01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.10.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-24
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021024013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902102401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902102401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-10
- Tag1902-10-24
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R«klam,u unter dem Nedakttoulstrich (4 gespalten) 7b vor den Famtlirnnach, richteo («gespalten) b0 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Sebühren für Nachweisungen und Offerteuanuahm« 25 (excl. Porto). Grtra-lveilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Au-gabe, ohoe Postbesärderuug ^l «Ü.—, mit Postbesörderuug ^l 70.—. Anuahmrschluß fLr Anzeige«: Sbend-Susgabe: vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen find stet« an dl« Expedition zu richt,«. Die Expedition ist Wochentag« nnuuterbrochen geöffnet von früh 8 bi- abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von E Polz in Leipzig. Nu 542. Freitag den 24. Oktober 1902. S8. Jahrgang. Das Kunstgewerbe und sein Rechtsschutz. Ll. Die bevorstehende Reform des Gesetzes, betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste, hat dem Deutschen Verein für den Schutz des gewerblichen Eigentums in Berlin Veranlassung gegeben, eine um fassende Rundfrage in den Kreisen der Kunstindustrte und der bildenden Künstler zu veranstalten, um Material für eine Erweiterung und Verbesserung des Schutzes der kunstgewerblichen Schöpfungen zu sammeln. Dem von dem Verein versandten Fragebogen ist eine Denkschrift beigefügt, in der Folgendes ausgefüchrt wird: Nach der heutigen Gesetzgebung ist der Schutz der Werke der bildenden Kunst gegen unerlaubte Nachbildungen ein verschiedener, je nachdem es sich um ein Werk der reinen Kunst oder um ein Werk der angewandten Kunst handelt: Werke -er reinen Kun st (Gemälde, Stiche, Litho graphien, plastische Bildwerke) erlangen Schutz im Augen blicke ihres Entstehens. Eine Anmeldung oder Hinter legung ist nicht erforderlich. Eine Gebührenzahlung findet nicht statt. Die Schutzdauer umfaßt die Lebenszeit des Künstlers und 30 Jahre nach seinem Tode. Werke der angewandten Kunst, die, obwohl Kunst- fchöpfungen, einem Gebrauchzweck dienen, werden nur als gewerbliche Muster geschützt. Dieser Schutz er fordert einmal Hinterlegung des Musters, bevor ein nach dem Muster gefertigtes Exemplar verbreitet wird, und sodann Zah lung einer Gebühr, die im Anfang 3 .4! beträgt und für die ganze Schutzfrist auf 32 .4! anwächst. Die höchste Schutzdauer beträgt hier 15 Jahre. Gestattet der Urheber eines Werkes der reinen Kunst, baß das Werk „an einem Werk der Industrie, der Fabriken, Handwerke oder Manufakturen nachgebilbet wird" (8 14 des Gesetzes vom 9. Januar 1876), also z. B. die Anbringung eines Ge- mäldes auf Porzellantellern, die Verwendung einer Zeich nung zu einer Ansichtspostkarte, so erlangt ein solches Werk Schutz gegen anderweite Nachbildung in der In dustrie nur als gewerbliches Muster, d. h. unter der Vor aussetzung der Hinterlegung und Gebührenzahlung und für eine Höchstfrist von 15 Jahren. Dieser Rechtszustand hat zu folgenden Klagen Anlaß gegeben: Ev ist für den Industriellen vielfach unmöglich, die Zeichnungen, Farbendrucke, Malereien, die er auf seien Erzeugnissen anbringt, zu hinterlegen, bevoreinnach dem Muster gefertigtes Exemplar ver, breitet wird. