Brigitte Umbreit Carl Gustav Carus und seine Beziehung zu Goethe „Euer nur allzukurzer Besuch hat mir eine tiefe Sehnsucht zurückgelassen, ich habe mich die Zeit her gar oft mit Ihnen im stillen unterhalten und Ihre Reise in Gedanken begleitet, überzeugt, daß schone Fruchte zu erwarten seien, und zwar nicht späte, sondern unmittelbare, indem Sie sam melnd und erwerbend, alsobald zu ordnen wissen.“' So schrieb Goethe an Carl Gustav Carus nach ihrer ersten und einzigen Begegnung im Juli 1821, als Carus auf seiner Reise nach Italien im Haus am Frauenplan endlich dem von ihm hochverehrten Manne persönlich sprechen konnte, mit dem er seit 1818 korrespondierte. Dabei hatte Goethe in dem Arzt, Künstler und Naturfor scher Carus eine Persönlichkeit gefunden, die in ihm nicht nur den Dichter-Genius verehrte, son dern ihn spüren ließ, daß das dichterisch Gewordene nur in engem Zusammenhang mit seinen naturwissenschaftlichen Arbeiten gesehen werden kann. Für Goethe wohl noch bedeutsamer war die Anerkennung, die Carus seinen naturwissenschaftlichen Arbeiten als eigenständige Leistun gen zollte. Auf diesem Gebiet hat er die Ablehnung oder das Schweigen der Naturforscher und Mediziner seiner Zeit oft genug ertragen müssen und verschiedentlich auch beklagt. Carus war ein Goethe-Verehrer, er habe im Geiste Goethes gelebt, in seinem Haus habe er einen Tempel für ihn errichtet, er habe einen Goethe-Kult getrieben, meinten besonders kritische Zeitgenossen und Nachgeborene; ein Vollender des Goethe-Zeitalters, der in seiner Lebensweise und seinem Wir ken den Übergang von der Klassik zur Romantik prägte. Sicher wird es etwas problematisch, wenn man das Verhältnis von Carl Gustav Carus zu dem von ihm hochverehrten Mann in Weimar beschreiben will. Mit dem Wort „Kult“ wird man ihm ganz bestimmt nicht gerecht. Carus und Goethe vermochten sich gegenseitig etwas zu geben; der jüngere wohl insbesondere dem älteren das Gefühl einer tiefen Befriedigung, daß u. a. seine Idee von der Metamorphose der Pflanzen wie der Tiere durch ihn eine Bestätigung und Anerkennung fand. Als Carus 1818 ein Exemplar seines „Lehrbuches der vergleichenden Anatomie“ an Goethe nach Weimar übersandte, schreibt er darüber später: „Als ich das Werk an einige gelehrte Freunde zu versenden im Begriff war, erschien es mir als eine Pflicht der Dankbarkeit, auch insbesondre dem Manne ein Exemplar überreichen zu lassen, dem ich schon in Jünglingsjahren die lebhaftesten Anregungen verdankte, dessen tiefes Naturgefühl mich aus seinen Gedichten und seinem Faust begeisternd angeweht hatte und in dessen Bestrebungen, die Metamorphosen der Pflanzen zu durchdrungen und das Geheimnis mancher Skelettbildungen zu entziffern, mir die in der Wissen schaft seitdem mit Riesenschritten weitergediehene genetische Methode zuerst schöner und deut licher erschienen war. “ 2 Der erhoffte Brief aus Weimar ließ nicht lange auf sich warten. Es begann damit eine Korrespondenz zwischen den beiden Männern, die erst Goethes Tod beendete. Carus fand in diesen Zeilen seine Absicht bestätigt und Goethe bekundete dem Verfasser uneinge schränkt seine Anerkennung, wenn er schreibt. „. . . Da ich mich seit vierzig Jahren in diesem