige Mntlcr in schwarzer Seide, eine schwarze Dienerin in gra»> carrirlcm Baltist. ehemalige Amme, daher „Nurscy" genannt, niit große», melancholischen Auge» und goldenen Ringe» in den Obren, und meine neue Schülerin Anita, die schon einigermaßen deutsch radebrechen kann ... Anita Maxwell ... Anita ... wie gefällt Dir der Name? ... ah» ick sage Dir, wie geschaffen zum Curschneiden sür meinen tbeurc» Herrn Bruder ... sie ist nämlick eben — sechzehn ge worden . . ." „DaS Alter", entgegnete Paul langsam, indem er bedächtig eine Semmel auseinander brach, „wäre ja kein Hindernis; . . . eS soll schon tagewcsen sein, daß kaum sechzehn Gewordene sich sehr hübsch und nach allen Regeln der Kunst die Cour schneiden ließen ... Luise Millerin zum
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