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn der Industrielle ein schon im Kunsthandel befindliches Werk (ein Gemälde) erwirbt, um es zu industriellen Zwecken zu vervielfältigen. Ist aber das Bild im Druck oder in der Photographie schon verbreitet, bann ist eine Mustereintragung wertlos: die weitere Nachbildung in der Industrie steht jedem frei. Infolge davon sind häufig gerade die besten künstle rischen Schöpfungen der industriellen Verwendung ent zogen. Findet sie dennoch statt, so ist derjenige, der ein Vervielfältigungsrecht vom Künstler erwirbt, gegen un befugte Nachbildung von Seiten der Konkurrenz schutzlos. Dieser Umstand erschwert vor allem den Konkurrenz kampf im Auslande, wo einheimische Kunstindustrielle besser geschützt sind, dem Deutschen aber der Schutz ver sagt wird unter der Behauptung, baß die Formalitäten des Ursprungslandes «Hinterlegung in Deutschland) nicht erfüllt seien. Umgekehrt ist z. B. der französische In dustrielle in Deutschland besser geschützt als der Deutsche, da eine dem 8 14 des Gesetzes vom 9. Januar 1876 analoge Htnterlegungsvorschrtft dort nicht besteht. Wenn die Hinterlegung eines Werkes der bildenden Künste vor der Verbreitung erfolgt ist, stellt sich häufig, und gerade für Werke von hohem künstlerischem Interesse, der Schutz von 15 Jahren als viel zu kurz heraus. Für Industrielle, die viele Muster erzeugen, bedeutet ferner die Summe der Gebühren eine Belastung, die den durch den Musterschutz gebotenen Vorteilen nicht immer entspricht, zumal da die Verlängerung dcS Schutzes viel fach nur zu dem Zwecke erfolgt, die Lagerbestände unter dem Schutze zu räumen. Im Falle der Rechtsverfolgung endlich hat sich der Musterschutz vielfach als nicht ausreichend bewährt, da sowohl Staatsanwaltschaften, wie Gerichte den Begriff „neu und eigentümlich", die Voraussetzungen des Muster schutzes, häufig in zu engem Sinne auslegen und auch geneigt sind, bei geringen Abweichungen das Vorhanden sein einer „Nachbildung" abzulehnen. Um diese Uebelstände zu beseitigen und den kunst gewerblichen Schöpfungen einen wirksameren Schutz zu verschaffen, stellt der Verein die Forderung auf: eine jede Kunstschöpfung gleichmäßig zu schützen, ohne Rücksicht dar auf, ob sie einem Gebrauchszweck dient oder nicht. Weiter hin spricht er sich dafür aus, daß der angezogcnc ? 14 des Gesetzes vom 0. Januar 1876 zu fallen habe. Der Schutz des Kunstgewerbes würbe sich dann fol gendermaßen gestalten: Jede Kunstschöpfung würde ohne weiteres gegen Nachbildung geschützt sein, auch wenn sie einem Gebrauchszweck dient, oder wenn auch der Künstler seine Einwilligung zu ihrer industriellen Verwendung erteilt hat. Damit würde die Möglichkeit gegeben sein, gute Kunstwerke ohne Gefahr unlauterer Konkurrenz und ohne zeitliche Beschränkung gewerblich zu verwerten und ferner die Preise für kunstgewerbliche Schöpfungen herab, zusetzen und damit das Eindringen der Kunst in das Volk zu fördern. Deutsches Reich. 