ARCHITEKTUR D ie Bauten auf der Dresdener Kunstgewerbeausstellung spiegeln im wesentlichen den Gärungsprozeß wieder, den unsere Architektur heute zu durchlaufen hat, dessen Ende noch nicht abzusehen, dessen Produkte kaum schon zu erkennen sind. Die Hauptaufgaben der heutigen Architektur liegen nicht auf kirchlichem Gebiet, auch der repräsentative Monumentalbau profanen Charakters hat keinen maßgebenden Einfluß. Die wirtschaftlichen Fragen herrschen im Leben der neuen Zeit, und so häuft sich die Teilnahme von Volk und Künstlern auf die Architekturprobleme dieser Gattung, von der Wohnung bis zum Städtebau. Und von hier aus gehen zumeist auch die Ansätze formalistischer Bildungen, soweit man davon in einer Zeit mannigfacher schwankender Versuche sprechen kann — Versuche, die in rascher Folge nun schon seit bald 100 Jahren das künstlerische Grund prinzip zu wechseln pflegen, auf dem sie aufgebaut werden. Dem, zumeist durch Schinkelsche Kunst gekennzeichneten Bemühen, Elemente der griechischen Formensprache auf unser Bauen zu übertragen, folgte das wahllose Auf greifen der Formen verschiedenster Stilrichtungen der Vergangenheit — von der Gotik über die Renaissance, italienischer und deutscher Färbung, hin zum Barock und Empire — meist ohne Rücksicht auf den inneren Geist der Formen, ohne Hinblick auf den Stoff, dem ihre Gestaltung ursprünglich entsproß. Und mit dem vereinzelten Bemühen hervorragender Architekturlehrer in Süd- und Norddeutschland, durch eingehendes Studium der Kunstsprache der Alten und ihrer wahren Bedeutung zur Erkenntnis zu gelangen, kreuzten sich bald energische Versuche eine neue Architekturweltsprache zu erfinden, deren Gefüge und Wurzeln keinem der bisherigen Stile entsprechen oder gleichen sollten. Und wiederum beginnt jetzt das verschämte Aufnehmen von Architekturfremd wörtern mannigfachster Stilepochen, selbst primitiver Zeiten, unter äußerlicher Auf pfropfung auf Stämme oft grundverschiedenen Charakters. In fast allen der Dekoration zunächst dienenden Zweiggebieten mit einfacheren Grundbedingungen ist die neue Zeit zu echter Stilistik durchgedrungen und hat hervorragende Leistungen schon hinter sich. Nach anfänglichem Schwanken begann in Anlehnung an die Arbeiten der Vorzeit, sogar mit starkem Einfluß eines asiatischen Kulturvolkes, ein heilsames Zurückgehen auf die dem Material eigene Technik und eine durch eingehendes Naturstudium unterstützte künstlerische Verarbeitung des ge gebenen Vorwurfs. Von alledem zeugen Tapeten, Stoffe, Glasfenster, Flächenschmuck und Klein kunst verschiedenster Art auf der Deutschen Kunstgewerbeausstellung laut genug, und auch die Architektur predigt das dekorative Geschick ihrer Schöpfer. Aber ebenso sinnfällig erweisen die guten wie die verfehlten Lösungen, daß eine wahrhafte Architektur mit dem Rüstzeug der Dekoration nicht zu meistern, daß mit rein äußerlichen Mitteln dem Problem der heutigen Architektur nicht beizukommen ist.