6.H. Berlin, 23. Oktober. (Die anarchistische Be- wegung in Frankreich.) Es läßt sich au« den letzten Nachrichten auS Pari« noch nicht mit Bestimmtheit erkennen, was eö mit dem geplanten Attentat gegen den Präsidenten Loubet auf sich hat, aber da« steht fest, daß die anarchistische Bewegung m Frankreich, obgleich herzlich wenig von ihr in die Oeffentlichkeit gedrungen ist, an Breite zugenommen bat. In der letzten Zeit sind zahlreiche anarchistische GeweiksckaftS- blätter in« Leben gerufen worden, ein« der bekanntesten ist das der anarchistischen Möbeltischler. Die Berurteilung de« revo lutionären Schriftstellers Laurent Tailbade, der in dem Anarchistenblatt „Liberlaire" einen untlhvrten Angriff gegen den Zarismus und den Kaiser Nikolaus gerichtet batte und deshalb mit Recht zu einem Jahr Gefängnis und 1000 Francs Geldbuße verurteilt war, hatte Vie ganzen anarchistischen Kreise mobil gemacht. Als Tailhade nach seiner Ver urteilung auf eine Bank des Saales stieg und schrie: „Tie Saat wird aufgehen", brüllten die Genossen: „Nieder die Tyrannen!" Anläßlich der Ankunft des Kaisers Nikolaus sab sich selbstverständlich die Polizei gezwungen, den Anarchisten scharf auf die Finger zu sehen; ausländische Anarchisten wurden ausgewiesen, franwsische, die sich durch anarchistische Schreiereien aus den Straßen hervorgethan, hinter Schloß und Riegel gesetzt. Darauf erhob sich im „Temps Nouveau" und den übrigen anarchistischen Blättern ein brausender Sturm gegen Walbeck-Rousseau, ein Rudel anarchistischer Agitatoren wurde auSgesendet, von denen einige, z. B. die Genossin Ssraphin« Pajauv, beispielloser Ersolge sich rühmten. Selbst unter den sonst so verhältnismäßig ruhigen Buch- druckern bildeten sich antiparlamentarische, anarchistische Gruppen, die zur Gründung eines antiparlamentarischen GewerklchaftSblatteS, des ,Cri Typograpbique", schritten, das weitere Verbreitung fand. Auch andere anarchistische Gruppen entstanden, die sich bald „Gruppen für freie Mei- nuogs-Aeußerung", bald „Liga der internationalen Solidarität" nannten. Tatsache ist es, daß gerade diese anarchistischen Gruppen über verhältnismäßig reiche Geldmittel verfügten und in der Lage waren, anarchistische Flugblätter gegen den Krieg beraus- zugeben; auch Kongresse der anarchistischen Gruppen fanden statt, so ein solcher in Saint-Etienne, in dem u. a. über nationale und internationale Verbindung zwischen den anarchistischen und revolutionären Gruppen beraten wurde; den aus der Strafkolonie Neukaledonien heim kehrenden Genossen (Bury u. s. w.) wurden Ehrengeschenke überreicht. Am G>abe de« anarchistischen Dombenwerfers Emil Henry in Brevands sanden anarchistische Demon strationen statt: kurzum, der Anarchismus regt sich seit einiger Zeit in Frankreich mehr als je, und da Carnot einem anarchistischen Schurken zum Opfer fiel, so ist es wenigsten« nicht ausgeschlossen, daß Anarchisten auch dem Präsidenten Loubet nach dem Leben trachteten. Berlin, 23. Oktober. („WaS geht uns Han noveraner der preußische sogenannte Große Kur fürst an?") Ein hannoversches Blatt bat kürzlich in seiner Unterhaltungsbeilage eine Abbildung des Großen Kurfürsten gebracht und dadurch — wer hätte das gedacht? — einen welfischen Papa in Verlegenheit gestürzt. Man sollte da« nicht für möglich halten; aber der Herr Papa sagt es selbst in einem eigenhändigen Briefe, den er an jene Zeitung aus diesem Anlaß geschrieben bat und jetzt mit sichtlichem Stolze veröffentlicht. Zn seinem Briefegedeukt der welfische Parteigänger zunächst der schon erwähnten Verlegenheit, deren Opfer er geworden, und schreibt alSbann: „Zch bin glücklicher Vater eines neun- bis zehnjährigen Zungen und auch, wie sich das als Hannoveraner und Deutscher (?) von selbst versteht, An hänger meines angestammten Königshauses. Nun kommt mir mein Zunge, wie er daS Bild sah, mit Fragen nach diesem Großen Kurfürsten. Bon Begeisterung bei mir kann natürlich keine Rede sein und die knappe Beant wortung seiner Fragen befriedigte ihn auch nicht. Deshalb, meine ich, ist eS richtig, wenn derartige Bilder, welche nicht mit der hannoverschen Vergangenheit un Zusammenhänge stehen, ganz fortbleiben. WaS geht uns Hannoveraner der preußische sogenannte Große Kurfürst an?" — Selbstverständlich erwartet der Fragesteller die Anwort: Gar nichlS! Daß aber gerade die welfischen Partei gänger gut täten, sich mit dem Großen Kurfürsten von Branden burg recht eingehend zu beschäftigen, davon sollten sie sich durch GeschichlSkundige überzeugen lassen. Einer von letzteren hat soeben auf vir Gründe hingedeutet, auS denen das Welsentum Anreiz genug zur Beschäftigung mit dem Großen Kurfüisten haben muß. Es ist das vr. Paul Haake, der, im Auftrage der Königlich sächsischen Kommission für Geschichte mit der Herausgabe der Briefe und Ent würfe Augusts des Starken beschäftigt, vor wenig Taaen unter dem Titel „König August der Starke" (München, Oldenbourg) eine sehr interessante Cbarakterstudie veröffentlicht hat, in der eS heißt: „Nicht der äußere Um stand bat die Wettiner um die BormachtSstellung unter den deutschen Protestanten gebracht, daß August der Starke über trat zum Katholizismus, sondern sein maßloser Trieb in die Weite und sein Mangel an Verständnis sür die Aufgaben, die seiner in Sachsen harrten. Darum ist Friedrich Wilhelm Brandenburgs „Großer Kurfürst" geworden, weil seine dynastische zugleich territoriale Politik war, weil er die schwedische und polnische Krone auSschluq, weil er immer fester verwuchs mit seinem Lande. Hätten die Habsburger öster reichische, die Wettiner sächsische, die WittelSvacher bayerische, die Welsen hannöversche Politik getrieben, wie die Hobenzollern brandenburgische, so wären die Preußen schwerlich der führende Staat in Deutschland geworden; denn die Natur hatte eS weit sties- mütteilicker bedacht, al» seine Rivalen. Aber daß der Große Kurfürst, Friedrich Wilhelm I. und Friedrich der Große die Familieninteressen nicht über, ja in Gegensatz zu den territorialen stellten, sondern ihnen anpaßten, das verschasste ihrem Hause den Vorsprung vor den andern deutschen Dynastien." — Hätte der welfische Papa von dem hier entwickelten Ge dankenzange eine Ahnung gehabt, so würde er durch daS Bild des Großen Kurjürsten in einer hannoverschen Zeitung Die Stecknadel. Novelette von Bilhelm Larsen. Deutsch von Julia Koppel. Nachdruck verboten. Es war an einem taufrischen Augustmorgen. Das alte Herrenhaus lag noch im Morgenschlummer, mit ge schlossenen Fenstern und hcrabgelassenen Vorhängen. Draußen im Garten ging der Gärtner mutterseelen allein umher und schnitt Blumen ab für die großen Vasen und Aufsätze im Salon. Kling, klang, kling, klang tönte es plötzlich durch die morgendliche Stille, und im nächsten Augenblick sah man ein junges Mädchen aus einem Rade um die Ecke des Hauses biegen, von einem weißscheckigen Hunde gefolgt, und durch den Park davonradeln. Sie war schlank und geschmeidig, und das knappe, dunkelblaue Sportkostttm stand ihr gut. Das Gesicht war regelmäßig, mit hübschen, blauen Augen, und um den Mund lag ein kindlich liebreizender Zug, der sich bei der geringsten Veranlassung in ein einnehmendes Lächeln ver wandelte. Sie machte einen kräftigen und gesunden Ein druck, nur die Gesichtsfarbe verriet, daß sic nicht immer in solch frischer Luft gelebt hatte, wie setzt. Als sie bis zum Ausgange des Parkes gekommen war, schlug der Hund plötzlich ein paar Mal kurz an, und stürzte auf einen Windhund zu, der ihnen schnüffelnd entgegen kam. Im selben Augenblicke rief eine dröhnende Stimme: „'n Morgen, Gerda!" Und durch die hohe Hecke, die den Park abschloß, trat der Stammherr des gräflichen Be sitztums. Er war eine hünenhafte Erscheinung und sah stattlich aus in seinem Berwalteranzuge: Jackett, Jäger mütze und hohe Schaftstiefel, mit einem schweren Eichen stock in der Hand. „Guten Morgen, Preben", lautete die Antwort, die durch ein fröhliches Kopfnicken begleitet wurde. „Wo kommst du schon her?" Sie hielt still und sprang vom Rade. Sein gutmütiges Gesicht mit dem gewaltigen roten Schnurrbart strahlte vor Wohlwollen, als er antwortete: „Ich hab' einen kleinen Streifzug durch die Felder ge macht, mal nach dem Vieh gesehen. Aber du, wo willst du denn hin am frühen Morgen?" „Ich will noch schnell vor dem Frühstück ein Bad nehmen." „Das ist recht! Dir ist der Aufenthalt hier bei uns überhaupt nicht schlecht bekommen, du bist ordentlich rund- lich geworden." „Ach ja, schrecklich dick! Aber man ist auch immer hungrig hier, von der Lust und vom Radeln und Baden. Und dann schmeckt immer alles so gut, und wenn Tante dann noch nötigt, dann kann man das Essen nicht lassen." „Ach was, du bist noch lange nicht zu dick. Diese äthe rischen Dämchen aus Haut und Knochen sind mir 'n sÜreuel." „Na ja, es gibt ja auch noch ein Zwischendirsg, wie die neue Mamsell zum Beispiel. Die ist doch reizend, nicht Preben?" fügte sie neckend hinzu. Lein rotes Gesicht wurde noch um eine Schattierung röter: „Mamsell Gormsen ist recht nett, aber —" und er trat dicht an ihr Rad heran, „so nett wie Du ist doch keine! So, nun weißt du cs." Damit flötete er seinem Hunde and ging eiligen Schrittes davon. Gerdas hübsches Gesicht strahlte vor Vergnügen, als sie jetzt im raschen Tempo durch den Wald zum Badchaus fuhr. Wie lieb von ihm, zu sagen, „daß sie die Allerbeste sei". „Nein, so nicht — wie hatte er doch noch gleich gesagt? „Sv nett wie du ist doch keine!" Ja, so war's. Ob er sie liebte? Und liebte sic ihn denn? Sie war ihm jeden falls sehr, sehr gut. Oh, wie herrlich war es doch hier! Das war freilich etwas anderes, als den ganzen Sommer über in der dumpfen Stadt zu sitzen, in einer dritten Etage. Es war wirklich kein Vergnügen, auf solche Weise adlig zu sein. Weshalb hatte ihr verstorbener Vater nicht auch solch Gut gehabt, wie sein Vetter, Prebcns Vater, sondern nur eine Postmetsterstelle in einer kleinen Stadt! „Guten Tag, Malene!" rief sie, indem sie bei einem kleinen Bauernhause am Strande Halt machte. „Lassen Sie nur, ich hol' mir mein Handtuch schon selber. Passen Sie nur auf mein Rad auf, mährend ich bade", und sie eilte raschen Schrittes an den Strand hinunter. Eine Stunde später fuhr Gerda wieder bet der Garten treppe vor. Sie ging durch die Veranda und die daranstoßenden Zimmer in den Eßsaal, wo der Frühstückstisch gedeckt stand. „Ist Frau Gräfin noch nicht aufgestanden?" fragte sie den Diener. „Doch, Frau Gräfin waren eben schon hier, aber wurden wieder abgerufen." „Und Gras Preben?" „Ich glaube, Herr Graf sind im Kontor." Sie lief durch den Hof zu den Verwaltungsgebäuden hinüber, wo das Kontor lag. Indem sie lustig an die Tür klopfte, meinte sie einen kleinen Schrei drinnen zu hören, achtete aber nicht weiter darauf und öffnete: „Preben!" rief sie entsetzt und blieb wie angewurzelt stehen. Dort am Fenster stand er und hielt die hübsche Mamsell Gormsen in seinen Armen. Sie stand auf einem niedrigen Tritt und sah aus wie ein Nadelkissen, so dicht war ihre ganze Taille vorn auf der Brust mit Stecknadeln besteckt. Sie hielt die Augen geschlossen und lehnte den Kopf matt gegen die Schulter des Grasen. Preben hatte der Tür den Rücken zugewandt und dehte sich bet Gerdas Ausruf um. — „Gerda", stammelte er, aber sie war schon fort und stürmte über den Hof, zitternd vor Aufregung und Ent setzen. Als die alte Gräfin etwas später zum Frühstück kam, und bas Stubenmädchen nach ihrem Sohn und Komtesse Gerda fragte, bekam sie zur Antwort, daß der Herr zur Entenjagd nach dem «aldburger Moor gefahren sei, und Gerda auf ihrem Zimmer wäre. „Ich glaube, Euer Gnaden, die Komtesse ist traurig, cs klingt so, als ob sie weint." „Woher weiß Sie das? Hat Sie vielleicht an der Tür gelauscht?" „Ach uee, Euer Gnade»", autwortctc das Mädchen ge kränkt, „ich kam nur zufällig vorbei, und da kam es mir so vor, als ob ich ein Schluchzen hörte." „Na, schon gut, aber da Sie nun zufällig — wie Sie sagt — da vorbei gekommen ist, so weiß Sic auch vielleicht, weshalb die Komtesse betrübt ist?" „Gotte nee. Euer Gnaden, wo soll ich daS wohl von wissen. Der Kutscher sagte nur, daß die Komtesse eben aus dem Kontor des Grasen gekommen wäre und Mamsell Gormsen wäre auch da gewesen, um Gardinen auszustcckcu, und bald darauf wäre der Herr aus dem Kontor gekommen und hätte Befehl zum Anspannen gegeben." „Hm, so! Na, Sie kann gehen. Aher lass' Sie in Zu kunft Ihr Horchen. — Halt! noch eins. Schick' sie mir mal Mamsell Gormsen her, ich will mit ihr wegen des Mittagessens reden, wir müssen heut' etwas später essen." * * * „— — Na, also genug davon, Gormsen", sagte die alte Gräfin nach einem halbstündigen, scharfen Verhör. „Wenn der Doktor heut' nachmittag kommt, werde ich mit ihm Ihretwegen reden. Ich glaube, dicker Reis ist das richtige Mittel in solchem Fall. Sic bekommen also vor läufig nichts anderes wie Reis zu essen, das wird dann hoffentlich die Nadel, die Sie verschluckt haben, zu Tage fördern. Aber fallen Sie gefälligst in Zukunft auf einer passenderen Stelle in Ohnmacht, und in passendere Arme. — Klingeln Sie dem Diener, bevor Sic hinausgehen! — Niels, sag' Er der Komtesse, daß ich mit dem Frühstück auf sic warte, sie möchte gleich kommen." „Na, Kind, du bist doch gewiß schrecklich hungrig? Komm', lass' uns zu Tische gehen." „Danke, Tante! Ich kann . . . gar nichts . . . essen", Gerda preßte ihr Taschentuch gegen das Gesicht und brach in Tränen aus. „So, so, komm' mal her", — die alte Gräfin zog sie auf ihren Schoß — „na, was ist denn? Wer hat dir was getan? Preben? Nein? Ja, ich glaube doch, daß etwas mit Preben los ist!" Und wie Gerda sich auch wehrte, schließlich kam die ganze Geschichte heraus. „Trockne nun deine Tränen, mein Kind, und höre mir ruhig zu. Tie Sache ist gar nicht so schlimm, wie sie aus sieht. Also, Mamsell Gormsen war im Kontor, um Gar dinen aufzustecken, und wie sie auf der Leiter steht, mit dem Munde voll Stecknadeln, schluckt die Acrmste eine da von — vielleicht waren es auch zwei — hinunter." Hierbei glitt ein unmerklichcs Lächeln über das Gesicht der alten Dame. „Sie stößt einen Schrei aus und fällt beinahe vom Tritt herunter. Glücklicherweise sitzt Preben dabei und hindert sie am Heruntersallen. Sichst du, da will es der Zufall, daß du in diesem Augenblick hinzukommst, und in deinem Schrecken läufst du, ohne Erklärung abzu warten, davon. Das ist die ganze Geschichte, trockne jetzt deine Augen, mein Kind, die Sache ist keine Träne wert." „Großtante, ist cs wirklich so gewesen?" flüsterte Gerda glückstrahlend. „Ja, gewiß, Gormsen muß nun dicken Reis essen, bis die Nadel wieder herauskommt. Das ist allerdings kein Vergnügen für sie, denn sie mag keine Grütze. Aber es hilft ihr nichts, sie muß essen, bis sie sich mit der Nadel meldet." Preben war in keiner rosigen Gemütsverfassung, als er spät abends nach Hause kam, und fluchend und brum mend die Treppe zu seinem Zimmer hinausstieg, von seinem Hunde gefolgt. Die Büchse und die Jagdtasche warf er auf einen Stuhl, schleuderte die Stiefel mitten ins Zimmer und setzte sich dann grübelnd auf das Sofa, den Kopf aus die Hände gestützt. Der Hund legte sich still zu seinen Füßen, obgleich ihm der Magen vor Hunger knurrte. „Verdammt, daß Gerda gerade in dem Augenblick dazu kommen sollte", murmelte er. „Hm, nun ist die Sache na türlich verpfuscht .... hem, hem." Er erhob sich und zündete die Lampe an. „Weiß der Henker, schießen kann man auch nicht mehr. Sieben Fehlschüsse hintereinander und nur eine lumpige Wildente." Es klopfte. ,Hierein!" rief er unwirsch. „Mama!" sagte er überrascht. „Du hier, und so spät am Abend?" „Za, das wundert dich wohl, mein Junge, aber ich habe mit dir zu sprechen. Komm', wir wollen uns setzen. Das ist ja eine nette Geschichte mit dir und Mamsell Gormsen, denn du glaubst doch nicht, daß ich an das Märchen von der Stecknadel glaube?" „Aber, Mama ....?" „Lass' nur, mein Jung', sie hat dir da eine geschickte kleine Komödie vvrgespiclt, und ganz erfolglos ist sie wohl nicht gewesen?" „Wie meinst du, Mama ?" „Na, na, dir wurde doch wohl etwas weich ums Herz, als die Schöne dir in die Arme sank. Ihr Männer seid alle samt nichts wert. Aber was ich eigentlich von dir wissen wollte: wie gefällt dir Gerda? Sic ist ja arm wie eine Kirchenmaus, und etwas reichlich naiv. Aber du bist ja mit Glücksgütern gesegnet und die Erfahrungen kommen schon von selbst mit den Jahren. Außerdem kennst du ja nicht viele, zwischen denen du wählen kannst, und verliebt bist du wohl auch in sie. Also nun sag' ein Wort, wie du über die Sache denkst, denn es ist spät und wir wollen ziz Bett gehen." „Ja, Mama! Sie gefällt mir, wie keine andere." „Na, dann sag' cs ihr morgen nur frischweg, ich habe sie wegen der heutigen Geschichte schon mit Gormsens Er klärung zusriedengestellt." Am nächsten Vormittag saß Komtesse stierda in ihrem Zimmer und las einen Brief, den der Diener ihr vom Grafen überbracht hatte. Zn schon geschwungenen Buch staben und feierlichen Wendungen hielt er nm ihre Hand an. Heber die Abfassung des Antwortschreibens dachte sic noch nicht nach, darum kann hier auch nichts darüber be richtet werden, aber das frohe Lächeln um ihren Mund verriet, daß lichte Zukunftsbilder an ihrem inneren Auge vorbeizogcn.
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